10. März 2024
«Die Sicherheit, dass nichts erfunden ist» Der österreichische Filmemacher Lukas Feigelfeld (Hagazussa) hat als «German Dialogue Consultant» an Jonathan Glazers The Zone of Interest mitgearbeitet. Ein Gespräch über eine außergewöhnliche Erfahrung mit dem Kino
Herr Feigelfeld, Sie waren bei The Zone of Interest als German Dialogue Consultant ein enger Mitarbeiter von Regisseur Jonathan Glazer. Wie kam das?
2021 kam recht knapp vor dem Dreh ganz klassisch über meine Agentin die Anfrage, dass eine Produktion von Jonathan Glazer jemand sucht für eine Stelle, die man so eigentlich nicht kennt. Jemand, der als Deutschsprachiger und flüssig Englisch Sprechender am Set ist und sich um die Kommunikation des Regisseurs mit den Schauspielern kümmert. Das Drehbuch war zu diesem Zeitpunkt schon ins Deutsche übersetzt. Ich habe dann alle Dialoge neu überarbeitet im Hinblick auf Authentizität und Sprache dieser Zeit. Wir sind sehr kurzfristig für zweieinhalb Monate nach Oświęcim gezogen. Mit meiner damals ganz kleinen Tochter und meiner Frau haben wir bis in den Spätsommer in einem kleinen Apartment gelebt. Der Ort ist nicht sehr groß, das Filmteam hat den sehr eingenommen für diese Zeit. Ich habe Jon kennengelernt und Sandra und Christian, und wir haben angefangen zu proben und geschaut wie das ganze, sehr besondere Kamerakonzept funktioniert.
Glazer ging ursprünglich von dem gleichnamigen Roman von Martin Amis aus, der deutlich stärker fiktionalisiert und für meine Begriffe sehr frivol mit dem Thema umgeht. Hat dieses Buch überhaupt irgend eine Rolle gespielt?
Nein. Es war von Anfang an kommuniziert, dass das Buch sehr wenig mit dem Film zu tun hat. Jonathans Herangehensweise war schon viel weiter gedacht. Viel mehr auf die historischen Personen konzentriert. Ich habe mich dann mehr mit Rudolf Höß beschäftigt (im Buch geht es um einen erfundenen Kommandanten namens Doll). Es gibt auch Audiodokumente von Höß, in denen er über seine Verbrechen spricht. Christian Friedel bringt mit einer Weichheit und einer recht hohen Stimme etwas in diese Rolle mit, was man sich so bei jemand wie Höß nicht vorstellen würde. Bei Hedwig Höß war die Recherche schwieriger, aber auch da habe ich eine Aufzeichnung aus einem Gerichtsverfahren gefunden, wo sie auch etwas sagt. Wir haben aber nicht alles darauf basiert. Es ging sehr darum, den Realitätsaspekt des Ganzen zu betonen: wie diese Menschen untereinander gesprochen haben. Nicht dieses Nazideutsch zu verwenden, ein gehärteter Jargon, den man vor allem aus dem Kino und Fernsehen über diese Zeit kennt.
Glazer hat selbst auch auch viel auf Forschung zurückgegriffen.
Unglaublich viel Arbeit ging in Recherche. Teilweise ging es um die winzigsten Details, am Set überlegt man sich immer, ob das überhaupt jemand bemerkt. Aber es ist tatsächlich ein Faktor, wenn man diese zugrundeliegende Sicherheit hat, dass nichts erfunden ist. Eine der schlimmsten Aussagen von Hedwig zum Beispiel, als sie zu einer polnischen Haushaltshilfe sagt: Wenn ich es wollte, würde mein Mann deine Asche auf den Feldern von Babice verstreuen. Das ist nicht erfunden.
Was war Ihre Funktion konkret am Set? Wo waren Sie da jeweils?
Am Set waren wir abgesetzt, ungefähr 20 Meter vom Haus, in einem Container mit den Monitoren. Es waren manchmal bis zu zehn Kameras gleichzeitig im Einsatz, Kameras mit herunternehmbaren Bodies, man konnte damit sehr nahe an die Wand gehen. Teilweise waren die Kameras in Gebüschen, auf jeden Fall möglichst unsichtbar vor allem in den Szenen mit den Kindern und Komparsen. Es ging um eine Atmosphäre, in der die Schauspieler sich möglichst allein und authentisch in diesem Haus bewegen und sich mit den Kinder und nicht professionellen Darstellern mischen. Im Keller saßen bis zu zehn Focus Puller, und wir waren verkabelt im Container. Vor der Szene ging Jon nach drinnen und hat ein bisschen geblockt (die Bewegungen im Raum festgelegt). Eine der schwierigsten Szenen für mich war die zu Beginn, als die Herren von Topf & Söhne kommen, um die Pläne für das Krematorium vorzustellen. Hedwig ist da gerade in der Küche, und draußen eine Horde von SS-Leuten. Das war alles in einer Szene. Für mich war die Herausforderung, zu sehen, wo Jon hinschaut, denn diesen Teil musste ich dann simultan übersetzen, und ihm ins Ohr sprechen, was sie sagen – er hatte keine Kopfhörer.
Christian Friedel und Sandra Hüller bewegen sich also durch Szenen, die zu komplex sind, um sie im Detail zu inszenieren. Könnte man das so beschreiben?
Die Kinder wurden einfach darauf losgelassen, die hatten fast keinen Text sind manchmal in Gegenwartssprache verfallen. Da fielen dann Worte wie Power Rangers. In der Regel gab es einen halben Tag Aufbau, und dann wurde die Szene durchgedreht. Beim Winterdreh in Katowice gab es Szenen, die waren stärker gescriptet, da habe ich nur übersetzt, wenn etwas falsch gesprochen war. Manchmal gab es Lautsprecher im Haus, da wurden auch so Anweisungen kommuniziert. Beim großen Ball gab es 300 polnische Komparsen, die einfach gefeiert haben da gab es kein Cut and Go, nur manchmal Anweisungen wie: Jetzt alle Walzer tanzen. Christian lief da drin herum mit einem Stecker im Ohr und hat sich nach den Anweisungen bewegt. Es gab kein Team um ihn herum.
Hat Glazer versucht, Deutsch zu lernen?
Angeblich davor. Aber er ist nicht weit gekommen. Er hatte genug zu tun.
Gab es Konflikte?
Nein. Es gab am Anfang kurz eine Sorge von ihm, einen anderen Regisseur an den Set zu holen, auch wenn ich am Anfang meiner Arbeit stehe. Er wollte sicher sein, dass da nicht jemand ist, der sich mit einer Meinung einmischt. Es erwies sich dann aber, dass ich gerade als Regisseur gut verstehen kann, worauf er hinaus will, und ihm helfen kann, das zu realisieren. Also nicht nur als Dolmetscher zu fungieren. Die ersten paar Tage mussten wir das herausfinden.
Tauchten Referenzfilme wie Lanzmanns Shoah in Glazers Äußerungen auf? Anders gefragt: Wurde erkennbar, inwiefern er The Zone of Interest in einer Tradition von Versuchen zu Auschwitz sieht?
Im Grunde nicht. Er hat sich enorm viele Gedanken gemacht, aber nicht in Bezug auf andere Filme. Er will sich in keinen Vergleich setzen. Das ist sein eigener Take. Man merkt, dass es ihm enorm wichtig ist und enorm nahe geht. Es geht ihm da nicht um die Filmgeschichte. Er ist in einer jüdischen, intellektuellen Familie in London aufgewachsen, auch der Produzent James Wilson ist Jude. Es gibt da schon diesen kollektiven Schmerz in der Geschichte. Wichtig ist, dass The Zone of Interest kein deutscher Film ist sondern ein polnisch-englischer, und ein jüdischer Blick auf einen Teil der polnischen Geschichte. Die deutschen Schauspieler sind erforderlich, aber es geht hier nicht um deutsche Vergangenheitsbewältigung.
Höß war aus Baden, wo eigentlich ein sehr ausgepräger Akzent gesprochen wird. Sie sind ein Österreicher in Berlin. Haben diese Färbungen des Deutschen eine Rolle gespielt?
Es ging schließlich nicht so weit, dass wir uns auf Dialekte konzentriert hätten. Diesen Anspruch hatte ich am Anfang. Man hat ja in Deutschland im Film eher wenig Sprachfärbung, sondern eher diese neutrale Theaterfilmdeutsch, das mi gerade als Österreicher oft auffällt. In diesem Fall aber ging es darum, dass die Schauspieler versucht haben, einfach alltäglich zu sprechen. Wie die normalsten Menschen der Welt.
Wie haben Sie Sandra Hüller erlebt?
Sandra ist sehr bodenständig. Sie ist sehr direkt und hat sich anfangs schwer getan, die Rolle überhaupt anzunehmen, weil sie keine Nazis spielen will. Sie ist mit viel Ehrfurcht herangegangen und musste überzeugt werden. Man muss bedenken: Wir waren jeden Tag nur 30 Meter vom Krematorium 1 entfernt. Das Catering war auf dem Parkplatz der Gedenkstätte Auschwitz 1. Tagaus tagein an diesem Ort zu sein, das hat einen unterschwellige Effekt. Ich glaube, das haben wir alle gespürt, aber bei Sandra merkte man, dass das schwer lastete auf ihr. Jon wollte das, denn dadurch wurde der Film ehrlicher. Es gab sicher Szenen, wo sie sich sehr unwohl gefühlt hat. Sie wollte keine emotionale Nähe zu dieser Figur aufbauen. Als es dann darum ging, in diesem Raum zu agieren, den Jonathan geschaffen hat, hat man gemerkt, was sie kann.
Wie haben Sie den Film zum ersten Mal gesehen?
Bei der Weltpremiere in Cannes. Inzwischen habe ich ihn dreimal gesehen, beim ersten Mal habe ich noch vor allem den Set wahrgenommen, und es kamen auch viele Erinnerungen dazu, an die Tochter, die damals die ersten Schritte gemacht hat, an den Sommer in Polen, das alles zusammen. Beim dritten Sehen war ich dann schon besser bereit, die Emotionalität des Ganzen auf mich wirken zu lassen.
Wie sieht es mit eigenen Filmprojekten aus?
Ich arbeite, nachdem Hagazussa vor allem international Aufmerksamkeit bekommen hat, an einem englischsprachigen Film mit der amerikanischen Firma SpectreVision von Elijah Wood und Daniel Noah, die Mandy mit Nicolas Cage gemacht haben. Das Buch ist jetzt fertig, es ist keine Adaption, sondern aus meinem Kopf entstanden. Es ist wieder etwas Dunkles mit einem Genretouch, wobei ich ungern kategorisieren will. Inspiriert von Molloy und The Unnameable von Samuel Beckett. Es soll im weitesten Sinn um das Sterben und die Akzeptanz der Verwesung gehen. Wir sind gerade dabei, zu casten und zu definieren, welche Leute wir dafür gewinnen können. Die Strategie ist, einen Independent-Hollywoodfilm mit einer spannenden Besetzung zu machen.