spielfilm

26. November 2013

Ferroni, Hirschenson, Gainsbourg Sehtagebuch

Von Ekkehard Knörer

Ein Mann landet an, Kleidung in Fetzen, kippt er um, Gesicht liegt im Matsch. Er ist verwirrt, wird von Lust- und Schockbildern heimgesucht, mit denen Giorgio Ferroni freudig auch den Zuschauer traktiert: ein von Maden durchkrabbelter Totenschädel; eine Hand auf dem nackten Unterleib einer Frau; ein Frauengesicht, das zu einer wabbelnden Blutsuppe explodiert; Nonnen (?) mit blutigen Händen am Gitter; eine Hand wühlt ein pochendes Herz aus irgendjemandes Brust. Diese Bilder knallt Ferroni uns also im Prolog vor den Latz. Nicola, so heißt der in den Film hineingetaumelte Mann, sieht man ein paar Schnitte später in der Psychiatrie mit einem Dornenkronenkabelgewirr: traumatisiert. Und dann eine sehr hübsche Frau namens Sdenka, auf die Nicola überhaupt nicht gut reagiert. Wie das kommt, was das soll, wie aus dem Mann das psychische Wrack wurde, das er ist, das wird nun in der Rückblende erzählt. Die aber holt diesen Beginn, obwohl oder vielleicht gerade weil sie ihn mehr als erklärt, in der Experimentierlust nicht so recht ein. Eine Hexe im Wald, untot vampirisch. Eine Familie im Wald, die von der untot vampirischen Hexe nach und vampirisiert wird. Pfahl immer durchs Herz, das Ganze aber nicht nach Bram Stoker, sondern als Wurdulaks nach russischer Art. Italorussisch ja schon die Namen, Nicola, Sdenka, eine Irina und ein Jovan. Nachts raschelt, munkelt und rumpelts im Dunkeln: Wurdulak-Hexen und grunzende Eber. Auch Rehe huschen durchs Bild. Das Auto fährt nicht und fährt und fährt nicht. Soundtrack mit allem Einschlägigen drauf, schönes thereminartiges Seventiespathosgedudel. Nicola, Sdenka: Liebe, Sex, Wurdulakfurcht. Kinderlachen sehr scary, Finger purzeln und Untotengesichter sinken in wunderbar unnatürlichen Effekten in sich zusammen (E.T.-Rambaldi was here). Nicht eigentlich campy das ganze, aber auch nicht so sehr schrecklich. Am Tollsten ist sowieso die Kamera (von Manuel Berenguer): immer unruhig, sprungbereit, zoomt (nie zu arg), sucht, findet, suggeriert, hat ihre eigenen Ideen, aber verselbständigt sich auch wieder nicht. Das sagt nicht «schau her, was ich kann», das sieht nicht einmal sonderlich nach was aus, aber das ist gerade das Schöne daran. (65cp)

Giorgio Ferroni, La notte dei diavoli, Italien 1972

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Sitzen zwei Frauen im Feld, eine blond, eine brünett. Und auf der Straße ein Bus als Mobile Home, davor ein pinkelnder Mann, der mit seiner Gürtelschnalle herumspielt. Das ist das erste Bild: mit Gürtelschnalle spielender Mann. Dann hin und her, Pflanzen dazwischen, die eine Frau, die andere Frau, dann steigen sie ein. In den Bus. Der fährt von Miami (oder irgendwo in Florida) nach Tallahassee, im Mobile Home klingelt das Telefon, ein Mann namens Bob ist dran und macht Druck. Hilft nichts, der Bus biegt ab und gerät schnell tief in die Sümpfe. Und wenn ein Film je vom geraden Weg abkam, dann ganz sicher dieser. Nun folgen, aus heiterem Himmel, aus lianenschlingendem Evergladewald, aus dem Busch, aus einer schwer psychedelisierten Drehbuchautorenfantasie: Auftritt einer Pythiapriesterin und Winden der Dunkelhaarigen (nackt) auf Evergladealtar zwischen Säulen; ein echt spooky Harlekin mit Ballonen und nicht unphallischer Nase; Schwingschaukelnacktheit im Wald; ein Politiker ziemlich fanatisch von irgendwoher; Flamingos; Erinnerungsbilder einer Verführung/Vergewaltigung durch einen Priester mit Orgelmusik; ein Babywaschbär; esoterisches Astrogequassel; Weichzeichnersoftpornografie (sowieso immer wieder); Weichzeichnergesang, aber auch Gequake, Gedröhne, Gedudel, was die billigen Klangapparaturen nur hergaben. Regisseur und Autor Bernie Hirschenson hat auch die Kamera geführt. Er liebt das Gegenlicht, er liebt die Froschperspektive, er liebt den Weichzeichner. Und immer wenn es langweilig wird, fällt ihm was Neues ein, Flashback, Erscheinungen, Liebe zum Stofftier, marodierende Mörder, Realfantasmagorisches, Fantasmagoreales, wer weiß. Und am Ende: Alles auf Anfang. Dies wird Ihr durchgeknallter Alptraum gewesen sein. Der Kreis schließt sich nicht, eher: Let's do it again. Steigen wir in den Bus. Leider war da aber Schluss, es blieb Maestro Hirschensons einziges Werk. (72cp)

Bernie (Bennie) Hirschenson, Pick-Up, USA 1975

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Und wie geht es hier los? So: Blick aus der Frontscheibe eines Müllabfuhr-Kipplasters (gelb), der einen Reiter auf einem Schimmel am Straßenrand überholt. Namenlos bleibt der Schimmel. Der Reiter ist Gerard Depardieu. Er hat keinerlei Plotfunktion, betätigt sich später bei einem Striptease quasi-masturbatorisch und reitet noch später noch einmal auf dem Schimmel vorbei. Die Plotfunktion sitzt am Steuer – bevor man ihn sieht (smoking hot: Joe Dallesandro), aber noch ein Blick auf eine Fifties-Dame als Cutout-Spoilerfigur, Schwenk nach oben: eine tote Krähe klemmt unterm Scheibenwischer, fetter Blutfleck am Glas. Zwei Müllmänner, Lover, auf einer Kippe mitten im Nichts. Armer Yorick, sagt Joe Dallesandro, als er im Abfall einen Tierschädel findet. (Ansonsten: Jede Menge Müll, aber null Zivilisation.) Dann fällt sein Blick in einer Bar auf eine androgyne junge Frau, das ist Jane Birkin. Coup de foudre, schwul hin oder her. Auch sie: Coup de foudre. Beim Sex gibt's jedoch ein Problem: Er nimmt sie als Jungen, der Analverkehr bereitet ihr Schmerzen. Sie schreit. Auf der Tonspur ohnehin ständig Rumoren und Schreien. Ein jaulender Hund, der, blickt man zum Methodenvergleich auf den überphallischen Spargelverzehr, wohl für doggystyle steht. Subtil ist das nicht. Dafür immer mal wieder sehr bezaubernd, wenn etwa Jane und Joe nackt auf einem Reifen im Baggersee treiben. Wo immer das ist, wo immer das spielt, gründlich durchamerikanisiertes Fantasiegebiet. Und Spitzenkameramann Willy Kurant (Pialat, Godard) filmt das im Meisterwerk-Style. Was er wirklich gut kann, fabelhafte Tableaus und wenn geschwenkt und gefahren wird, weiß man warum. Als Musik spielt entweder ein Je t'aime ohne Worte oder ein repetitiv-melodisches Honkytonk-Klavier, vorzugsweise zu Kipplasterüberlandfahrten. Monsieur Gainsbourg hält die Klappe, aber er hatte ja mit Regie und Drehbuch gut zu tun. Klarer Fall eines What-the-Doggyfuck!-Films. (68cp)

Serge Gainsbourg, Je t'aime moi non plus, Frankreich 1976