21. November 2013
Franchi, Guerín/Mekas, Kiarostami Sehtagebuch
Ich mag diesen Film eigentlich nicht, muss aber zugeben, dass er etwas Beeindruckendes hat. Es geht um einen Mann, der keinen hochkriegt bei der Frau, die er liebt. Und zwar kriegt er keinen hoch, gerade weil er sie liebt. Also ein sehr spezielles Problem, Männerwehleidigkeit scheint vorprogrammiert. Bleibt auch nicht aus. Regisseur und Drehbuchautor Paolo Franchi schaut ganz viel diesen Mann an, der leidet, der aber mit anderen Frauen Sex hat, allein und zu zwein und zu drein. Aber glücklich macht ihn das nicht. Der Film schaut auch die Frau an, à la Ursprung der Welt ganz zu Beginn, aber das ist kein identifikatorischer Blick. Sie soll das Leid des Manns mit seiner Impotenz aushalten, aus Liebe, sie soll erdulden, dass er mit anderen kann, mit ihr aber nicht. Was sie denkt, bleibt sehr unklar. Paolo Franchi macht seinem Film das Problem des Manns zum Problem, indem er ihm folgt, überallhin. Auch die Frau lacht sich einen anderen Mann an, aber dann rennt sie davon. Milchig hell sind die Bilder, Erinnerungsbilder, Traumbilder, Dias dazwischen, die schöne blonde Frau, der stoische leidende Mann. Es sind aber diese Bilder, die mich nicht loslassen, obwohl ich merke, wie sie gemacht sind und dass sie so gemacht sind, dass sie einen nicht loslassen sollen. Sie lassen mich trotzdem nicht los. Einmal auf dem Balkon, eine Glasscheibe, eine Annäherung, Schemen, die sich nicht berühren können, plakativer kann man das kaum ins Bild fassen. Es ist trotzdem grandios. Und Franchi kann Stimmungen malen, er hitchcockisiert weit in den Kunstfilm hinein. Der Widerwille schwand nie. Ich musste E la chiamano estate dennoch zuende sehen. (70cp)
Paolo Franchi, E la chiamano estate (2012)
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Das sind zwei, die nicht zueinander passen: Jonas Mekas und José Luis Guerín. Ausgerechnet die beiden schreiben sich Briefe, in Form von Kurzfilmnotaten, dear Jonas, dear José Luis. Es ist wie erwartet: Der eine filmt wild drauflos, mit dem schönen baltischen Pathos seines Amerikanisch, die Kamera, die am Körper ist, die selbst Körper ist, die alles aufzeichnen muss. Wer weiß schon warum, sagt Jonas Mekas, er richtet die Kamera da auf sein Gesicht, in einer der reflexiven Passagen, ich muss es tun, wer weiß schon warum. Was er auch tun muss: Seinem Sohn beim Verspeisen einer Gurke zusehen. Ken und Flo Jacobs (die Dritte habe ich nicht erkannt) auf der Straße in Brooklyn folgen, man steht, plaudert ein bisschen, Gesprächspausen, alles filmt Mekas. Das ist mal öde, mal poetisch, Schneetreiben in New York, taumelnde Bilder, starre Bilder, die vertraute Mekasifikation der Welt, dabei macht er doch nichts, dabei verschont er doch alle mit so etwas wie einem Formwillen. Ganz anders Guerín. Der Mann ist der Formwille selbst. Schwarz-weiß, damit fängt es schon an. Einmal stellt er die Kamera vor eine riesige leere Kinoleinwand mitten in der Stadt (irgendeine der vielen Städte, in denen er unterwegs ist) und meditiert aus dem Off darüber, wie die Stadt so einen Rahmen bekommt. Guerín denkt in Konzepten, er filmt in Bildern, die die Welt zurichten. Dokumentarfilm gibt es bei ihm immer schon nur mit Rahmung. Auf Anhieb ist mir das weniger sympathisch, aber Guerín ist dann eben doch wirklich nicht blöd. Und es gibt einen Abschnitt, der bricht einem das Herz. In Lissabon (bei Indie Lisboa, in dem Jahr war ich auch dort) lernt er eine junge Filmenthusiastin aus Slowenien kennen, Nika Bohinc. Ich kannte ihre entsetzliche Geschichte, sie wurde mit ihrem Lebensgefährten Alexis Tioseco in Manila in beider Wohnung bei einem Raubüberfall ermordet. Er lernt sie bei einem Interview kennen und weil er sie interessant findet, kehrt er die Situation erst einmal um: Richtet die Kamera auf sie, befragt sie zu ihrer Begeisterung fürs Kino, zum aktuellen slowenischen Film. Wie sie hier lebt, wie Guerin ihr in diesen Gesprächssequenzen das Leben zurückgibt, mithilfe des Kinos, das ist sehr schön und sehr traurig. Manchmal finde ich Guerin ein bisschen verschmockt. Das hier ist aber alles andere als das. In der Mischung der sehr verschiedenen Temperamente ist das ein hinreißender Film, der zwischen skizzenhaft, ausgearbeitet, spröde und öde und neunmalklug und bewegend alles Mögliche ist. (80cp)
José Luis Guerín/Jonas Mekas, Correspondencia (2011)
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Damit habe ich nicht gerechnet: ein so schlichter Film von Kiarostami. Nicht täuschend schlicht, sondern tatsächlich schlicht. Das ist als Kompliment gemeint, obwohl ich notorisch die Manier lieber mag als die Klassik. Also Shirin oder Copie Conforme ziehe ich vor. Dennoch: Like Someone in Love ist sehr schön. Einfache Geschichte: Eine junge Frau, Studentin und Prostituierte, wird von ihrem Zuhälter zu einem alten Mann geschickt. Der will mit ihr essen, aber sie schläft gleich ein. Eine Autofahrt mit dem alten Mann, der Prostituierten und deren Verlobtem, der von ihrer Tätigkeit nichts weiß und den alten Mann für ihren Großvater hält. Später ändert sich das. Am Ende fliegt etwas durchs Fenster, man erschrickt sehr. Diese einfache Geschichte hat Lücken, was ist in der Buchhandlung geschehen?, das ist natürlich kunstvoll, wie diese Lücken gearbeitet sind. Kunstvoll schlicht, aber schlicht bleibt es. Nicht eigentlich Verrätselung, trotz der Lücken, in die man selbst etwas hineintun kann, wenn man will, eher ein wenig wie Hong: wiederkehrende Motive – etwa wie Akiko anderen Frauen ähnlich sieht, oder wie andere finden, sie tue das; oder sie selbst findet das wie bei dem Gemälde mit der Frau und dem Papagei –, aber diese Wiederkehr der Motive bleibt auf der Kippe, geht nicht auf in einer narrativen Funktion, sondern kehrt eher die Struktur des Filmtexts als Text hervor. Das klingt jetzt doch etwas kompliziert, aber in Wahrheit macht Kiarostami eben auch das noch sehr schlicht, schlichter als Hong. Was dominiert, sind auch andere Szenen. Sequenzen ungebrochener Tatsächlichkeit. Der alte Mann am Steuer des Autos im Tokyoter Verkehr. Und er schläft ein, an der Ampel. Ihm fallen die Augen zu, der Verkehr steht, eine Minute: stehender Verkehr, zufallende Augen. Kiarostami zeigt, was ist. Oder er zeigt die Isthaftigkeit dessen, was ist. Beziehungsweise er zeigt sie nicht, sie ist eher das phänomenal Gegebene. Alter Mann. Ist. Das läuft wohl darauf hinaus, dass ich jetzt doch auch Haiku sagen muss. Das ist nicht deshalb falsch, weil es naheliegt. Kiarostami, der Haikus liebt, hat in Japan einen Film wie ein Haiku gemacht. Schlicht. Schön. Von einer Rätselhaftigkeit, die sich keinen Deut für irgendwelche Antworten oder Lösungen interessiert. (75cp)
Abbas Kiarostami, Like Someone In Love (2012)