spielfilm

23. August 2012

Geben und Nehmen Premiere: Die Zügellose (Hanotenet, Israel 2011) von Hagar Ben Ashar

Von Bert Rebhandl

© Transfax Film

 

Ein kleines Übersetzungsexempel aus dem Alltag des Weltkinos: Die israelische Regisseurin Hagar Ben Ashar hat einen Film mit dem Titel Hanotenet gemacht. Wörtlich bedeutet das anscheinend so viel wie Die Gebende. Für die Weltpremiere im Rahmen der Semaine de la Critique in Cannes 2011 wurde der englische Titel The Slut gewählt, der wiederum für die deutsche Premiere an diesem Donnerstag in Berlin mit Die Zügellose eher vorsichtig übersetzt wurde (Die Schlampe wäre da eher angebracht, hätte aber auch mit dem hebräischen Originaltitel wenig gemein).

Was sind also die Gaben dieser «Schlampe» Tamar, der Hauptfigur des Films, gespielt von der Regisseurin selbst? Wie die Übersetzungen schon andeuten, geht es um sexuelle Gefälligkeiten. Aber auch das trifft es nicht richtig. Im Grunde ist die Sexualität dieser zweifachen Mutter Mitte dreißig, die in einer ländlichen Gegend Israels eine Eierproduktion betreibt, das Thema und auch das Geheimnis des Films. Tamar treibt es mit mehreren Männern aus der Umgebung, die erste Szene nach dem Prolog zeigt sie nach einem offensichtlich schnellen Geschlechtsakt im Stehen, an eine Futtermittelmaschine gelehnt, eine Gefälligkeit für die Reparatur ihres Fahrrads.

Später ist sie noch mehrfach bei relativ wortlosen Begegnungen zu sehen, einmal holt sie einem Mann einen runter, selten zieht sie sich eigens aus, bevor sie sich nehmen lässt, und als sie mit dem Tierarzt und Pferdezüchter Shai ins Bett geht, mit dem sie mehr verbindet als nur Sex, geht sie beinahe wie aus Gewohnheit sofort dazu über, ihm einen zu blasen. Er aber zieht sie sanft zu sich hoch, ihm ist nach einer anderen Form des Geschlechtsverkehrs, nach einer Intimität, die später auch noch einmal ausführlich als Alternative zu dem schnellen «Geben» in Szene gesetzt wird.

Zwei Welten treffen da aufeinander: eine rurale Männergesellschaft, in deren Mittelpunkt Tamar steht, deren Tür in der Regel offen steht (buchstäblich und bildlich); und eine potentielle Familie mit Shai, der die beiden Töchter von Tamar schnell für sich einnimmt und sein Haus für die drei Frauen öffnet. Doch Tamar scheint sich nicht zwischen dem einen und dem anderen Leben entscheiden zu wollen oder zu können, sie schneidet in ihren Fahrradreifen ein Loch, um wieder einen Anlass zu haben, zu dem Mechaniker zu gehen (vorher hatte er einmal die Luft aus ihrem Reifen gelassen, um sie dazu zu veranlassen, sich endlich wieder bei ihm sehen zu lassen). Manchmal reicht nur ein Blick eines der auf ihrem Hühnerhof oder in der Nähe arbeitenden, keineswegs immer besonders attraktiven Männer, um Tamar ins Haus gehen zu lassen und die Türe zu schließen für ein paar Momente der Gabe.

Die zunehmend destruktiver werdende Ambivalenz dieser sexuellen Freiheit verleiht Hanotenet eine ganz eigene Spannung, die noch verstärkt wird durch die besondere Weise, wie Hagar Ben Ashar diese ländliche Kommune filmt: eine elliptische Topographie aus Gebäuden, Tätigkeiten, Wirtschaftsformen, Tagesroutinen entsteht ganz allmählich, und am Ende klärt sich nur das Rätsel des Prologs (in dem ein Pferd durchgeht!), nicht aber die Frage nach dem Charakter der Gaben, die hier gegeben und genommen (oder weggeworfen) werden.

Die Zügellose (Hanotenet), Donnerstag 23. August 2012, 20.00 Uhr, Moviemento Berlin, als Auftakt für das im Oktober stattfindenden Israeli Film Festival; Hagar Ben Asher, die derzeit als Artist in Residence in Berlin ist, wird anwesend sein