spielfilm

11. Dezember 2015

Große kleine Filme: Ropert & Bozon im Arsenal

Von Ekkehard Knörer

Seit gestern läuft im Arsenal eine Reihe mit Filmen von Axelle Ropert und Serge Bozon, zwei der aufregendsten Figuren des aktuellen französischen Kinos. Tirez la langue, mademoiselle ist am morgigen Samstagabend und am kommenden Dienstag zu sehen. Am Sonntag um 17 Uhr 30 gibt es ein Revolver-Live-Gespräch mit Ropert, ebenfalls im Arsenal.

Man soll die Sachen nicht vermischen, vor allem nicht das Berufliche und das Private. That's what the doctor ordered. Nur leider hält sich der Arzt nicht an das eigene Rezept. Der andere Arzt auch nicht. Sie sind Brüder, Boris und Dimitri Pizarnik, und Ärzte, die sich eine Praxis teilen, im asiatisch geprägten 13. Arondissement von Paris. Boris und Dimitri sind auch beste Freunde, meist kreuzen sie gemeinsam da auf, wo es brennt: bei einem Mädchen zum Beispiel mit schwerer Diabetes, ein Notruf. Aber wo ist die Mutter? Sie taucht bald auf, und da wird es dann fürchterlich kompliziert. Denn beide, Boris und Dimitri, verlieben sich in Judith, die Mutter, und den einen liebt sie zurück, den anderen nicht. Aber auch Boris' Weg zum Glück ist mit Hindernissen bestückt.

Ebenfalls durcheinander gehen das Berufliche und das Private bei Dimitri, der bei den Anonymen Alkoholikern auf einen Mann trifft, dessen Kinder er in der Gemeinschaftspraxis behandelt. Das geht aber nicht unbedingt schlecht aus. Was nur zeigt, dass die Regel vermutlich nicht stimmt. Wege ins Unglück findet auch, wer die Sachen getrennt hält. Und im übrigen hält sich Axelle Ropert, Drehbuchautorin und Regisseurin, überhaupt nicht daran. Man könnte sogar sagen, dass es sehr gezielt ums Gegenteil geht. Den einen Arzt (Dimitri) hat sie mit dem befreundeten Regisseur Cédric Kahn treffend besetzt. Auch ihr Allzeitkollaborateur Serge Bozon (u.a. Regisseur von La France, zu dem Ropert das Drehbuch verfasste) spielt mit, die Kamera führt dessen Schwester, Céline Bozon. Sachen mit Freunden machen, das ist schöne Praxis, bei Ropert & Bozon, das war es bei den Diagonaleux um Paul Vecchiali, Jean-Claude Biette, Jean-Claude Guiguet und den andern, die für die Art des Filmemachens geliebte Vorbilder sind.

Große kleine Filme sind das. Ein großer kleiner Film ist auch Tirez la langue, mademoiselle. Er beginnt mit einer Draufsicht, auf einen Platz. Im weiteren Verlauf sind dann Draufsicht und Dreinsicht charakteristisch gemischt. Man ist immer nah dran, wichtig sind die Nuancen, maliziöse Mikro-, aber auch sprunghafte Makroverschiebungen im Plot, denen kleine Blicke, ein Lächeln, ein Zögern bei den Darstellern korrespondieren. Nichts geht im Plot auf, der aber wichtig ist, weil er Anlässe gibt und Affekte heraufruft. Großes kleines Liebesdrama, das den Figuren das Geheimnis lässt und den Schmerz. Es gilt ihnen die unbedingte Liebe des Films. Aber die Devise ist auch: Zu viel zeigen und sagen sollte man nicht. Und immer auch das Komische sehen. Aber zugleich nichts an die Komik verraten. Auf Töne vertrauen. Und die tollste Szene ist wunderbar am Rande platziert: Die Patientin der Brüder und Tochter der liebesverwirrten Judith kommentiert im Gespräch mit dem chinesischstämmigen Eisverkäufer und Expatienten der Brüder die Sache sehr cool. Muss man gesehen haben. Wie diesen Film. Und überhaupt alle Filme von Ropert & Bozon.