spielfilm

5. Juli 2010

Heiße Herzen Mexikanische Melodramen

Von Bert Rebhandl

Die mexikanische Stadt Cholula, zu Füßen der Popcatepeteptl, ist ein geeigneter Schauplatz für eine Revolution. Sie hat angeblich 365 Kirchen, und was damit einher geht, ist in dem mexikanischen Melodram Enamorada (1946) von Emilio Fernández klar: Die Menschen werden in Rückständigkeit gehalten, feudale Verhältnisse leiten alle Erträge in die Oberschicht um, der meiste Prunk geht in die Kirchenarchitektur. Zu Beginn des Films nehmen die Truppen des revolutionären Generals Juan José Reyes die Stadt ein. Und sofort beginnt so etwas wie Terreur: Die Reichen werden vorgeführt, sie müssen ihre Besitztümer abgeben, viele werden «standrechtlich» erschossen. Ein besonders serviler Geschäftsmann bietet sogar seine Frau als Tauschware an, er wird umstandslos und unter dem entsetzlichen Geschrei eines Ehrlosen am Nacken gepackt und aus dem Raum gezerrt, draußen dann gleich der Schuss.

Juan José Reyes ist aber kein Unmensch, der gibt dem Lehrer eine Gehaltserhöhung und freut sich sehr über das Wiedersehen mit dem Pfarrer von Colula, den er aus der Schule kennt. In einer großartigen Szene, die auf das revolutionäre Durchgreifen folgt, geht Reyes in die unfassbar üppig ausgestaltete Kirche, in der ein Kinderchor gerade das «Ave Maria» probiert. Die Kamera (Gabriel Figueroa) torkelt geradezu unter den Himmelsornamenten dahin, minutenlang ist nur mexikanisches Barock zu sehen, bevor sich der Film narrativ wieder einkriegt. Dann eine Schlüsselszene: Der General und der Pfarrer sprechen über ein Gemälde, auf dem der Besuch der drei Weisen aus dem Morgenland bei dem neugeborenen Jesus zu sehen ist. Reyes hat nicht nur das genaue Entstehungsjahr des Bilds parat, sondern gibt auch gleich eine befreiungstheologische Interpretation: Die drei Weisen waren die Feudalherren ihrer Zeit, die vor dem «Symbol» des revolutionären Propheten Jesus klein beigegeben haben. Dann empfiehlt er noch, das Gemälde an einen besseren, weil besser im Licht liegenden Platz umzuhängen.

Die Liebeshandlung in Enamorada entwickelt sich zwischen General Reyes, der (ein Parzival des Befreiungskampfs) noch nie verliebt war, dann auf einem Platz in Colula auf Beatriz (María Félix) trifft, die Tochter des ersten Feudalisten am Ort. Sie zeigt ihm ihre Beine, und verabreicht ihm zwei Ohrfeigen, woraus er seine unmittelbare Gewissheit bezieht: «Diese Frau werde ich heiraten.» Damit ist die Programmatik von Enamorada klar, der auf eine Liebesbeziehung zwischen den Klassen hinaus will, ohne deswegen die alte Ordnung vollständig auf den Kopf zu stehen. Es wird also mit großer Gründlichkeit alles durchgearbeitet, was zwischen einem revolutionären Macho und einer noblen Muchacha stehen kann: der herrlich steife, absolut ehrpusslige amerikanische Verlobte, die Vorurteile über das Lotterleben der Revolutionäre, das freie Herumschweifen des Generals. Enamorada hat Szenen großer Komik (Beatriz sprengt ihren Verehrer an einer Stelle sogar in die Luft), und es gibt eine tolle Serenade, was wohl zum Genre gehört.

Wenn alle mexikanischen Melodramen, die das Arsenal in den kommenden Wochen zeigt, auch nur annähernd dieses Niveau haben, dann hätte dieser Sommer einen echten Höhepunkt.

Enamorada (Mexiko 1946, Regie: Emilio Fernández) läuft noch einmal am 17.07. in der Reihe Mexikanische Melodramen im Arsenal Berlin