spielfilm

9. August 2009

Herrlich die Erde Das Unbehagen an Roy Andersson

Von Ekkehard Knörer

Monde de gloire

© Roy Andersson

 

An und für sich bedeutet es wenig, die Kamera eine ganze Einstellung lang nicht zu verrücken, die Schärfe, die Nähe, die Ferne nicht durch Zoom zu verändern – alles also so aufzunehmen, wie es sich vor der Kamera findet. Auch wenn der Kader feststeht, bleibt immer noch die Mise-en-cadre, das Inszenieren des Raums in der Zeit, die vor laufender Kamera vergeht. Es bleibt auch die Tonspur, die sich gegen die Enge des Bildes zur Wehr setzen kann. In James Bennings One Way Boogie Woogie / 27 Years Later, der in dieser Woche einen winzigen Kinostart hat, erlebt man, wie ein Filmemacher mit der Kamera, die er kein bisschen bewegt, sein befreiendes Spiel treibt. (Ausschnitt)

Auch Roy Andersson, mit dem soeben Ignatiy Vishnevetsky für The Auteurs ein Interview geführt hat, bewegt seine Kamera ganze Einstellungen lang kaum oder gar nicht. Und er baut seine Filme aus einzelnen, derart statischen Einstellungen auf, blockartig also. Zusammenhänge stellt er manchmal narrativ her, manchmal über Ähnlichkeit der Motive und manchmal auch gar nicht – schließlich ist sein Stil in zahllosen Werbefilmen (eine Auswahl) erprobt, in denen Andersson sich und sein immer gleiches Herangehen zum Diener sehr unterschiedlicher Herren zu machen versteht.

Mir ist regelmäßig sehr unwohl mit Andersson. Nicht der unbewegten Rahmen, die er um seine Szenen legt, wegen. Sondern der Wirkungen wegen, die er im Zusammenspiel dieser Rahmung und des in Szene Gesetzten erzielt. Er kommt, das sagt er selbst, vom Tafelbild, vom Tableau. Er kennt seine Klassiker, aber es ist wohl bezeichnend, dass ich oft an Michael Sowa denken muss, den Satiriker im quasi-altmeisterlichen Modus. Weil Sowa aber keine Menschen malen kann, wie er sagt – und wie man sieht –, tut er ihnen selbst dann, wenn er es einmal versucht, im Ernst keinen Tort.

Bei Andersson ist das anders. Er schminkt seine Figuren gerne zu wandelnden und wankenden Leichen. Er lässt sie herumstehen im Bild als erbärmliche Gestalten, deren Trauer keine Ursache kennt und keinen Ausweg. Menschen sind bei Andersson stets schutzlos und ausgestellt. Selbst wenn sie in die Kamera blicken, selbst wenn sie jemanden (dich, mich) außerhalb der Räume adressieren, in die sie gesperrt sind, bringt ihnen das nichts: Ihre Hilflosigkeit macht das nur größer.

Oft finden sich in den strengen Kadern der Andersson-Bilder Öffnungen: Türen, Fenster, Wege. Die aber sind kaum etwas anderes als trompe-l'oeuils. Schon gleich am Anfang fällt – vor sehr unappetitlichem Anspielungshintergrund – eine Tür ins Schloss. Auch sonst aber geht es nicht hinaus, vielmehr sind in den Türen und Hintergründen der Kader oft schon andere Menschen postiert, leichnamsartig auch sie, ganz so, als wachten sie darüber, dass die zentrale Figur keine Ausbrüche wagt. Und stets lässt sie das. Sie zappelt, sie wankt, sie blickt flehentlich, sie spricht tonlos, sie klammert sich an etwas, sie sucht Halt, den Andersson niemals gewährt.

Sein Sadismus liegt darin, dass er, bei vorausgesetzter Ausweglosigkeit, seine Menschen mit Ausblicken in den Raum (und aus dem Film) lockt. Alle Fenster aber sind versiegelt oder verspiegelt von Anbeginn, die Türen führen nirgendwo hin – oder in Räume, die haargenau ebenso sind wie jene, aus denen einer flöhe. (Täte er's nur.). Ich muss bei Andersson gelegentlich an Michael Hanekes Rechthaberei denken. Der Humor, der bei Andersson noch dazukommt, mildert die Grausamkeit keineswegs. Vielmehr nimmt er dem Menschen in seinem Rahmen noch letzte Reste von Würde. Die böse konsumeristisch-kapitalistische Welt, als deren Opfer Andersson seine Figuren vorführt, hat so, wie sie zur Beweisführung aussieht, niemals ein anderer als er selbst eingerichtet.