spielfilm

2. Juni 2023

Hong Sang-Soo

Von Ekkehard Knörer

TALE OF Cinema

© Jeonwonsa Film

Münchner Retrospektive 2023

Hong Sang-soos Filme sind schon lange nicht mehr «schön», egal ob in Farbe oder schwarz-weiß. Am Anfang seines Werks, bei Filmen wie The Day The Pig Fell in the Well oder Woman is the Future of Man, war das noch anders. Da legte ein Regisseur Wert auf Können, Handwerk, gut komponierte Bilder; das passte alles noch gut in den Rahmen des Arthouse-Kinos, das nicht in den Kinos, aber auf den wichtigen Festivals der Welt dominiert. In diesem Rahmen passt Hongs Kino, obwohl es auf den Festivals nach wie vor, wenn nicht stärker denn je, präsent ist, nicht mehr. Es hat sich radikalisiert, und zwar durch Vereinfachung der Spiel-Elemente, die Entwicklung hin zu einem immer forcierteren Minimalismus, der auf jeden rhetorischen Schmuck verzichtet.

Die Elemente des Kinos von Hong sind, wie es sich für einen Minimalisten gehört, denkbar einfach, auf den ersten Blick jedenfalls. Zum Beispiel die Vorspänne und, davon nicht zu trennen, die Musik. Die erste Setzung meist nur die Tafel: grauer, weißer, farbiger Grund, darauf die Schriftzeichen, nicht streng, sondern lässig, handschriftlich, mit Schwung. Darunter, dazu die Musik, oft bekannte, fast schon zu bekannte Passagen klassischer Musik, Beethoven, Schubert, es sind aber hier die Motive, die Melodien, die zählen, nicht die Komposition und nicht die Struktur, stets ist die Musik einstimmig, simpel gespielt, in den jüngeren Filmen stammt sie gar von Hong Sang-soo selbst, denkbar unvirtuos auf der Gitarre gespielt. Die Musik kehrt wieder, nicht als Leitmotiv im musikalischen Sinn, sondern als Signal, das eine Zäsur, Abbrüche, Unterbrechungen, Neuanfänge anzeigt, oder auch nur etwas wie die nächste Runde im gleichen Spiel.

Dann die ersten Einstellungen. Manchmal beginnt es mit einem Naturbild, Blick zum Beispiel nach oben, der eine Stimmung setzt, das ist ein Bild, mit dem der Film seine Augen öffnet, mit dem er aber noch keine Geschichte in Gang bringt (diese Bilder kehren manchmal wieder wie die Signale der Musik, als Zäsuren, aber auch in der Nähe zu dem, was man in Yasujiro Ozus Kino «pillow shot» genannt hat, Momente der Schwebe, die im Kontext herzzerreißend sein können, in denen sich die Erzählung aber an einer Art Stillstands- und Nullpunkt ausruhen kann). In Gang kommen aber muss die Geschichte, so will es das Hong-Kino, und in Gang kommen wird sie, im nächsten Zug schon, der eine Figur zeigt, oft genug auf der Straße, eine Figur, die (meist) gehend, auch sitzend, auch stehend, eingeführt wird. 

Sie hat, meist früher als später, eine Begegnung, die sich mit den ersten Dialogsätzen als Wiederbegegnung herausstellen kann; oder als Täuschung; oder es lässt sich, wie in Yourself and Yours nicht entscheiden, ob sich hier jemand oder hier jemand den anderen täuscht. Die Begegnung, aus der sich etwas entwickelt (und manchmal auch nichts, man denke an das unerwartete Auftauchen und sofortige Wiederverschwinden von Jane Birkin zu Beginn von Nobody’s Daughter Haewon), ist das Basiselement, was auch heißt: Das Sich-Begegnen hat gegen alle Narration immer auch ein starkes Eigengewicht. Wer sich begegnet, kommt ins Gespräch, setzt sich ins Restaurant oder Café, redet, trinkt, begegnet sich wieder. Früher oder auch später.

Apropos: Zeit. Sie vergeht auf zwei Weisen bei Hong. Als annähernd Echtzeit, in Plansequenzen mit wenigen oder gar keinen Schnitten, manchmal mit sehr vielen Zooms oder – in The Day After etwa bis zum Exzess – Schwenks von der einen zum andern. Typisch in den häufigsten, in fast jedem Film vorhandenen Szenen, in denen zwei oder mehr Menschen am Tisch sitzen. Sie reden und trinken, bewegen sich dabei weniger zielgerichtet als nur im Kreis. Mit vergehender Zeit zergehen dabei die psychischen Umrisse der Figuren. Wer nüchtern war, ist am Ende, oft bis zum Lallen, betrunken. Die Worte, die Sätze verlieren, je unverschämter sie werden, umso mehr an Gewicht. Was gesprochen wird, ist komisch oder brutal oder beides zugleich, Das lächerliche Ernste heißt Sulgie Lies Buch zu Hong Sang-soo sehr zurecht. Die Schnitte zeigen nicht die Dauer der zwischendurch vergangenen Zeit an, so dass man auf andere Dinge aufmerken muss, zum Beispiel die Zahl der Flaschen auf dem Tisch (zwei, drei, vier, viele; Soju, Bier oder auch Wein). 

Das Aufmerken und der Schnitt: Letzterer tendiert bei Hong Sang-soo, fast wie im klassischen Kino und anders als in der Tradition, die sich von der expressiven Montage herschreibt, zur Unsichtbarkeit. Auch so, gerade so, ist der Schnitt als Unterbrechung und zugleich Verbindung immer Analyse und Synthese, aber eben in der Form eines «Nichts». Hong markiert den Schnitt meist nicht, und das heißt: dem Vorher und Nachher der Bilder nicht an, was zwischen ihnen liegt und geschah. Im jüngsten Film Walk-Up gilt das im Extrem: Von einer Szene zur nächsten, durch einen Schnitt und nichts sonst getrennt, haben sich die Wohnsituation, die Beziehungen und die Zukunftspläne völlig verändert. 

Die Zeit ist aus den Fugen, so sehr, dass (nicht zum ersten Mal) die Frage sich stellt, ob sich die Differenzen überhaupt auf der Zeitachse auftragen lassen, ob überhaupt die eine Figur noch die ist, die sie war, oder, gravierender noch, ob nicht die eine Sequenz oder Szene oder Beziehungsgeschichte am Ende weniger wirklich als die andere ist. Manchmal, in Nobody’s Daughter Haewon zum Beispiel, sind die Signale sehr stark. Ausdrücklich gibt es bei Yourself und Yours den Verweis auf Luis Buñuel, der sich oft an einer ähnlichen Grenze bewegt. Die Heldin erwacht, alles, vieles, manches war womöglich nicht mehr als ein Traum. Wobei ein in der Fiktion zunächst als Wirklichkeit vor Augen gestellter Traum wohl im Verhältnis zur Film-Wirklichkeit wirklicher ist als unsere Träume im wirklichen Leben. Aber hier wird es schwierig.

Diese Schwierigkeit der Unterscheidung zwischen real und geträumt, manchmal, etwa in Tale of Cinema, auch zwischen Film und Film-im-Film, das Diffundieren der Zeit, die Verunsicherung mit einfachsten Mitteln, im Gegenzug etwa die Überbetonung unbedeutender, durch die Wiederholung aber hervorgehobener Details (seien es Sätze, seien es Orte, seien es Zigaretten), all das liegt im Zentrum von Hong Sang-soos Kino. Und das gerade gegen den ersten, immer vollkommen realistischen Anschein der vollkommenen Banalität: Es geschieht ja nichts Fantastisches im Genre-Sinn: keine Drachen, keine Zauberkräfte, keine Unmöglichkeiten, sondern gerade hyperrealistische Beobachtungen von Nuancen. Man erlebt: heutiges Südkorea, sehr alltägliche Situationen, Gesten und Sprache, das Zögern, das Schweigen, Zwischenmenschliches, Widerstand und Begehren, das alles in allen Registern des Schauspiels so nah es nur geht an der Realität.

Seit einigen Jahren verstärkt sich in Hongs Werk dabei eine Tendenz zur Verinnerlichung der Formexperimente. Lange Zeit hat er diese Experimente bewusst ausgestellt. Mehr als eins und mehr als einer waren Hongs Filme so gut wie immer, voller Dopplungen, Kontrafakturen, Spiegelmomente. In Oki’s Movie sind gleich vier Filme hintereinander erzählt, ineinander verschränkt. In The Day he Arrives geraten die Motive ins Gleiten, ist derselbe Ort nicht derselbe Ort, sind dieselben Personen nicht dieselben Personen, ist die eine Geschichte, die erzählt wird, in sich verschoben. Ha Ha Ha lässt zwei Männer je eine Geschichte erzählen, von der die beiden nie begreifen – und man versteht es auch als Zuschauer erst nach und nach –, dass sie sich in zentralen Punkten berühren. Und so weiter.

Dazwischen, etwa bei Our Sunhi und dann ab Yourself und Yours bei den folgenden Filmen, bleiben die narrativen/formalen Dopplungen und Faltungen aus. Damit verbunden ist die immer weitere Konzentration fast aller Gewerke auf Hong Sang-soo: Produktion, Regie, Buch, Kamera, Schnitt, Musik. Der Künstler als ingeniöser Universaldilettant, als One-Man-Band mit einem zunehmend engen Ensemble grandioser Darsteller*innen (Kim Min-hee, Kwon Hae-hyo, Lee Hye-yeong). All das ist die Voraussetzung dafür, dass sich die Filme immer stärker auf das Wesentliche der idiosynkratischen Kunst Hong Sang-soos konzentrieren. Es ist eine Schönheit sehr eigener Art.

(Text für das Programmheft der Retrospektive im Filmmuseum München)
 

 

Münchner Retrospektive 2022

In The Novelist’s Film tritt, wie fast immer bei Hong Sang-soo, ein Filmregisseur auf. Rein zufällig begegnet er der Protagonistin, er und seine Frau sind auf einem Ausflug aus Seoul in die Vorstadt. Auch das, die zufällige Begegnung, ist mehr als normal. Bei Hong laufen sich ständig Leute, die sich von früher kennen, über den Weg. Oder sie kennen sich noch gar nicht, aber wir kennen sie schon, etwas in Right Now, Wrong Then, weil der Film die Geschichte einer Zufallsbegegnung zweier Menschen zweimal erzählt. Und egal, ob sie sich bereits kennen oder noch nicht: Meistens gehen sie gemeinsam etwas essen, wichtiger: trinken. Sie schweigen und reden, werden in der Regel langsam aber heftig betrunken, sagen oder tun Dinge, die ihnen später vielleicht peinlich sein werden. Lange, oft sehr lange gehen diese Szenen, mal wird auf die eine Person, mal auf die andere gezoomt, mal geht man nach draußen, zum Beispiel zum Rauchen, oft ist es kalt, kann sein, dass es schneit.

Die Schriftstellerin in The Novelist’s Film spricht mit dem Regisseur, sein Name ist Park, auch über sein Werk. Die Sache ist, zeigt sich bald, etwas heikel, da sein Versuch, einen ihrer Romane zu verfilmen, einst gescheitert ist. Man spürt, sie gibt ihm daran die Schuld. Das Gespräch bewegt sich ins Allgemeinere, die Kritiker, berichtet Park, haben eine Veränderung in seinem Werk festgestellt, es sei nun, er sucht nach Worten, und findet dies: «klarer». Anderer Film, andere Szene, In Front of Your Face, hier sitzen ein Regisseur und eine Frau an einem Tisch, sitzen, essen und trinken. Er will einen Film mit ihr drehen, die als junge Frau Schauspielerin war, es aber schon sehr lange nicht mehr ist. Bei seinen Filmen sagt nun dieser andere Regisseur, handle es sich, jedenfalls werde das oft so beschrieben, in literarischen Genres gesprochen, um so etwas wie «Kurzgeschichten».

Ganz sicher sollte man beides nicht als Selbstaussagen Hong Sang-soos über sein eigenes Werk nehmen, so wenig, wie die vielen, vielen Regisseure in seinen Filmen einfach Selbstporträts sind. Er hat immer wieder betont, das sei ein Beruf und es seien Figuren, die er aus dem eigenen Leben nun einmal kennt, darum treten sie so häufig bei ihm auf. Hong ist keiner, der sich weit aus den eigenen Wirklichkeiten entfernt. Das Material seines Werks ist ihm nah, es ist, in gewisser Weise, sogar immer das gleiche: Immer wieder die Regisseure, immer wieder die zufälligen Begegnungen, immer wieder das Essen und Trinken, immer wieder das Peinliche und das Banale, immer wieder die trunkene Rede, immer wieder das ziellose Sprechen, immer wieder auch nicht ganz erklärliche Blindstellen, Rätsel. Unendlich vertraut sind all diese Dinge bei Hong, unendlich oft wiederholt, aber eben auch: in immer wieder neuen, im Detail überraschenden Variationen.

Seit bald dreißig Filmen geht das nun so. Hong ist, wie die beiden Regisseure in The Novelist’s Film und In Front of Your Face, nicht mehr jung, vielleicht kann man so langsam sogar vom Beginn seines Alterswerks sprechen. Und vielleicht sogar davon, dass es doch eine vergleichsweise große Veränderung gibt. Vielleicht ist sogar das Wort, das Regisseur Park findet, das Wort, das die Veränderung in den neueren Filmen Hong Sang-soos am besten beschreibt. Vielleicht sind Filme wie Introduction oder In Front of Your Face tatsächlich «klarer» als das, was davor liegt, «einfacher», wenn auch nicht unbedingt auf einfach zu beschreibende Weise. Verschwunden jedenfalls, oder  in den Hintergrund getreten, ist etwas, das Hongs Werk lange geprägt hat: das vertrackte, das reflexive Spiel mit der formalen Struktur seiner Filme. 

Right Now, Wrong Then ist dafür ein perfektes Beispiel: Zweimal wird «dieselbe» Geschichte erzählt, ein (erfolgreicher) Regisseur lernte eine junge Frau, Malerin, kennen. Sie kommen ins Gespräch, sie betrinken sich, sie besuchen Freundinnen der jungen Frau und betrinken sich weiter. Nach dem ersten Durchgang beginnt der Film wie von vorne, es gibt auch eine weitere Titelsequenz, in der englischen Fassung heißt der erste Teil «Right Then, Wrong Now», der zweite trägt dann den Titel des ganzen Films. Die Differenzen zwischen den beiden Versionen sind teils gering, teils markant (nur im zweiten Teil wird sich der völlig betrunkene Regisseur vor den fremden Frauen entblößen). Fast alle Filme Hongs bis dahin haben über solche Wiederholungs- und Abweichungsstrukturen eine Form der doppelten Lektüre nicht nur erlaubt, sondern gefordert: Nichts war darin mit sich identisch, Spiegelungen, Spaltungen, Faltungen von Plots, Figuren, Begegnungen waren die Norm.

In den vier anderen Filmen dieses Programms verhält sich das anders. Die erwähnten Grundelemente von Hongs Kino sind die gleichen geblieben, auch in gleicher Weise alltäglich, banal: Sich-Begegnen, zielloses Sprechen, Annäherungen, Abstoßungen zwischen den miteinander sprechenden, sich miteinander (oder auch gegeneinander) betrinkenden Figuren. Gerne sind auch weiterhin Regisseure, in Introduction zur Abwechslung ein berühmter Schauspieler, mit im Spiel. Alles jedoch zielt nun sehr viel stärker als früher auf Einfachheit hin. Es fehlen die Spiegelstrukturen, es fehlt die Lenkung auf Formen der Wiederholung, auf Wiederholung der Form - und die jeweiligen Abweichungen. Was dabei auch fehlt, ist der Sinn, ein fast puzzleartiger Rätselsinn, den genau diese Form produziert.

Die filmischen Mittel – Kamera, Plot und Schnitt, auch die Musik – waren bei Hong schon immer von großer Einfachheit. Die Einstellungen lang und tendenziell statisch. Die Musik selten, immer fast kinderliedhaft melodisch, eingesetzt fast nur als Zäsur. Auffällig, aber auffällig vor allem angesichts der sonstigen Unauffälligkeit, fast nur die Zooms, Umfokussierungen von einer Person zur anderen im ansonsten weiter statischen Bild. All das ist in den letzten Filmen noch einfacher geworden. Die Bilder wollten nie schön sein, aber einen Kameramann, der auf sein Handwerk wert legte, gab es dann doch. Inzwischen macht Hong Sang-soo mit Vorliebe die Kamera selbst. Die Filme sind oft schwarz-weiß, als hätte schon Farbe zu viel Ablenkungswirkung. Hong macht den Schnitt. Sogar die Musik. Und produziert selbst. Auch das Ensemble seiner Darsteller*innen hat sich verfestigt, nicht nur Kim Min-hee, seine Lebensgefährtin, kehrt von Film zu Film wieder. 

Die Filme sind meist kurz, Laufzeit manchmal kaum mehr als eine Stunde, dafür in hoher Frequenz produziert, zwei, wenn nicht drei pro Jahr sind im Moment ganz normal, für jedes A-Festival einer - und tatsächlich laufen sie verlässlich in Cannes, Berlin oder Locarno (den bisher einzigen Hauptpreis hat Hong dabei in Locarno gewonnen, mit Right Now, Wrong Then). Sie sind heute, ja, «klarer» als früher, näher an Kurzgeschichte, wenn nicht am Haiku als am Roman. Es ist eine bewusste arte povera, die Produktionskosten sind gering, aber diese Armut ist nicht Mangel, sondern bewusst gewählte Form, die Hong zudem in für das Kino fast singulärer Weise die volle Kontrolle über alle Mittel ermöglicht. Einzelne Szenen sind ungeschnitten, dauern zehn, fünfzehn Minuten, alle Konzentration gilt Figur, Dialog, Konstellation, und damit auch dem Spiel, genauer gesagt den Eigenarten seiner Darsteller*innen, ihrem Sprechen und Zögern, nüchtern und trunken, dem Innehalten und ihrer Annäherung. 

Das Drehbuch entsteht dabei erst beim Dreh, ist nach dem ersten Skizzenentwurf immer sehr stark die Reaktion auf das schon Gespielte, beim Drehen Entstandene. In dieser Weise ist Hongs Kino mehr als zuvor ein Kino der Darsteller*innen geworden: Ihnen sehen die Filme, sehen die Zuschauer zu wie in Echtzeit. In den neueren Filmen sehr viel öfter Frauen als Männern, und neben die jungen Menschen sind ältere, mindestens mittelalte getreten. Es ist nicht falsch, von einem Altersstil zu sprechen: Einfacher, radikaler, aufs Wesentliche konzentriert, reduziert. Es ist aber eine Reduktion, die nicht zuletzt in ihren Auslassungen eine neue Fülle entfaltet.

(Text aus dem Programmheft zur Retrospektive im Filmmuseum München)

 

 

Zur Berliner Retrospektive

Die großen Festivals der Welt zeigen die Filme des koreanischen Regisseurs Hong Sang-Soo in den Wettbewerben, seit Jahren, einmal hat sogar die Berlinale einen gezeigt.  Nun gibt es die zweite komplette Retrospektive in diesem Jahr, die erste in München, jetzt in Berlin: Man könnte glauben, Hong sei auch in Deutschland angekommen. Das aber täuscht. Wem außer den Eingeweihten wäre auch nur sein Name ein Begriff, von den dreizehn Langfilmen, die er in den letzten sechzehn Jahren gedreht hat, zu schweigen? Kein einziger Hong-Film war regulär in deutschen Kinos zu sehen, es gibt keine deutsche DVD-Edition auch nur eines einzigen Films. In Frankreich, aber auch in den USA ist das anders, unlängst zierte zum Beispiel Hongs stilisiertes Konterfei mit flammenden Haaren das Cover der Cahiers du Cinéma.

Diese Diskrepanz hat ihre Gründe. Was in Deutschland Erfolg hat, hat Hong nicht zu bieten: keine Extravaganz in den Bildern, keine dick aufgetragenen Gefühle, keine feierlich überreichten Botschaften, überhaupt: nichts, das irgendwie warme Gefühle oder Gedanken hervorruft. Rein inhaltlich tut sich außer großen Sprüchen, verletzenden Sätzen, Verblendung, Betrinken, Liebe und Liebesbetrug in seinen Filmen meist wenig. Stattdessen: Form, Raffinesse, Intelligenz, List und Tücke. Die Form stellt sich freilich nicht aus, macht sich geltend vielmehr in kleinen Irritationen. Wer nicht genau aufpasst, wird etwa fragen: Habe ich diese Szene nicht gerade eben schon einmal gesehen? Aber war sie nicht irgendwie anders? Und das, ist das jetzt eine Rückblende – oder jemandes Fantasie? Ein anderer Mann, aber dieselbe Frau in ganz vergleichbarer Situation? Eine andere Frau, aber derselbe Mann? Ein Film im Film? Im Film? Hat der Protagonist nicht gerade noch das Gegenteil von dem versprochen, was er nun tut? Dass sich nun dieser und jene auch noch begegnen: Ist das nicht ein bisschen viel Zufall? Ist dieser Fisch jener Fisch? Und woher kommt das Schwein jetzt hinter dem Fenster

Wiederkehrende Motive prägen Hongs Werk: Die Männer fast alle irgendwie Künstler (Regisseure nicht selten), meist blockiert, mäßig erfolgreich, wehleidig, selbstgerecht, passiv-aggressiv. Die Frauen fallen auf sie rein, werden betrogen, lassen sich eine Weile zu viel bieten, dann haben sie aber genug. Sex, Verführung, Liebe – aber Romanze wäre das ganz falsche Wort. Dialoge gibt es reichlich, aber die Sprache ist verdorrt oder wird in Alkohol getaucht, bis sie ersäuft. Ein Detaillismus, den nicht die groben Züge interessieren, sondern Miniaturen. Resonanzen einzelner Wörter, Sätze und Szenen, Wiederholungen mit Variation, jeder Film eine Experimentalanordnung, die ihre Regeln jedoch nicht ausspricht. Der Reiz liegt im Impliziten, in der Mustererkennung. 

Hongs Filme sind nicht abstrakt, ihr Beschreibungsrealismus koreanischen Alltags ist geradezu handgreiflich (die Cafés, die Gesten, die Straßen, die Rituale des Einander-Begegnens, des Sich-Betrinkens, Seoul und die Kleinstädte, die Künstlermilieus, Fahrten aufs Land, Aufenthalte am Meer), dennoch funktionieren sie in ihren Grundstrukturen eher wie ein komponiertes Musikstück. Mit vielen Da Capos und Krebsen und Transpositionen einzelner Motive, Tonartwechseln, Fermaten, Ellipsen, Stimmungsumschwüngen von Moment zu Moment. Die Musik auf dem Soundtrack ist ebenfalls wichtig, aber ganz anders: eingängig, schlicht, minimal music, manchmal Klassik, aber stets catchy. Sie untermalt nicht, sondern intermittiert, kommentiert, zäsuriert, ist eine der wichtigsten Auftrittsformen der mal feinen, mal bösen Ironien, die Hongs Werk durchziehen, ohne dass ihr Autor oder ihr Sitz oder ihre Stoßrichtung immer genau auszumachen wären.

Für das Schönheit suchende Auge sieht das selten nach viel aus. Vor allem, seit Hong aus Kostengründen auf eher billige Digitalkameras umstieg. Die Bilder sind präzise, suchen aber nie den Effekt. Über einzelne Filme habe ich gar nichts gesagt. Sie gleichen einander, aber sie gleichen einander so wenig, wie ein Bild von Giorgio Morandi dem anderen gleicht. Paradoxer Effekt: Sie belohnen das Nochmalsehen ungeheuer, man sieht nicht zweimal denselben Hong-Film. Große Lust der kleinen Differenz. Tolle Titel übrigens oft, rätselhaft, verspielt, schön: THE PIG THAT FELL INTO THE WELL, LIKE YOU KNOW IT ALL, HA HA HA – oder ganz einfach TALE OF CINEMA. Im neuesten, IN ANOTHER COUNTRY, spielt erstmals ein internationaler Star die Hauptrolle(n): Isabelle Huppert. Einen großen Unterschied macht das nicht. Alle Hong-Filme lohnen das Sehen.

(taz, 31.10.2012) 

 

The Novelist's Film

The Novelist's Film

© Jeonwonsa Film

Münchner Retrospektive 2022

In The Novelist’s Film tritt, wie fast immer bei Hong Sang-soo, ein Filmregisseur auf. Rein zufällig begegnet er der Protagonistin, er und seine Frau sind auf einem Ausflug aus Seoul in die Vorstadt. Auch das, die zufällige Begegnung, ist mehr als normal. Bei Hong laufen sich ständig Leute, die sich von früher kennen, über den Weg. Oder sie kennen sich noch gar nicht, aber wir kennen sie schon, etwas in Right Now, Wrong Then, weil der Film die Geschichte einer Zufallsbegegnung zweier Menschen zweimal erzählt. Und egal, ob sie sich bereits kennen oder noch nicht: Meistens gehen sie gemeinsam etwas essen, wichtiger: trinken. Sie schweigen und reden, werden in der Regel langsam aber heftig betrunken, sagen oder tun Dinge, die ihnen später vielleicht peinlich sein werden. Lange, oft sehr lange gehen diese Szenen, mal wird auf die eine Person, mal auf die andere gezoomt, mal geht man nach draußen, zum Beispiel zum Rauchen, oft ist es kalt, kann sein, dass es schneit.

Die Schriftstellerin in The Novelist’s Film spricht mit dem Regisseur, sein Name ist Park, auch über sein Werk. Die Sache ist, zeigt sich bald, etwas heikel, da sein Versuch, einen ihrer Romane zu verfilmen, einst gescheitert ist. Man spürt, sie gibt ihm daran die Schuld. Das Gespräch bewegt sich ins Allgemeinere, die Kritiker, berichtet Park, haben eine Veränderung in seinem Werk festgestellt, es sei nun, er sucht nach Worten, und findet dies: «klarer». Anderer Film, andere Szene, In Front of Your Face, hier sitzen ein Regisseur und eine Frau an einem Tisch, sitzen, essen und trinken. Er will einen Film mit ihr drehen, die als junge Frau Schauspielerin war, es aber schon sehr lange nicht mehr ist. Bei seinen Filmen sagt nun dieser andere Regisseur, handle es sich, jedenfalls werde das oft so beschrieben, in literarischen Genres gesprochen, um so etwas wie «Kurzgeschichten».

Ganz sicher sollte man beides nicht als Selbstaussagen Hong Sang-soos über sein eigenes Werk nehmen, so wenig, wie die vielen, vielen Regisseure in seinen Filmen einfach Selbstporträts sind. Er hat immer wieder betont, das sei ein Beruf und es seien Figuren, die er aus dem eigenen Leben nun einmal kennt, darum treten sie so häufig bei ihm auf. Hong ist keiner, der sich weit aus den eigenen Wirklichkeiten entfernt. Das Material seines Werks ist ihm nah, es ist, in gewisser Weise, sogar immer das gleiche: Immer wieder die Regisseure, immer wieder die zufälligen Begegnungen, immer wieder das Essen und Trinken, immer wieder das Peinliche und das Banale, immer wieder die trunkene Rede, immer wieder das ziellose Sprechen, immer wieder auch nicht ganz erklärliche Blindstellen, Rätsel. Unendlich vertraut sind all diese Dinge bei Hong, unendlich oft wiederholt, aber eben auch: in immer wieder neuen, im Detail überraschenden Variationen.

Seit bald dreißig Filmen geht das nun so. Hong ist, wie die beiden Regisseure in The Novelist’s Film und In Front of Your Face, nicht mehr jung, vielleicht kann man so langsam sogar vom Beginn seines Alterswerks sprechen. Und vielleicht sogar davon, dass es doch eine vergleichsweise große Veränderung gibt. Vielleicht ist sogar das Wort, das Regisseur Park findet, das Wort, das die Veränderung in den neueren Filmen Hong Sang-soos am besten beschreibt. Vielleicht sind Filme wie Introduction oder In Front of Your Face tatsächlich «klarer» als das, was davor liegt, «einfacher», wenn auch nicht unbedingt auf einfach zu beschreibende Weise. Verschwunden jedenfalls, oder  in den Hintergrund getreten, ist etwas, das Hongs Werk lange geprägt hat: das vertrackte, das reflexive Spiel mit der formalen Struktur seiner Filme. 

Right Now, Wrong Then ist dafür ein perfektes Beispiel: Zweimal wird «dieselbe» Geschichte erzählt, ein (erfolgreicher) Regisseur lernte eine junge Frau, Malerin, kennen. Sie kommen ins Gespräch, sie betrinken sich, sie besuchen Freundinnen der jungen Frau und betrinken sich weiter. Nach dem ersten Durchgang beginnt der Film wie von vorne, es gibt auch eine weitere Titelsequenz, in der englischen Fassung heißt der erste Teil «Right Then, Wrong Now», der zweite trägt dann den Titel des ganzen Films. Die Differenzen zwischen den beiden Versionen sind teils gering, teils markant (nur im zweiten Teil wird sich der völlig betrunkene Regisseur vor den fremden Frauen entblößen). Fast alle Filme Hongs bis dahin haben über solche Wiederholungs- und Abweichungsstrukturen eine Form der doppelten Lektüre nicht nur erlaubt, sondern gefordert: Nichts war darin mit sich identisch, Spiegelungen, Spaltungen, Faltungen von Plots, Figuren, Begegnungen waren die Norm.

In den vier anderen Filmen dieses Programms verhält sich das anders. Die erwähnten Grundelemente von Hongs Kino sind die gleichen geblieben, auch in gleicher Weise alltäglich, banal: Sich-Begegnen, zielloses Sprechen, Annäherungen, Abstoßungen zwischen den miteinander sprechenden, sich miteinander (oder auch gegeneinander) betrinkenden Figuren. Gerne sind auch weiterhin Regisseure, in Introduction zur Abwechslung ein berühmter Schauspieler, mit im Spiel. Alles jedoch zielt nun sehr viel stärker als früher auf Einfachheit hin. Es fehlen die Spiegelstrukturen, es fehlt die Lenkung auf Formen der Wiederholung, auf Wiederholung der Form - und die jeweiligen Abweichungen. Was dabei auch fehlt, ist der Sinn, ein fast puzzleartiger Rätselsinn, den genau diese Form produziert.

Die filmischen Mittel - Kamera, Plot und Schnitt, auch die Musik - waren bei Hong schon immer von großer Einfachheit. Die Einstellungen lang und tendenziell statisch. Die Musik selten, immer fast kinderliedhaft melodisch, eingesetzt fast nur als Zäsur. Auffällig, aber auffällig vor allem angesichts der sonstigen Unauffälligkeit, fast nur die Zooms, Umfokussierungen von einer Person zur anderen im ansonsten weiter statischen Bild. All das ist in den letzten Filmen noch einfacher geworden. Die Bilder wollten nie schön sein, aber einen Kameramann, der auf sein Handwerk wert legte, gab es dann doch. Inzwischen macht Hong Sang-soo mit Vorliebe die Kamera selbst. Die Filme sind oft schwarz-weiß, als hätte schon Farbe zu viel Ablenkungswirkung. Hong macht den Schnitt. Sogar die Musik. Und produziert selbst. Auch das Ensemble seiner Darsteller*innen hat sich verfestigt, nicht nur Kim Min-hee, seine Lebensgefährtin, kehrt von Film zu Film wieder. 

Die Filme sind meist kurz, Laufzeit manchmal kaum mehr als eine Stunde, dafür in hoher Frequenz produziert, zwei, wenn nicht drei pro Jahr sind im Moment ganz normal, für jedes A-Festival einer - und tatsächlich laufen sie verlässlich in Cannes, Berlin oder Locarno (den bisher einzigen Hauptpreis hat Hong dabei in Locarno gewonnen, mit “Right Now, Wrong Then»). Sie sind heute, ja, «klarer» als früher, näher an Kurzgeschichte, wenn nicht am Haiku als am Roman. Es ist eine bewusste arte povera, die Produktionskosten sind gering, aber diese Armut ist nicht Mangel, sondern bewusst gewählte Form, die Hong zudem in für das Kino fast singulärer Weise die volle Kontrolle über alle Mittel ermöglicht. Einzelne Szenen sind ungeschnitten, dauern zehn, fünfzehn Minuten, alle Konzentration gilt Figur, Dialog, Konstellation, und damit auch dem Spiel, genauer gesagt den Eigenarten seiner Darsteller*innen, ihrem Sprechen und Zögern, nüchtern und trunken, dem Innehalten und ihrer Annäherung. 

Das Drehbuch entsteht dabei erst beim Dreh, ist nach dem ersten Skizzenentwurf immer sehr stark die Reaktion auf das schon Gespielte, beim Drehen Entstandene. In dieser Weise ist Hongs Kino mehr als zuvor ein Kino der Darsteller*innen geworden: Ihnen sehen die Filme, sehen die Zuschauer zu wie in Echtzeit. In den neueren Filmen sehr viel öfter Frauen als Männern, und neben die jungen Menschen sind ältere, mindestens mittelalte getreten. Es ist nicht falsch, von einem Altersstil zu sprechen: Einfacher, radikaler, aufs Wesentliche konzentriert, reduziert. Es ist aber eine Reduktion, die nicht zuletzt in ihren Auslassungen eine neue Fülle entfaltet.

(Text aus dem Programmheft zur Retrospektive im Filmmuseum München)

 

Zur Berliner Retrospektive

Die großen Festivals der Welt zeigen die Filme des koreanischen Regisseurs Hong Sang-Soo in den Wettbewerben, seit Jahren, einmal hat sogar die Berlinale einen gezeigt.  Nun gibt es die zweite komplette Retrospektive in diesem Jahr, die erste in München, jetzt in Berlin: Man könnte glauben, Hong sei auch in Deutschland angekommen. Das aber täuscht. Wem außer den Eingeweihten wäre auch nur sein Name ein Begriff, von den dreizehn Langfilmen, die er in den letzten sechzehn Jahren gedreht hat, zu schweigen? Kein einziger Hong-Film war regulär in deutschen Kinos zu sehen, es gibt keine deutsche DVD-Edition auch nur eines einzigen Films. In Frankreich, aber auch in den USA ist das anders, unlängst zierte zum Beispiel Hongs stilisiertes Konterfei mit flammenden Haaren das Cover der Cahiers du Cinéma.

Diese Diskrepanz hat ihre Gründe. Was in Deutschland Erfolg hat, hat Hong nicht zu bieten: keine Extravaganz in den Bildern, keine dick aufgetragenen Gefühle, keine feierlich überreichten Botschaften, überhaupt: nichts, das irgendwie warme Gefühle oder Gedanken hervorruft. Rein inhaltlich tut sich außer großen Sprüchen, verletzenden Sätzen, Verblendung, Betrinken, Liebe und Liebesbetrug in seinen Filmen meist wenig. Stattdessen: Form, Raffinesse, Intelligenz, List und Tücke. Die Form stellt sich freilich nicht aus, macht sich geltend vielmehr in kleinen Irritationen. Wer nicht genau aufpasst, wird etwa fragen: Habe ich diese Szene nicht gerade eben schon einmal gesehen? Aber war sie nicht irgendwie anders? Und das, ist das jetzt eine Rückblende – oder jemandes Fantasie? Ein anderer Mann, aber dieselbe Frau in ganz vergleichbarer Situation? Eine andere Frau, aber derselbe Mann? Ein Film im Film? Im Film? Hat der Protagonist nicht gerade noch das Gegenteil von dem versprochen, was er nun tut? Dass sich nun dieser und jene auch noch begegnen: Ist das nicht ein bisschen viel Zufall? Ist dieser Fisch jener Fisch? Und woher kommt das Schwein jetzt hinter dem Fenster

Wiederkehrende Motive prägen Hongs Werk: Die Männer fast alle irgendwie Künstler (Regisseure nicht selten), meist blockiert, mäßig erfolgreich, wehleidig, selbstgerecht, passiv-aggressiv. Die Frauen fallen auf sie rein, werden betrogen, lassen sich eine Weile zu viel bieten, dann haben sie aber genug. Sex, Verführung, Liebe – aber Romanze wäre das ganz falsche Wort. Dialoge gibt es reichlich, aber die Sprache ist verdorrt oder wird in Alkohol getaucht, bis sie ersäuft. Ein Detaillismus, den nicht die groben Züge interessieren, sondern Miniaturen. Resonanzen einzelner Wörter, Sätze und Szenen, Wiederholungen mit Variation, jeder Film eine Experimentalanordnung, die ihre Regeln jedoch nicht ausspricht. Der Reiz liegt im Impliziten, in der Mustererkennung. 

Hongs Filme sind nicht abstrakt, ihr Beschreibungsrealismus koreanischen Alltags ist geradezu handgreiflich (die Cafés, die Gesten, die Straßen, die Rituale des Einander-Begegnens, des Sich-Betrinkens, Seoul und die Kleinstädte, die Künstlermilieus, Fahrten aufs Land, Aufenthalte am Meer), dennoch funktionieren sie in ihren Grundstrukturen eher wie ein komponiertes Musikstück. Mit vielen Da Capos und Krebsen und Transpositionen einzelner Motive, Tonartwechseln, Fermaten, Ellipsen, Stimmungsumschwüngen von Moment zu Moment. Die Musik auf dem Soundtrack ist ebenfalls wichtig, aber ganz anders: eingängig, schlicht, minimal music, manchmal Klassik, aber stets catchy. Sie untermalt nicht, sondern intermittiert, kommentiert, zäsuriert, ist eine der wichtigsten Auftrittsformen der mal feinen, mal bösen Ironien, die Hongs Werk durchziehen, ohne dass ihr Autor oder ihr Sitz oder ihre Stoßrichtung immer genau auszumachen wären.

Für das Schönheit suchende Auge sieht das selten nach viel aus. Vor allem, seit Hong aus Kostengründen auf eher billige Digitalkameras umstieg. Die Bilder sind präzise, suchen aber nie den Effekt. Über einzelne Filme habe ich gar nichts gesagt. Sie gleichen einander, aber sie gleichen einander so wenig, wie ein Bild von Giorgio Morandi dem anderen gleicht. Paradoxer Effekt: Sie belohnen das Nochmalsehen ungeheuer, man sieht nicht zweimal denselben Hong-Film. Große Lust der kleinen Differenz. Tolle Titel übrigens oft, rätselhaft, verspielt, schön: THE PIG THAT FELL INTO THE WELL, LIKE YOU KNOW IT ALL, HA HA HA – oder ganz einfach TALE OF CINEMA. Im neuesten, IN ANOTHER COUNTRY, spielt erstmals ein internationaler Star die Hauptrolle(n): Isabelle Huppert. Einen großen Unterschied macht das nicht. Alle Hong-Filme lohnen das Sehen.

(taz, 31.10.2012) 

 

Ha Ha Ha

Ha Ha Ha

© Jeonwonsa Film

 

Zur Münchner Retrospektive 2012

Als Vorwurf gegen den koreanischen Regisseur Hong Sang-soo liest man oft: Er wiederhole sich. Ein Film gleiche dem anderen, kenne man einen, kenne man alle. Hinter diesem Vorwurf steckt eine ästhetische Ideologie: Der Künstler habe originell zu sein, in jedem seiner Werke soll ihm darum etwas anderes einfallen. Und in dieser Ideologie steckt ein Paradox: Es muss schließlich seine eigene Originalität sein, die er da haben soll. Und dass sie seine eigene ist, merkt man daran, dass man die Handschrift des Meisters in jedem Film wiedererkennt.

Die klügeren unter den Künstlern, also auch den Filmregisseuren, bearbeiten in der Folge ihrer Filme immer auch diese ästhetische Ideologie. Am einen Ende des Spektrums tut das jemand wie Lars von Trier, der sich ständig neue Aufgaben stellt und dieses Aufgabenstellen als Differenzproduktion von einem starken Autor-Ich aus gerne thematisiert. Am anderen Ende stehen Künstler wie Giorgio Morandi, der immergleiche Ensembles von Vasen, Schüsseln, Gefäßen auf immer etwas andere Art malte.

Oder eben Hong Sang-soo, in dessen Filmen sich zentrale Elemente stets gleichen: Die erbärmlichen Männer als Helden, die sich mit Lügen und schwächlichen Worten in romantische Verhältnisse verstricken. Alle sind sie Literaten, Professoren, Schauspieler, Filmregisseure oder Drehbuchautoren, oder alles zusammen oder nichts davon richtig, gewesene oder aktive, in der Regel nicht oder nicht mehr sehr erfolgreich. Einander ähneln auch die Frauen, die sich auf diese Männer einlassen, die enttäuscht werden und/oder betrogen, die so in unerquickliche Dreier- und Viererkonstellationen geraten und so ohne weiteres nicht mehr heraus.

Mal spielt das in der Großstadt, mal in der Provinz, die Bewegung zwischen beidem ist ein zentrales Motiv, Erlösung oder Rettung bringen jedoch weder Stadtflucht noch Landflucht. Mal ist einer in der Stadt oder auf dem Land zuhause, mal auch zu Gast. Man kommt an, erinnert sich an frühere Zeiten. Viel wird in Kneipen und Restaurants und Imbissen an Tischen gesessen, viel wird geredet, mehr wird getrunken. Ein Ex, ein anderer Mann, zwei Frauen, Dreiecksgeschichten. Der eine beleidigt den anderen, oft aus heiterem Himmel. Alles wird im Trinken, Reden, Lieben, also im Zwischenmenschlichen irgendwann heillos; und im Heillosen erweist es sich oft als so erbärmlich wie komisch, und zwar so, dass man wirklich das eine vom anderen kaum unterscheiden kann. Auf dieser Ebene funktionieren die Filme als zwar sehr ausschnitthaftes Gesellschaftsporträt und werden in Südkorea als solche beim vergleichsweise kleinen Publikum, das sie haben, mit viel Gelächter quittiert.

Die Männer bei Hong kommen einem oft wie Zwangshandelnde vor. Zwischen dem, was sie sagen und dem, was sie tun, liegt eine Kluft. Sie versprechen das Blaue vom Himmel, die Liebe, manchmal für ewig, und brechen das Versprechen im nächsten Moment. Sie sind weder Herr ihrer Worte noch ihrer Taten, ihre Worte sind ohne Kraft, aus ihren Taten folgt wenig, sie sind in Wort und Tat gefangen in Wiederholungsstrukturen: Derselbe Fehler wird immer wieder gemacht. Dies ist die psychostrukturelle Gender-These zur Wiederholung: Ein Hong-Mann tut, was ein Hong-Mann tun muss, und es ist eigentlich immer das Falsche. Erlösung ist nicht vorgesehen, vielmehr: Erlöst werden nur die Frauen, und zwar dadurch, dass sie den Hong-Männern entkommen, wenn auch zu spät, immer zu spät.

Hong Sang-soos Filme haben Komik, aber keinen Humor. Die Beschreibung der erbärmlichen Männer ist und bleibt gnadenlos, ohne deshalb aber einerseits denunziatorisch oder andererseits versöhnlich zu sein. Komik entsteht hier aus dem Widerspruch von Worten und Taten, der Diskrepanz zwischen Selbsteinschätzung und distanzierterem Blick, dem Missverhältnis von Ambition und Erreichtem. Weit gesteckt sind die Ziele, banal die Gründe fürs Scheitern. Humor wäre Auflösung oder jedenfalls Abdämpfung des Widerspruchs durch ein Verhältnis des Abstands: Humor ist, wenn es eine Instanz gibt, und sei sie noch so implizit, die die Handelnden frei spricht oder mindestens das problematische Tun durch Einrichtung eines anderen Standpunkts relativiert; eine solche Instanz gibt es bei Hong nicht.

Auch nicht in den kommentierenden Voiceover-Stimmen, die es in diesen Filmen nicht selten gibt. Es sind aber stets die Stimmen von ins Geschehen immer schon implizierten Figuren. Es ist diesen Stimmen mithin niemals zu trauen, so wenig jedenfalls wie allen Stimmen, die sonst noch so sprechen, laut und entschieden, gekränkt und verletzend oder auch vernuschelt und lallend. Abstände werden behauptet, man begreift aber schnell, dass jede auf Abstand zielende Geste ins Leere geht; gerade die überheblichsten der Figuren sind im nächsten Augenblick in Widersprüchlichkeiten verstrickt, werden vor unseren Augen von ihrem Nichtwissen eingeholt. Man könnte diese Filme allesamt als Tragikomödien des Nichtwissens bezeichnen.

Die Form dafür, in der sich das Tragische und das Komische untrennbar ineinander verschränken, ist die dramatische Ironie. Im Erzählen entstehen Wissensvorsprünge, der Zuschauer weiß mehr als die Figur. Der Film, der diese fortwährende Implikation ins eigene Nichtwissen am virtuosesten inszeniert, stellt in den Titel direkt schon ein Lachen: HA HA HA. Zwei Männer erzählen einander, sich dabei wie in einem Hong-Sang-soo-Film ganz üblich, betrinkend,  jeweils eine Geschichte und der einzige, der nach und nach begreift, dass es dieselbe Geschichte ist, die zur selben Zeit am selben Ort mit denselben Figuren spielt, ist der Betrachter. Je mehr sich die beiden Männer über das Erzählte erheben, desto lächerlicher werden sie selbst.

Solche Gefälle, und es sind fast immer Gefälle der dramatischen Ironie, erzeugt Hong durch Spiegelungs- und Wiederholungsstrukturen. Die Figuren wissen nichts von der Form der Erzählung. Im Blick des Zuschauers, der eine andere Begegnung schon kennt, werden Begegnungen zu Wiederbegegnungen, von denen die Figuren nichts ahnen. Viele der Filme haben zwei Hälften und so interessiert nicht nur, was jeweils geschieht, sondern auch, wie sich das Geschehen der einen Hälfte auf das der anderen bezieht: als Spiegelung, Verschiebung, Wiederholung oder Variation. Alle Stufen dazwischen sind denkbar. Einzelne, oft genug unauffällige Objekte, tauchen am einen Ende des Films auf und am anderen wieder. Man hat sie nicht symbolisch zu nehmen. Das Wichtige an ihnen ist gerade ihre Funktionslosigkeit. Fische, ein Schwein, eine angezündete Zigarette, Spatzen: Blindstellen, an denen sich ein Erzählzusammenhang auf seine reine Struktur reduziert: Da sind nun die zuvor im Aquarium gesehenen Fische und werden auf einem Waldweg begraben. Hier dieses Schwein vor dem Fenster, das vor allem eines markiert: Schweine sind möglich, auch wenn die Erzählung sie nicht fordert oder erklärt.

Hong Sang-soo hat nicht Film studiert, sondern Kunst. Und zwar am Art Institute of Chicago, an derselben Kunsthochschule wie Apichatpong Weerasethakul. Zum Kino kam er erst vergleichsweise spät, er drehte 1996 mit 36 seinen ersten Film. Als größtes Vorbild nennt er keinen Regisseur, sondern den Maler Paul Cézanne, also einen Künstler, der den Beginn der Moderne markiert. Hong bewundert Cézanne, weil dessen Werk an genau jenem Kreuzungspunkt zwischen Abstraktion und Konkretion steht, den auch er für sich sucht. Einerseits ist in der Welt, die Hong Sang-soo zeigt, alles konkret: jeder Gegenstand, jedes Wort, jede Straße, jeder Schnaps, jede Ankunft, jedes Moment der südkoreanischen Gegenwart. Andererseits sind da die oft untermarkierten Wiederholungsstrukturen, an denen die Erzählung aufsplittert und den Blick auf das Wiederholen selbst lenkt. Man kann, ja muss diese Filme immer auch als Konzeptkunst betrachten. Das, was das gewöhnliche Erzählkino ausmacht – Männer und Frauen, die kleinen und großen Dramen der Liebe, die Ambition, der Verrat, die enttäuschte Hoffnung, Beziehungsgeschichten – ist hier Spielmaterial. Was nicht heißt, dass Hong Sang-soo das alles nicht ernst meint.

Zusammengesetzt ist jeder Film aus zunächst unverbundenen Fragmenten. Einzigartig im Gegenwartskino ist Hongs im Lauf der Jahre radikalisierter Herstellungsprozess. Plötzliche, von Eingebungen gesteuerte Verfertigung des Films jeden Morgen am Drehort. Hong schreibt kein Drehbuch, bevor er zu drehen beginnt, er entwirft nur im vorhinein grobe Linien. Die Dialoge entstehen Morgen für Morgen vor Drehbeginn, inspiriert durch den Ort, die Stimmung (Hongs Stimmung, die Stimmung des Orts). Im Interview hat er es so beschrieben: «Die Einflüsse und Ideen kommen dabei von überall. Ich bin beeinflusst von dem Material, das wir schon gedreht haben, ich spreche kurz mit den Schauspielern, ich konzentriere mich und bin dann so etwas wie ein Magnet, der Ideen, Einfälle, Motive anzieht. Natürlich mache ich mir in der Nacht davor auch schon Gedanken, entwerfe Pläne, aber dann lasse ich los und versuche einfach anzunehmen, was mir zufällt. Vielleicht Gesprächsfetzen, die ich erinnere, vielleicht etwas aus einem Buch … Das ist etwas, das ich sehr genieße: Ich warte einfach auf das Unerwartete.»

Die Ordnungen, in die diese Fragmente als Filme geraten, sind nicht die Ordnungen linearen Erzählens und der Abfolgen von Plot Points. Es geht aber auch nicht um Improvisationen im traditionellen Sinn. Die Dialoge entstehen spontan, stehen dann aber fest. Was sich aus dieser Arbeitsweise ergibt, sind Motivstreuungen, ist das unvorhersehbare Auftauchen, Verschwinden und Wiederauftauchen des Dagewesenen; ein Kino, in dem kein Abschluss erreicht wird, in dem alles sich potenziell auf alles bezieht. Das ergibt zwar immer wieder Rätselstrukturen, nur gibt es darin keine Rätsel zu lösen Das Kino von Hong Sang-soo ist ein figuratives Kino, das ebenso sehr wie es auf eine Welt referiert, keinen Hehl daraus macht, dass es seine eigene Ordnung als Reaktion auf die Zufälle, wörtlicher: das Zugefallene des Moments generiert. Die Offenheit für alle Fragmente der Wirklichkeit und die oft zwanghaft anmutenden Wiederholungen stehen nicht im Widerspruch zueinander: Nur so figurieren sich Hongs Filme als Welten in Welten.

(Programmheft Filmmuseum München, Frühjahr 2012)

 

 

Zur Filmreihe «Korea – Entdeckung eines Kontinents» (Arsenal 2005)

(...)

Vor allem aber gibt es Hong Sang-soo, den wohl bedeutendsten koreanischen Gegenwartsregisseur. In Frankreich wird er schon seit langem gefeiert, in Deutschland war unbegreiflicherweise keiner seiner bisher sechs Filme außerhalb von Festivals und Filmmuseen zu sehen. Das Arsenal zeigt jetzt seine ersten beiden Werke, die die für diesen Regisseur typischen, recht rätselhaften Titel tragen: DER TAG, AN DEM EIN SCHWEIN IN DEN BRUNNEN FIEL von 1996 und THE POWER OF KANGWON PROVINCE von 1998.

Auf den ersten Blick unterscheiden sich Hong Sang-soos Filme nicht sehr vom etablierten Kunstfilm etwa der Taiwanesen Hou Hsiao-Hsien oder Tsai Ming-Liang. In ruhigen und meist langen Einstellungen ereignet sich in recht alltäglichen Szenen nicht viel. Man fährt mit dem Zug in die Provinz, man spaziert durch einen Park, man betrinkt sich - Letzteres allerdings immerzu. Oder Mann begegnet Frau, Frau begegnet Mann. Sie sehen sich wieder, sie sehen sich nicht wieder. Es fällt im Nachhinein außerordentlich schwer, einzelne Szenen, an die man sich erinnert, den jeweiligen Filmen zuzuordnen. Immer wieder die Trinkgelage, die Gewaltausbrüche, Künstler voller Selbstmitleid zwischen Frauen, die sich oft zu vieles zu lange gefallen lassen. Die Figuren, die Geschichten gleichen sich, Hong ist, darin dem großen Yasujiro Ozu ähnlich, ein Meister der Variation im Seriellen, keiner, der sich von Film zu Film neu erfindet.

Bei näherem Hinsehen auf die Details aber wird klar: Er ist ein höchst hintergründiger Regisseur. Allerdings besteht das Hintergründige nicht so sehr in Verrätselungen, sondern eher in Wiederholungsstrukturen. In THE POWER OF KANGWON PROVINCE fährt eine junge Frau namens Jisook mit zwei Freundinnen aufs Land, sie lernt einen jungen Polizisten kennen, sie verlieben sich ineinander. Sie fährt zurück in die Stadt und dann noch einmal aufs Land, zurück zum Polizisten. In der Mitte des Films gibt es eine Schwarzblende, danach beginnt eine andere Geschichte. Ein Universitätsprofessor mit Namen Sang-kwon fährt in die Provinz, es ist derselbe Ort, nach und nach begreifen wir: Es ist auch dieselbe Zeit. Der Professor ist der Liebhaber der Frau aus dem ersten Teil, von dem sie sich gerade getrennt hat. Jisook und Sang-kwon werden sich nur einmal begegnen in diesem Film, aber nicht in der Provinz, sondern erst später, wenn beide zurück in der Stadt sind.

Oder die Sache mit dem Fisch. Jisook und ihre Freundinnen finden einen Fisch auf einem Waldweg. Jisook begräbt ihn. Im zweiten Teil sehen wir: Sang-kwon überlässt seiner Sekretärin zwei Goldfische in einer Schüssel zur Pflege. Als er, ganz am Ende, zurückkehrt, ist der eine Fisch verschwunden. Es gibt keine logische Verbindung zum Fisch auf dem Waldweg, nur eine motivische Verknüpfungsstruktur. Wie diesen Fisch verstreut Hong Sang-soo Zeichen, Motive, Figuren auf der Oberfläche seiner Geschichten. Er bietet dabei kaum einmal Figuren zur Identifikation, aber merkwürdige Zeichen zum Wiedererkennen. Es gibt keine Hierarchie der Bedeutungen in seinen Bildern und seinen Plots. Alles und nichts könnte sich aufeinander beziehen; was sich ereignet, gehorcht nur dem Zufall und nichts ist von Dauer.

Das klingt und ist immer wieder hoch irritierend, aber für jede Irritation wird man reichlich entschädigt, durch die Faszinationskraft von Szenen, die sich zu Geschichten fügen, die nie vorhersehbar sind. Und nicht zuletzt wird man auch durch die sehr trockene Komik belohnt, die sich im Einander-Verfehlen und Miteinander-Betrinken ebenso wie in den nicht seltenen Szenen des Miteinander-Schlafens entfaltet. Im großen Film-Kontinent Korea gibt es den kleinen «Kontinent» Hong Sang-soo zu entdecken. Man sollte sich das nicht entgehen lassen.

(taz,  8.9.2005)

 

 

Interview mit Hong Sang-Soo 

taz: Herr Hong, Sie haben mit NACHT UND TAG, Ihrem achten Film, erstmals außerhalb Koreas gedreht. Der Film spielt fast vollständig in Paris. Wie kam es dazu?

Hong: Ich hatte schon länger die Idee, im Ausland zu drehen. Ich habe einige Zeit in den USA gelebt und studiert – in San Francisco und Chicago. Das ist aber schon recht lange her. 1991 habe ich ein Jahr in Paris verbracht. Auf dieser Erfahrung basiert – wie lose auch immer – der Film.

Paris ist vielleicht die meistgefilmte Stadt der Welt, jedes Bild wird schnell zum Klischee. Hat Sie das nicht eingeschüchtert?

Überhaupt nicht. Klar, es gibt die Kritiker, die mir immer schon eine große Nähe zum französischen Kino unterstellt haben. Aber auch das war mir egal. Ich habe mir gedacht: Was soll's? Ich drehe hier meinen Film.

Ich weiß, dass Sie über Ihre Intentionen, über den Sinn Ihrer Filme, über die Moral der Geschichten und die Motivationen der Figuren grundsätzlich nicht sprechen wollen (Hong nickt) … lassen Sie uns deshalb über den ungewöhnlichen kreativen Prozess sprechen, in dem Ihre Filme entstehen. Sie gehen nicht von einem Plot aus, sondern von einzelnen Elementen, Bruchstücken, Motiven. Wie war das bei diesem Film?

Ich hatte mich an dieses eigentlich ganz banale Erlebnis erinnert, als ich meine Frau aus den USA anrief. Während es bei mir Tag war, war es bei ihr Nacht. Dies zur Grundlage eines Films zu machen, war eine der Ausgangsideen. Das Wichtigste bei der Entstehung eines Films ist für mich aber immer die Neugier, also eine Form des Nichtwissens. So wusste ich irgendwann zwar, wie ich beginnen wollten: mit einem Mann, der das erste Mal in seinem Leben kifft, verpfiffen wird und aus diesem lächerlichen Grund Hals über Kopf nach Paris flieht. Und ich wusste auch, dass er am Ende aufgrund einer gut gemeinten Lüge wieder zurückkehren würde. Ich wusste aber nicht: Wie komme ich von diesem Anfang zu diesem Ende? Es ist ganz wichtig, dass ich das nicht weiß. Ich darf es selbst erst nach und nach erfahren.

Wie spontan fügen Sie Elemente hinzu? Ist Ihnen beispielsweise der Spatz, den man in Ihrem Film zweimal sieht, als Idee im Entstehungsprozess zugeflogen?

Der Spatz stand schon im Treatment. Ein Treatment brauche ich in erster Linie, um überhaupt Geld zu bekommen und Produzenten von der Idee zu überzeugen; vor allem Dinge, die Vorbereitung und Planung brauchen, sollten schon im Vorhinein feststehen. Aber der Inhalt des Treatments macht nicht mehr als dreißig Prozent des fertigen Films aus; es gibt fast keine Dialoge darin.

Wie sieht dann der Dreh aus?

Ich drehe nach Möglichkeit chronologisch. Die Dialoge schreibe ich immer erst morgens am Drehtag. Ich schalte den Computer und den Drucker an, schaue mich am Drehort um und schreibe. Die Einflüsse und Ideen kommen dabei von überall. Ich bin beeinflusst von dem Material, das wir schon gedreht haben, ich spreche kurz mit den Schauspielern, ich konzentriere mich und bin dann so etwas wie ein Magnet, der Ideen, Einfälle, Motive anzieht. Natürlich mache ich mir in der Nacht davor auch schon Gedanken, entwerfe Pläne, aber dann lasse ich los und versuche einfach anzunehmen, was mir zufällt. Vielleicht Gesprächsfetzen, die ich erinnere, vielleicht etwas aus einem Buch … Das ist etwas, das ich sehr genieße: Ich warte einfach auf das Unerwartete.

Wann entsteht dann das Bild des Ganzen?

In gewisser Weise entsteht es nie. Ich gleiche zwar einzelne Elemente miteinander ab, ich erkenne Korrelationen, ich merke, dass Motive zueinander passen. Aber selbst nach dem Schnitt liegt der Film noch nicht «fertig» vor mir.

Was Ihre Filme ordnet, sie organisiert, ist folglich nicht der Plot, nicht eine Geschichte?

Nein. Das ist nicht die Form, mit der ich arbeite. Natürlich brauchen meine Filme, wie jedes Kunstwerk, eine Form. Aber ich folge keiner Hollywood-Logik, auch keiner Erzähllogik. Ich muss meine Form jedes Mal wieder aufs Neue finden. In Symmetrien, in Wiederholungen, in bestimmten Muster. Die einzelnen Bruchstücke sind dabei zunächst ganz unabhängig, ganz kontextlos, sie treten zu dem, was schon existiert, von außen hinzu.

Das ist eine sehr interessante Methode, Filme zu machen. Haben Sie Vorbilder dafür, gibt es Regisseure oder Künstler, denen sie sich besonders nahe fühlen?

Nun, ich bewundere viele Filmemacher, Ozu, Buñuel, Murnau … Aber der Künstler, dem ich mich am nächsten fühle, ist Paul Cézanne. Bei jedem Künstler stehen ja Abstraktion und Konkretion in einem bestimmten Verhältnis. Und bei Cézanne stimmt dieses Verhältnis für mein Gefühl einfach genau. Als ich zum ersten Mal Bilder von Cézanne sah, wusste ich sofort: Ja, das ist es!

(taz, 14.2.2008) 

 

In another country

In Another Country

© Diaphana

 

Die einzelnen Filme

THE DAY A PIG FELL INTO THE WELL (1996)

Kein Schwein und kein Brunnen zu sehen in Hongs Spielfilmdebüt. Ein Autor namens Hyo-sub ist der Protagonist dieses Porträts großstädtischer Entfremdung und möchtegernkünstlerischer Verzweiflung. Der Sex, den Hyo-sub hat, ist verlässlich freudlos. Nicht besser ergeht es einem anderen Mann, dem Vertreter Dong-woo, mit dessen Frau Hyo-sub ein Verhältnis hat. Die Charakterzeichnung, die Themen, die Konstellationen, die die folgenden Filme von Hong Sang-soo kennzeichnen werden, sind alle präsent, bis hin zum immer wiederkehrenden Essen und Trinken an Restauranttischen vor Fenstern zur Straße. Ein Erzählexperiment: Vier zunächst getrennt und von unterschiedlichen Autoren (Filmstudenten) geschriebene Episoden hat Hong erst zusammengeführt. Weniger ausgeprägt als später ist der komische Ton, der Sinn fürs Fragmentarische erzeugt noch nicht die irritierenden Spiegeleffekte.

 

THE POWER OF KANGWON PROVINCE (1998)

Von hier an schreibt Hong Sang-soo seine Drehbücher selber. In einem Film, der in zwei Hälften geteilt ist, erzählt er vom Ende einer Affäre: Die Studentin Ji-sook reist ab aus Kangwon, sie hat sich von ihrem verheirateten Liebhaber Sang-kwon, ihrem Professor, beendet. Beide jedoch kommen über die Trennung so ohne weiteres nicht hinweg. Sie tröstet sich mit einem Polizisten, er mit einer Prostituierten, nur ist Trost das ganz falsche Wort. Die zweite Hälfte setzt die erste in ein anderes Licht, weniger im Großen und Ganzen als in vielen Details. Man muss eigentlich auf jede Kleinigkeit achten, weil den Personen und Worte beim ersten Auftreten nicht anzumerken ist, wie wichtig oder unwichtig sie für gewesen sein werden.

 

VIRGIN STRIPPED BARE BY HER BACHELORS – OH! SOO-JUNG (2000)

Der englische Titel zitiert ohne direkten Bezug zum betreffenden Werk Marcel Duchamp, der Originaltitel lautet wie so oft aber ganz anders: OH! SOO-JUNG. Die (originalkoreanische) Titelheldin Soo-jung, Drehbuchautorin fürs Fernsehen, sieht sich von zwei Männern bedrängt, die ihr gegenüber Entjungferungspläne hegen. Erzählt wird das abwechselnd aus zwei Perspektiven, die dieselben Ereignisse in teils recht unterschiedlichen Versionen darstellen. Dies ist, in exquisitem Schwarz-Weiß, der wohl bestaussehende Film in Hong Sang-soos Werk. Ob das Gutaussehen für einen Hong-Film die richtige ästhetische Wahl ist, bleibt aber die Frage.

 

(ON THE OCCASION OF REMEMBERING) THE TURNING GATE (2002)

Ein Mann verwandelt sich, von einer Prinzessin zurückgewiesen, in eine Schlange und windet sich um ihren Körper und droht sie zu ersticken. Die Prinzessin geht in ein Kloster und weist die Schlange an, vor dem Tor zu warten. Die Schlange wartet, die Prinzessin kehrt nie zurück – und also wendet die Schlange sich ab. Das ist die Legende vom Wendetor, die ein Freund dem anderen erzählt auf dem Weg zu diesem Wendetor, das sie aber gar nicht erreichen, weil sie kurz davor selbst wenden. Später wird der Freund, dem die Geschichte erzählt wird – der glücklose Schauspieler Gyeong-su – vor einem Tor warten auf die Frau, in die er sich verliebt hat. Die grafische Darstellung von unglücklichem Sex erreicht in diesem Film ihren Höhepunkt. Fortan interessieren Hong andere Dinge.

Einer der beiden englischen Titel des Films lautet: ON THE OCCASION OF REMEMBERING THE TURNING GATE Der andere, verbreitetere, einfach: THE TURNING GATE. Seltsam: Enigmatischer ist der lange Titel, er schließt den Film nicht auf, ganz im Gegenteil. Das Subjekt, das sich erinnert, vielmehr, das hier Gelegenheit bekommt, sich zu erinnern, bleibt im Dunkeln. Oder es geht gar nicht um ein Subjekt der Erinnerung, sondern um die Erinnerung selbst, die Gelegenheit der Erinnerung, der der Film im Titel, der auch über einem Gedicht stehen könnte, sich verschreibt.

Das Rätsel der Filme von Hong Sang-soo liegt an der Oberfläche. Nichts führt in die Tiefe, alles liegt zutage. Es gibt Unerklärtes, aber nicht Unerklärliches; es gibt die merkwürdigsten Zufälle, aber kein Schicksal. Alles sieht einfach aus, alles lässt sich mit dem lässigsten Alltags-Realismus verwechseln. Das ist eine Täuschung, aber eine, die Hong, könnte man sagen, nicht sucht, die sich nur ergibt aus der Art, wie wir geschult sind im Umgang mit Geschichten und Bildern. Wir unterstellen der Narration, dass sie sich und die Figuren, von denen sie erzählt, aus sich selbst heraus erklärt. Wir glauben an eine Logik, eine logische Abfolge der Geschehnisse – der Art, dass etwas, das wir später sehen durch etwas, das zuvor geschah, erklärbar ist. Hongs Filme bieten Gelegenheiten, und zwar viele, sich zu erinnern an Dinge, die wir vorher sahen, nur erklären sie vielfach nichts. Vieles ist schiere Wiederholung, oder Wiederholung mit Variation. Wiederholung, die nicht von Entwicklung zeugt, die nichts aufschließt, sondern nur zirkulär auf sich selbst verweist, als Gelegenheit, sich zu erinnern an das, was, zum Beispiel, am Wendetor geschah. Die Erinnerung wendet sich dabei aber nur an sich selbst und schnürt das Geschehen zu einer glatten Schleife, in deren Umlauf die Differenz zwischen dem Ereignis selbst und seinen Wiederholungen sich nicht mehr der Logik der Narration fügt. Wer sich einstellt auf das Funktionieren dieser Filme, wird lernen, sich vorwärts zu erinnern und das heißt: lernen, jedes Geschehnis, jedes Wort und jedes Bild zu begreifen als etwas, das Gelegenheit bieten mag für eine Erinnerung, später. Anders als in der üblichen Spielfilmdramaturgie bleiben diese Beziehungen eines Früher aufs Später – aber auch umgekehrt des Später aufs Früher – bei Hong völlig untermarkiert. Es ist nicht so, dass – metaphorisch gesprochen – die Pistole, die an einer Stelle auftaucht, später auch benutzt werden muss. Sie kann, von einem Moment auf den anderen, auch verschwinden, so wie einzelne Figuren, die eben noch im Zentrum der Geschichte standen, mitten im Film verschwinden und es ist nicht mit einem Wort mehr von ihnen die Rede.

Umgekehrt kann alles zum Bild-Ereignis werden, das nach Vorwärtserinnerung verlangt. Alles ist – täuschend – beiläufig und alles ist – potenziell – wichtig. Es liegt in diesen Filmen eine Trunkenheit der Bedeutungsproduktion, die sich im fortwährenden Trinken und Sich-Betrinken der Figuren spiegelt. Oder vielleicht darf man gar nicht von einer Spiegelung sprechen, sondern muss eher sagen, dass in diesen seltsamen, minutenlangen Gelagen die narrative Dissoziation ins Diegetische hinüber transformiert wird. (Oder transsubstantiiert: Aus der strukturellen Form wird eine leibhafte Szene.) Womöglich muss man diese Filme selbst trunken sehen und eine Art trunkenes Schreiben finden, um nicht die Auflösungsarbeit an Narration und Bedeutung zu unterlaufen, die sie fortwährend leisten. Und doch darf in dieser Trunkenheit der Blick nicht verschwimmen, wie ja auch Hongs Bilder immer ruhig und klar bleiben. (Jedenfalls bis zu TALE OF CINEMA, in dem es urplötzlich wilde, hektische Zooms gibt, die den Charakter dieses Kinos, auf den ersten Blick zumindest, schlagartig verändern.)

ON THE OCCASION OF REMEMBERING THE TURNING GATE ist, in einem Werk der Hinterhalte, ein besonders hinterhältiger Film. Mit dem Wendetor des Titels verbindet sich eine Legende, die im Film selbst erzählt, aber natürlich nicht dargestellt, wird: Ein Mann verwandelt sich, von einer Prinzessin zurückgewiesen, in eine Schlange und windet sich um ihren Körper und droht sie zu ersticken. Die Prinzessin geht in ein Kloster und weist die Schlange an, vor dem Tor zu warten. Die Schlange wartet, die Prinzessin kehrt nie zurück – und also wendet die Schlange sich ab. Das ist die Legende vom Wendetor, die ein Freund dem anderen erzählt, während sie unterwegs sind durch pittoreske Landschaft zu diesem Tor der Legende. Auf den ersten Blick ist das Verhältnis von Legende und im Film erzählter Geschichte klar. Die Wiederholung nämlich der Legende findet statt, in der Gegenwart und im richtigen Leben, von dem der Film mit Seelenruhe erzählt. Der Freund, der glücklose Schauspieler G., wird am Ende des Films vor einem verschlossenen Tor stehen, hinter dem die Frau, die er liebt, verschwunden ist, und damit die vom Titel angekündigte Gelegenheit bekommen, sich an diese Geschichte zu erinnern. Die strukturelle Ähnlichkeit seiner Situation mit der Schlange liegt auf der Hand. Und doch verhindert eine irritierende Auslassung die klare Symmetrie: Das Wendetor der Legende ist im Film niemals zu sehen, denn die beiden Freunde machen auf ihrem Ausflug bereits kehrt, und zwar so unvermittelt wie freiwillig, bevor sie das von Touristen gern besuchte Tor erreicht haben. Es ist banal, es gibt da nichts zu sehen, sagt der, der schon einmal da war. Das Zentrum der Legende, potenziell der größte Bedeutungsattraktor des Films, wird so abrupt entleert – und die Wiederholung, die Gelegenheit zur Erinnerung, verweist auf einen ursprünglichen Moment, den es im Film wie im Leben der Figur gar nicht gab.

Es sind diese Formen leisen, beim Nachdenken und Rückerinnern erst spürbar werdenden Schwindels, diese auf den ersten Blick gar nicht leer scheinenden Blindstellen, die Hongs Filme so eigenartig und beinahe ungreifbar machen. Dem, der sich ihnen schreibend, deutend, nacherzählend nähert, entziehen sie sich wie Lewis Carrolls Cheshire-Cat, von der nur ein Grinsen bleibt. Dies Grinsen erlischt in der Erinnerung nicht, aber es ist doch, als verschwände, je mehr man ihm sich nähert, der Film und löse sich auf in ein Grinsen, in trunkene Klarheit und Bilder, die wiederholen, was es gar nicht gab.

(nach dem film, 1.12.2007)

 

WOMAN IS THE FUTURE OF MAN (2004)

Rein äußerlich ein Durchbrung für Hong: Dieser Film lief als erster in einem großen A-Festival-Wettbewerb, nämlich in Cannes. Preise gewann er nicht damit, da musste er warten, bis HA HA HA dann bei Un certain regard den Sieg davontrug. Es begegnen sich nach Jahren zwei Freunde, Mun-ho, der Künstler werden wollte und jetzt Kunst lehrt, und Hyeon-gon, der nach Amerika ging, um Filme zu drehen und nun als Gescheiterter in die Heimat zurückkehrt. Sie erinnern sich an eine Frau und suchen sie dann in der Gegenwart auf. Gut geht das nicht. Alles weitere ist von Peinlichkeiten, Alkohol, schlechtem Sex und Spannung durchsetzt.

Vor dem Fenster, in der Kälte, steht eine Frau im Mantel, sie trägt einen fliederfarbenen Schal. Mit der Geschichte, die WOMAN IS THE FUTURE OF MAN erzählt, hat sie gar nichts zu tun. Man sieht sie zweimal in der Kälte vorm Fenster, beim ersten Mal steht sie nur da, beim zweiten Mal steigt sie in ein heranfahrendes Auto. Drinnen im Warmen sitzen Mun-ho (Yu Ji-tae) und Hyeon-gon (Kim Tae-Woo), sie sind alte Freunde. Mun-ho ist gerade vom Studium aus den Vereinigten Staaten zurück, Filmregisseur, der nicht sicher ist, ob er nicht besser einen Job als Unidozent anstreben soll. Hyeon-gon unterrichtet Kunst, hat sich gerade über die Ohren verschuldet mit Haus und Garten, seine Frau, die man nie zu Gesicht bekommt, wollte das eher als er, hört man aus seinen Worten heraus. Im Garten des Freundes geht Mun-ho ein paar Schritte im Schnee und dann geht er in den eigenen Stapfen wieder zurück, damit es aussieht, als ob der, der hier ging, sich in Luft aufgelöst hätte.

In Luft aufgelöst jedoch wird hier nichts. Ganz im Gegenteil geht es viel eher darum, dass man nichts ungeschehen machen, dass man auch nicht einfach, als wäre nichts geschehen, an Vergangenes anknüpfen kann. Die Frau mit dem fliederfarbenen Schal ist eine Markierung, ein Scharnier, ein Signal, auf das erst Mun-ho, dann Hyeon-gon reagieren. Es gibt zwei Arten, diese Reaktionen zu lesen. Nur die eine ergibt narrativ Sinn. Dann nämlich folgen auf die Blicke, die die Männer – jeder für sich – von drinnen nach draußen auf die Frau werfen, Rückblenden, Flashbacks. Sie sind filmisch vollkommen unmarkiert, ein einfacher Schnitt und unvermittelt springt die Geschichte zurück, allerdings auch in eine sichtlich wärmere Zeit. Beide, Mun-ho wie Hyeon-gon, erfährt man in diesen Rückblenden, hatten eine Beziehung oder auch nur Affäre mit derselben Frau: Seon-hwa (Hyeon-a Seong). Man sieht sie reden, man sieht wenig elegante Verführung, man sieht, sehr typisch für die frühen Filme von Hong, wenig erbaulichen Sex.

Nach der Hälfte des Films ist WOMAN IS THE FUTURE OF MAN zurück in der Gegenwart und im Schnee. Mun-ho und Seon-hwa fahren jetzt nach Puchon, wo Seon-hwa eine Bar betreibt. Zu dritt betrinken sie sich, ein großer schwarzer kalbartiger Hund tritt auch auf, es gibt das eine und andere Deja-vu, aber Geschehenes wird nicht ungeschehen gemacht. Bleibt die andere Lesart der Scharnierstelle. Man muss die Szenen nicht in die Chronologie einer Narration bringen. Hong Sang-Soos haben einen Doppelcharakter auch da, wo sie sich nicht explizit falten oder verdoppeln. Sie sind immer auch lesbar als reine Struktur, auf deren Oberfläche sich Worte, Sätze, Bilder, Dinge, Figuren, Konstellationen wiederholen und leise verschieben, aneinander anklingen, aufeinander anspielen: Echoräume, aus denen man beim Betrachten Geschichten (re)konstruieren kann, die aber durch die reinen Struktursignale stets irritiert bleiben. So wird Seon-hwas Geschichte noch einmal nach innen gespiegelt: eine Kellnerin in einer anderen Bar sagt, anders als Seon-hwa, zweimal nein. Die Negation des Films, den wir sehen, ist damit im Film gleich mit drin.

(Programmheft Retrospektive Arsenal)

 

TALE OF CINEMA (2005)

Menschen wollen sich umbringen, ein Regisseur liegt im Sterben. Das alles aber nur im Film, der im Film TALE OF CINEMA zu sehen ist. Man begreift diese Verschachtelungsstruktur nicht sofort, damit treibt Hong erst einmal sein Spiel. Man weiß auch gar nicht zu sagen, ob der Film-im-Film eigentlich auch ein Hong-Film ist – oder ob Hong da den Film eines anderen gedreht und in einen Hong-Film geschmuggelt hat. Die aufdringlichen Zooms jedenfalls gibt es hier wie da. Sie dringen hier ein ins Kino Hong Sang-soos, fast etwas wie Messerattacken gegen die bislang so nüchtern in Plansequenzen hingestellten Bilder. Wie die beiden Filme zusammengehören? Schwer zu sagen, aber stärker als zuvor werden die Wiederholungen und Verschiebungen ausdrücklich markiert.

Hong Sang-soos Filme sind flach. An der Oberfläche: Licht, Bildaufbau, Stellung der Figuren im Raum. Und in ihrer Tiefe, denn kaum glaubt man, hineingelangt zu sein, rutscht man ab und steht wieder da, wo man war: vor einer Oberfläche, an der sich Gedanken und Geschichten zu Rätselkristallen formen, die fremd bleiben. Man wird nicht recht schlau aus alledem und treffender lässt es sich nicht ausdrücken als Hong es seinen Ich-Erzähler ganz am Ende von TALE OF CINEMA sagen lässt: «Ich muss denken». Hongs Filme zwingen einen allerdings, da muss man genau sein, weniger dazu zu denken, als sie einen in diesen Gedanken hineindrängen, dieses «Ich muss denken», das nirgendwohin führt, jedenfalls nicht in eine Tiefe, die dann erklärte oder plausibel machte, was man an der Oberfläche sieht. Die Rätselkristalle sind stets mehr Kristall als Rätsel, sie weisen den Blick ab, der sie umfassen möchte, sie erschließen sich nicht einer Lösung, aber sie haben eine merkwürdige Attraktivität, die Attraktivität des Sich-Entziehenden, die mit der Anziehungskraft der Figuren rein gar nichts zu tun hat. Denn unerträglichere Protagonisten gibt es kaum im Kino der Gegenwart als die männlichen Helden bei Hong mit ihrer latenten Aggressivität, der Kleinlichkeit ihres Scheiterns und der Unfähigkeit, in Frauen etwas anderes zu sehen als das, was sie projizieren. Genauer gesagt sehen sie noch nicht einmal ihre Projektionen: sie projizieren nur, aber ins Leere, sie bleiben im eigenen, unbegriffenen Narzissmus echolos befangen.

Hong Sang-soo ist ein Strukturalist, aber kein Formalist. Das strukturelle Prinzip seiner Filme ist eine Streuung und Ausstreuung von Motiven, Spiegelungen und Wiederholungen in der Fläche. Man muss höllisch Acht geben aufs Detail, da Signale oft untermarkiert sind (wenn auch keineswegs immer); aber dass man sie erkennt, heißt nicht, dass man sie lesen kann. Sie entziehen sich vielmehr der Lesbarkeit ins Strukturelle. Und die Struktur selbst bleibt unlesbar, da sie nicht die Regularität einer Form gewinnt, sondern einer beliebigen Streuung gehorcht, eher dem Schein nach als prinzipiell geordnet durch die Zweiteilung und Spiegelung der Narration; was Grund-Struktur scheint, ist viel eher Form als trompe-l’oeil, ein Anhalt, der einem unter dem Denken zerfällt. Die Streuung der Motive auf der flachen Oberfläche führt so zur Flucht nicht des Gedankens, sondern des Denkens: «Ich muss denken», aber ich weiß nicht was. Es führt nirgendwohin, auf keinen Grund, immer nur weiter.

Es ist schwer, einem, der sie nicht kennt, einen Eindruck von Hongs Filmen zu vermitteln. Eine (seltsame) Vertracktheit und eine (seltsame) Kunstlosigkeit gehen hier in eins. Die entschiedene Verneinung realistischer Konzepte wird konsequent unterspielt; man könnte auch Menschen sehen und nichts weiter, die an Tischen sitzen und sich betrinken, die auf Straßen spazieren und reden, die in Hotelzimmer gehen und miteinander schlafen. Und wenn Menschen sich umbringen wollen (wie im Film-im-Film in TALE OF CINEMA) oder wenn sie im Sterben liegen (wie in der zweiten Hälfte der Regisseur des Films-im-Film in TALE OF CINEMA), dann ändert Hong kein bisschen seine lakonische Art, die Kamera in den Raum zu stellen und die Szene als Plansequenz zu drehen und sie, einfach so, nicht mittendrin, aber auch nicht in einem besonderen Moment, zu beenden, mit einem Schnitt, aus dem geschlossenen Raum hinaus auf die Straße, von der Straße hinein in den geschlossenen Raum. (Von den Zooms wird noch zu sprechen sein.) An den Dialogen, sagt Hong, feilt er lange, aber auch hier geht es nicht um Pointierungen, eher um die subtile Verankerung der latenten Aggressivität, die alles durchzieht, im Wort. Die Worte, die gewechselt werden, sind durchzogen wie die so lakonisch gebauten Bilder von dieser latenten Aggressivität.

Dazu kommt eine große Armut der Motive, ein hoher Grad an Repetition. Es wäre nicht ganz verkehrt, auf dieser abstrakten Ebene eine Analogie zu den Filmen Ozus zu sehen, die sich freilich völlig anders anfühlen, die völlig anders gearbeitet sind. Aber sie sind ähnlich verschlossen und ähnlich oberflächlich. Bei Ozu geht es um Väter (und Mütter) und Töchter (und Söhne), um das Unglück, das darin besteht, dass sie sich trennen müssen – auch wenn sie nicht wollen, dass das Sich-Nicht-Trennen-Wollen keine Option ist –, dass die Töchter (oder Söhne) aus dem Haus gehen und dass daraus folgt – und das ist die eigentliche Tragödie –, dass die Eltern alleine zurück bleiben im Haus. In Hongs Filmen gibt es kein Zuhause, auch keinen Wunsch, in ein Zuhause zurückzukehren und die Familie im Film-im-Film in TALE OF CINEMA ist schlicht und einfach grotesk (aber ihr Auftreten allein macht die Frage schon virulent, ob der Film-im-Film ein Hong-Film ist).

Bei Hong geht es um Männer, die als Künstler scheitern und gegen die Frauen, die sie lieben wollen, sich aggressiv verhalten. Männer, denen die Schließung ihrer Projektion nicht recht gelingt. Sie bewegen sich, ungelenk, aber stürmisch meist, hinein in die Projektion, sie wollen ein Werk, sie wollen eine Frau, aber sie bleiben stecken, sie tun das Falsche und dass sie sich betrinken und als Betrunkene noch unerträglicher werden, ist nicht die Ursache, sondern nur der Ausdruck dieses Unglücks. Die jämmerlichen Männer bei Hong wissen, dass sie wollen, aber wenn sie diesem Wollen erst einmal Ausdruck gegeben haben, merken sie (oder spüren sie), dass sie nicht wissen, was sie wollen. Dann zaudern sie, dann können sie nicht, dann verdrücken sie sich. Es ist im Grunde derselbe Impetus, der hinter dem «Ich muss denken» und dem «Ich muss wollen» steht. Der doppelte Impetus macht diese Männer zu Möchtegern-Künstlern und Möchtegern-Liebenden. Aber dann wollen sie nicht, dann denken sie nicht, weil ihre Fähigkeit, einen Gegenstand (ein Werk, eine Frau) zu wollen und zu denken, nicht hinreicht. Es ist nicht so sehr der Fall, dass sie zu intellektuell wären, dass ihrem Handeln das Denken als Skepsis oder handlungshemmende Reflexion in die Quere kämen. Vielmehr ist jedes mögliche Denken von etwas, jedes mögliche Wollen, das über das schiere, leere Begehren hinausgeht, immer schon blockiert. (Das Ende von TALE OF CINEMA ist deshalb als totale Kapitulation zu begreifen, als ein Verharren im Elend. Das Wollen des Denkens führt nur in die Wiederholung des Missglückens.)

Auf den ersten Blick passt TALE OF CINEMA in die Serie der bisherigen Filme. Das gewohnte Spiel mit den vermeintlich glatten Gang der Narration zerreißenden Irritationen findet statt. Das Theaterstück, das man (im Film-im-Film) sieht, bekommt einen anderen Sinn als den diegetischen (der Held wartet, bevor er sich mit der Frau trifft, auf die er sein Lieben-Wollen gerichtet hat) in dem Moment, in dem der Held die Worte einer der Figuren wiederholt: Mutter, Mutter. Es wird hier der Eintrag einer kleinen, aber massiven Irritation erst verständlich: Auf der Bühne spricht die Figur der Mutter nämlich von ihrem Sohn, obwohl es sich offensichtlich um ihre Tochter handelt. Vorträglich – und mit Mut zum Unverständlichen – hat Hong den Konflikt des Sohnes mit der Mutter schon eingetragen. Zwischen unverständlichem/unauffälligem Vortrag und sinnveränderndem Nachtrag inszeniert Hong sein Spiel um Aufschübe und Suspensionen. Die Momente, in denen Irritationen als Wiederholungen miteinander und aufeinander reagieren, haben freilich nichts Erlösendes und Lösendes. Sie bleiben mehr oder minder blinder Verweis, der auf weitere Nachträge wartet, die wiederum nichts lösen, selbst da, wo sie nicht ausbleiben.

Und wie oft bei Hong findet sich auch in TALE OF CINEMA die Installation einer Zäsur, die solche Spiegelungen und Verdopplungen nachdrücklich hervortreibt. Wieder finden sich Gegenstände, Orte, Personen des ersten Teils im zweiten aufgegriffen, gelegentlich mit genau dem Willen zur Untermarkierung, der das bisherige Werk prägt. Diesmal aber ist bei genauerer Betrachtung alles ganz anders. Zu tun hat es mit Markierungen. Erstmals nämlich markiert Hong den Repetitionsscharakter, thematisiert ihn als Verhältnis von Kino und Leben und Kino. Der Film, den wir sehen, vierzig Minuten lang, ohne zu wissen, dass es (im Film) nur ein Film ist, wird als die gestohlene Geschichte des Mannes präsentiert – nachträglich, mit einer Nachträglichkeit, die alles (womöglich) in ein anderes Licht stellt. Vor allem aber setzt sie die Wiederholung ausdrücklich, wenngleich sanft ironisch, unters Vorzeichen eines thematisierten Wiederholungszwangs. Die typische Bewegung beim Sehen eines Hong-Films – man liest, irritiert durch ein Detail, eine Wiederaufnahme, eine Wiederholung, den Film neu; man liest bestimmte Stellen, die man zuvor gesehen hat, anders, nämlich als Antizipationen der Wiederholung -, diese typische Bewegung wird hier aktiv ausgestellt, etwa im Fetisch-Gegenstand «Marlboro Reds», den Zigaretten, die im Film-im-Film der Held in einem Laden kaufen will, die im Film dem Helden, der sie raucht, als Beleg dafür dienen, dass der Regisseur seine Geschichte gestohlen hat. Fetischisiert werden diese Gegenstände nicht im üblichen Sinne. Nicht sie selbst werden mit Begehren aufgeladen, sondern ein ungezieltes Begehren, das zwischen der Vor- und Nachträglichkeit ihres Auftauchens oszilliert, macht sich für den Moment fest am nichtsdestoweniger beliebigen Gegenstand. Das Problem der Verschiebung und Lösung des Begehrens vom eigentlichen Gegenstand, die Aufladung eines anderen an seiner Stelle, ist nicht die Struktur des Problems der Hongschen Helden. Sie sind zur Liebe (zum Wollen und Begehren von etwas, einem Begehren, das über das bloße Wollen und Begehren hinausgeht), und damit eben auch zur verschobenen Bewegung der Aufladung unfähig.

Nun aber die Zooms. Mit TALE OF CINEMA bricht Hong den seriellen Charakter seines Werks – oder vielmehr lässt er ins stete Sich-Wiederholen des Vertrauten ein fremdes Element einbrechen. (Vielleicht nicht ganz unähnlich der Art, wie Tsai Ming-liang in seinem letzten Film THE WAYWARD CLOUD, Musicalbuntheit in seinen ganz anders gearteten Stil einbrechen lässt.) Die unauffällige Plansequenz mit tendenziell statischer Kamera wird völlig unerwartet irritiert durch Zooms, die durch den Raum fuhrwerken, ihn beschneiden, Gesichter aus ihrem Zusammenhang nehmen, um sie dann, im Rückzoom, wieder in einen (damit aber anderen, aufgebrochenen) Raum-Bild-Zusammenhang zurückzuführen. Die Zooms sind, wie die Markierung der Wiederholungen als Wiederholungszwang, ein Ausbruch aus der Unauffälligkeit, der (seltsamen) Kunstlosigkeit von Hongs Kino. Sie scheinen, um das mindeste zu sagen, nicht notwendig, fungieren als Irritationen, sie fügen sich nicht zwanglos ein in den Stil, der vorherrscht. Sie sind nicht elegant, oft eher ungelenk – und sie sind das ohne Zweifel mit Absicht. Sie sind Unterstreichungen in einem Stil, der bisher – und im Grunde noch immer – vom oft schockierenden Weglassen von Unterstreichungsgesten lebt, etwa im beinahe unvermerkten Übergang vom Film-im-Film zum eigentlichen Film. (Klar erkennbar nur im Wechsel der Musik von der Seite der Non-Diegese auf die Seite der Diegese.)

Die Zooms sind aber Unterstreichungen, bei denen unklar bleibt, warum sie unterstreichen, was sie unterstreichen. Den Gesichtern, auf die gezoomt wird, ist wenig Expressives abzulesen. Über die Figuren im Raum erhält man kaum zusätzliche Informationen. Die fortwährende Zeigegeste des Zooms zeigt ins Leere wie das Wollen und Denken der Figuren. Dem «Ich muss wollen» und dem «Ich muss denken» gesellt sich ein «Ich muss zoomen». Ein Zwangsverhalten im Grunde. Damit wäre TALE OF CINEMA der pathologischste von Hongs Filmen. Die vermeintlichen Symmetrien, die sich der Mittelzäsur verdankten, waren bisher durchaus als Eindringen eines Wiederholungszwangs in die Struktur lesbar (und eher noch fühlbar) – aber doch ins trompe-l’oeil, den Schein einer Form hineingebändigt. Der Zoom (und ähnlich der Voiceover-Kommentar) in TALE OF CINEMA sind von in keine Form mehr zu bändigender Zwanghaftigkeit. Sie führen nirgendwohin, sie sind (falsche) Bewegung um der Bewegung willen. Was in ihnen sich Bahn zu brechen scheint, ist die Attacke auf die eigene Kunst, eine mutwillige Beschädigung der Bilder, als wären sie noch immer zu schön gewesen. Diese Zooms sind nicht der Versuch einer Rehabilitation des Zoomens; sie sind absichtliche Zerstörung von Unauffälligkeit. Bisher handelte Hongs Kino in zum Schein wenigstens «schöner», symmetrischer, reizvoller Form von beschädigten Menschen. Mit TALE OF CINEMA ist es nun zum beschädigten Kino geworden, hat jener autoagressive Narzissmus auch strukturell die Überhand gewonnen, der bislang vor allem seine männlichen Helden befiel.

(New Filmkritik, 7.1.2006)

 

WOMAN ON THE BEACH (2006)

Der Regisseur Kim und sein Drehbuchautor Jung-rae fahren in einen Badeort, um dort gemeinsam an einem neuen Film zu arbeiten. Jung-rae nimmt seine Freundin Moon-sook mit. Ein Sturm ist angekündigt, der Ort am Meer ist ziemlich verlassen, der Sturm bleibt aber aus. Äußerlich jedenfalls, denn zwischen den Beteiligten entwickelt sich eine verquere Dreiecksgeschichte, in der große Worte in den Wind gerufen werden und nichts, was einer dem anderen sagt, irgendwas gilt. Kim philosophiert über seine Obsession mit einem Bild in seinem Kopf und entwickelt eine grafische Theorie, wie man so ein Bild wieder los wird. «Ich mag keine Wiederholungen», sagt Moon-sook gegen Ende am Telefon. Wenn es je ein Erlösungswort gab in Hongs Filmen, dann ist es dies.

Eine Frau am Strand, das ist das Schlussbild. Ihr Auto hat sich festgefräst, zwei Männer helfen ihr aus und wollen keinen Dank dafür. Eine Pointe nicht ohne Ironie. Die Geschichte, die der Film erzählt, beginnt ebenfalls mit zwei Männern und zwischen ihnen dieselbe Frau. Aber nur, indem die Frau die beiden los wird, ist sie zum Schlussbild befreit. Die beiden freundlichen Männer am Strand sind der comic relief einer unerfreulichen Beziehungsgeschichte.

Es beginnt in einer Wohnung, der eine Mann bedrängt den anderen. Der bedrängende Mann ist ein – offenbar nicht ganz unbekannter – Filmregisseur; der bedrängte ein Freund und Drehbuchkoautor. Regisseur Kim will mit ihm in einem Badeort am Meer das Drehbuch seines neuesten Films schreiben. Jung-rae stimmt schließlich zu, bringt aber seine Freundin mit, Moon-sook. Der Produzent warnt Kim am Telefon vor einem Sandsturm an der Küste. Zu dritt fahren Kim, Jung-rae und Moon-sook hinaus, der Badeort ist des schlechten Wetters wegen wohl verlassen. Der Sandsturm bleibt aus.

Jedoch geschieht, was bei Hong Sang-soo immer geschieht: Man betrinkt sich, es kommt zu Konflikten. Im Trinken und im Betrunkensein verlieren seine Figuren, die männlichen vor allem, die Kontrolle über sich selbst – oder sie zeigen ihr wahres Gesicht. Wie es sich dabei genau verhält, da gibt die Erzählung dem Betrachter keinen Wink. Bei glasklaren Oberflächen bleibt alles undurchsichtig. Handeln und Sprechen erleiden die bei Hong so typische Auszehrung. Nichts Gesagtes gilt. Als Kim einen Restaurantbesitzer beleidigt, setzt Jung-rae ihm ein Ultimatum. Er solle sich entschuldigen, sonste fahre er nach Seoul zurück. Kim entschuldigt sich nicht. Das Ultimatum verstreicht und nichts passiert. Einen Schnitt weiter sitzen die drei in einem anderen Restaurant am Tisch, betrunken, und betrinken sich.

Das Wort bindet nicht, in WOMAN ON THE BEACH. Gesagtes ist wie nur dahin gesagt und wird vom Wind verweht, verläuft im Sand. Später sind Moon-sook und Kim allein am Strand. Sie hat ihm gesagt, dass sie ihn Jung-rae, der nur ein Freund sei, aber nicht ihr Liebhaber, vorzieht. Beide rufen sie, aufs Meer hinaus «Ich liebe dich». Erst sie, dann er, dann beide gemeinsam. Hört man ein Echo? Jedenfalls hört man das Rauschen der Wellen und den Wind im Mikrofon. Zu bedeuten haben die Worte wenig genug. Man spricht bei Hong, um sich zu verletzten, um überhaupt etwas zu sagen, das dann verklingt. Und man spricht bei Hong, um zu lügen. Dabei wäre es ganz falsch anzunehmen, dass Hong der Sprache misstraut. Denn im Sprechen seiner Figuren kommt ihre Schäbigkeit gerade zum Ausdruck. Das Wort bindet nicht, weil die Männer sich nicht binden wollen und nicht binden können. Weil sie das Konzept der Bindung als die Narzissten, die sie sind, nicht einmal begreifen.

An seine Stelle, perfekter Ersatz für den Narzissten, tritt die Obsession. Absurde Selbstbindung an ein Bild. Kim kann die Vorstellung nicht ertragen, dass die Frau, von der er etwas will, mit einem anderen geschlafen hat. Moon-sook erzählt, dass sie in Deutschland mit Deutschen geschlafen hat. Kim, der die Nacht mit einer anderen Frau verbracht hat, legt sich neben Moon-sook, klagt, dass er dieses Bild - sie mit einem Deutschen im Bett – nicht ertragen kann. Kim weint, deshalb wohl, weil sie ihm das antut. Das alles ereignet sich zwei Tage später. Kim ist am Badeort geblieben, Jung-rae und Moon-sook sind zurück in Seoul. Kim hat sich eine andere Frau gesucht, der er sagt, sie sehe Moon-sook ähnlich (kein bisschen tut sie das), mit ihr verbringt er die Nacht im Bett. Moon-sook, der er am Telefon sagt, sie sei schön, kehrt an den Badeort zurück. (Jung-rae wird ganz und gar aus der Geschichte verschwunden bleiben.) Kim malt für Moon-sook ein Diagramm, das seine Obsession mit dem falschen Bild erläutert. Er muss, sagt er ihr, die falsche Obsession durch eine richtige Einbildung ersetzen. Punkt, Punkt, Dreieck, Strich. Die Theorie ersetzt die Tat. Und in der Tat wird aus der Theorie nichts folgen als weitere Lügen.

Spielerischer, aber nicht milder als im bisherigen Werk, setzt Hong Sang-soo den Liebes- und Verletzungsreigen in Szene. Oft spielt zwischendurch die Musik und kommentiert, was man sieht. Das markanteste formale Mittel ist nicht mehr der gewalttätige, reißende, das Bild zerreißende Zoom von TALE OF CINEMA. An seine Stelle tritt ein anderer Zoom, langsamer, bestimmter, nüchterner, dem Schein nach kontrollierter, ein Zoom alsreframing des Bildes, ein Hineinfahren und Stoppen. Manchmal wird ein Dritter so aus dem Bild gedrängt, manchmal sit diese Neurahmung von weniger drastischer Konsequenz. Womöglich sollte ma sie im Grunde nicht semantisch nehmen, sondern als Geste. Als Geste ist dieser Zoom das Geben eines neuen Bildes als Halt. Oder auch: Haltepunkt. Denn zwischen den Haltepunkten auch das Offenbleiben und Entgleiten von Bildern und Geschichten. Ein Hunder, der zurückgelassen wird. Ein Gang in den Wald. Ein Fall auf die Knie. Ein lädierter Muskel, den keiner braucht. Am Ende wird Kim ein Drehbuch geschrieben haben. Am Ende wird Moon-sook, die Frau am Strand, allein sein und Kim los sein. Ich mag keine Wiederholungen, hat sie am Telefon gesagt. Wenn es je ein Erlösungswort gab in Hongs Filmen, dann ist es dies.

(Perlentaucher, Berlinale-Kolumne Außer Atem)

 

NIGHT AND DAY (2008)

Ein Südkoreaner in Paris, ein Film, der ursprünglich vom Musée d'Orsay finanziert werden sollte. Das scheiterte, aber Hong drehte seinen französischen Film, in dem Paris aber genauso in Szene gesetzt wird wie eine koreanische Stadt, trotzdem. Im Zentrum der Maler Seong-nam, der aus Angst vor einer Verhaftung wegen Marihuanakonsums, nach Paris flieht und dort Frauen, die er kannte und kennt (oder sechsmal schwängerte und trotzdem nicht wiedererkennt), (wieder)begegnet, während er – es ist Nacht in Paris und Tag in Korea – mit seiner in Seoul gebliebenen Frau telefoniert. Erzählt ist das als Tagebuch Seong-nams. Koreanische Künstler verhalten sich in einem Hong-Film nicht anders, nur weil er in Paris spielt.

Sung-nam (Kim Youngho) ist Maler, lebt in Seoul, kifft das erste Mal in seinem Leben, die Polizei erfährt davon; er flieht überstürzt nach Paris. Das erzählt sehr lakonisch der Vorspann. Im ersten Bild ist Sung-nam schon in Frankreich, steht mit nicht mehr als einem Köfferchen vor der Flughafentür und seine erste - und fast schon die letzte - Begegnung mit einem Franzosen: Der bittet Sung-nam um Feuer, sagt nur «Sei vorsichtig» und ist wieder weg. (Natürlich ist Sung-nam nicht vorsichtig. Und geraucht wird im ganzen Film viel. Getrunken natürlich, dies ist ein Hong-Sangsoo-Film, auch.)

Sung-nam führt Tagebuch und das gibt dem Film die Form einzelner Notizen. Die Kapitel sind unterschiedlich lang und durch Datumsangaben getrennt. Die Stimmungen schwanken, es kommt zu Begegnungen, es gibt Ellipsen und Sprünge und Sung-nam ist das Ich, mit dem der Film uns nachhaltiger noch als mit all den anderen Männern in den Filmen des koreanischen Regisseurs konfrontiert. Sung-nam ist ein typischer Hong Sangsoo-Mann: Ein Künstler, narzisstisch. Einer, der sich mit Frauen einlässt und ihnen das Blaue und die Wolken vom Himmel verspricht, um sich im nächsten Moment um alles zu drücken. Einer, der große Worte macht und ihnen keine oder bestenfalls kleine Taten folgen lässt. Einer, das bringt ihn offenkundig am klarsten auf den Punkt, der so wenig Kontrolle hat über sich und sein Leben, dass er immerzu unfreiwillig Frauen schwängert. Darum glaubt er an einer wichtigen Stelle des Films die Lüge, es sei mal wieder eine Frau von ihm schwanger, umstandslos.

In dieser Differenz, ja, dem grundsätzlichen Widerspruch zwischen Reden und Handeln sieht Hong Sangsoo die Tragödie, vielleicht auch die Komödie der männlichen Existenz. Zwischen beidem, Tragik und Komik, ist so recht bei ihm schon immer nicht zu unterscheiden; vieles ist so traurig, dass es schon wieder lustig ist, vieles, das lustig ist, eigentlich traurig. So will es der Zufall, dass Sung-nam mitten auf der Straße in Paris eine Koreanerin zuwinkt. Er ist erstaunt – oder tut jedenfalls so. (Man kann ihm da wirklich nicht trauen, dieser Ich-Erzähler ist notorisch unzuverlässig.) Er erkennt sie nicht, behauptet er, sie kann es nicht fassen. Das begreift man, wenn man gleich darauf erfährt, dass die beiden lange Jahre zusammen waren, einst in Korea. «Weißt du, wie viele Abtreibungen ich deinetwegen hatte», fragt sie ihn. Er blickt sie mit großen Augen an. «Sechs», sagt sie. «Ist das dein Ernst?» fragt er. Womöglich ja. 

Min-Sun (Kim Youjin) ist jetzt verheiratet in Paris, die beiden gehen trotzdem gemeinsam auf ein Hotelzimmer, wo Sung-nam wie ein Wahnsinniger die Bibel zitiert, da, wo sie vor Ehebruch warnt. Darum schlafen die beiden – wahrscheinlich – nicht miteinander. (Man kann dem Film da nicht unbedingt trauen, der zur Trennung von Traum und Realität nicht die eindeutigste Haltung hat.) Auf einer Party von Koreanern begegnet Sung-nam einer weiteren Frau. Hyun-ju studiert Kunst, sie nimmt ihn mit ins Musee d'Orsay, wo sie lange Courbets Ursprung der Welt betrachten. Hyun-ju (Seo Minjeong) hat eine Mitbewohnerin, Yu-jeong (Park Eunhye), in deren Füße sich Sung-nam sehr verliebt. Zuhause in Korea freilich wartet Sung-nams Frau, sie telefonieren täglich, wenn es in Paris Nacht ist, ist es in Seoul Tag. «Kannst du für mich masturbieren», bittet er sie einmal. (Jedenfalls wird sie davon gewiss nicht schwanger. Obwohl...)

Der Film NACHT UND TAG erzählt von diesem koreanischen Mann und all diesen koreanischen Frauen in der französischen Fremde, aber er tut dies in der vertrauten Hong-Manier. Zum einen heißt das: Hong Sangsoo hat sich Paris ganz und gar angeeignet, es sieht aus wie Seoul aussieht, wenn Hong Will es filmt: recht starre, die Distanz eher als die Nähe zur Figur suchende Einstellungen; immer etwas überdeutliche Schwenks; seltsame Zooms als Unterstreichungsgesten. Und zum anderen heißt es auch: Alles Lineare täuscht. Das Erzählen vollzieht sich in – teils aller Wahrscheinlichkeit spottenden – Motivwiederholungen und Sprüngen der Dinge durch Zeit und Raum. Wenig ist eindeutig, vieles auf Sand gebaut, schon gar, wenn sich die Geschichte auf die Ich-Perspektive eines Kerls wie Sung-nam einlässt. Manches doppelt sich, auf irritierende Weise. Die Zeichnung eines doppelköpfigen Kalbs spielt eine gewisse Rolle. Ein Spatz fällt aus dem Nest und später taucht ein weiterer Spatz auf. (Was ist das überhaupt mit den Spatzen in diesem Jahr? Jetzt schon der dritte Wettbewerbsfilm mit Spatz an wichtiger Stelle.) Mehr als einmal sieht man Bilder von Wolken, zum Beispiel am Ende, das auf seine Weise ein Happy Ending ist. Aber es ist eines der gemeinsten Happy Endings der Welt. Das glückliche Leben: ein Alptraum. 

(Perlentaucher, Berlinale-Kolumne Außer Atem)

 

LOST IN THE MOUNTAINS  (2009)

Ein Dreißigminüter als Teil der vom Festival in Jeonju regelmäßig finanzierten Auftragswerke. Ein Frau kommt in Jeonju an, gerät sogleich mit einer Freundin in Streit, trifft ihren deutlich älteren Exlover. Ein vertrauter Reigen der Disharmonie mit lakonisch eingestreuten Stadtbildern, diesmal allerdings vorwiegend aus der Perspektive einer weiblichen Heldin erzählt, die im Erzählkommentar zur objektiven Betrachtung der Vorgänge wenig Erhellendes beiträgt. In Inhalt und Form gibt es zu den anderen Filmen des Triptychons von Naomi Kawase und Lav Diaz, wie bei den Jeonju-Projekt Filmen üblich, keinen Zusammenhang.

 

LIKE YOU KNOW IT ALL (2009)

Wieder ein Film, der ausdrücklich in zwei Hälften geteilt ist. Der erste Teil: Ku, ein Filmregisseur, nicht unbekannt, aber kommerziell nicht erfolgreich, ist als Mitglied der Jury auf einem Filmfestival. Die Erfahrungen, die er da macht, etwa mit Jurykollegen, sind ernüchternt, er wird sich als typischer Hong-Held betrinken. Im zweiten Teil, zwölf Tage später, besucht Ku einen alten Freund an der Universität und spricht mit dessen Studierenden über seine eigenen Filme. Frauengeschichten bleiben nicht aus. Szenen im ersten und zweiten Teil sind sich sehr ähnlich, das erzeugt wie gewohnt und wie immer subtil anders als sonst Spiegel- und Verzerrungseffekte. Mehr noch als ohnehin in allen Filmen seit TALE OF CINEMA sind Zooms und Kamerabewegungen das dominierende formale Element.

Sehr schöne, sehr minimale Musik, der Titel sehr schlicht in Schwarz und in Weiß. Dann steht da, wie aus dem Nichts, wie auf ein Spielfeld gesetzt, Koo Gyung-nam am Ausgang des Flughafengebäudes. Gleich wird er vom Flughafen abgeholt, aber kurz steht er da und schaut ein paar Sekunden in die Luft. Beim Provinz-Filmfestival in Jecheon sitzt Koo in der Jury. Er ist ein in überschaubaren Arthouse-Zirkeln geschätzter Filmregisseur, ungefähr so wie Hong Sang-soo, sein Erfinder. Koo macht Filmfestivalerfahrungen: Er schläft ein bei den Filmen und auf den Partys wird er von selbstbewussteren Kollegen zur Seite gedrängt. Mit der Pornodarstellerin, die jetzt ins seriöse Film-Business will, ginge er wohl gerne ins Bett. Dann aber muss er mit ansehen, wie sie im Hotel aus eines anderen Tür kommt. Koo ist ein schüchterner Mann und man muss sagen, dass er sich in der nach neun Langfilmen bereits recht eindrucksvollen Hongschen Porträt-Galerie des männlichen Künstlers als narzisstisches Arschloch beinahe freundlich ausnimmt.

Dennoch ist Koo (Kim Tae-woo) ein für Hong nicht untypischer Held. Filmregisseur, wie manch anderer zuvor, zuletzt etwa der Protagonist in WOMAN ON THE BEACH (auch dieser Film übrigens endet am Strand). Verwechselbarer denn je erscheint dieser Protagonist auf den ersten Blick mit seinem Schöpfer, denn natürlich wird Hong Sang-soo Ähnliches als Festival-Juror erlebt haben; vermutlich sah auch er sich, wie im zweiten Teil des Films Koo, gelegentlich im einen Moment von weiblichen Verehrerinnen umlagert, im nächsten mit ahnungslosen Kommentaren zu seinen Filmen konfrontiert. Wahrscheinlich also ist vieles, was man hier sieht, aus dem Leben und Erlebnisbereich des Filmregisseurs Hong gegriffen. Der autobiografische Fehlschluss liegt deshalb nahe.

Und bliebe doch immer ein Fehlschluss. Denn für Hong Sang-soo ist nichts je direkter persönlicher Ausdruck, sondern alles, woher immer er es greift, Spielmaterial. Das Faktum, dass die meisten seiner Helden Filmemacher, jedenfalls Künstler sind, tut in einem bestimmten Sinn wenig zur Sache. Spezifisch sind sie als Typus, aber nicht in ihren Werken; die kommen kaum vor und man sieht diese Männer kaum je bei der künstlerischen Arbeit, sondern eigentlich immer nur, wie sie sich davor, danach und daneben benehmen.

Hongs Filme sind nicht Reflexionen über das Filmemachen, sondern sie spielen mit immer wieder ähnlichem Personal Typenkomödien. Oder Typentragödien. Oder genauer: Sie untersuchen auf Millimeterpapier den Grenzverlauf zwischen beidem. Sie beobachten, zur Belustigung und Qual des Betrachters, wie das Komische ins Tragische gleitet. Unmerklich manchmal, denn ein einziges Wort, ein einziger, halb oder ganz missverstandener Satz, kann eine Situation bereits kippen. In genau diesem Sinn ist LIKE YOU KNOW IT ALL, wie alle anderen Hong-Filme auch, eine Tragikomödie des Schlüpfrigen und Unkontrollierbaren, des Entgleitens und des Entgleisens, der zeitlupenartigen Katastrophen im sozialen Miteinander.

Zwar gibt es auch mal gröbere Pointen – wie das Schlafbedürfnis der Juroren beim Filmfestival; die eigentliche Liebe des Regisseurs jedoch gilt den Zonen der Unentscheidbarkeit, sie gilt der Variation und der nicht-identischen Wiederholung und nicht zuletzt allem Opaken. Koo ist, als typischer Hong-Protagonist, undurchschaubar, aber tief ist er nicht. Er bemüht sich, sprechend und handelnd, im Spiel des Sozialen die von ihm erwarteten Züge zu machen. Herausforderungen nimmt er an. So steht da, in grandioser Willkür einfach aufs Spielfeld gesetzt, in einer kleinen Sackgasse dem Kinoeingang gegenüber ein früherer Freund. Sie umarmen sich, sie betrinken sich, sie gehen zu diesem Freund, der zuvor von seiner Frau als «Seelengefährtin» geschwärmt hat, nach Hause. All das macht Koo einfach mit.

Wie immmer bei Hong ist der Alkohol, reichlich fließend, ein großer Auflösungskatalysator. Wie geschmiert entgleiten den Männern und Frauen unter Einfluss die Handlungen, die Dinge und Worte. Koo trinkt mit dem früheren Freund und seiner Seelengefährtin. Koo erwacht, der Freund ist tot und schon liegt Koo mit dessen Frau im Bett. Ein Traum, aber der Film präsentiert ihn als Realität. (Dann nimmt er das wieder zurück.) Auch die Grenzen des Wirklichen selbst geraten ins Fließen. Was uns als Wirklichkeit präsentiert worden ist, war nicht wahr. Was aber tatsächlich geschehen ist, bleibt opak. Wir sehen Koo am Morgen danach, kurzer Blick auf die Unterwäsche der Frau vor der Badezimmertür. Später kehrt er zum Haus des Freundes zurück und wird von diesem geschlagen und vom Grundstück gejagt. Koo weiß nicht, wie ihm geschieht. Es ist, als reagierte die Wirklichkeit auf den Traum, den wir als Realität zu sehen bekamen. An Stellen wie diesen tritt, was sich sonst listig verbirgt, deutlich zutage: Hong ist ein Realist als Radikalformalist. Die Wirklichkeit ist ihm, so detailgenau er sich ihrer in Bruchstücken bedient, immer zugleich Material, über das er verfügt.

Dopplungen, Wiederholungen, Ellipsen, unerwartete Löcher, die Unterstreichung von vermeintlich ganz Nebensächlichem und Einschlüsse von Fremdelementen bestimmen die prismatischen Strukturen jedes einzelnen Films und den Kosmos des zu faszinierenden Selbstähnlichkeitsmustern aufgefächerten Werks. Mitten drin geht mitunter alles wieder auf Anfang. So auch in LIKE YOU KNOW IT ALL. Zur Hälfte setzt der Film seine zentrale Spielfigur Koo wieder aufs Ausgangsfeld. Erneut steht er an einem Flughafenausgang und sieht in die Luft. Wieder wird er, nun zum Gespräch über seine Filme an einer Universität, abgeholt.

Im ganzen zweiten Teil spielt die Geschichte eine mal mehr, mal weniger verschobene Wiederholung der Konstellation des ersten Teils durch. Der Film wird zum Diptychon – ein typisches Hong-Verfahren. Im nachhinein erweist sich, was im ersten Teil geschah, als auf den zweiten bezogen. Und das, was im zweiten geschieht, verändert den ersten und ist selbst ohne diesen nicht zu begreifen. Narrativ hat das eine mit dem anderen dabei fast nichts zu tun. Die Bezüge und Spiegelungen sind rein formaler Natur: wieder eine Bekanntschaft, wieder eine Dreierkonstellation, wieder die Konfrontation des Regisseurs mit seinem Publikum, wieder das Sitzen an Tischen und Trinken und Diskutieren.

Der formalistische Grundzug bedeutet freilich nicht, dass der Hong-Kosmos rein selbstbezüglich und referenzlos wäre. Die Referenz auf die Außenwelt schneidet Hong niemals ab. Es ist geradezu die Pointe seiner Filme, dass sie sich die realistische Option immer offen lassen. Was eben noch rein formales Spiel mit Wiederholung und Variation schien, kann den Betrachter im nächsten Moment scharf mit einem peinlichen, zum Fremdschämen einladenden Fauxpas konfrontieren. Anders gesagt: Während der komödiantische Zug des Werks auf den Spielcharakter verweist, lauert in der jederzeit möglichen Rückkehr der Referenz die Tragödie.

Dazwischen liegt, was weder Komödie noch Tragödie ist, was aus dem so gezogenen Rahmen einfach fällt. Eine Raupe kriecht, von der Kamera verfolgt, über den Boden. Ein Frosch schwimmt im Wasser. Seltsam phallische Steinstatuen füllen das halbe Bild. Die Kamera schwenkt und blickt einen Tick zu lang in den Himmel, sieht unverwandt auf einen Vorhang im Wind. Das sind «Pillow Shots», genauso rätselhaft wie bei Ozu (den Hong sehr bewundert), das Paradox rein formalistisch zu nehmender «effets du réel»: in der schieren Konkretion macht sich die Diegese für Momente einfach davon.

Mindestens ebenso faszinierend ist eine andere, erst seit ein paar Filmen bei Hong zu beobachtende Form von Sekundärbearbeitung des Erzählmaterials. Wieder und wieder verletzt die Kamera das vom Realismus geforderte Gebot möglichst großer Unsichtbarkeit. In einer grandiosen Einstellung an einem Swimmingpool vor Meerhintergrund etwa nimmt sie in LIKE YOU KNOW IT ALL in einer Kombination aus Schwenk und Zoom erst den Protagonisten Koo aus dem Bild und verfolgt dann ein Ball spielendes Paar in einer Ecke des Pools. Nicht nur hier zoomt die Kamera rabiat, setzt so einzelne Figuren ins Bild und schneidet andere brutal weg. Es ist, als wäre im Film eine von der «eigentlichen» Erzählposition abweichende weitere Instanz am Werk, die sich gelegentlich auch verselbständigen kann. In der Auflösungsform dieser Kamerabewegungs-Sekundärbearbeitung könnte Hong etwas wie eine Synthese der Dialektik von Form und Auflösung der Form, von Komödie und Tragödie, von Referenz und Spiel gefunden haben. So sanft aggressiv wie Hongs männliche Helden. Von unaufdringlicher Insistenz. Bösartig komisch. Freundlich verstörend: Like You Know It All.

(Kolik, Sonderheft 12, Oktoberheft 2009)

 

HA HA HA Südkorea (2010)

Es beginnt wie ein Witz. Treffen sich zwei Männer. Der eine der beiden, Filmregisseur ohne Film, Professor ohne Professur, ist auf dem Sprung nach Kanada. Man erzählt sich, was zuletzt so geschah. Diese Erzählung gibt dem Film einen Rahmen, Novellentechnik. Man sieht diese Männer nicht, vielmehr: nur als Fotos, schwarzweiß. Sie lachen über die Geschichten, die sie erzählen, begreifen jedoch nicht, was man als Zuschauer schnell begreift: Der jeweils andere ist Teil der jeweils erzählten Geschichte und sieht darin keinesfalls so gut aus wie aus der eigenen Perspektive. Ein Abgrund an dramatischer Ironie, ein Film, in dem so schnell keiner zuletzt lacht.

Alles an HA HA HA ist vertrackt. Vor allem das Off. Treffen sich zwei Männer. Klingt wie ein Witz. (Ha Ha Ha). Der eine der beiden, Filmregisseur ohne Film, Professor ohne Professur (erklärt er einmal; ein Scherz?), ist auf dem Sprung nach Kanada. Man erzählt sich, was zuletzt so geschah. Diese Erzählung gibt dem Film einen Rahmen, Novellentechnik. Man sieht diese Männer nicht, vielmehr: nur als Fotos, schwarzweiß, später immer seltener, nur noch die Tassen, mit dem Alkohol; fast jedes Erzählstück endet mit einem freundlichen gegenseitigen «Prost» (oft über Bildern, die weiß Gott nicht dazu passen). Kurz und gut: Man betrinkt sich, wie man das in Hong Sang-soo-Filmen und auch in den in RIGHT NOW, WRONG THEN erzählten Episoden ausgiebig eben tut.

Bilder, bewegte Kinobilder (wieder digital) sieht man nur vom erzählten Geschehen. Die beiden Erzähler wechseln sich ab, die Erzählstränge des Films auch, der das Erzählte verbildlicht. Es zeigt sich dabei aber ein verzwicktes medienontologisches Problem: Wie verhalten sich die Worte, die wir uns vorstellen müssen (denn die Bilder lösen die Worte aus dem Off regelmäßig ab; ebenso regelmäßig kehren die Worte gegen Ende jeden Abschnitts wieder), wie verhalten sich also die Worte der Erzählung zu den Bildern? Eine Ekphrasis-Frage, die von HA HA HA unausdrücklich, und umso nachdrücklicher gestellt wird.

Sollen wir denken, dass das notgedrungen ins Detail gehende Bild (die «ganze» Wirklichkeit ist immer vollständig da) eine eins-zu-eins-Entsprechung der Worte ist, die Satz für Satz immer nur Explizites mit seiner Implikations- und Konnotationsumgebung präsentieren? Bilder sind viel expliziter als noch die genaueste textuelle Beschreibung, auf die es hier gar nicht ankommt – und das wird mehrfach auf sinnverwirrende Weise zum Rätsel: Einmal etwa erzählt der eine der beiden von einem Traum, in dem er einem historischen Kriegshelden begegnet. Nur an einen Satz aus dem Traum erinnert er sich noch (sagt er), dabei haben wir in der Bebilderung dieses Traums den ganzen Dialog mit vielen weiteren Sätzen (von denen manche an ganz anderer Stelle dann wieder auftauchen) gesehen. Später wird sehr konkret eine Adresse mehrfach genannt, die den Erzählern eigentlich auf die Sprünge helfen müsste: Wenn, ja, wenn sie tatsächlich wüssten, was sie erzählen. Man kann nur schließen: Sie tun es nicht. Der Film zeigt, sich von den Worten seiner Off-Erzähler zum Bild hin lösend, Dinge, die diese nicht wissen. Die Bilder des Films enthalten – Medienontologie psychoanalytisch gefasst – das Unbewusste der Worte in einer Fülle faktischer Konkretion, die dem Wissen der Erzähler verwehrt bleibt.

Daraus folgt: HA HA HA ist ein Film über nichts so sehr wie jenes Wissensgefälle, das den Namen «dramatische Ironie» trägt und die partielle Blindheit von Handelnden benennt, die über die Zusammenhänge, in denen sie tun, was sie tun, nicht im Bild sind. In gewisser Weise geht es darum bei Hong auf der Handlungsebene immer, diesmal aber (auch; und wieder) in der und als Struktur eines Films. Das Ekphrasis-Problem ist nämlich nur der eine Teil. Der andere ist: eine Boulevardkomödie. Was passt, denn «dramatische Ironie» ist die Tragödie der Ahnungslosigkeit, die man am wirkungsvollsten als schlechten Witz spielt. Dazu bedarf es einer Bühne mit wenigen, regelmäßig wiederkehrenden Schauplätzen und es bedarf (im Theater) der Türen, die das Spiel von Begegnung und Verpassen regulieren.

An beidem, der Überschaubarkeit wie den Türen, mangelt es nicht. Ort der Handlung: eine Kleinstadt in der südkoreanischen Provinz. Hier versammelt Hong seine sehr typischen Hongfiguren. Drei erbärmliche Männer und drei Frauen, die teils (eine von ihnen) an einen der Männer fest attachiert, zum anderen, größeren Teil aber Verschiebefiguren sind. Wie stets bei Hong kommen bei diesem Wechselspiel die Frauen sehr viel besser weg als die Männer, die nicht passioniert sind, sondern passiv und dabei unter- und, je mehr Alkohohl im Spiel ist, desto oberschwelliger aggressiv sind. (Eine Möglichkeit, das Drama der Hong-Männer zu fassen: Eine Passivität, die sich zur Passion niemals aufschwingt, sich aber sehr gern in Worten damit verwechselt.) Alles ist in HA HA HA geboten: ein ständig Psychopharmaka schluckender Depressiver, ein Dichter, der zuschlägt, ein Filmregisseur ohne Film, der nicht-handelnd handelt, dazu die Frauen, die (mehr, minder) gefangen bleiben in den Zusammenhängen, in denen die beiden Männer im Off von ihnen erzählen. Das ist im Detail kompliziert, in der Summe trostlos und immer wieder so böse wie lustig.

Der eigentliche Clou: Die Erzählungen der Männer überkreuzen sich, ohne dass die beiden das merken. Eine Komödie der ständigen Verfehlungen (in des Wortes Doppelsinn), die ihren Reiz eben dadurch gewinnt, dass nur einer diese Verfehlungen wirklich wahrnimmt, sieht und goutiert: der Betrachter. Ahnungslos bleiben die Männer aus dem und im Off wie im On, während sie an immer denselben Orten speisen, verkehren, trinken, sich und die anderen quälen und an sich und den anderen leiden. In den Dialogen wie gehabt Liebesschwüre, die nichts gelten, Vorschläge, an die der Vorschlagende selbst nicht glaubt, Bewegungen vor, zurück und im Kreis. Und virtuoser vielleicht noch als in früheren Filmen schiebt Hong Sätze und Dinge, Pflanzen und Worte (Pflanzen wie Worte), Hunde und Gedichte, Mütter und militärische Denominationen von einer Seite auf die andere, hin und her und auch im Kreis. Zwischen den beiden Erzählungen nichts als Spiegeltüren, durch die die Figuren in Unkenntnis ihrer genauen Verortung verkehren, in denen sich Muster teils sehr verzerrt, teils zur Wiederkennbarkeit entstellt, brechen, so lange bis die scheinbar getrennten Erzählungen sich zu einem Zusammenhang fügen, in dem alles es selbst und zugleich etwas anderes ist und spiegelt, in dem um sich ständig verschiebende Achsen wiederkehrende Orte, Gestalten, Motive gekippt werden.

Und nur zum Schein stehen die beiden Erzähler (bewegtbildlos, Stimme, Schwarz-Weiß-Foto, Off, Prost-Prost) daneben, dahinter oder darüber. In Wahrheit sind sie von Anfang an mitten im Wirbel der Verfehlungen und Verwirrungen, die sie erzählend anrichten, von denen sie zuverlässig weniger wissen als wir, die wir ihnen dabei folgen. Hong hintertreibt ihre scheinbar mächtige Position als Erzähler, indem er einerseits ins Bild Dinge fügt, die sie nicht wissen. Und zum anderen führt er sie eben vor als die sich besaufenden Deppen, die sie sind. Ins Schwarzbild des Schlusses hinein hören wir ihr Lachen. Es ist ihnen nicht vergangen, aber das HA HA HA des Titels ist nicht das ihre, sondern das unsere: Sie haben wirklich nichts kapiert. Hinter dem Rücken der beiden Helden fügt sich dieser überaus vertrackte Film so zum Porträt jener besonderen Erbärmlichkeit, die darin liegt, dass einer sich für schlauer hält als er ist. Treffen sich zwei Männer: ein Witz.

(Cargo, Blog zur Viennale 2010)

 

OKI'S MOVIE (2010)

Hong Sang-soos zweiter Film des Jahrgangs 2010, ist seine bislang wohl kühnste Experimentalanordnung. Ein Film aus vier Filmen, deren Verhältnis zueinander in Frage steht. In einer Serie von Verschiebungen folgen wir einem Trio in wechselnder Konfiguration durch das Grenzgebiet von Fiktion und Metafiktion. Diese drei: Song als Filmprofessor, Jingu und Oki als Studenten. Jeder der vier Filme hat Vorspann und Abspann in verwischt-verwackelter weißer Schrift auf blauem Grund. Dazwischen sorgt das Pathos von Edward Elgars Pomp and Circumstance durch Fallhöhe zum Gezeigten für tendenziell komischen Kontrast. Schärfer als zuletzt, auch als in HA HA HA sind die Töne – Peinlichkeit und Verletzung in Reihe, zum Beispiel im ersten Film: eine junge Frau (Oki) stellt den Regisseur (Jingu) nach der Vorführung seines Kurzfilms wegen seines schäbigen Verhaltens bei einer Liebesgeschichte (nicht Okis, sondern einer Freundin) vor Jahren zur Rede. Das Metafiktionale nimmt den Bösartigkeiten nichts von ihrer Härte. Ohnehin sollte man eher von Parafiktionalität sprechen: Es gibt keine Hierarchie und keine stabilisierbare Beziehung zwischen Realem und Fiktion, die vier Filme nebeneinander ergeben weder ein geschlossenes Bild noch verständigen sie sich in eindeutiger Weise über das Verhältnis, in das sie untereinander treten. Höchstens könnte man sagen: Oki hat das letzte Wort, denn ihr Film steht – gesamtfilmtitelgebend noch dazu – am Schluss. Und er schließt, so schließend, das Meta dann doch noch in sich, als noch einmal statusunklare Selbstaussage des Films: «Ein Spiel der Ähnlichkeiten und Differenzen», sagt als Voiceoverstimme Oki am Ende ihres – nicht Hongs (oder doch) – Films OKI’S MOVIE, «das ich selbst nicht durchschaue». Für die spielerische Verschiebung von Sätzen und Dingen, die HA HA HA so stark prägt, ist kaum die Zeit (für eine Milchtüte dann aber doch), es muss reichen, dass die Figuren zu Wiedergängern ihrer selbst (ohne Original) werden. Vom Alkohol oder Schneesturm gelöste Zungen sprechen dabei weit und tief Reichendes ohne Umschweife aus. Ein Oktopus wird in den Schnee gekotzt und zuckt noch. So offen enigmatisch wie dieser war kaum einer von Hongs bisherigen Filmen. Die Offenheit verdankt sich den strengen Formen des Spiels, das zwischen Identität und Differenz bleibt. In frühromantischer Weise spiegelt sich das im Hin und Her von vier ähnlichen Bildern ins Unendliche fort. Tiefer hineingelegt als in diesen war die Mise-en-abyme von Hongs Verfahren noch in keinen anderen Film. Ich kann kaum erwarten, was in der spannendsten Versuchsreihe des aktuellen Weltkinos als nächstes passiert.

(erschienen in cargo, Blog zur Viennale 2010)

 

THE DAY HE ARRIVES (2011)

Der Titel nennt bereits ein wiederkehrendes Motiv in den Filmen von Hong Sang-soo: Ein Mann kommt irgendwo an. Der Mann ist erneut ein Filmregisseur. Der Ort seiner Ankunft ist ein Vorort von Seoul. Er möchte jemanden treffen und macht stattdessen eine Zukunftsbegegnung auf der Straße. Zentraler Handlungsort ist ein Lokal, in dem sich auf merkwürdige Weise dieselben Abläufe mehrmals, aber auf leicht verschobene Weise ereignen. Der Protagonist Sungjoon scheint gefangen in einer Wiederholungsschleife. Im Film selbst, wieder einmal schwarz-weiß übrigens, wird in einem der vielen Gespräche eine Theorie der Zufallsbegegnung entwickelt. Sie ist nicht der Schlüssel zum Film, denn um das Aufschließen geht es in diesem Werk nicht.

 

IN ANOTHER COUNTRY (2012)

Erste Verschiebung: Eine junge Frau und ihre Mutter auf einem Balkon im Städtchen Mohang. Sie sind auf der Flucht, weil die Mutter für ihren Schwager gebürgt hat. Der ist nun viel Geld schuldig, das die Mutter nicht hat. Die Tochter ist wohl Filmregisseurin. Sie setzt sich hin und notiert sich eine Geschichte, die erst die ihrer Mutter sein soll. Es wird eine andere Geschichte daraus. Die einer französischen Regisseurin, die das koreanische Städtchen Mohang besucht. Könnte so ungefähr Claire Denis sein, wird aber von Isabelle Huppert in Jeans und blauer Bluse gespielt.

Die Figuren des Spiels, erste Runde: Die Regisseurin und ein junges Paar. Den Mann kennt sie, aus Berlin. Dort kam es auf einem Spielplatz zu einem Kuss. Auf dem Balkon beim Rauchen sind sie sich einig: Der Kuss ist vergessen. Die Frau des Mannes ist hochschwanger. Man spricht englisch zu dritt (oder zu viert, eine weitere junge Frau kreuzt nicht nur diese Geschichte), ins Englische wird nicht immer treu übersetzt, die der Sprache nicht kundige Ausländerin wird ausgegrenzt, abwesend gesetzt, ist Anlass von Bösartigkeiten der Paarkonversation, die im Koreanischen verbleiben. Auf der Straße zum Strand geht man rechts oder links. Dreimal wird Isabelle Huppert an der Gabelung stehen. Hier geht sie nach rechts, die Tasche über der Schulter, den Schirm in der Hand. Der Schirm überhaupt: keine Figur im engeren Sinn, aber doch ein Objekt, das durch die Geschichten wandert. In der dritten Geschichte wird Huppert den Film da hervorholen, wo sie ihn in der zweiten Geschichte versteckt hat. Der Schirm ist nicht das einzige Objekt. Gleich zu Beginn: eine zerbrochene Soju-Flasche am Strand. Soju wird – generisches Hongfilmsignal – sehr viel getrunken. Am Ende schließt sich mit der Flasche (fast) ein Kreis, Isabelle Huppert wirft eine Flasche auf den Strand. Bleibt nur die Lücke: Zerbrochen ist sie an dieser späteren Stelle noch nicht. Weitere zentrale Objekte/Figuren: der Lifeguard, der Leuchtturm. Letzteren wird die Huppertfigur immerzu suchen, ein McGuffin der Komödienstruktur dieses Films. Und nach dem Leuchtturm fragen wird sie den Lifeguard, der attraktiv muskulös aus dem Meer steigt und mit dem wiederum ein Zelt assoziiert ist, vor dem Klohäuschen über dem Strand. Hier, später nicht mehr, improvisiert er ihr ein englisches Lied. Darin kommen sie und ihr vor und der Leuchtturm: Geschichte in der Geschichte. Leuchtturm, Lifeguard, Zelt: Weitere Spielsteine.

Zweite Runde: Isabelle als französische Frau eines koreanischen Unternehmers, die in Mohang ein Rendezvous mit ihrem koreanischen Liebhaber Soo, einem Filmregisseur plant. Rotes Kleid. Das junge Paar aus der ersten Runde setzt hier aus, kehrt in der dritten Runde jedoch wieder. Zunächst schwer zu entziffern, was hier wirklich passiert. Soo verspätet sich, hat noch in Seoul zu tun. Zweimal kommt er doch früher an, Überraschung, aber das ist nicht mehr als ein Traum, eine Fantasie. Einmal am Meer, Huppert im roten Kleid mit dem Rücken zur Kamera, weiter hinten im Bild etwas, das der Leuchtturm sein könnte, klein, weiß, grünes Licht auf einer Plattform. Auf dem Weg zum Meer ging sie diesmal an der Straßengabelung links. (Accessoire: Schirm.) Singuläre Abweichung: Sie bleibt zuvor am Straßenrand stehen, macht wiehernde Geräusche nach links, ziemlich laut. Kameraschwenk: Da stehen halb verdeckt zwei Ziegen. Das zweite Mal träumt die Frau die Ankunft des Liebhabers, dabei schläft sie im Apartment im Bett. Das dritte Mal kommt er tatsächlich. Sie gehen zum Strand, die sich gabelnde Straße wird per Schnitt-Elision ausgelassen, an der Straßengabelung steht Huppert in allen drei Runden immer allein; in Runde eins und Runde drei war sie in der Einstellung zuvor noch mit einer anderen Person unterwegs. Jetzt weiter: Klohäuschen, Zelt, Lifeguard, in dieser Reihenfolge. Am Strand entsteigt der Lifeguard dann den Fluten, Soo geht voraus, Huppert flirtet, später Soos Eifersucht über Soju im Restaurant. Sie kehrt zum Zelt zurück, dort holt der Lifeguard eine kleine Laterne hervor, orange wie sein T-Shirt: Alberne Scherze, das ist der Leuchtturm. Doppelte Verschiebung: Objekt klein l, selbstverständlich auch phallisch. Es passiert aber nichts: Kein Lied und kein Sex. (Zum Sex mehr in Runde drei.) Aber Liebesbrief, mit dem der Lifeguard so seine Schwierigkeiten hat. Coup de foudre, dann das: Man versteht sich zu schnell oder zu langsam, zu sehr oder zu wenig, jedenfalls meist nicht richtig. Das ist intrakulturell bei Hong ja nicht anders, hier aber wird es sehr schnell sehr komisch. Schlussbild: Huppert am Meer. Soo kommt dazu. Sie küsst ihn leidenschaftlich, dann ohrfeigt sie ihn. Zweimal. Für jedes Mal, denkt man, das sie seine Ankunft nur träumte.

Dritte Runde: Huppert im gemusterten Kleid, als Frau, die ihr Mann einer Jüngeren wegen verließ. Sie leidet, sie reist mit einer koreanischen Freundin, die von der Mutter aus der Rahmenerzählung gespielt wird, nach Mohang. (Rahmenerzählung, na ja: Dieser Rahmen wird niemals geschlossen, bzw. die Schließung ist in die drei Geschichten verschoben.) Das junge Paar mit der hochschwangeren Frau ist zurück. Zusatzfigur: buddhistischer Mönch, der eine schöne Art hat, das Begehren Hupperts nach Antwort, nach Lehrsatz und Sinn ad absurdum zu treiben. Zen-Klischee, das sich über seine Klischeehaftigkeit sehr amüsiert. Straßengabelung: diesmal wieder rechts. Accessoire: Handtasche, nicht Schirm. In der Handtasche: Soju-Flaschen. Die holt sie heraus, trinkt. Erst auf der Anhöhe, auf einem Stein. Dann am Strand, wo sie die Flasche wegwirft, die dabei aber nicht zerbricht. (Vgl. Runde eins, teilweise Rückwärtsschließung.) Der Lifeguard kommt aus den Wellen, man flirtet. Dann Klohäuschen, Zelt. Sie neben ihm, fraglos hatten sie Sex. Er singt ihr kein Lied, dafür schnarcht er. (Man kann nicht alles haben.) Huppert auf der Straße, es regnet, Handtasche über der Schulter, sie holt den Schirm. Rücken zur Kamera, eine Einstellung, die immer wiederkehrt, das ist das Schlussbild, auf der Tonspur das Klaviermotiv, das den Film zäsuriert.

IN ANOTHER COUNTRY ist fast reine Form, nämlich Spiel. Die Fremde/Starschaupielerin aus Frankreich wird durch vertraute Hong-Motive geführt. Es ergeben sich in den Wiederholungen und Abweichungen Regeln, nur dass sie willkürlich sind. Oder besser: In der Wiederholung verfestigt sich was, ohne dass man aber mit dem, was daran regelhaft scheint, das Spiel unbedingt fortspinnen könnte. Eher nur scheinbar eine Metastruktur gibt der Rahmen, der Beginn mit der Tochter, die die Verschuldungsgeschichte in die drei folgenden Erzählungen verschiebt. Denn erstens erfährt man nie, was mit den beiden, Mutter und Tochter, weiter passiert. Und zweitens öffnet sich noch der Beginn vor dem Beginn auf eine nullte Verschiebung: Hong Sang-soo, der sich als Autor in die junge Filmregisseurin transformiert. So können von Anfang an auch die inzwischen vertrauten Hong-Figuren und Hong-Motive und auch die Hong-Formen (der Zoom, der Musikeinsatz etc. pp. als Korrelative der Form zu den Objekten) zirkulieren. Alles immer schon Wiederkehr, Verschiebung, Regel, die die Regel angibt, die sich freilich niemals verfestigt. Zugleich ist alles hier up in the air wie selten zuvor, stete flinke Bewegung, Hütchenspiel ohne Hütchen, mehr denn je Meta-Hong, angespielt werden die üblichen Hong-Neurosen, aber das wird immer gleich weitergespielt, selten auch hat Huppert so gelöst und locker gespielt, amüsierte Beobachterin und Spielfigur gleichermaßen, in Situationen, die öfter als nicht zum Schreien komisch geraten. 

 

Nobody’s Daughter Haewon (2013)

Gleich zu Beginn begegnet Haewon, Schauspiel-Studentin, einfach so Jane Birkin auf der Straße in Seoul und versichert ihr, sie sei ein riesiger Fan ihrer Tochter. Ein weiteres Mal taucht Birkin im Film aber nicht auf. Gleich darauf ist sie, Haewon, mit ihrer Mutter unterwegs, die nach Kanada auswandern wird; es scheint ein distanziertes Verhältnis. Darauf, immer im selben Viertel, Begegnung mit einem Film-Regisseur und -Professor, mit dem sie ein Verhältnis hat, on and off. Später telefoniert ein anderer Professor womöglich mit Martin Scorsese. Neben den wiederkehrenden Professoren wird wiederkehrend eine Zigarette mit Nachdruck ausgetreten. Haewon, das Zentrum des Films, ist bei alledem eher undurchsichtige Projektionsfläche als nachvollziehbar agierendes Subjekt.

 

Our Sunhi (2013)

Fast etwas wie ein freies Remake von Nobody’s Daughter Haewon, oder ein Gegenentwurf mit Variationen. Wieder trägt der Film die Protagonistin im Titel, wieder geht es um eine junge Frau, Sunhi, die es mit Film-Professoren zu tun hat, die mit ihr geschlafen haben oder es gerne täten. Immerzu wird die Sunhi-Figur von den Männern bequatscht und vor allem beschrieben, mit widersprüchlichen Adjektiven beklebt: Ist sie nun zurückhaltend oder tapfer, zögerlich oder ambitioniert? Einer der Professoren stellt seine Beurteilung vom einen Empfehlungsschreiben zum nächsten komplett auf den Kopf. Die eine Wahrheit hat der Film nicht zu bieten, nur drei Männer am Ende im Park und manche schmerzlich komische Szene.

 

Hill of Freedom (2014)

«Hill of Freedom» ist hier nur der Name eines Cafés, im hübschen Seouler Stadtviertel Bukchon. Hier spielt sich alles ab, mit viel Sitzen, Trinken und Lesen. Der Film erzählt eine Liebesgeschichte im Flashback, und zwar, schöne formale Pointe, zerfleddert in ein in chronologische Unordnung geratenes Briefkonvolut. Hier liest nun, nachträglich, die Sprachlehrerin Kwon, was ihr Mori schreibt, der Japaner, mit dem sie eine Affäre hatte, den sie aber nicht heiraten wollte und der zwei Jahre später nach Korea zurückgekehrt ist für einen neuen Liebesversuch. Nur eine gute Stunde lang ist der Film, wir sehen, was sie liest, vor, zurück, durcheinander, eine Queste als Geschichte sich selbst einholender Nachträglichkeit. 

 

RIGHT NOW, WRONG THEN (2015)

Eigentlich, wie immer bei Hong Sang-soo, eine einfache Geschichte: Mann trifft Frau oder Boy Meets Girl, ein Poster zu Leos Carax' Film hängt in einem Café, in dem eine wichtige Szene spielt, an der Wand. Der Mann, Ham Cheon-soo (Jung Jae-young): ein nicht mehr ganz junger Arthouse-Regisseur, durchaus erfolgreich, man hat ihn eingeladen für ein Gespräch an der Universität zu einer ihm gewidmeten Retrospektive. Der Ort ist Suwon, eine Millionenstadt fünfzig Kilometer südlich von Seoul. In der «Halle des Segens» der Festung, die die Hauptsehenswürdigkeit ist, begegnet er einer Frau. Die Frau, Hee-jeong (Kim Min-hee): jünger als er, sie versucht sich als Malerin, hat als Model gearbeitet. Sie verbringen den Tag miteinander, nicht aber die Nacht. Sie gehen essen, sie trinken, wie immer bei Hong Sang-soo viel – viel zuviel – vom Branntwein Soju, es entsteht eine Nähe zwischen ihnen und eine Spannung, er will etwas, sie will etwas, aber was sie voneinander wollen, synchronisiert sich an diesem Tag, in dieser Nacht nicht so ganz.

Wie immer bei Hong ist das nicht die ganze Geschichte. Es gibt einen Coup, der auf einer anderen Ebene liegt, in der Struktur. Die Geschichte wird nämlich zweimal erzählt, RIGHT NOW, WRONG THEN enthält oder ist ein Remake seiner selbst. Der Film zerfällt oder fügt sich in zwei Teile. Sie sind «Right Now, Wrong Then» und «Right Then, Wrong Now» überschrieben. Die Geschichte ist dieselbe und sie ist es nicht. Beides wiederum auf sehr unterschiedlichen Ebenen: solchen der Form (von Kader, Kamerabewegung, Einstellung, Schnitt) und solchen den Gesten, den Sätzen, des Verhaltens, des Tons. Die Unterschiede zwischen den beiden Versionen sind einerseits solche, die man schnell ausmachen kann, und andere, die liegen eher in der Nuance, im Blick, im Verzicht auf einen Blick, im zu schnell oder zu langsam oder gar nicht Gesagten. All das im Grenzraum zwischen Kennenlernen und Sich-Verlieben zweier Fremder, einer sich einstellenden Nähe, der viel und dann weniger und dann wieder mehr Ferne beigemischt ist.

Herausvergrößern lässt sich ein in beiden Versionen je gut zehnminütiges Kernstück, eine Szene, die in jeweils einer einzigen Einstellung gedreht ist. Eine Szene, wie sie sich oft finden bei Hong. Zwei Menschen an einem Tisch in einem Restaurant am Café. Hongs Trademark, oder eher etwas wie ein nicht mehr weiter spaltbares Grundelement seiner Arbeit. Auf diese jedes Mal ähnliche und jedes Mal andere Szene fallen seine Filme zurück, hier arbeiten sie die Beziehungen zwischen den Figuren heraus, hier offenbaren sich die Personen, und in erster Linie die Männer, als die, die sie sind, oder als die, die sie nicht sind, zerfallen in Bündel aus zuckenden, nackten Trieben, werden verletzend, selbstzerstörerisch, von Hemmung befreit, ihrer sozialen Umgangsformen entkleidet – so wie Regisseur Ham ganz buchstäblich, der sich, eine Szene später, und nur in der zweiten Version der(nicht)selben Geschichte, ohne Anlass vor zwei entsetzten Frauen (Hee-jeong ist nicht dabei) einfach nackt auszieht. Das macht bei Hong aus Männern der Suff. Die Frauen werden ihm verzeihen. Sie sind bei Hong oft zu gut.

Häufig – wie hier – bleibt die Kamera in den Café- und Restaurantszenen komplett statisch. Alle Bewegung liegt in den Figuren im Bild. Und es ist keineswegs so, dass die Stabilität des Rahmens für Stabilität im Inneren bürgt. Der Alkohol löst vielmehr fast alles von innen her auf. (Andererseits: Was passierte, gäbe es nicht den festen Rahmen des Kaders, möchte man doch lieber nicht wissen.) Hier ist es so: Die beiden haben beschlossen, nicht auseinanderzugehen. Sie waren in ihrem Atelier und haben über das Bild, an dem sie gerade arbeitet, gesprochen. In der ersten Version lobt Chum ihre Offenheit, die experimentelle Unklarheit ihres künstlerischen Wegs, in der zweiten kritisiert er ganz im Gegensatz ihre Konventionalität; in der ersten Version wird ihm in einer späteren Szene eine andere Frau vorhalten, dass er mit denselben Worten, mit denen er Heejung lobt, auch über seine eigene Arbeit spricht. Es ist, als reagierte er in der zweiten Version auf diesen Vorwurf, indem er sein Urteil umkehrt. Aber das ist eine offene Frage, ob man das sagen kann, dass der Film mit der zweiten auf die erste Version reagiert. Man operiert mit dieser Frage am offenen Herzen des Narrations- und Fiktionscharakters von Hongs Filmen. De facto ist es schon so: Beim Dreh hat Hong von seinen großartigen Darstellern für die zweite Version mit ihrem Wissen um die erste gespielt und gerechnet.

(In der ersten Version sehen wir das Bild, das Hee-jeong malt, in der zweiten Version nicht. In der ersten Version gibt es eine lange, inhaltlich banale Dialogszene, in der die Kamera die ganze Zeit auf Hee-jeong verharrt und ihn sieht man nicht. In der zweiten Version entfällt diese Szene, aber die Remake-Struktur fügt etwas Entscheidends hinzu: unser Wissen um dieses Entfallen.)

Dies ist Hongs 17. Langfilm. Es ähnelt sich vieles vom einen zum andern, und im Detail vieles auch nicht. Aber es scheint mir, als seien die Filme immer stärker und immer eigensinniger rhythmisiert. Rhythmen, die alles andere als klassisch harmonisch, sondern ganz eigentümlich arrythmisch sind: schnell, langsam; fließend, stehend; Zooms, Schwenks, Statik. Markierung eines Übergangs – oder eben des Ausfalls eines solchen – durch Schwenk in die Krone eines Baums. Und der starren Einstellung steht eine andere, ebenso typische gegenüber. So abwesend wie im einen Typus jeder äußere Eingriff ins Bild, in die Szene, in die Erzählung scheint – und so abwesend in einem emphatischeren Sinn sogar jede Erzählung –, so verstörend ist der andere Fall, nämlich wenn die Kamera in der Einstellung zwischen den Sprechenden schwenkt und ins Bild hinein zoomt. Mag der Schwenk als Alternative zu Schuss/Gegenschuss noch einigermaßen konventionell sein, der Zoom ist es nicht. Jedenfalls nicht so, wie Hong ihn regelmäßig einsetzt: als Verengung des Bildraums, kein Reißzoom, aber doch schnell, ruckartig, spürbar, nie gleitend. Etwas Körperliches geradezu, wie ein Mensch, dem mitten im Gespräch eine heftige, fuchtelnde Geste entfährt.

Von diesem Entfahren ist etwas in Hongs Zooms, zugleich wirken sie, gerade als regelmäßig wiederkehrendes Mittel, auch kontrolliert. Einer der Widersprüche, die Hongs Kino antreiben, das, wie beschrieben, einfach zugleich und komplex ist, spielerisch und streng, ein Kino der nie reinen Form, das sich auch als Kino beschreiben lässt, das nichts als Beziehungsgeschichten erzählt, kontrolliert und spontan, zwanghaft und frei, abstrakt und konkret, obsessiv sich wiederholend und genauso obsessiv auf der ständigen Suche nach der Variation.

Mehr als eins und mehr als einer sind Hongs Filme so gut wie immer. In OKI'S MOVIE sind gleich vier Filme hintereinander erzählt, ineinander verschränkt. Figuren kehren darin wieder, man weiß nur nicht: Sind sie dieselben? In The Day he Arrives geraten die Motive ins Gleiten, ist derselbe Ort nicht derselbe Ort, sind dieselben Personen nicht dieselben Personen, ist die eine Geschichte, die erzählt wird, in sich verschoben. HA HA HA lässt zwei Männer je eine Geschichte erzählen, von der die beiden nie begreifen – und man versteht es auch als Zuschauer erst nach und nach –, dass sie sich in zentralen Punkten berühren. TALE OF CINEMA, der Film, mit dem Hong ganz zu sich fand, schiebt einen Film-im-Film in den Film, ohne dass die Differenz zunächst oder überhaupt klar markiert würde. In Wiederholungen und Verschiebungen dringt so immer die Form ein in das, was erzählt wird. Aber «eindringen» ist schon falsch: Form kommt nicht von außen, sondern das, was als ganzer Film zu sehen sein wird, setzt sich immer schon zusammen aus Fragmenten, Splittern, spiegelnden, halb zerbrochenen, nicht für sich stehenden, sondern stets auf anderes verweisenden Elementen.

Was eine Geschichte, was ein Narrativ, was eine psychologisch plausible Figur ist, steht so auf dem Spiel. Szene für Szene, in den Szenen selbst, Fortsetzung ist potenziell Auflösung, was sich halb aufgelöst hat, kann sich aber auch wieder zusammenfügen. Hongs Filme sind nicht nur TALES OF CINEMA, sondern immer auch Allegorien des Erzählens, weil sie die Gefährdungen des Zusammenhalts der Erzählung vorführen. Narrative sind der Kontingenz abgerungen, denn es könnte ja jederzeit irgendetwas passieren, Figuren fallen aus der Rolle, verhalten sich so seltsam, dass man ihre Motive nicht mehr versteht, dass man sich fragt, ob dies oder das nicht «out of character» ist. Aber um genau diesen Punkt geht es dann auch, die Außengrenze des «character» und die stete Gefahr, sie zu überschreiten. Psychologisch gesprochen ist diese Gefährdung Schizophrenie, schwindender Boden unter den Füßen, unvermitteltes Kippen vom Alltäglichsten in Bizarres, Verlust des Halts. Und dies tut, man muss es betonen, die Form den Figuren an. Hongs Filme sind nicht psychologisches Kino, schon gar nicht psychologisierendes, sie glauben nicht daran, dass etwas eine Person verlässlich zusammenhält, sondern sie zeigen die Fliehkräfte, die auf uns alle wirken, aber sie zeigen sie so, dass sie auch auf den Film selbst, unsere Wahrnehmung, die Narration, den Übergang von einem Bild zum nächsten einwirken.

Und doch schreitet Hong gegen diese Drohung des Zerfalls immer ein, auf beiden Ebenen, der der Form und der der Figurenpsychologie - nur dass man beide bei ihm eben nie auseinanderdividieren kann, sie sind eins, oder zwei-als-eins. Auf der Formebene wäre dieser Zerfall der Zerfall oder der Übergang eines narrativen, figurativen Kinos in den Experimentalfilm, der den Übergang von einer Einstellung zur anderen nicht narrativ oder psychologisch plausibilisieren muss. Hong treibt seine Geschichten durchaus immer wieder auf den Punkt zu, an dem der Zusammenhalt schwindet – und fängt den Fall und den Zerfall dann ab, hält auf, reißt seine Figuren und seine Geschichte von dem Abgrund, über dem sie schweben, wieder zurück. Seine Filme sind ein wenig, oder ein wenig mehr als ein wenig, verrückt. Seine Figuren, die Männer jedenfalls, haben oft genug einen an der Waffel, sind verletzlich, verletzend, erbärmlich, bösartig, verloren; sie entblößen sich oder werden entblößt. Und doch bleibt in letzter Instanz alles im weitesten Sinn im Rahmen. Oder es fällt heraus und wieder zurück. Der Suff oder ihre Besoffenheit von sich selbst löst den einen oder anderen Mann, so auch den Regisseur Ham in RIGHT NOW, WRONG THEN, schon mal auf. Der Kader, der ruht, hält ihn, und sei es provisorisch, in letzter Instanz dann doch wieder fest.

(erschienen in Kolik Film Frühjahr 2016)

 

Yourself and Yours (2016)

In Luis Bunuels Dieses obskure Objekt der Begierde, auf den Hong hier eher obskur als transparent Bezug nimmt, wird die weibliche Hauptfigur von zwei verschiedenen Darstellerinnen gespielt. Hier dagegen leugnet die Protagonistin Minjung (immer: Yoo-young Lee) mehreren Männern gegenüber die eigene Identität. Eine Kette der Begegnungen, die nicht nur diese Männer, sondern auch den Betrachter schwer irritieren. Aufgelöst wird das Rätsel - dem hier keine formalen Experimente entsprechen - in einer Art «Komödie der Wiederverheiratung» (Stanley Cavell), die für den Sprung ins Vergeben und Vergessen als ganz neuen Anfang plädiert. Ob das alles ernst gemeint sein kann, bleibt die am Ende offene Frage.

 

On the Beach at Night Alone (2017)

Sie will das Leben leben, das ihr gemäß ist, ein Leben, wie sie es sich vorstellt. Das wünscht sich Younghee (Kim Min-hee) und sinkt in Gebetshaltung auf die Knie vor einer Brücke in einem Hamburger Park. Oder jedenfalls erklärt sie das so ihrer älteren Freundin, als die fragt, was Younghee mit dem Kniefall bezweckt hat. Sie sitzen da auf einer Bank im Park. Das Gespräch kreist um den Mann, den Younghee in Korea verließ, den Mann mit dem Kind, der ihr nun nachzureisen angekündigt hat. Es ist Winter. Sie liebt ihn noch, sagt sie, aber wenn das Zusammenleben zu hart ist, sagt sie auch, dann hat die Partnerschaft keinen Sinn.

Dies geschieht im ersten, kürzeren von zwei Teilen, aus denen Hong Sang-soos On the beach at night alone besteht. Viel ist Younghee da in Hamburg im Park unterwegs. Ein krebskranker Buchhändler spielt sehr schön Klavier. Sie kocht und isst mit Freunden, dann gehen sie am Elbufer spazieren, damit endet Teil eins. Genauer gesagt endet er damit, dass ein unbekannter Mann sich Younghee über die Schulter gepackt hat und davonschleppt. Ganz genau gesagt sieht man das zunächst nicht. Die Freunde gehen nach rechts davon, die Kamera schwenkt nach links. Wo Younghee eben noch war, ist sie nicht mehr, nur das Ufer der Elbe. Die Kamera schwenkt weiter nach links, da wird Younghee verschleppt. Erklärt wird das nicht.

Im zweiten Teil ist Younghee zurück in Korea, nicht in Seoul, wo sie lebt, sondern in Gangneung, der Großstadt im Osten am Meer. Sie geht ins Kino, man sieht nicht den Film, nur sie, nach dem Abspann, ganz alleine im Saal. In einem Café trifft Younghee, die Schauspielerin ist, einen Mann, der sich seltsam verhält. Der friert, obwohl es nicht kalt ist, er leugnet, mit der Frau verheiratet zu sein, die das Café betreibt und ihm dann das Sortieren der Linsen aufträgt. «Alle Männer sind Idioten», sagt Younghee. Der Typ ihr gegenüber jedenfalls wäre als Beispiel dafür ein Prachtexemplar. Als sie später mit ihm und anderen Freunden zusammensitzt, alle sind schon ziemlich betrunken, küsst sie eine Frau. Dazwischen hat sie die schön weiße Blüte einer kohlartigen Pflanze mit zarten Gesten berührt.

Noch später liegt sie am Strand. Alleine, wie es der Titel, der einem Gedicht von Walt Whitman entstammt, schon angekündigt hat. Es ist aber, anders als der Titel verspricht, nicht Nacht, sondern Tag. Younghee schläft ein, sie hat einen Traum. Es tritt der Regisseur darin auf, mit dem sie eine Affäre hatte, sie sitzt mit ihm und Mitgliedern eines Filmteams zusammen, alle sind schon ziemlich betrunken, er liest eine Passage aus einem Buch, er rechtfertigt sich, die Wogen schlagen recht hoch. Sie geht eine Zigarette rauchen im Traum, dann wacht sie auf am Strand im richtigen Leben, geht auf eigenen Beinen nach links aus dem Bild. Damit ist auch der zweite Teil und der ganze Film an sein Ende gelangt. Übrigens sind immer wieder kurze Passagen aus dem Beginn des zweiten Satzes von Schuberts Streichquintett in C-Dur zu hören. Sie geben den elegischen Ton vor.

All dies geschieht. Es ist viel, es ist wenig. Reden, streiten, rumstehen, rauchen, sitzen, spazieren, ein Kniefall, essen, trinken, sich betrinken, schlafen, küssen, die Männer zu Idioten erklären, ins Café gehen, aus dem Kino kommen, eine Kohlpflanze streicheln. Ein Konflikt entwickelt sich nicht. Der Konflikt, ein Liebeskonflikt, ist vielmehr vorbei, schon am Anfang, dem Film ist es um das Erinnern und Durcharbeiten zu tun. On the beach at night alone hat außerdem einen doppelten Boden, denn Regisseur Hong Sang-soo hat, wie der Regisseur im Traum im Film, seine Frau mit einer jungen Schauspielerin betrogen, nämlich genau Kim Min-hee, der Darstellerin von Younghee. Hong hat seine Frau verlassen und lebt und dreht nun mit Kim. (Der jüngste Film ist auf der kommenden Berlinale zu sehen.) Man muss das nicht wissen, aber wenn man es weiß, sieht man, wie Partikel der Realität in den Film Eingang finden, verschoben und verdichtet, auf einer Ebene mit erfundenerem Erzählmaterial.

Etwas von Träumen haben Hongs Filme sehr oft. Die Bilder sind schlicht und klar, die Realität, Hamburg, Gangneung, ist mit Präzision und ohne jede Verfremdung in Szene gesetzt. Aber in der Logik der Zusammenhänge ist etwas aus den Fugen geraten. Dinge oder Menschen drängen ins Bild, von denen man nicht weiß, was sie da suchen. Einmal, im Café, zoomt die Kamera auf ein Fenster, aber draußen passiert nichts, es gehen nur ein paar Leute vorbei. Dann fällt der Blick auf ein sprechblasenartiges Schild, verharrt darauf, da steht, sehr verblasst, «error» zu lesen. Später ein Zoom auf ein Fenster zum Meer, aber draußen passiert nichts, auch jeder «error» bleibt aus.

Im Park in Hamburg rannte ein Mann mit Mütze auf Younghee und ihre Freundin zu, fragte nach der Uhrzeit, dann stürmte der Mann nach links aus dem Bild. In Gangneung betreten die Freunde ein Zimmer, da steht ein Mann mit Mütze auf dem Balkon und putzt frenetisch das Fenster. Es ist, als sähen sie alle diesen Mann nicht. Ob er derselbe ist, der am Ende des ersten Teils Younghee über der Schulter davontrug, derselbe, der im Park nach der Zeit fragte, ist nicht zu entscheiden. Schon die Frage ist falsch. Er ist ein Fremdkörper in der Narration, eine Probe auf die Reißfestigkeit des Erzählmaterials. Er tritt von außen hinzu, surrealisiert die Banalität der sonst sich ereignenden Dinge. 

Nichts an der Art des Erzählens deutet auf den ersten Blick auf die tiefe Abgründigkeit hin, die Hongs Filme grundsätzlich haben. Seine Kunst macht nicht viel her, sie nutzt ganz einfache Mittel. Beim zweiten Blick aber achtet man dann doch auf Absonderlichkeiten der Form. Seltsame Zooms, mal auf ein Gesicht, mal ins Leere. Eigenartige Schwenks, die, als wäre es ein nachträglicher Einfall, ein Off anwesend machen, das die Frage, warum es nun on ist, nicht schlüssig beantworten kann. Zooms und Schwenks also, bei denen schwer zu entscheiden ist, nicht nur, was sie bedeuten, sondern ob sie überhaupt etwas bedeuten - oder leere Momente des Gestischen sind. 

Und auch die Darstellerinnen und Darsteller spielen auf eine Weise, die zunächst ganz natürlich erscheint. Dabei weiß man nie, was im nächsten Moment womöglich geschieht. Über ihre Gesichter ziehen Gefühle wie rasch abwechselnd Sonne und Wolken an einem windigen Tag. Männer wie Frauen scheinen oft eher Objekte von Impulsen aus ihrem Inneren oder von außen als ihrer selbst ganz sichere und bewusste Subjekte. Oft sagen sie über die Liebe, die Männer, ihre Gefühle und das, was sie wollen, erst das eine, dann das Gegenteil, dann etwas dazwischen. Sätze, die gesprochen werden, kehren, leicht variiert, wieder. Im ersten Teil ist von Hamburg als laut Umfrage lebenswertester Stadt die Rede. Im zweiten sagt einer ungefähr dasselbe über Gangneung und Korea. 

Kaum merklich legen sich solche Echoeffekte als Strukturebene eigener Art über das scheinbar so schlichte Handlungsgeschehen und kommunizieren über die Köpfe der Figuren hinweg. Der ersten Ebene, auf der es um Zwischenmenschliches geht, nimmt das nichts. Aber beides zusammen macht den ungeheuren Reiz der Film von Hong aus. Sie schimmern und flimmern, sie sind komplex und verrückt und betrunken - aber nur für jene, die sich auf ihre vielfachen Denk-, Sprach- und Strukturbewegungen einlassen wollen.

 

Claire’s Camera (2017)

Cannes als Ort, der aussieht, wie Orte bei Hong fast immer aussehen, in Südkorea oder irgendwo auf der Welt: je ortsspezifisch begehbar, bestehbar, besitzbar. Menschen sitzen und reden, stehen und schweigen, kommen ins Gespräch, verhaken sich, trinken und trinken. Hier auf seltsam unschuldige Weise selbstreferenziell: Gleich in der ersten Einstellung hängt ein Plakat zu einem Hong-Film an der Tür. Umspielt wird Hongs Affäre mit Kim Min-hee, der Regisseur, der hier auftritt, ist ein Hong-Stand-in der wirklich widerlichen Art. Für ihn gibt es kein Pardon, man wünscht sich sehr, er würde geohrfeigt. Es sind Menschen und Medien, die hier interagieren. Das Kino natürlich, als Referenz. Das Meer, das allem offenen Hintergrund gibt. Eine Mixed-Media-Natur- und Kunst-Gewalt: Isabelle Huppert als Claire mit Hut und Entschlossenheit, eine komische Figur, die an gravitas gewinnt; ihre Polaroid-Kamera, die die Fotografierten zu anderen macht. Muss man nicht glauben, vielleicht nur ein Zünglein an der Waage, das den Beziehungen, den Intrigen, den Blicken Richtungen gibt: Ausgerenktes, das sich vielleicht hier und da wieder einrenken lässt. 

 

The Day After (2017)

Am Frühstückstisch äußert die Frau des renommierten Verlegers den Verdacht, er habe eine Affäre. Großeinstellung auf die Uhr, in nicht genau bestimmtem Abstand davor: kurz vor halb fünf in der Nacht. Er geht zur Arbeit, es ist noch dunkel draußen, es drängen sich Szenen dazwischen, die am selben Ort, aber nicht zur selben Zeit spielen. Filmkonventionell wären das Flashbacks, aber genau diese Grammatik-Konventionen unterminiert Hong sehr gezielt. Das gilt auch für den Titel, den welches «der Tag danach» sein soll, ist keineswegs klar. Klarer scheint, dass der Großteil des Film an einem Tag spielt. Im sehr kleinen, wenngleich offensichtlich renommierten Verlag erscheint eine junge Frau, Areum (Kim Min-hee), die ihren ersten Tag als Mitarbeiterin hat. Im Gespräch am Tisch, es geht um nicht weniger als den Sinn des Lebens, schwenkt die Kamera, als wäre es ein Tennisspiel, von der einen Seite zur andern. Der Verleger sagt: «Nenn mich doch Boss.» Die Frau des Verlegers kommt in den Verlag, schlägt auf Areum ein, weil sie glaubt, sie sei die Geliebte des Gatten, der sich wiederholt als Musterexempel eines in Selbstmitleid zerfließenden, entscheidungsunwilligen Mannes erweist. Aber auch die wirkliche Geliebte taucht auf, was für weitere Verwicklungen sorgt. Dann ein Schnitt, viel Zeit ist vergangen. Das Verhalten des Verlegers: ein Rätsel, das zuvor Geschehene erscheint erst ausgelöscht, dann sehr verwischt. 

 

Grass (2018)

Ein Café in Seoul, viel Platz ist nicht, draußen recht enge Gassen, Pflanzkübel davor, darin keimt etwas, aber Gras ist es nicht, dem Titel des Films zum Trotz. Viel Platz ist auch nicht im Film, ein gute Stunde lang ist er nur; und viel Farbe ist auch nicht: Er ist schwarz-weiß. Im Café ein junger Mann, eine junge Frau im Gespräch.

Erst Geplänkel. Dann kommen sie auf eine Tote zu sprechen, eine andere junge Frau, die sich umgebracht hat. Sie wirft ihm vor, er sei daran schuld. Er verwahrt sich dagegen, die Kamera fasst erst die beiden ins Bild, dann zoomt sie, zeigt abwechselnd nur die Frau, nur den Mann. Der geht nach einer Weile nach draußen, um eine Zigarette zu rauchen.

Das war’s mit den beiden, fürs Erste. Die Kamera schwenkt recht rabiat in eine andere Ecke des Cafés. Dort sitzt eine junge Frau (Kim Minhee) an ihrem Mac. Sie beobachtet, sie schreibt, sie spricht Voiceover-Text, in dem sie über die Menschen, die sie beobachtet, und über das Leben als solches nachdenkt. Alles, was weiter geschieht, könnte eine Erzählung sein, die sie schreibt. Was sich dabei entwickelt, ist ein Art Reigen von Menschen, die reden.

Ein älterer Schauspieler, der einen Selbstmordversuch hinter sich hat, wie er erzählt, versucht bei seiner Gesprächspartnerin unterzukommen. Sie wehrt das ab. Ein Drehbuch­autor mittleren Alters macht einer jungen Frau das Angebot, an einem Buch mit ihm zu schrei­ben, ein Angebot, das sie nur ablehnen kann. Zu diesem Gespräch kommt es draußen, an einem kleinen Tisch vor dem Café. Draußen wird meistens geraucht. Und drinnen läuft meistens Musik. Drinnen/draußen, Smoking/No Smoking, Leben/Tod, Schwarz/Weiß, Musik/Stille, Schwenk/Zoom. Grass sieht mal wieder sehr einfach aus, wie die Filme von Hong Sangsoo immer einfach aussehen, aber alles, was zunächst einfach erscheint, erweist sich bald als Teil von nicht so sim­plen Oppositionen, die die Dinge verkomplizieren.

Der Betreiber des Cafés wird mehrfach erwähnt, nett sei er, aber zu sehen kriegt man ihn nicht. Er sei, wird gesagt, ein Liebhaber klassischer Musik. Das ist nicht zu überhören, Musik von Schubert, Wagner, später Offenbach und Pachelbel begleitet die Gespräche zwischen Männern und Frauen. Teils ist sie so laut, dass man kaum versteht, was gesagt wird. Wenn Wagner zu den Dialogen ins ­Flirrend-Transzendente abhebt, hat das mit voller Absicht eine recht komische Wirkung.

Die Musik ist dabei weniger ein Kommentar zum Gesagten als ein Element, das sich eher gegen das Bild als mit ihm, eher gegen den Inhalt der Dialoge als in Übereinstimmung mit ihnen verselbstständigen darf. Das ist das Eigenrecht aller Elemente in dem Hong-Film: Sie sind nicht notwendig mit den anderen Elementen verbunden, oder jedenfalls nicht so, wie man es vom realistischen Erzählen im Kino her kennt.

Im Mittelteil verlässt der Film das Café. In der Gasse fotografieren sich Paare in traditionellen Kostümen. In einem Restaurant fühlt die junge Beobachterin/Erzählerin ihrem Bruder und dessen Freundin aufs Uncharmanteste auf den Zahn. In einem weiteren Gespräch geht es wieder um jemanden, der sich umgebracht hat. Hier kommen zu den Schwenks und Zooms Verlagerungen von Schärfe und Unschärfe, die das Gewicht zwischen dem Mann und der Frau mehrmals verschieben. Der Mann wirft der Frau vor, sie trage die Schuld am Selbstmord des anderen Mannes. Dann schwenkt die Kamera nach links, man sieht auf der weißen Wand den Schatten des Manns. Der Tod ist ein Schatten, der über diesem Film liegt. Und nicht schwindet. Am Ende wird man nichts mehr sehen als Leere: Räume, aus denen die Menschen getilgt sind.

Zwischendurch jedoch sieht man eine Frau allein in ihrem Haus. Sie geht vom ersten Stock eine Treppe nach unten. Sie setzt sich vor die Tür, geht wieder nach oben, hält inne, kehrt um, hält inne, kehrt um, findet Gefallen am sinnlosen Treppe-nach-oben-Innehalten-Treppe-nach-unten. Sie lacht. Es ist die Freude der Erzählung darüber, dass sich dieses unverbundene Element gegen die Regeln des Restfilms einfach so verselbstständigen darf.

 

Hotel By the River (2018)

Aus dem Fenster des Hotels am Fluss sieht der eine, der Dichter, den Hangang, eine große Fläche, Hügel auf der anderen Seite. Die zwei Frauen, deren Fenster zur Rückseite geht, sehen den Parkplatz. Der Dichter bekommt Besuch von seinen zwei Söhnen. Man trifft sich, nach Dialoghinundher, im menschenleeren Foyer. Überhaupt ist hier rein gar nichts los. Es ist Winter. Endspiel im Schnee. Der Dichter und seine Söhne haben sich seltsam verfehlt. Der Dichter schläft ein, als er erwacht, ist der Fluß, ist die Landschaft, ist alles weiß. Später ist der Schnee wieder weg, trotz der Kälte. Das Wetter ist wechselhaft, die Zeit ist es auch. Auf dem Parkplatz steht das Auto der Söhne, das früher einer der beiden Frauen gehörte. Sie stiehlt die Handschuhe, die darin liegen. Draußen im Baum eine Elster. Zwischendurch eine Katze. Der Dichter und die Söhne: Sie trinken, sie reden. Die Freundinnen: Sie liegen im Bett, sie gehen spazieren, sie reden. Die Worte sind schwer, aber ohne Gewicht. Es folgt aus ihnen, wie oft bei Hong, weiter nichts. Finale dann im ansonsten leeren Restaurant. Erst nur der Dichter im Bild, der längst vertraute öffnende Zoom setzt die Söhne zu ihm an den Tisch. Auch die Frauen kommen ins Restaurant, die Kamera schwenkt zu ihnen. Die Kamera schwenkt wieder zurück. Soju, die Zunge wird schwer. Der Dichter als Künstler, der nur an sich selbst denkt. Der in sich selbst versumpft ist, jetzt versumpft er mit den Söhnen. Einer von ihnen ist Filmregisseur. Das versteht sich, es ist ein Hong-Film, fast schon von selbst. Der Dichter trägt, gegen Ende, ein Gedicht vor. Dazu ein unscharfes Bild: Tankstelleneinsamkeit. Da sind keine Menschen. Alles ist, ach so, ja, von Anfang bis Ende schwarz-weiß. Todesahnungen im Hotel am Fluss. Sie erfüllen sich. Ich sehe und goutiere das Lyrische. Diese Sad-Sack-Künstler gehen mir aber doch auf den Geist. Ich vermisse den lässigen Witz. 

 

The Woman Who Ran (2020)

Eine junge Frau, Gamhee (Kim Min-hee), hat fünf Jahre lang keinen Tag ohne ihren Mann verbracht. Nun ist er unterwegs, sie macht Besuche bei Freundinnen, die sie lange nicht gesehen hat. Die eine ist geschieden und erzählt von einer Frau, die sich einfach verabschiedet hat. Ein Mann steht vor der Tür und hat eine Bitte. Die zweite verkehrt in einem Künstler-Café. Ein Mann steht vor der Tür, der sie nach einem One Night Stand stalkt. Und die dritte arbeitet in einem Kino und Kunsthaus und lebt mit einem Dichter, mit dem auch Gamhee einst einmal etwas hatte. Gamhee geht ins Kino, sieht einen Film und trifft auf den Dichter. In den Gesprächen der Frauen geht es um Wohnungen, um das Essen von Fleisch und auch um Männer. Hühner treten auf, eine Katze und auch ein Vogel. Der Film ist in Farbe. Es wird ungewöhnlich wenig getrunken.

 

Introduction (2021)

Ein kurzer Film, nur gut eine Stunde, schwarz-weiß, sprunghaft, in drei Kapiteln, zwei spielen in Südkorea, eins spielt in Berlin. Das dritte ist das längste der Kapitel, Schauplatz ist ein Hotel, ist ein Strand, ist das Meer. Hier besucht der junge Mann Young-ho (Seok- ho Shin) seine Mutter, die sich mit einem berühmten Schauspieler trifft, der dem Sohn einst zur Schauspielerei riet. Daraus wurde nichts. Sie sitzen am Tisch, trinken und trinken. Die Welt vor dem Fenster ist hier, und nicht nur hier, im Gegenlicht milchig. Auch nichts geworden ist aus Young-hos Beziehung mit Ju-won (Mi-so Park), der er im zweiten Kapitel nach Berlin nachgereist ist. Ihre unerwartete Wiederbegegnung hier, jetzt, am Meer ist vermutlich ein Traum. 

 

In Front of Your Face (2021)

Jeongok (Yunhee Cho), eine Frau um die fünfzig, kehrt aus den USA zurück nach Korea. Sie kommt bei ihrer Schwester unter, die beiden stellen fest, wie wenig sie voneinander wissen. Eine lange Szene auf der Terrasse eines Cafés mit Blick auf den Fluss. Eine Zufallsbegegnung unterwegs, bei der eine junge Frau Jeongok als Schauspielerin aus dem Fernsehen erkennt. Die längste Szene, wie fast immer bei Hong Sang-soo: Ein Restaurant, man isst und betrinkt sich bei Tisch. Hier sehr intim, Jeongok trifft sich mit einem Filmregisseur (Hae-hyo Kwon), der mit ihr einen Film drehen will. Sie vertraut ihm ein Geheimnis an, danach stehen sie draußen im Regen. Am nächsten Morgen ein böses Erwachen. Jeongkok lacht und lacht. Ein Film, der nur 32 Einstellungen hat.

 

The Novelist’s Film (2021)

Eine Standardsituation in Hong Sang-soos Filmen: Menschen an Tischen. Oft in diesen Filmen trinken die Menschen, betrinken sie sich, hier, früh im Film, der Tag ist noch hell, trinken sie Tee. Später, am selben Tisch, eine größere Runde, da häufen sich die Flaschen mit den alkoholischen Getränken auf dem Tisch, ein älterer Mann sitzt dabei und auf die Frage, was er so macht, sagt er nur: «Schreiben und trinken.»

Am Anfang aber sind es drei Frauen am Tisch und kein Mann. Darunter die Schriftstellerin Jun-hee (Lee Hye-hyong), die eine Schreibkrise hat und in den Vorort von Seoul gekommen ist, um eine Freundin, zu der sie den Kontakt verloren hat, zu besuchen. Auch diese Freundin war Schriftstellerin, auch sie ist in eine Krise geraten, dann hat sie die literarische Szene der Hauptstadt verlassen, betreibt nun eine Buchhandlung, in der Jun-hee sie aufsucht.

Mit am Tisch eine junge Frau, die gerade dabei ist, Gebärdensprache zu lernen. Jun-hee bittet sie, einen Beispielsatz zu übersetzen. Sie denkt kurz nach, dann ist es dieser: «Der Tag ist noch hell, aber bald dunkelt es. Lass uns spazieren gehen, solange es hell ist.» Die junge Frau zögert, spricht dann mit ihren Gesten. Die Hände offen nebeneinander gehalten, es ist noch Licht, eine Bewegung zur Seite, die Geste für «bald» drängt von außen. Die junge Frau macht es vor, Jun-hee macht es nach. Zwei Frauen und ihre Hände kommen so ins Gespräch. Small Talk als Haiku in Gebärden. Die Szene ist lustig und schön.

Der Tag ist noch hell, Jun-hee geht spazieren. Sie lässt die anderen Frauen zurück, wird weitere Begegnungen machen. Sie geht in ein Haus mit einer Art Aussichtsplattform, weit unten sieht man eine mehrspurige Straße, genauer gesagt: Fast sieht man sie nicht, denn die schwarz-weißen Bilder sind zwar im Vordergrund kontrastreich und scharf, im Hintergrund aber wie überbelichtet. Man ahnt so mehr, als man sieht.

Im Haus kommt Jun-hee mit einer Frau ins Gespräch, es stellt sich heraus, sie ist die Frau eines Filmregisseurs (wobei sie im weiteren Verlauf mehrfach nur sagt, sie wohnten zusammen). Der Regisseur, Herr Park, wollte einst ein Buch von Jun-hee verfilmen, es hat nicht geklappt, seitdem ist die Beziehung zwischen den beiden gestört.

Das ist bald mit Händen zu greifen, denn er kommt um die Ecke, hat sich ein wenig versteckt, im Gespräch mit den beiden, seine Frau sitzt dabei, ist die nicht geheilte Wunde zu spüren. Jun-hee geht dann hinaus in eine Art Park, verabschiedet sich von den beiden, trifft zufällig, es ist wohl der glückliche Zufall des deutschen Titels, auf eine junge Frau, Kil-soo (Kim Min-hee) die Schauspielerin ist und Jun-hee erkennt, deren Bücher sie liebt.

Die beiden entwickeln, beim Gehen und beim Zwischendurch-Stehen, das Projekt eines gemeinsamen Films. Jun-hee will keine Bücher mehr schreiben, aber einen Film will sie unbedingt drehen.

Das ist das kleine Nichts eines Plots in Hong Sang-soos Film. Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall war in diesem Jahr im Wettbewerb der Berlinale zu sehen, gewann den Silbernen Bären, aber seitdem hat Hong bereits einen weiteren Film gedreht, seinen achtundzwanzigsten, Walk Up, der lief dann beim Festival von San Sebastián.

Im Frühsommer hatte der südkoreanische Regisseur eine große Retrospektive in New York, im Herbst und Winter folgten und folgen Wien und dann München. Außerdem sind gerade zwei kleine Bücher über ihn erschienen, von Dennis Lim (auf Englisch: Tale of Cinema) und Sulgi Lie (auf Deutsch: Das lächerliche Ernste). Und nun läuft dank des Grandfilm-Verleihs dieser Film ganz regulär in deutschen Kinos, das ist nicht so häufig der Fall.

Hong Sang-soo ist ein Regisseur, der von denen, die ihn lieben, geradezu glühend verehrt wird, aber nie ein großes Publikum haben wird. Auf den ersten Blick scheint in seinen Filmen vieles banal, minimalistisch, Begegnungen eben, Gespräche, Sitzen an Tischen, es geht dabei weniger um das Gesagte und das Gezeigte als das Sagen und Sprechen und manchmal mehr noch das Schweigen, das Zeigen und Sehen, die Zwischentöne und das Lesen und mehr noch das Fühlen zwischen den Zeilen. Die Figuren sind nie völlig greifbar, auch nicht für sich selbst, entstehen, verändern sich mit den Situationen, beim Gehen, Reden und Zögern.

Alles scheint schrecklich simpel, und noch simpler scheint es, seit Hong fast alles selbst macht: Produktion, Buch und Regie, eh klar, inzwischen aber meist auch Kamera, Schnitt, sogar die Musik. Immer enger wird der Kreis der Darsteller*innen, Hongs Lebensgefährtin Kim Min-hee, auch Kwon Hae-hyo, der hier den Regisseur spielt, ist zuletzt meistens dabei. Es geht dabei nicht um Autorenfilm-Größenwahn, sondern um Konzentration. Die Magie von Hongs Filmen ist eine Magie des Moments. Darum gibt es nie ein fertiges Drehbuch, Dialoge, Ideen werden am Morgen des Drehtags entwickelt – und alle Beteiligten überlassen sich dem, was beim Drehen geschieht.

Und so sieht man dann drei Frauen am Tisch. Eine sagt einen schlichten lyrischen Satz, die andere übersetzt ihn in Gebärden, die die Schriftstellerin dann nachzumachen versucht. Sehr einfach ist das und hat doch die Magie des Haiku. „Der Tag ist noch hell, aber bald dunkelt es. Lass uns spazieren gehen, solange es hell ist.» An Tagen, an denen es früh dunkel wird, kann man nun ins Kino gehen und mit einer südkoreanischen Schriftstellerin ins Helle spazieren.

(taz vom 9.11.2022)

 

Die Schriftstellerin sucht eine alte Freundin auf, die jetzt eine Buchhandlung in der Vorstadt betreibt. Daran schließen sich weitere Begegnungen an, zufällig meist, ein Regisseur (mit Frau, die sich immer vorstellt als die Frau, die bei ihm lebt), eine Schauspielerin, man steht, sitzt, geht spazieren, die Szenen sind jeweils ganz schlicht inszeniert, statisch, gelegentlich Zooms, aber meist unauffällig. Ein Zoom sticht heraus, er ist lang, er geht von einem Hochhaus hinunter in einen Park, man sieht eine Frau, sie geht aus dem Bild, es ist die Schauspielerin, der die Schriftstellerin später begegnet. Begegnung, Wiederbegegnung, es ist der Zufall im Spiel, sehr. Eine junge Frau, Kim Min-hee, gebärdet ein einfaches und schönes Gedicht, die Schriftstellerin macht es ihr nach. Über einen Regisseur wird gesagt, seine Filme seien anders geworden, klarer seien sie nun. Die Schriftstellerin sagt über sich, sie könne seit einer Weile nicht mehr schreiben, es ist zu viel Bedeutung in ihren Texten, der sie nicht glaubt. Ein Plan für einen Film wird geschmiedet, zwischen Schauspielerin und Regisseurin, draußen steht ein Mädchen und starrt die Schauspielerin an. Großes Trinkgelage, noch eine zufällige Wiederbegegnung, während sich am Tisch Vergangenheit (der alte Poet, Trink-Buddy der Schriftstellerin) und Zukunft (die Schauspielerin, Protagonistin ihres Films) kreuzen. Die Schauspielerin schläft am Tisch ein. Der Film wird gedreht, vorgeführt, wir sehen ihn nicht. Wir sehen stattdessen ein kleines Schönheitswunder: Da ist wieder Kim Min-hee, die Kamera ist von der Hand geführt, ganz nahe an ihr, sie bindet einen kleinen Blumenstrauß, jemand sagt aus dem Off I Love You, der Film springt in Farbe. Immer klarer werden Hongs Filme, streben Richtung Haiku: Alle Bedeutungen liegen offen zutage; was offen bleibt, verlangt nicht nach Deutung. Als Ganzes schlicht und ein Rätsel. Mir waren die formalistischen Vertracktheiten lieber, aber das bin nur ich.

(cargo Notizen)

 

Walk Up (2022)

Alles beginnt mit einer Wiederbegegnung nach vielen Jahren. Der erfolgreiche Regisseur und seine Tochter - auch sie hat er sehr lange nicht gesehen - besuchen die Besitzerin des Hauses, Innenarchitektin, denn das will die Tochter nach brotlosem Kunststudium nun ihrerseits werden. Man geht treppauf, treppab, steiler Blick auf die Dreiergruppe nach treppoben. Die Türen sind einerseits offen, aber immerzu piept es, die Türcodes sind omnipräsent. Szenenwechsel, Zeitsprung ist gar kein Ausdruck dafür: eine geht weg, einer kommt wieder, durch liebliches Gitarrengeschepper nur ganz unangemessen markiert. Bild für Bild geradezu naturalistisch - schwarz-weiß, statisch, zoomfrei, Hong macht wieder fast alles selber. Als Erzählkonstruktion ist es eine freihändige Zeichnung, Dinge, Beziehungen, Haltungen wandeln sich, die Motivwiederholungen (immer wieder: die Insel Jeju) wirken stabilisierend. Es gibt ein Haus, es gibt Stockwerke, aber kein Fundament, nur Zwischenstücke, die zu anderen Teilen höchstens lose Verbindungen haben.

 

 In Water (2023)

Die Welt ist unscharf, womöglich trübe, aber sie ist auch, erstaunlich fast, bunt. Am Meeresufer drei Menschen, ein Schauspieler, der einen Kurzfilm drehen will, eine Schauspielerin und ein Freund, der Regisseur ist und die Kamera macht. Mehr ist schon fast nicht, sitzen, trinken, essen, Funde machen. Gefunden ist die Frau, die den Müll aufklaubt, sie wird in Fiktion überführt, wobei das Überführen wichtiger scheint als die Fiktion, eher ist es, als würden Stücke genommen und aus der Wirklichkeit in den Film übersetzt. Übersetzen aber heißt nicht mehr als: nehmen und (wieder-)geben, es kommt ein Nichts (eher als je ne sais quoi) an Erfindung dazu, es werden wirklich nicht viele Worte gemacht, nur kleinste Andeutungen von Konflikten, ein Song, den es gab, wird wiederverwendet, an einen anderen, vielleicht besseren Ort gebracht, eben in die Fiktion. Hier scheint nun wirklich ein Nullpunkt erreicht, alles hat Hong selber gemacht, die Schrammelmusik, die Unschäre des Bildes (mal weniger und mal mehr) ist auf seine eigene Augenkrankheit beziehbar, lässt sich aber natürlich auch als Experiment nehmen, das sich selbst genügt, das nirgends hinführt, das absichtslos scheint, so absichtslos und Zen wie dieser Wasserhauch von einem einstündigen Film. Eine Selbstreflexion, die kaum mehr als eine Luftspiegelung ist.