spielfilm

21. November 2008

SMS vom Sultan Ein liebeskranker Mann herrscht am Bosporus: Die osmanische Republik von Gani Müjde

Von Bert Rebhandl

Im Karli-Kino in Neukölln sehe ich mir donnerstags manchmal türkische Mainstreamfilme an. Das Thema begann mich zu interessieren, als die deutsche Berichterstattung über Tal der Wölfe seinerzeit eine Menge Sachverstand vermissen ließ. Diese Woche ist Osmanli cumhuriyet (Die osmanische Republik) von Gani Müjde angelaufen, in dem es um eine interessante historische Spekulation geht.

Zu Beginn klettert der kleine Kemal Atatürk auf einen Baum, ein Ast bricht, der Junge stürzt zu Boden und bleibt leblos liegen. Schnitt in das Istanbul des Jahres 2008, das mit der heutigen türkischen Hauptstadt identisch ist, nur mit dem Unterschied, dass immer noch ein Sultan regiert: Osman VII (Ata Demirer, ein bekannter türkischer Standup Komiker) ist allerdings ein schwacher Herrscher, denn er steht unter der Fuchtel seiner konsumfreudigen und beischlafmüden Ehefrau und ist zudem Opfer einer Palastintrige von Menschen, die sich an die Besatzungsmacht USA und an die EU andienen. Das Osmanische Reich ist also 2008 nur mehr eine symbolische Größe, reduziert auf ein paar Traditionsorte in Istanbul.

In Anatolien sprechen die Männer im Teehaus nur vom Aufstand, der Eifrigste, der ständig mit neuen (altmodischen) Waffen daherkommt, straft die Ernsthaftigkeit ihrer Bereitschaft zum Terrorismus aber Lügen. Am Ende ermannt sich Osman VII, nachdem er sich in eine junge Frau verliebt hat, die vom Widerstand auf ihn angesetzt worden war. Die Beziehung durchläuft mehrere Stadien, das Mobiltelefon spielt dabei eine wichtige (komische) Rolle. Schließlich schlägt sich der Sultan auf die Seite des (nationalen) Aufstands, aber da ist die Sache schon zu spät: In einer Kommandoaktion, deren Inszenierung durchaus an Medienbilder vom Vorgehen der USA im Irak denken lässt, setzen sich die Besatzungstruppen im Verbund mit den korrupten türkischen Kräften durch. Osman VII dankt ab und geht nach Bursa.

Hier endet das historische Alternativszenario, und "Osmanli cumhuriyet" nimmt spektakulär doch noch die kemalistische Kurve. Interessant ist, wie offen skeptisch der Film dem EU-Beitritt gegenüber steht, der ausdrücklich angesprochen wird und trocken auf «geschäftliche Beziehungen» reduziert wird (denen gegenüber der türkische Nationalismus einen idealistischen Kern hat).

Für gelegentliche Zuschauer wie mich ist auch auffällig, wie unverhohlen, ja zotig von sexuellen Dingen die Rede ist, und wie beiläufig das islamische Erbe integriert wird (zu Beginn kommt Osman VII aus der Moschee und findet seine Pradaschuhe im großen Haufen der Schuhe nicht mehr, den die Männer während des Gebets hinterlassen).

Der Regisseur Gani Müjde hat in seinem ersten Spielfilm Kahpe Bizans (2000) eine Hommage an jene türkischen Filme geschaffen, die vom Osmanischen Reich erzählen, das in der Nationalkinematographie so etwas wie den Western oder das Martial-Arts-Genre vertritt. Nun hat er dieses Motiv stärker politisiert, ohne deswegen einer osmanischen Renaissance oder gar einem lokalen Imperialismus das Wort zu reden: Osmanli cumhuriyet ist staatstragend und antiwestlich, souverän und locker wird mit den Topoi der Geopolitik hantiert – ein Film aus einer selbstbewussten Nationalkinematographie.