spielfilm

9. April 2009

Spiel sie nach in verwunschenen Häusern Anmerkungen zu kürzeren Filmen von Weerasethakul

Von Ekkehard Knörer

Die Populärkultur Thailands ist präsent in den Filmen von Weerasethakul. Sie trifft, und das ist immer wieder sehr eigenartig, darin auf Experimentalfilmtraditionen vor allem der us-amerikanischen Schule. Strukturalistischer Film meets Geisterhaus. Radiosoap und Grüße von Michael Snow. Wie sehr die einzigartige Ästhetik auch der Langfilme des Regisseurs an den Punkten zuhause ist, an denen das eine aufs andere treffen kann, das habe ich bei Ansicht der kürzeren und längeren Filme und Videos gelernt. Treffen und verfehlen allerdings schließen sich dabei nicht aus. Oder, weil es keinen gemeinsamen Grund gibt, wäre gar nicht zu sagen, was ein Treffen wäre und was ein Verfehlen.

Auch gelernt habe ich, dass es da, wo die Nähe zur Experimentaltradition noch am größten ist, die ganze Sache ziemlich anstrengend wird. Lichtgeflacker minutenlang (Windows, 1999). Bild- und Tonscheren ohne eindeutige Pointe. Ein Zusammenhang, der sich ahnen lässt und in der Ahnung verliert. In Malee and the Boy (1999), einem frustrierenden Werk, sehen wir erst Text auf der Leinwand. Der Text erzählt, nach einem Comic, eine seltsame Geschichte um Gier, Schmuck, einen Teufel. Dieser Beginn ist ein Versprechen, das vom weiteren Film niemals eingelöst wird. Bild und Ton stehen zueinander in unklarem Verhältnis. Genauer: Das Bild ist gespalten und findet erst am Ende zum Ton. Ein Junge am Ende in einem Krankenhaus mit einem Aufnahmegerät. Das Pling, das man erst nicht zuordnen kann, ist das Geräusch, das ein Aufzug macht, wenn er sich öffnet.

Umkehrschluss: Narration ist das eigentliche Experimentierfeld in den Filmen von Weerasethakul. Narration ist da, wo sich in einem Text ein als linear rekonstruierbarer Zusammenhang herstellt. In diesem Sinn sind Weerasethakuls Filme immer auf dem Weg zur Narration. Die Ankunft aber ist verzögert. Der Weg ist nicht ganz klar. Man gerät auf Seitenpfade. Störendes, Ablenkendes, Irritierendes kommt in den Blick. Oft ist das Irritierende attraktiver als es das Geradeaus wäre. Eine Spannung von Weitererzählbegehren und Abschweifungslust. Man bleibt so gerne auf der Stelle stehen in Weerasethakuls Filmen, während man gleichzeitig will, dass es weitergeht. Seine Filme spielen mit der Struktur von Narration. Und sie stellen die Lust aus, die dies Spielen bereitet. Auf alle Ebenen hin, nach allen Seiten offen sind diese Filme. In der Narration, wo Autos auf Straßen irgendwo- und überallhin fahren. In der Schichtung der Bilder, da wird dann auch gerne ins Bild gemalt und gekritzelt. (Dies in Blissfully Yours so überraschende Moment beginnt im Experimentalfilm My Mother's Garden (2007) tropisch zu wuchern. Seltsam präkambrische Tierwesen wachsen hinein ins Realbild und wachsen darüber hinaus.)

Weerasethakul in der Nussschale ist Anthem (2006), zugleich eine Parodie aufs nationalistische Hymnen-Abspiel mit Aufstehen vor dem Beginn der Kinovorführung in Thailand. Es beginnt mit einem kleinen, harmlosen, ziellosen Gespräch an einem Tisch, ein Fluss im Hintergrund – nichts, das irgendwie sehr besonders schiene. Dann weist eine Frau hinüber über den Fluss, eine Turnhalle wird erwähnt. Dann ein Schnitt. Von der Erwähnung der Turnhalle wird man in deren Inneres gebeamt. Es wird Badminton gespeilt. Die Kamera fährt um das Badminton-Feld, auf dem gespielt wird, herum und herum. Vor dem Netz auf dem Spielfeld Tische, an denen Menschen sitzen, die mit etwas Gelbem hantieren. Ich kann nicht identifizieren, was sie tun. Weiter passiert nichts. Eine Erwähnung führt von unstrukturiertem Alltagsgespräch zu einem seltsamen Ritual. Beinahe übergangslos. Manchmal bemerkt man die Brücken gar nicht, auf denen man in Weerasethakuls Filmen von hier nach dort gelangt ist. Wie von Zauberhand. (In dieser Zauberhand, denkt man, werden Thai-Mythen von Shapeshiftern und dergleichen identisch mit den kühnen Transportationen, die der Experimentalfilm erlaubt.)

Zu den schönsten Filmen gehört Worldly Desires (2005). Es beginnt im Dschungel im Dunkeln. Ein Thai-Pop-Musikvideo wird gedreht. Spot an, Musik an, Tanz-Choreografie. Diese wiederholt sich. Mehr aber ist los in diesem Dschungel. (Von den Soldaten ganz zu schweigen.) (Von den Dialogfetzen, die du hörst, ganz zu schweigen.) Etwas anderes wird gedreht, mitten am Tag.  Ein Film, eine Liebesgeschichte, deren genaue Konturen nie ganz klar werden. Diesen konturschwachen Film im konturschwachen Film dreht die Filmemacherin Pimpaka Towira, Regisseurin von One Night Husband. Der Rahmenfilm beobachtet den Dreh des Films, den er rahmt. All das aber, der eine Film und der andere, der so offene Rahmen, der so offene Film, schweben und oszillieren und schwappen wie ein Gegenstand, den man als Spiegelbild auf bewegter Wasseroberfläche sieht. Man selbst, als Zuschauer, ist der Gegenstand, ist das Wasser, ist der Beobachter, der aufs Wasser sieht. Immersion und Distanz gehen, wenn alles glückt in diesen Filmen, ineinander auf. Du verschwindest im Bild, das du gleichzeitig siehst.

Nicht nur das Wasser, das so wichtig ist, als Metapher, als Motiv und als Wasser, auch der Dschungel hat bei Weerasethakul den Status des Elements. Wasser glitzert und spiegelt und bricht als Spiegel den Gegenstand, defiguriert ihn höchst attraktiv. Der Dschungel ist das Schlingwurzelelement. Hier stehen Tiger im Dunkel und sehen dich an. Sie träumen Filme von Bruce Baillie und Michael Snow. Hier tretenThaipopmusikvideotänzerinnen auf. Hier ist die Zivilisation zuhause und wird sich fremd. Du bist nie auf der Brücke. Du bist immer hier und zugleich da. Wie das zugeht, weiß der Teufel. Du erkennst ihn übrigens an der Lust, mit der er dir deine Wünsche erfüllt und dir teuren Schmuck schenkt. Am Ende frisst er dich dann leider auf. Minutenlang siehst du als zitterndes Bild in ein geliebtes Gesicht. Du schläfst ein, du wachst auf. Immer spielt ein Radio irgendwo eine Soap. Spiel sie nach in zehn verwunschenen Häusern! Pling ist alles nur kein Aufzuggeräusch.