spielfilm

27. Mai 2012

Stilles Land Andreas Dresens Langfilmdebüt

Von Bert Rebhandl

© filmgalerie 451

 

Zur Eröffnung der Spielzeit 1989/89 wird ein neuer Kollege am Mecklenburgischen Landestheater erwartet. So, wie der Intendant das ankündigt und wie die Mitglieder des Ensembles das aufnehmen, scheint das keine große Tatsache zu sein. Außerdem gibt es da noch drängendere Angelegenheiten: «Sag doch mal was zu Ungarn!» Es ist der Herbst des Jahres 1989 in der DDR, auf den Andreas Dresen in seinem Debütfilm Stilles Land zurückblickte – ein Blick zurück aus naher Distanz, denn schon drei Jahre später war der Film fertig, eine frühe Erzählung der großen historischen Ereignisse, die hier vom Rande her in den Blick und in das aufschneiderische Wort kommen. Einer der Running Gags des von Laila Stieler geschriebenen Drehbuchs ist nämlich, dass einer der Kollegen, der wegen einer größeren Fernsehantenne nach Berlin gefahren war, mit einer dramatischen Geschichte von beinahe erlebter Polizeigewalt zurückkommt, die er fortan immer wieder vorträgt.

Der neue Kollege heißt Kai Finke (Thorsten Merten), er wird einen Klassiker von Beckett inszenieren, der hier von der Wirklichkeit in die Schranken gewiesen wird: Warten auf Godot läuft zwar auf mancherlei retardierende Momente hinaus, aber am Ende kommt dann eben doch was – nicht irgendein Gott, sondern die Geschichte. Das stärkste Geschichtszeichen ist eine Ananas, die von der Regieassistentin aus Berlin mitgebracht wird. Auch sie ist in die Stadt gefahren, sie wollte den historischen Moment nicht verpassen, während der Künstler Kai Finke an seiner Inszenierung festhält und sich damit insgesamt ziemlich verbohrt erweist (sie gelingt dann doch noch, doch sie geht irgendwie ins Leere).

Es gibt viel Situationskomik in dieser Komödie, vor allem an der Stelle, an der sich das ganze Ensemble mit dem Bus aus dem lokalen «Fuhrpark» auf den Weg zu den historischen Ereignisse machen will – das abenteuerliche Ostgefährt gibt zwar gefährliche Geräusche von sich, kommt aber nicht vom Fleck, und so fügen sich die Schauspieler ins Unvermeidliche. Bis sie so nach Berlin kommen würden, «ist die Mauer wieder zu». Der Gegenbeweis wird mit der Ananas erbracht, und in Gestalt eines Wessis, der mit der Regieassistentin kommt und sich erbötig macht, dem Ensemble eine neue Funktion als kommerzielle Wandertruppe zu verschaffen.

Dagegen hält Kai Finke seinen Godot. Der muss einfach noch gespielt werden, und siehe da, die DDR-Veteranen auf dieser nicht gerade ersten Bühne des Landes (gedreht wurde in Anklam) kriegen das am Ende sehr gut hin. Stilles Land (dessen Titel auf eine Formulierung von Wolf Biermann anspielt) sollte ursprünglich Provinztheater heißen, was vielleicht zu simpel auf die Verhältnisse in der DDR insgesamt übertragbar gewesen wäre. Motivisch ist die Geschichte von Laila Stieler nachgerade ein Transformationsklassiker: das Ensemble, das an der Peripherie nach einer neuen Standortbestimmung in einem schwieriger lesbar gewordenen politischen System sucht, findet sich auch in Jia Zhangkes Platform, und die provinzielle Verfehlung des revolutionären Moments (und die Versuche, diesen einzuholen) kann man paradigmatisch in Corneliu Porumboius 12.08 East of Bucharest sehen.

Stilles Land ist im Vergleich dazu harmlos, nicht zu vergleichen mit der intellektuellen Präzision, mit der der chinesische und der rumänische Film in der Erzählung auch geschichtspolitisch argumentieren. Stattdessen hat der erste abendfüllende Film von Andreas Dresen andere Qualitäten, vor allem einen interessanten «period»-Effekt, in dem sich verspätete Rezeption übler 80er-Jahre-Verirrungen auch im Westen (die Frisuren, die Pullover, die Brillen) mit einer bestimmten Sanftheit und Großzügigkeit verbindet, die mir für das DDR-Kino charakteristisch erscheint. Allein schon die Hauptdarsteller Thorsten Merten (er hatte in Halt auf freier Strecke, dem filmakademisch ausgewiesenen besten deutschen Film 2012, einen kleinen Auftritt als Tumor) und Jeanette Arndt sind nicht gerade das allererste Starmaterial, sie stehen hier aber eben auch für eine geringere Differenz zwischen Leben und Kino, zwischen «Kopf und Umständen».

Spätere, dann schon «ostalgische» Komödien konnten ihre Rechnung aus dem bereits gesicherten Wissen der vollständigen Abwicklung der DDR heraus machen. Stilles Land aber ist im Grunde fast noch ein DEFA-Film, auch deswegen kommt ihm eine Schlüsselposition in der komischen Verarbeitung der «Wende» zu.

 

Das Lichtblick-Kino in Berlin zeigt Stilles Land am Dienstag, 29. Mai 2012, im Rahmen der Filmreihe Zurück auf Anfang. Andreas Dresen wird anwesend sein

Stilles Land liegt auch in einer sehr guten DVD-Edition der Filmgalerie 451 vor, die zudem sechs Kurzfilme von Andreas Dresen enthält