2. Februar 2013
Taschkent 1943 Im Zeughauskino: Zwanzig Tage ohne Krieg von Aleksej German
Viele Fragen haben die Leute in Taschkent an den Major Lopatin, der zu Neujahr 1943 für ein paar Tage nach Hause gekommen ist, bevor er wieder in den Krieg ziehen muss – es wird nach Stalingrad gehen, das Vorgefühl eines entscheidendes Kampfes ist unabweisbar. Viel stärker aber noch ist Alexej Germans Film Zwanzig Tage ohne Krieg aus dem Jahr 1976 bestimmt von den bereits erlebten, überlebten (oder eben nicht) Jahren des «Großen vaterländischen Krieges», der hier gar nichts Mächtiges hat, sondern eine zerstörerische Kraft, gegen die jemand wie Lopatin sich mit dem Gleichmut des Ohnmächtigen wappnet. Andere singen traurige Lieder.
Der Film beginnt mit einer philosophierenden Szene, eine Frage verlangt nach Antwort, doch plötzlich kommen Flugzeuge, unter deren Maschinengewehrhagel die Soldaten den Sand fressen, auf dem sie gerade noch campierten. Kurz darauf sieht man die Maschinen im Hintergrund noch einmal das Bild queren, nun Bomben auf Schiffe werfend – ein zugleich majestätischer wie unheimlicher Moment. Dann beginnt die lange Fahrt nach Osten, in das heutige Usbekistan.
Unterwegs wirft German gelegentlich einen Blick aus dem Fenster, und für diese schemenhaften Bilder von Russland allein würde ich mir den Film jederzeit wieder ansehen; irgendwann ist es dann hell, an einem Bahnschranken tauchen Kamele auf, die Ankunft steht kurz bevor. Lopatin durchquert in seinen paar Tagen in Taschkent die sowjetische Kriegsgesellschaft. Er überbringt der Witwe eines Kameraden dessen Sachen, er trifft seine Frau, die nun mit einem anderen Mann glücklich ist (beim Abendessen sitzen ein paar Intellektuelle, Theaterleute, zusammen, und stellen sachliche Fragen; besonders eine ältere Regisseurin nützt die Gelegenheit, einen Zeugen vor sich zu haben, der weiß, wie sich der Tod anfühlt); er besucht einen Set, auf dem nach einer Vorlage von ihm etwas gedreht wird, was ihm den grundlegenden Unterschied zwischen Erfahrung und Repräsentation verdeutlicht; mit einer Näherin streift er durch die Stadt, die hier noch gar nichts von der sowjetischen Metropole hat, die Taschkent später wurde, sondern tief im Mittelalter zu stecken scheint, allerdings schon mit Straßenbahn.
Immer geht es dabei um das, was sich schwer mitteilen lässt - was macht der Tod (der, den man zufügt; der, den man miterlebt; der, den man für sich selbst gewärtigen muss – Lopatin spricht von einer Angst, die ihm «dauernd im Nacken sitzt») mit einem? Davon gibt German ein ungeheuer starkes Zeugnis, mit einem Helden, der das Format einer großen Westernfigur hat, der aber als Brillenträger eben auch ein Intellektueller ist (der erste Blick der Näherin, noch im Zug, lässt ihn verlegen an seinem Gestell nesteln).
Gegen Ende verlässt ein anderer Zug wieder Taschkent, und hier gibt es ein neuerliches Bild aus dem Zugfenster, das mich gebannt hat: auf einem Nebengleis steht ein langer Zug mit Geschützen, die für das Gefecht im Westen vorbereitet sind. Ich musste dabei daran denken, welchen Status Germans Film im Jahr 1976 gehabt haben muss, als es ja immer noch darum gehen musste, den antifaschistischen Krieg als Legitimation für das KP-Regime zu inszenieren – die vor dem Hintergrund des Atomzeitalters armseligen Artilleriegeräte stehen zugleich für die Supermacht, die Hitler bezwang, wie in einem zweiten Register auch für die (wenn man Germans Bilder ernst nimmt, keineswegs durch Fortschritt überwundene, sondern anhaltende) Armseligkeit, Brutalität und Frühindustrialität dieses Weltkriegs, zu dessen allergrößten Darstellungen ich Zwanzig Tage ohne Krieg von Alexej German zählen würde.
Dvadtsat dney bez voyny (UdSSR 1976) läuft heute, 2. Februar 2013, um 21.00h im Rahmen der Reihe Die Welt in Waffen: Stalingrad (kuratiert von The Canine Condition) im Zeughauskino in Berlin. Einführung: Lukas Foerster