spielfilm

2. Januar 2014

Vohrer, Thome, Erler Sehtagebuch

Von Ekkehard Knörer

Ein Lippizaner im Sprung (Wien, Hofburg), eingefroren: ein Sprungbild, das in die Vergangenheit führt. Ein Einfall von grandioser Absurdität. Aber da hat man schon einen Fischaugenflugzeugumrundungsvorspann hinter sich, eine Kamerabewegung, die so verlässlich kommt, wie Arjen Robben um die Gegenspieler herum nach links in den Strafraum hineinkurvt: Handkamera geht hinter dem Rücken vorbei, bleibt aber da und sperrt die gezeigte Figur ins linke obere Bildeck, während Kopf, Schulter, Rücken des andern die Leinwand weiterhin füllen. (Anders als bei Robben gibt es jedoch meist keinen Abschluss: Vohrer bleibt allzu verspielt, Dribbelkönig ohne Zug zum Tor.) Oder der Schleierfilter der Liebe, auf dem Friedhof und in den Parks, vorzugsweise. Das ist es, was Vohrer aus Simmels grässlicher Prosa macht: reine Pulpquatschundnochneideefilmpoesie. Und Manfred Purzers Drehbuch lässt sich auch keineswegs lumpen: aus dem Moralin zieht es trockene Genreessenzen, dem umständlichen Hin und Her zwischen Gegenwart und Nazigeschichten hilft dann eben die Regie auf die Sprünge. Im Gegenwartswien sind Amis, Russen, Franzosen, Doris Kunstmann (in Liebe) und weiß der Teufel wer noch hinter dem attraktiven jungen Manuel Aranda her. Aus der Stadt holt der Film à la Hitchcock alles ab, was man an Wienklischees so abholen kann. Und Vohrer/Purzer zeigen: Wenn man Simmels linksgedrehte Politintrigen, kleinbürgerliche Fieberfantasien vom Leben der Großen, so sturztrocken bei ihrem Genregehalt nimmt, dann wird daraus eine Form von absurdem Theater, in dem deutsche Film- und Fernsehschauspieler eine Idee von internationalem Kino so begeistert herbeibehaupten, dass zwar kein «internationales Kino», aber in Tateinheit mit Vohrers verspielter Formwut etwas sehr Eigenes und durchaus beinahe Großes herauskommt. (76cp)

Alfred Vohrer, Und Jimmy ging zum Regenbogen, BRD 1970

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«Ich bin auf dem dritten Planten des Systems Alpha Centauri geboren.» Sagt, im flowerpornösen Kleid Iris Berben (sonst extrem kleiderwechselfreudig vom orangen Jumpsuit über Lilakurzkleid zum braunbraunen Hosenanzug), mit Augenaufschlag Richtung Marquard Bohm (monomodisch: weißer Anzug, Halstuch, Verdrossenheit im Gesicht). So einen Satz muss man in die Gegenwart eines 1971er Rudolf-Thome-Films erst mal hineinsagen wollen. Aus dem Feld tauchte am Anfang die junge Frau auf: Supergirl. Sie liest Comics, aber mit dem Comic gleichen Titels hat der Film rein gar nichts zu tun. Vielmehr fantasiert er sich einen Bestsellerautor und einen Hollywoodproduzenten und eben eine Alienbedrohung zurecht, nichts davon abseits der Pfade des Klischeebilderbuchs, und nützt diese Fantasie, um dann als Film in sehr schnittigen Schlitten mit dem KZF-Kennzeichen STA für Landkreis Starnberg (und stolz drauf) und in wirklich großartigen farbwütigen Bildern und mit coolem Rock-Instrumental-Soundtrack von «Mainhorse Airline» durch die Weltgeschichte zu gondeln. Immerhin für Spanien und Paris hat es gereicht. Klaus Lemke macht mit. Und einmal steht insistent Rainer Werner Fassbinder draußen vor dem Laden-Schaufenster. Jedoch: Bei aller Liebe zu Rudolf Thome und auch zu einer gewissen Wurschtigkeit gegenüber narrativer Stringenz – zwischen schönen Momenten gibt es viel Stillstand, die per Nachsynchronisation komplett sterilisierten Dialoge (gerade die Dialoge) attackieren gezielt Sinn, Zusammenhang, Logik, man sieht nicht, warum die Darsteller oder man selbst so viel Arbeit investieren sollte in eine Erzählung, die sich selbst so viel Mühe gibt, wichtig zu scheinen und nichtig zu sein. Marquard Bohms Nicht-Schauspielerei fügt sich diesmal auch nicht ins Nichtgefügte des Rests. Und ob in der innerfilmischen Realität etwas dran an der Aliengeschichte oder Supergirl Francesca Farnese einfach verrückt ist? Man weiß es nicht. Was bleibt, ist ein fragender Blick in knallblauen Himmel. Dann, schöne Blende, der knallgelbe Abspann. (53cp)

Rudolf Thome, Supergirl, BRD 1971

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Horst Frank, der Amerikaner, der immer «okay» sagt und «die Schwänze» oder «fucking civilization». Die Kamera frisst sich ran an Gesichter in der Raumstation, aufrecht oder auf dem Kopf, Schwindel aus simplen Effekten, die nicht falsch sind, weil sie umstandslos wirken. Kurzer erklärender Vorspann, dann geht es rein, mitten rein ins Geschehen: Der Rest der Operation Ganymed (Besuch auf dem Jupitermond) auf dem Anflug zur Erde: Der Kontakt brach vor Jahren schon ab, keiner rechnet mit dem zurückkehrenden Team, fucking allein sind sie im fucking Weltall. Männer, nur Männer, qualitativ hochwertige Fernsehgesichter: Claus Theo Gärtner, Dieter Laser, Uwe Friedrichsen, Jürgen Prochnow. Eine Frau gibt es nur als leichtbekleidete Fantasie, es spielt sie Vicky Rosilli, wer immer das ist. Dann per Cargo-Kapsel Rücksturz zur Erde, es wird umgeschaltet von Enge auf Weite, Wüstendrama, Dezimationsfilm, die Haut schuppt vom Gesicht, ein verlassenes Dorf, ein verlassenes Flugzeug, gottverdammt finster Sache. Atemberaubend, als Rückblende aus der Wüstensequenz, falschrotfarben eine Steilwandkletterei auf dem Mond Ganymed. Alles tolle Genrearbeit, die Kamera beweglich, zoomfreudig, nicht ballhausmäßig aufmerksamkeitsheischend, sondern Effekte erzielend mit Close-Up und Unruhe aller Art; die erst zynisch triumphmarschierende, später orgelklangglasklar vibrierende Musik von Eugen Thomass situationsgenau atmosphärisch; und die Dialoge, die ganz schön und bis an die Grenze der Selbstparodie hart gekocht sind, die man in ihrer artifiziellen Pulp-geschulten Eliptik erst einmal sprechen können muss. Alle hier jedoch können: Sprechen, spielen, andersweltliche Sphären erzeugen, dystopisch düster voran, keine Sperenzchen. Wenn das so im ZDF reüssierte, fragt man sich schon, warum sich wenig später alle über das Weichei Schimanski so aufgeregt haben. (75cp)

Rainer Erler, Operation Ganymed, BRD 1977