spielfilm

6. Mai 2010

Zwischen Strich und Anstand Wiederentdeckung im Zeughauskino: Der Lude (DDR 1984)

Von Bert Rebhandl

© Defa-Stiftung

 

Obwohl der Alexanderplatz in Berlin seinerzeit im Osten der Stadt lag, hat die DDR auf Döblins bekannten Roman keine (mir im Moment bekannten) Ansprüche erhoben. Franz Biberkopf bekam durch Fassbinder seine zweite filmische Gestalt (nach Phil Jutzis noch fast zeitgenössischer Verfilmung im Jahr 1931). Das Zeughauskino zeigt nun aber in seiner Reihe Wiederentdeckt einen DDR-Film aus dem Jahr 1984, der zumindest in Ansätzen als Antwort auf Fassbinder gesehen werden kann: Der Lude von Horst E. Brandt, eine DEFA-Produktion nach einem Szenarium von Wera und Claus Küchenmeister, versucht sich an einer Darstellung jener Halbwelt, mit der die offiziellen Stellen in der DDR kaum einmal so recht umzugehen wussten. Im Mittelpunkt steht Wilhelm Knaupe, genannt «Bello» (Peer-Uwe Teska). Er ist der Freund und Zuhälter der siebzehneinhalbjährigen Frieda (Michèle Marian), die 1930 noch drei Jahre von der Volljährigkeit entfernt ist (wie Deutschland von der Machtergreifung der Nationalsozialisten).

Der Film beginnt panoramatisch, mit mehreren Zuhälterfiguren und deren Mädchen, in einer Welt der Hinterhöfe und Hinterzimmer zwischen «dem Schlesischen» (Tor), der Jannowitzbrücke «„zwischen Strich und Anstand»), dem Alexanderplatz und dem «roten» Wedding. Von der käuflichen Liebe ist nicht viel mehr zu sehen, als dass Frieda gelegentlich Champagner mit älteren Herren trinkt, trotzdem fürchten sie und Bello ständig den Kontakt mit «der Sitte». Allmählich tauchen in dieser Halbwelt, deren Protagonisten eigentlich anständige Leute sind, die ersten Braunhemden auf. Als besonders übler Typ erweist sich ein gewisser Horst Wessel, der dann auch im Zuge einer Zuhälterfehde (mit roter Beteiligung) ums Leben kommt.

Bello wird zum Kronzeugen in dem darauffolgenden Politprozess, der 1933 noch einmal aufgerollt wird: Nun, da Frieda schon volljährig ist und das junge Paar sich sicher fühlt, ereilt ihn die Geschichte in beiderlei Gestalt – seine Vorgeschichte wird zum Moment des epochalen Wandels der Machtergreifung. Er muss noch einmal aussagen. Der Lude stellt einen interessanten Versuch dar, die für die DDR ex negativo konstitutive Erfahrung des Scheiterns der Linken in der Weimarer Republik durch eine Genre-Erzählung (einen «politischen Kriminalfilm») zu rationalisieren. Bello ist eine Figur, die sich durch individuelle Anständigkeit, politisches Versagen, sinnloses Heldentum gleichermaßen auszeichnet. Zur Identifikationsfigur taugte er somit nicht, was unter anderem erklären dürfte, warum Der Lude 1984 in der DDR durchfiel, sowohl bei der Kritik wie beim Publikum. Nun wird er zumindest für einen Abend wiederentdeckt, als hochinteressantes Studienobjekt.

 

Der Lude (DDR 1984) von Horst E. Brandt, Zeughauskino im Deutschen Historischen Museum Berlin, Freitag 7. Mai 19.00, Einführung: Daniel Siemens (Universität Bielefeld, Autor des Buches Horst Wessel. Tod und Verklärung eines Nationalsozialisten)

Dank an Daniel Siemens, der uns vorab die Sichtung des Films ermöglicht hat