gespräch/video

11. Dezember 2008

Fighter im System – Dominik Graf im Gespräch

Von Ekkehard Knörer und Simon Rothöhler

Mit großer Selbstverständlichkeit bewegt sich der Filmemacher Dominik Graf zwischen Kino und Fernsehen. Beide Produktionszuammenhänge begreift er als kommerzielle Systeme, die von den Rändern her innovativ gehalten werden können. Mit Dominik Graf sprachen wir Ende November 2008 in Berlin.

Dominik Graf über Das Schweigen des Autorenfilms
Dominik Graf über Anfänge. Zwischen Kino und Fernsehen
Dominik Graf über Bei Thea (1988)
Dominik Graf über Söldnerjobs (Drei gegen drei, 1985)
Dominik Graf über Tarantino und Polizeibüros
Dominik Graf über Genrefilme
Dominik Graf über Schauspieler
Dominik Graf über Der Felsen (2002)

Dominik Graf ist der vielseitigste deutsche Filmregisseur. Er ist vermutlich der meist ausgezeichnete deutsche Fernsehregisseur. Falsch ist an den beiden Sätzen nur die Differenz, die in ihnen unterstellt ist. Denn Graf dreht Filme fürs Fernsehen, deren Intelligenz und Wagemut fast alles in den Schatten stellen, was man als deutschen Kinofilm zu sehen bekommt. Er macht, was immer die Produktionsumstände sind, im Anspruch keinen Unterschied zwischen Film und TV.

Seine Position ist, das wird man auch sagen können, singulär in Deutschland. Er hat an der Münchner Filmhochschule in den Jahrgängen unmittelbar nach Wenders und nach Eichinger studiert. Aber weder mit dem einen noch mit dem anderen hat das, was er seit drei Jahrzehnten versucht, viel zu tun. Mit großer Skepsis sieht er bis heute den Autorenfilm – die «Berliner Schule» prinzipiell nicht ausgenommen –, aber auch mit den auf Mainstream und Krawall zugleich gebürsteten deutschen Blockbuster-Versuchen à la Eichinger will er nichts zu tun haben. Zugleich wäre auch die Behauptung, er suche etwas wie einen Mittelweg, ganz falsch.

Was er bei Kunstfilmen, die als Kunstfilme daherkommen, vermisst, sind Leben und Intensität, ist, genauer gesagt, die Spannung, die da entsteht, wo verschiedene Elemente so aufeinandertreffen, dass man nicht im vorhinein wissen kann, was passiert. Mit Stolz und zu Recht bezeichnet Graf sich als Genre-Regisseur. Er hat viele Polizeifilme gedreht, auch Komödien und Melodramen. Genrefilm heißt für ihn aber nicht zuletzt, dass Sex und Crime und Verbrechen und Geld und Leidenschaft und Kontrollverlust wie selbstverständlich neben dem Alltäglichsten, der genauen Milieuzeichnung, der präzisen Beobachtung von Handgriffen, Bewegungsarten und Sprechweisen stehen.

Für die Bewegung vom einen zum anderen braucht Graf das Genre. Darum experimentiert er in der wiederholten Zusammenarbeit mit seinen Drehbuchautoren - Christoph Fromm, Günter Schütter, Rolf Basedow, Markus Busch - ganz ausdrücklich und ganz bewusst damit. Er sucht die Abschweifung und die Abweichung in einzelnen Bildern, aber auch im Narrativen, gerade weil die Abschweifung im Gegenzug plötzliche, schockartige Konzentrationen und Intensitäten erst möglich macht. Er hat darum mit den Drehbuch-Idioten, die sklavisch den Mythen und Akt-Vorschriften dahergelaufener Gurus folgen, herzlich wenig im Sinn.

Graf hat freilich ebenso wenig übrig für die immergleichen, immer gleich melancholischen Charaktere, die sich das Autorenfilm-Bürgertum – das deutsche zumal – ausdenkt. Immer blitzt bei ihm etwas anderes auf, etwas, das man mit Fug und Recht als verrückt bezeichnen kann. Das Genre bietet ihm nicht die Lizenz, die immergleichen Geschichten zu erzählen, sondern, ganz im Gegenteil, die Lizenz, in der teils eher unauffälligen Abweichung von den genrebekannten Geschichten Menschen aus ihrem Alltag zu verrücken. Sie in Grenz- und Bewährungssituationen zu versetzen, an Ränder zu treiben. Genau darin, in der Potenz des Genres, aus der Nähe zum Bekannten das Unerwartete zu generieren, sieht er dessen Prinzip.

Am Rande des Wahnsinns stehen viele seiner Figuren, vor allem in den Filmen, die nach dem letzten großen Blockbuster-Versuch Die Sieger entstanden. Sie werden sich selbst zu Außenseitern. Nicht in der Betrachtung ihrer schönen oder unschönen Seelen, sondern in ihren Aktionen und Taten. Sei es auf Korsika, wo die Heldin von Der Felsen in der Begegnung mit einem straffälligen Jugendlichen außer sich gerät. Sei es in der Begegnung mit Gott, wie zuletzt in Das Gelübde, der Geschichte von Clemens Brentano und der stigmatisierten Nonne Anna Katharina Emmerick. Sei es im Kampf des Polizisten mit seinem Sohn, der einen Pornostar liebt. (Der Skorpion). Oder sei es in den Geschichten, die er dem Genre in einzelnen Folgen von Fernsehserien wie Tatort (Frau Bu lacht) oder dem Polizeiruf 110 (Der scharlachrote Engel) abringt.

Gerade dreht Dominik Graf in Berlin, seit dem Sommer schon und noch bis in den Januar. Keinen Film fürs Kino, sondern eine aufwendig produzierte Fernsehserie für Arte/ARD, der Titel Im Angesicht des Verbrechens (mehr zum Beispiel hier). Acht Folgen nach Drehbuch von Rolf Basedow, die Ausstrahlung ist für den nächsten Herbst geplant. Trotz des engen Drehplans hat Dominik Graf ein paar Stunden für uns freigeräumt und sich in seinem Berliner Hotelzimmer mit uns über seine Filme unterhalten. Ekkehard Knörer