5. Juni 2010
Ritual Singing – Miguel Gomes im Gespräch
Wie uns Miguel Gomes erzählt, fand sein Erstling, The Face You Deserve, als er 2004 herauskam, nirgends Beachtung. Weder daheim in Portugal noch bei den obligatorischen Passagepunkten der Weltkino-Aufmerksamkeit, zu denen sich die internationalen Festivals längst entwickelt haben. Allzu abrupt vielleicht der Wechsel zwischen dem Vincente-Minelli-Musical-haften ersten und dem bizarr-regressiven zweiten Teil, in dem nicht nur der Protagonist von Teil eins nicht mehr auftaucht, sondern überdies eine Horde wenig sympathischer Zwerge in seltsamen Ritualspielen ein Haus und den Wald drum herum unsicher machen. Strukturell ist das schon hoch spannend – wo aber der Spielfilm-Erstling (und es gibt eine Reihe teils hinreißender Kurzfilme davor und danach) im Verlauf sich ganz in sich zu kehren schien, da bleibt in Our Beloved Month of August vieles auf faszinierende Weise offen. Die Frage etwa, wo genau die Grenze zwischen Dokumentation und Spielfilm eigentlich verläuft. Nicht nur sieht man hier dokumentarisch eingefangene Szenen aus der portugiesischen Provinz; nicht nur erlebt man Konzerte mit Schlagermusik. Das ganze verwandelt sich nach und nach in eine sichtlich fiktive Geschichte, in der die eben zuvor dokumentarisch gezeigten Personen nun Rollen übernehmen. Der Regisseur (Miguel Gomes selbst) und sein Produzent (gespielt allerdings vom Produzenten von Pedro Costa) treten, um das Maß der Selbstreflexion voll zu machen, zwischendurch auch immer mal wieder auf und diskutieren über die Produktionsprobleme des Films. Das eigentliche Wunder ist, wie unangestrengt und spielerisch Gomes dieses Shapeshifting hinbekommt und der Film von Anfang bis Ende bei allen Verschiebungen in der Balance bleibt. Fast alle Filme von Miguel Gomes kann man in der Online-Videothek Mubi (ehemals: The Auteurs) für wirklich sehr wenig Geld im Stream sehen. Tip zum Einstieg vielleicht: der 23minütige Kurzfilm Christmas Inventory von 2000 (Mubi). Ekkehard Knörer