24. Juli 2016
Toni Erdmann – Maren Ade im Gespräch
«... TONI ERDMANN macht Dinge, die nicht gehen. Das beginnt schon mit der Prämisse des Films, der konzepthaften und damit scheinbar vorhersehbaren Grundkonstruktion: Ein etwas bekloppter älterer Herr begibt sich mit Scherzgebiss und einem Repertoire lustiger Gags zu einem Überraschungsbesuch nach Bukarest, um bei seiner ehrgeizigen Unternehmensberatertochter nach dem Rechten zu sehen und ihr die Frage nach dem richtigen Leben zu stellen. Dazu noch eine sehr deutlich sichtbar gemachte Konstruktion in vier Akten, fast wie aus dem Lehrbuch, und auch eine in schöner Symmetrie bzw. Asymmetrie ausgespielte Basismetapher um Masken,Verkleidung und Identität. Schließlich ein Battle zwischen Vater und Tochter um Boundaries und wer sie mit der größeren Chuzpe sprengt.
Alles das ist da – was dann aber passiert (von einigen erstaunten Filmjournalisten in Cannes als «Wunder» beschrieben), ist die fast völlige Aufhebung der Schwerkraft, ein befreites Erzählen und die Auflösung des Plots innerhalb dieser Architektur. Es gibt keine Überkonstruktion mehr, die den Zuschauer erahnen lässt, was die Absicht des Drehbuchs ist, was in der nächsten Minute passieren wird. Der ermüdende Utilitarismus einer klassischen szenischen Dramaturgie wird beinah vollständig fallen gelassen. Und es scheint fast so, als hätte sich die allwissende auktoriale Instanz aus der Erzählung des Films zurückgezogen, ihn den Launen seiner Figuren und dem Zuschauer überlassen.»
Auszug aus: Ludger Blanke, «The Greatest Love of All», in cargo 30