gespräch/video

10. Oktober 2010

White Material Ein Versuch, mit Claire Denis zu sprechen

Von Ekkehard Knörer und Simon Rothöhler

White Material identifiziert man auf den ersten Blick als Film von Claire Denis. Angesiedelt in Afrika, eine Welt im Schwebezustand, die Kamera nah an der Hauptfigur. Deren Name ist Maria Vial, gespielt wird sie von Isabelle Huppert. Sie betreibt eine Kaffeeplantage – in welchem afrikanischen Land bleibt unmarkiert. Motive, Hinweise, Details verschiedener Konflikte der letzten Jahre werden assembliert. Wie nah an der Gegenwart das ganze spielt, bleibt offen – «Gegenwärtigkeit» ist hier eher ein Effekt der filmischen Textur. In dem namenlosen Land herrscht und verschärft sich ein Bürgerkrieg. Es gibt die staatliche Armee, es gibt die Rebellen und Maria gerät dazwischen. Man drängt sie zur Flucht, die schwarzen Farmarbeiter machen sich davon. Sie aber will bleiben, weigert sich stur, der Realität des Konflikts, der Realität ihrer Rolle ins Auge zu blicken.  

Wie nie zuvor in einem Denis-Film steht eine Figur stabil, unverrückbar, fast konventionell identifikatorisch im Zentrum des Geschehens. So eindeutig Maria Vial als Isabelle-Huppert-Figur festgelegt ist, so unscharf wird davor der politisch raunende Hintergrund. Weißer Wille gegen schwarze Bewegungen in afrikanischer Landschaft. Als Mittlerfigur fungiert ein von der Bevölkerung verehrter Kämpfer namens Le Boxeur (Isaach de Bankolé), der in Marias Plantage schwer verletzt Unterschlupf sucht und findet. Aber auch er bleibt fast völlig passiv, Objekt eines Blicks statt Subjekt einer Begegnung. Die Sprache, die Diskursmacht, das Behaupten einer Weltsicht überlässt der Film ungebrochen Maria, genauer: den kleinen, präzisen, seit Jahrzehnten kultivierten Manierismen einer Star-Schauspielerin des französischen Kinos.

White Material ist das Pidgin-English-Wort für alles, was in den Bezirk der Weißen gehört. Der Titel insinuiert eine Perspektive der Schwarzen auf die Weißen, auf die Weiße, auf Maria Vial – eine Perspektive, die den Film dann aber nicht oder nur kursorisch zu interessieren scheint. Ein falscher Köder? Ein schales Manöver? Durchgehend haftet White Material in routinierter Haptik am Körper, am Willen, an der Haut, an den Haaren von Isabelle Huppert, die das Film-Projekt auch initiiert hatte. Sie ist es, die spricht, um sie herum ist dekoratives Schweigen und Sterben. Die kriegerische Auseinandersetzung wird darüber sukzessive pittoresk, Hintergrundmalerei, Atmo, unspezifisches Rauschen. Wenn Denis zu meditativer Musik von Stuart Stapelton (Tindersticks) doch etwas kalkuliert gecastete «Kindersoldaten» aus dem Unterholz auftauchen lässt, hat das auch rein ästhetisch den selbstgefälligen Beigeschmack einer Trademarkpflege, einer Selbstzitation.

Wir waren mit Claire Denis, der im Berliner Arsenal derzeit eine integrale Retrospektive gewidmet ist, zu einem Interview verabredet, das sich nicht zum Gespräch entwickelte und bereits vor dem Abbruch stand, noch bevor wir begonnen hatten, wirklich kritische Fragen zu formulieren. Aber auch ein derartiger Auftritt dokumentiert vielleicht etwas, weshalb wir an dieser Stelle einen kleinen Zusammenschnitt präsentieren wollen. ek/rot

 

Claire Denis über White Material