literatur

Ross Thomas Über Am Rand der Welt. Ein Artie-Wu-und-Quincy-Durant-Fall

Von Ekkehard Knörer

Am Rand der WeltOut on the Rim im ­Original – liegen die Philippinen. Der Titel bestimmt weniger einen Ort als einen Blick: den Blick von den USA gen ­Westen, hinaus auf den Pazifik, an den Rand der Welt, der im Buch dieses Titels zum Zentrum einer politisch aufgeladenen ­Kriminal-, einer kriminell aufgeladenen Politgeschichte wird. Das Buch setzt ein mit einem Prolog. Es sind die letzten Tage des Zweiten Weltkriegs. Die Philippinen sind japanisch besetzt und kämpfen gemeinsam mit der Armee der vorangehenden Kolonialmacht USA gegen die Besatzer. Der Prolog ist nicht mehr als ein greller Schnappschuss der verwickelten historischen Verhältnisse. Darin kommen über einem Mord der US-Soldat Booth Stallings und der Filipino Alejandro Espiritu sich über einen Abgrund hinweg näher.

Vierzig Jahre später. Wir schreiben das Jahr 1986. Gerade wurde der langjährige Diktator Ferdinand Marcos gestürzt, Nachfolgerin wird die Witwe des ermordeten Hoffnungsträgers Benito Aquino mit Namen Corazón. Eine Phase des Übergangs, keiner traut keinem und auf einen Erfolg von Cory Aquino setzt vorsichtshalber erst einmal niemand. In dieser Situation kommen fünf Millionen Dollar ins Spiel. Von interessierter Seite, aus den USA, es geht darum, die kommunistische Oppositionsbewegung NPA zu schwächen. Deren Anführer ist kein anderer als ­Alejandro Espiritu. Den Auftrag, ihn mit den fünf Millionen außer Landes, nach Hongkong, zu locken, bekommt, versteht sich, Booth Stallings. Er hat sich einen Namen gemacht mit dem klügsten aller Bücher über den internationalen Terrorismus. Mehrfach wird sich nur darüber beschwert, dass die Studie so gar keine Achsen des Guten und Bösen einzieht und einzig auf nüchterne Analyse setzt. Unverkennbar eine Selbst­beschreibung des Autors Ross Thomas.

Stallings sichert sich die Hilfe eines aus früheren Romanen des Autors bekannten Trios: Artie Wu, überlebensgroß, möglicherweise Anwärter auf den chinesischen Kaiserthron; Quincy Durant, smarter Verführer schöner Frauen und Wus Freund und Leibwächter seit damals in Princeton; und Otherguy Overby, ein undurchsichtiger Wheeler und Dealer, der mit Stallings auf die Philippinen fliegt, wo die anderen ­beiden praktischerweise bereits sind. Die vier machinieren und intrigieren und bekommen es mit zwei so hinreißenden wie hoch gefährlichen Damen zu tun. Von ­Manila geht es nach Cebu City. Es entspinnt sich ein Stellungskrieg, dessen Strategien und Winkelzüge die komplizierte Lage auf den Philippinen als typisch Ross-Thomassches Plot-Labyrinth zur Darstellung bringen.

Andererseits ist alles auch wieder sehr einfach: Das Geld wollen sie alle. Der feine Unterschied: Die Bösen gehen dabei auch über die Leichen der Guten. Die Guten gehen nur über die Leichen der Bösen. Die einen wie die anderen nehmen dabei freilich so manches in Kauf. Wenn sich am Ende die Fronten dadurch klären, dass sich das Personal in noch und nicht mehr Lebende säuberlich scheidet, hat sich am Weltlauf wieder einmal nichts Entscheidendes geändert. Um zu diesem Schluss zu gelangen, musste Ross Thomas nicht unbedingt die Philippinen aufsuchen. Der exemplarische Ort, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, sind sie leider durchaus.

Ross Thomas: Am Rand der Welt. Ein Artie-Wu-und-Quincy-Durant-Fall, Alexander Verlag 2008