modernes ereignis

Halftime in America

Von Ekkehard Knörer und Simon Rothöhler

 

Zwei (teure) Minuten lang ist David Gordon Greens jüngster Film, 111 Millionen Zuschauer haben ihn in den Vereinigten Staaten auf einen Schlag gesehen. Die wenigsten dürften eine Verbindung zwischen dieser Arbeit und einigen großen Episoden der HBO-Serie Eastbound and Down hergestellt haben – bei der Green neben Jody Hill der entscheidende Autor ist –, oder zu dem recht kostspieligen Fantasyfilm-Flop Your Highness (2011), in dem die leicht bzw. mit einem Keuschheitsgürtel bekleideten Natalie Portman und Zooey Deschanel von Danny McBride und James Franco durch eine offensiv unplausible Mittelalterkulisse gescheucht werden.

Die Einordnung der jüngsten Produktion ins Green’sche Œuvre (siehe das Gespräch in cargo 03) steht noch aus – sie fügt sich aber weder ins auteuristische Frühwerk (George Washington, 2000; Undertow, 2004), noch ins werkbiografisch darauf folgende, zwischen Komödie (The Sitter, 2011), Retro-Action (Pineapple Express, 2008) und Blockbuster-Parodie (Your Highness) mäandernde Mainstreamwerk. Worum es sich handelt: einen Werbespot für die amerikanische Automobilindustrie. Die gigantische Zuschauerzahl verdankt sich einem Sendeplatz, der prominenter nicht sein könnte: in der Halbzeitpause des Superbowl, ein Slot, der nicht nur die unmittelbare Nachbarschaft zu einem eigentümlichen Madonna-Auftritt mit sich brachte, sondern auch zahlreiche Exegeten auf den Plan rief.

Zum Beispiel das Mastermind der Bush-Administration Karl Rove. Der erkannte auf Machwerk, war theatralisch empört und schimpfte als Fox-Kommentator wie in alten Neocon-Tagen. Er begriff, was er sah, unzweideutig als Pro-Obama-Intervention. J. Hoberman – von der Village Voice frisch gefeuert und gerade noch nicht wieder bei Artinfo geheuert – gab Rove in einem Blogeintrag auf den Seiten der New York Review of Books von links durchaus recht: «Rove glaubte, dass es sich um ein trickreich subliminales Dankeschön der Automobilindustrie handelt, die sich ausgerechnet Clint Eastwood als Propagandisten für Obamas Wiederwahl ausgesucht hatte.» Der Garant dafür, dass man das so, aber auch anders sehen kann, ist allemal Eastwood selbst, der sich einerseits auf Nachfrage jede unterstellte Nähe zu Obama verbat, den man aber andererseits politisch schon lange nicht mehr irritationsfrei auf der Rechten, auf der man ihn als bekennenden Republikaner vermuten sollte, einordnen kann. Als politischen «Rorschachtest» hat Michael Sicinski im letzten cargo-Heft Eastwoods Spielfilm J. Edgar bezeichnet. Dieser Werbespot ist es in gewisser Weise auch.

Der Text, den Clint Eastwood spricht, stammt aus der Feder der Dichter Matthew Dickman ( jüngste Veröffentlichung: All American Poem) und Smith Henderson und oszilliert zwischen dem Pathos der Kabinenansprache und dem nicht minderen Pathos einer State-of-the-Union-Rede; beides mit getragener Orgel- und Blechbläserakkorduntermalung. Clint Eastwood ist als Schattenriss in den Wandelgängen eines Stadions unterwegs, bewegt sich aus dem Bildhintergrund gemessenen Schrittes Richtung Kamerastandort, um schließlich dort sein Gesicht zu zeigen. Auf dem Weg in die Großaufnahme hält seine hochheisere Trademark-Stimme aus dem Off eine Serie von Americana-Bildern zusammen: Schwarz-weiß-Fotos, die auf 9/11 rekurrieren, Stadt von oben, Porch auf dem Lande, Wall Street und Main Street, Gegenlicht und Asphalt, Slow-Mo-Bewegtbilder in Lateralfahrten aus Autofabriken, in denen viel Hochtechnologie, aber nur wenige Arbeiter zu sehen sind. Dabei immer Bewegungen in den Raum hinein, ein permanentes Gleiten, eine Fluiditätsästhetik à la Terrence Malick: so filmt man Aufbruch, Werden, Zukünftigkeit. Der Baum des Lebens wächst in den Himmel, «it’s halftime America», don’t look back. Alles stellt Eastwood als weiser Nationaltrainer des amerikanischen Volkes und stellt der Clip insgesamt unters Motto der Halbzeit. Die erste Hälfte war eine Prüfung, ist aber überwunden: «It seems that we’ve lost our heart at times. Fog, division, discord and blame make it hard to see what lies ahead. But after those trials we all rallied around what was right and did as one.» In der Schlusssequenz, vor den Marken- Credits (Chrysler, Ram, Dodge, Jeep) verfällt Eastwood in die direkte Kameraansprache: «This country can’t be knocked out with one punch. We get right back up again, and when we do the world is going to hear the roar of our engines. Ya, it’s halftime in America, and our second half is about to begin.»

Der «roar of our engines», dass nämlich bei Chrysler überhaupt noch was röhrt, verdankt sich einem Bail-out der Regierung Obama. Ob die jüngsten Erfolgs- und Gewinnmeldungen aus Detroits Autoindustrie Bestand haben werden, oder nur kurzfristigen Downsizing-Effekten geschuldet sind, wird sich vermutlich noch vor dem Ende der zweiten Halbzeit abzeichnen. Die von Green angerührte Mischung aus Patriotismus, Self-Empowerment und Beschwörung der Einheit deutet wohl schon die Richtung der präsidialen Wahlkampfrhetorik an. Das Bild, das dieser Spot von Amerika zeichnet, steht aus Sicht der Obama-Kampagne ja demnächst zur Wiederwahl an.