comic

Alte Meister Nicolas Mahler / Thomas Bernhard

Von Stefanie Diekmann

© Suhrkamp

 

Alte Meister ist ein ikonoklastisches Werk, nicht erst bei Nicolas Mahler, sondern bereits bei Thomas Bernhard: Bildbeschreibung als Bildbeschimpfung, Bilderklärung als Bildvernichtung; ein Programm der ausführlichen sprachlichen Behandlung, das auch gegen diejenigen aktiviert wird, die ins Museum gehen, um vor den Alten Meistern Aufstellung zu nehmen. «Nichts stößt mich so ab, wie wenn ich Leute beobachte, die bewundern», sagt der Herr mit Hut auf der Bank im Bildersaal, «die an irgendeiner Bewunderung erkrankt sind». Und weil er gerade dabei ist: «Der Zustand der Bewunderung ist ein Zustand der Geistesschwäche […], es gibt nichts zu bewundern […], gar nichts[…], nichts».

Mit dieser Haltung hat man sich eingerichtet. Nicht, wie voreilig vermutet werden könnte, fern von den Alten Meistern («alle diese Alten Meister, vor welchen es mich die meiste Zeit wie vor nichts ekelt und immer schon gegraust hat»), vielmehr mitten unter ihnen, im Bordone-Saal des Kunsthistorischen Museums Wien, in dem der Herr mit Hut nicht vor einem Bordone, sondern vor einem Tintoretto sitzt, seit dreißig Jahren, jeden zweiten Tag, außer an den eintrittsfreien Samstagen, an denen er sich sowohl von den Alten Meistern umgeben sähe als auch von denen, die Alte Meister bewundern, und dass daran wirklich nicht zu denken ist, wird man ohne weitere Erklärung verstehen.

Die hasserfüllte Betrachtung der Alten Meister ist eine exklusive Veranstaltung, ungestört und weitgehend unbegleitet, denn der Museumsdiener Irrsigler stört nicht und der Kollege Atzbacher kommt nur in den Saal, wenn man ihn dazu aufgefordert hat. Es ist außerdem eine Veranstaltung, die von der bewundernden Betrachtung bisweilen kaum unterschieden werden kann: nicht in Mahlers Bildern, auf denen der Herr mit Hut in einem Zustand der stummen Versenkung befangen scheint; und auch nicht in Bernhards kunstvollen Perioden, in denen auf die Objekte des Abscheus nicht weniger Aufmerksamkeit gewendet wird als andernorts, in den Schriften anderer Autoren, auf die Objekte der Verzückung. Abneigung ist Sprachhandeln, Alte Meister macht von dieser alten Bernhard-Regel keine Ausnahme und auch nicht davon, dass es dabei mit zwei oder drei Sätzen nicht getan ist und die Behandlung weder flüchtig noch ohne Sorgfalt erfolgen darf.

Nicolas Mahler, der als Gast des Suhrkamp-Verlags die sogenannte Komödie Alte Meister für eine Adaption auswählte, hat den Beständen des Kunsthistorischen Museums ebenfalls einige Aufmerksamkeit gewidmet. Und man kann nicht sagen, dass diese danach besser aussehen. Um genau zu sein, haben sich die Werke der Alten Meister (Giotto, «dieser schreckliche Ur- und Vor-Nazi Dürer», Rembrandt, Tintoretto, Tieopolo, Velázquez) vielleicht noch nie so scheußlich dargestellt wie in der vorliegenden Bearbeitung: monströse Madonnen, bizarre Krippen-Szenen, fest verschnürte, verkniffene Adelsgestalten, viele wabbelnde Akte und zerdrückte Christus-Knaben.* Die Kunstgeschichte, unter die sich Reger, der Herr mit dem Hut, begibt, und die von dem Museumsdiener Irrsigler auf seinen Wanderungen durch die Museumsräume durchquert wird, ist hier ein Horrorkabinett in Schwarz und Weiß und fettem Gelb, das vor allem für Haare, Hände, Flügel und darüber hinaus für die Kolorierung der Museumsausstattung: Rahmen, Kordeln, Türeinfassungen, Ornamente (einmal auch: für eine Sprechblase) verwendet wird.

Dass es im Museum mindestens ebenso wie auf die Gemälde auf den Zierat ankommt, dass also der klassische Gemäldesaal eine sehr vergoldete, vertäfelte, mit Ornamenten überwucherte Angelegenheit ist, lässt sich auf Mahlers Panels ganz gut erkennen. Zugleich sind diese Panels alles andere als überfüllt. Vielmehr setzt dieser Zeichner gegen die sehr vollgestellten Säle und Gemälde auf Reduktion, und gegen die Überfülle der musealen Ausstellung auf Repetition des immer gleichen Anblicks, mit kleinen Variationen, die meist solche des Weglassens sind. Grundmuster der Adaption: Herr mit Hut, Sitzbank, Kordel, Bild, Bilderrahmen, Täfelchen unten rechts, mit oder ohne Textkästen, dazwischen Blicke auf die Alten Meister, die mal wiederzuerkennen sind und mal nicht und zwischen den Meistern und den Sitzbank-Variationen manchmal ein Einstellungswechsel, wenn von außen oder innen auf die Eingangstür des Saales geblickt wird.

Männer, die auf Bilder starren. Das Projekt, sagt Mahler in einem Interview, habe seine Beziehung zu den Beständen des Kunsthistorischen Museums nicht unbedingt verändert, verbessert auch nicht. Jedenfalls gehe er nicht davon aus, dass er das Museum in Zukunft häufiger besuchen werde. Was ihm stattdessen gefallen haben könnte, ist die bezwingende Stasis der Situation: Sitzen, Schauen, keine überflüssige Bewegung, was mehr oder weniger auch die Situation von Flaschko, «Mann in der Heizdecke», beschreibt, der die berühmteste aller Mahler-Figuren ist und seit etwa zehn Jahren in besagter Decke in einem Sessel in einer Wohnung residiert, die er mit seiner Mutter teilt. Die Bilder kommen in diesem Fall aus dem Fernseher, außerdem spricht Flaschko kaum, da die Mutter mehr als genug redet. Dennoch haben wir uns den Mann in der Heizdecke als einen glücklichen Menschen vorzustellen, während der Herr mit Hut im Museum tief unglücklich ist, störrisch auf jener Bank platziert, auf der er einst seine verstorbene Frau kennenlernte.

Dass er durch einen Ortswechsel aus dem Zustand des Unglücks erlöst wird, ist nicht anzunehmen. Allenfalls könnte es darum gehen, ein Szenario des einsamen in eines des geteilten Unglücks zu überführen, den einen Gegenstand des Abscheus (Alte Meister) gegen einen anderen (Burgtheater) einzutauschen, in der Hoffnung, dass sich auch an anderem Orte etwas wie verbindende Abneigung herzustellen vermag. Es ist, so betrachtet, ein sehr großer Moment in den Beziehungen der Herren Reger und Atzbacher, als der Ältere dem Jüngeren vor dem Museum eine Karte für die Abendvorstellung des Burgtheaters überreicht. Und es ist der denkbar glücklichste Ausgang, als sie am Abend wirklich im Burgtheater sitzen, zu zweit, im Zerbrochnen Krug von Kleist, in einer Aufführung, über die sehr wenig zu sagen bleibt: «Die Vorstellung war entsetzlich».

* Auf der Website «Ugly Renaissance Babies», werden solche Christus-Kinder direkt von den Werken der Alten Meister gesammelt.