filmwissenschaft

In der Tiefe, in den Feinheiten, in den Details Überlegungen zu (D)3D

Von Jan Distelmeyer

© Koch Media

 

Ökonomischer Erfolg hilft dem Ansehen nicht unbedingt. Als Disneys The Lion King im September 2011 wieder in den US-Kinos anlief, um als digitale 3D-Produktion dann weltweit noch einmal knapp 100 Millionen Dollar einzuspielen, fanden sich etliche D3D-Kritiker bestätigt. Dass der eh schon erfolgreichste Disney-Film aller Zeiten als «3D-Spektakel» gleich wieder auf Platz 1 der Charts landete (als Vorbild für die D3D-isierung von Star Wars und Titanic ab Februar bzw. April 2012), war da so etwas wie die letzte Ölung der überdimensionierten Sensationsmaschine D3D, die dem Kino wenig bis nichts zu geben habe. Außer vielleicht ein bisschen Glamour und Geld im Rückzugsgefecht. Beispielhaft hat Jeremy Kay im Filmblog des Guardian angesichts der Lion King-Rückkehr die Zweifel an der Zukunft von D3D untermauert: Womit sich die Filmindustrie einmal mehr gegen eine Bedrohung der traditionellen Filmerfahrung zu stemmen versuche («first it was the advent of the television, then the video age and now the studios fear video on demand and video games»), sind altbackene Mätzchen – und weit weg von «creative film-making».

Die Diskussionen, ob die um 2008 mit großem Aufsehen und überzeugenden Einspielergebnissen gestartete D3D-Welle halten wird, begleiten und unterstützen auf ihre Art das 3D-Comeback im Kino des sogenannten «digitalen Zeitalters». Dazu gehört Jeffrey Katzenbergs Dauerhymne auf D3D als «dritte Revolution des Kinos» und die Gewissheit von Wim Wenders, dass sich hier (und natürlich mit seinem mehrdimensionalen Meisterstück Pina) ein neuer Standard für den Dokumentarfilm entwickele, ebenso wie die von Walter Murch und Roger Ebert felsenfestgestellte Ablehnung («It doesn’t work with our brains and it never will.»), die Fritz Göttler in Deutschland wiederholt hat. Unabhängig davon aber, wie sich D3D entwickeln wird: Klar ist immerhin heute schon, dass die klassische Konkurrenzlogik etwas zu kurz greift.

Bereits 2010 hat Thomas Elsaesser Erklärungsversuche, «die von einem Konkurrenzverhalten zwischen den audiovisuellen Leitmedien ausgehen» (die Filmindustrie fürchte «die Konkurrenz der neuen Medien, vor allem des Internets» und wolle «den Erlebnisort ‹Kino› möglichst klar von den immer kleiner werdenden Bildschirmen der Laptopcomputer und Smartphones abgrenzen») zu Recht kritisiert. Seine Einwände werden von der seit Jahrzehnten zunehmend auf Synergie ausgerichteten und in Medienkonglomerate eingebetteten US-Filmindustrie gestützt. Hollywood kann es sich schlicht nicht leisten (und wäre blind für die eigene Gegenwart und Zukunft), das Kino, mit dem schon 2002 nicht einmal die Hälfte der Filmumsätze weltweit generiert wurden, als unteilbaren Lebensraum ihrer Produkte zu verteidigen. Unter dem Druck von D3D indes könnten sowohl die für die Film produzierende und vertreibende Industrie kostensparende Umrüstung auf digitale Kinoprojektionen flächendeckend erzwungen, als auch mit 3D-Fernsehern und 3D-Laptops (wie dem im Februar 2011 vorgestellten Sony Vaio VPCF21Z1E/BI) neue Absätze generiert werden. Auch die D3D-Neuauflagen von The Lion King und Beauty and the Beast lassen sich nicht von ihrer Auswertung auf Blu-ray isolieren.

In dieser Gemengelage, in der Film offensichtlicher als je zuvor mit unterschiedlichsten Bereichen und ökonomischen Strategien unserer Kultur verbunden ist, muss die Entwicklung von dem, was wir heute unter 3D verstehen, zwangsläufig in einem größeren Zusammenhang als dem Kino-Dispositiv gesehen werden. Wenn Elsaesser hierzu von Konturen einer vorauseilenden Vereinnahmung spricht, so hat er dabei Gemeinsamkeiten im Auge, die «das Militär, de[n] Sicherheitsapparat des Staates und eben auch die Unterhaltungsindustrien» verbinden könnten: «Neben allen möglichen Simulationstechniken, die dem Kino nun spektakuläre Special Effects liefern, bieten die intensiven Recherchen Hollywoods zum dreidimensionalen Bild Verwendungsmöglichkeiten, die militärische, strategische und kommerzielle Partner im Visier haben und umgekehrt. Hollywood lernt und kauft sich ein bei Firmen, die digitale 3D-Visualisierungstechniken für Medizin, Architektur, Landvermessung, Unterwasser-Expeditionen, Wetter- und Klimaforschung entwickeln. In anderen Worten, man muss die neue 3D-Welle wohl im Zusammenhang mit anderen Bildoberflächen für Nutzer ganz verschiedener Herkunft und Zwecke verstehen […].»

Es wäre interessant, die Rolle von D3D in den verschiedenen Strategien einer Repräsentations- und Gewissheitspolitik der gegenwärtigen Kontrollgesellschaft weiter zu verfolgen. Das gilt auch für den Zusammenhang mit den wissenschaftlichen Evidenz-Strategien, für die Computersimulationen eingesetzt werden, die ebenfalls – wie auch die seit den frühen 90er Jahren in Spielen wie Wolfenstein 3D (1992) oder Doom(1993) so gefeierte Grafik – unter 3D firmieren, ohne im engeren Sinne stereoskopisch zu sein. (Die Offenheit des Labels 3D hat, wie ich noch zeigen werde, eine eigene Geschichte.) 3D-Simulationen leisten räumliche Überzeugungsarbeit. Das Versprechen von Übersicht, Kontrolle und Gewissheit mittels der Darstellungen von Objekten, die sich mir nun «von allen Seiten» offenbaren, spielt hier eine wichtige Rolle. In jedem Falle steht es in einem signifikanten und produktiven Spannungsverhältnis zu den Begrenzungen von Übersicht im Ego-Shooter, der ja genau damit, mit dem Wunsch nach und der Einschränkung von Kontrolle, sein Spiel treibt.

Die Popularität eines Blicks, der dezidiert nicht oberflächlich bleiben soll, der nicht auf die Oberfläche, sondern in die Tiefe (des Raumes) führt, müsste zudem auch in Zusammenhang mit den Traditionen des Regierens und den Selbst-Technologien diskutiert werden, die Michel Foucaults Studien zur Gouvernementalität ins öffentliche Bewusstsein gerückt haben. Wenn wir mit Foucault die Wurzeln der gegenwärtigen Technologien des Selbst, der Selbstführung und -verwaltung auf die Regierungserkenntnis zurückführen können, dass «die Bevölkerung zu verwalten heißt, sie gleichermaßen in der Tiefe zu verwalten, in den Feinheiten und im Detail», so scheint mir dieser im Neoliberalismus wachsende Anspruch, sich gleichsam selbst in der Tiefe zu verwalten, in den Feinheiten und im Detail, gut zu passen zu einer Ästhetik der Beobachtung, die selbst im vermeintlich stumpfen Home Entertainment Tiefe und Detail anstrebt. Es geht um alles.

Die Technologien des Selbst, mit denen wir uns bis in die Feinheiten auf Optimierungen hin ergründen mögen, mit denen wir uns für die gestellten und sich wandelnden Anforderungen im (Berufs-) Leben ausbilden und konturieren, lassen sich so vielleicht in einen Zusammenhang mit den Technologien des D3D bringen. Der sich in Computerspielen und -simulationen wie auch im D3D-Kino zeigende Hype um perfektionierte Konturierungen von allem, was sich im Raum darstellen lässt, kommt einerseits dem Wunsch nach Kontrolle und Übersicht entgegen. Andererseits ist er eine Art Abdruck jener Aufforderung nach Flexibilität und Selbstverantwortung, der wir nachkommen, indem wir uns der jeweiligen Anforderung entsprechend eigene Konturen geben, um uns flexibel stabilisiert den Umständen anzupassen. Gilles Deleuze hatte dafür das Bild einer «sich selbst verformenden Gußform» entworfen.

Partizipatorische Ereignisse

Die Erinnerung an den kurzen 3D-Boom der 50er hilft dabei, den D3D-Erfolg gute fünfzig Jahre später nicht auf einen monokausalen Zusammenhang zu reduzieren. So ist das hartnäckige Argument, der Aufstieg des Fernsehens in den USA zum bedeutenden Konkurrenzmedium Ende der 40er und Anfang der 50er Jahre habe das Kino zu strategischen Absetzbewegungen geführt, bereits seit einiger Zeit aufgeweicht worden. Die Bedeutung des Fernsehens für die Veränderungen war zweifellos groß. Nur ist seine Rolle in der damaligen Krise Hollywoods und der Ausrichtung hin zur Stereoskopie (3D) und den Breitwand-Verfahren wie Cinerama und Cinemascope etwas komplexer.

Mit wenigen Sätzen hatte Jerzy Toeplitz in seiner Geschichte des Films 1991 dazu aufgefordert, die gesellschaftlichen Veränderungen im Nachkriegsamerika zu beachten, und John Belton zeigte 1992 in Widescreen Cinema detailliert, wie der neue Lebensstil weite Teile der US-Bevölkerung fort vom Kino in die neuen Eigenheime, die Vororte und die Gärten führte. Belton machte klar, wie eng sowohl Hollywoods Krise als auch die 3D- und Breitwand-Prozesse in den USA der 50er mit demographischen und soziokulturellen Veränderungen zusammenhingen, die zugleich die Akzeptanz des Fernsehens förderten. Die Faktoren dieses Wandels reichen vom Rückgang der wöchentlichen Arbeitszeit über das Ansteigen des durchschnittlich verfügbaren Arbeitseinkommens und der demographischen Verschiebung der Mittelschicht von den urbanen Zentren zu den Vorstädten bis hin zu den signifikant gesteigerten Ausgaben: Geld für z. B. Neuwagen, Urlaubsreisen, Garten- und Heimwerkzeug, Verandamöbel und Grillfleisch. Der Weg in die städtischen Kinosäle lag da weniger nahe als andere Formen der Freizeitgestaltung. «Aktive» Tätigkeiten wie «Gartenarbeit, Angeln, Jagen, Rudern, Golf und Reisen», so Belton, «füllten mehr und mehr die Freizeit aus, während das Fernsehen das Bedürfnis nach kurzer passiver Unterhaltung befriedigte».

Das Problem war größer als der Flimmerkasten; und entsprechend groß die Reaktion. Mehr als die offensichtlichste und zunächst ungemein erfolgreiche Konsequenz der Filmindustrie – nämlich auf Autokinos jenseits der Zentren zu setzen, die dann 1956 landesweit zum ersten Mal mehr Besucher als die traditionellen Kinosäle anzogen – interessiert mich hier eine diskursive Verschiebung. Zwei Begriffe waren nunmehr für die Führungen und Planungen der Hollywood- Studios von neuem Interesse: Aktivität und Partizipation.

Am 26. Oktober 1953, zwei Jahre bevor das Wirtschaftsmagazin Fortune festhielt, «the sharpest fact about the postwar leisure market is the growing preference for active fun rather than mere onlooking», formulierte Darryl F. Zanuck, der einflussreiche Vizepräsident und Produktionsleiter der 20th Century Fox, seine Idee von zeitgemäßer Unterhaltung mit ähnlicher Zielrichtung. Nun sei «the public more participation-minded than ever», weshalb zwischen «recreation» und «entertainment» zugunsten der partizipatorischen Erholung unterschieden werden müsse: Entertainment sei etwas, das andere für einen besorgen («something others provide for you»), doch für Erholung, Entspannung und Freizeit sorge man teilnehmend selbst («recreation is something you provide in some measure for yourself – something in which you participate»).

Neben dem Fernsehen bestimmten die vielfältigen und als dezidiert «aktiv» geltenden (Konkurrenz-)Aktivitäten des Publikums jenseits bewegter Bilder und Töne eine Gegenwart, auf die Studios wie Fox, Disney oder Warner reagieren zu müssen glaubten. Bei Disney schlug man aus diesem angenommenen Aktivitäts- und Partizipations-Begehren ab 1955 mit einer eigenen Welt Kapital: Disneyland. Zanuck sah die Zukunft des Kinos in Technologien wie Cinerama, 3D und natürlich vor allem in der von Fox entwickelten Cinerama-Antwort: dem Breitwandverfahren Cinemascope. All diese Kinoformen wollte Zanuck ausdrücklich als «participatory events» verstanden wissen. Ganz ähnlich beschrieb Jack Warner zur gleichen Zeit für Warner Bros. seine Hoffnung auf 3D, diese Technologie ermögliche nun buchstäblich, Teil der Action zu werden – «to give the spectator the thrilling experience of actually being a participant in the dramatic action».

Zuvor, im September 1952, und damit noch kurz vor der 3D-Welle ab November 1952 und der Premiere von Cinemascope im September 1953, hatte die Werbung für This is Cinerama! (1952, Merian C. Cooper / Gunther von Fritsch / Ernest B. Schoedsack / Michael Todd Jr.) versprochen: «You won’t be gazing at a movie screen. You’ll find yourself swept right into the picture, surrounded by sight and sound […] Everything that happens on the curved Cinerama screen is happening to you. And without moving from your seat, you share, personally, in the most remarkable new kind of emotional experience ever brought to the theatre.» In den USAlief This is Cinerama!, der das auf drei Kameras und Projektoren setzende Breitwandverfahren Cinerama zu einem unübersehbaren Phänomen der Populärkultur erhob, in den wenigen tauglichen Kinos ganze 122 Wochen lang mit außergewöhnlich großem Erfolg. Allein in New York brachte er während seiner ersten Spielzeit 4,7 Millionen US-Dollar ein und mit den 1954 hinzugekommenen vierzehn Cinerama-Kinos einen für damalige Verhältnisse beeindruckenden Reingewinn von 9 Millionen Dollar. Der Erfolg und Eindruck von This is Cinerama!, den der Filmemacher David Strohmaier in seinem leidenschaftlichen Dokumentarfilm Cinerama Adventure (2002) als «erstaunlich dreidimensionale, virtual reality-ähnliche Erfahrung» beschreibt, war von immenser Bedeutung für die nun einsetzende Umorientierung der Film- und Kino- Industrie wie auch für die auf dem Fuße folgenden stereoskopischen Filme. Cinerama «war natürlich der Auslöser», wie Rudy Behlmer erklärt, «für Cinemascope, bis zu einem gewissen Grad für die 3D-Verfahren und ganz sicher für Vistavision und all die anderen ‹Visions› und ‹Scopes›, die auf den Markt kamen».

Die Immersion der 50er: Entscheidend scheint mir darum zunächst in dieser Entwicklung, dass unabhängig von der jeweiligen Ausprägung der Produktions- und Präsentationsverfahren eine konzeptionelle und vor allem diskursive Veränderung zu bemerken ist. David Eldridge hat sie so beschrieben: «A key function of the new screen technologies in the early Fifties was […] to redefine the meaning of ‹spectatorship›, to sell the cinematic experience as a participatory event.» Die neuen Filmtechniken setzten, so John Belton, auf «die vermehrte Illusion der Teilnahme». Sowohl stereoskopisches 3Dals auch das Breitwandkino wurden mit der Vorstellung von Teilhabe und physischer Präsenz assoziiert.

Gerade weil das populäre Kino der 50er Jahre also auf die angenommenen Partizipations- und Aktivitäts-Vorlieben des Publikums mit einem Angebot reagierte, das auf emotionale, sinnliche und in diesem Sinne physische Involvierung und Teilnahme setzte, werden die Parallelen zur gegenwärtigen D3D-Welle spannend. Immerhin ist der Hype um das Zauberwort «Interaktivität» in Zusammenhang mit der Erfolgsgeschichte digitaler Medien einer der Punkte, den die Filmindustrie bis heute auf dem Zettel hat – Mitte der 90er hat Variety «interactive entertainment» in Hollywood erstmals zum «hottest ticket in town» erklärt. Beide 3D-Kino-Wellen reagieren mit einem vergleichbaren Angebot der Involvierung, wobei das aktuelle D3Dzugleich durch jene anderen Partizipations-Strategien begleitet wird, die Computerspiele (weniger als Konkurrenz- denn als Ergänzungs- Medien) zu bieten haben.

Klar, die Reaktionen der horizontal integrierten Hollywood- Studios können gar nicht anders als breit gefächert sein. Das Musterbeispiel Avatar (2009, James Camaron) ist ja nicht nur eine Game-Phantasie des Kinos, sondern sowohl mit Hilfe von Game- Engines entstanden, als auch – darauf legte die PR großen Wert – in wechselseitiger Abhängigkeit zum zeitgleich produzierten Avatar-Game. Neben den mannigfaltigen Beteiligungen an der Entwicklung der Computerspiel-Branche und anderen computerbasierten Synergie-Effekten aber (von denen DVD, Blu-ray und webbasierte Auswertungen der Filme die ökonomisch bedeutendsten sind) reagiert die Filmindustrie mit einem (Heim-)Kinoversprechen, das auf die mit (Inter-)Aktivität assoziierten Publikumsvorlieben wieder einmal oder immer noch mit einem Gründungsmythos des Kinos antwortet: Beharrlich erzählt die Legende des frühen Films, bei der Premiere des einfahrenden Zugs der Brüder Lumière (L’Arrivée d’un train en gare de La Ciotat, 1895) im Pariser Grand Café Ende Dezember 1895 habe das entsetzte Publikum vor der auf die Kamera zufahrenden Eisenbahn heillos die Flucht ergriffen. Diese Panikphantasie, mittendrin statt nur dabei, hat das Kino selbst schon 1901 in Robert William Pauls The Countryman and the Cinematograph und 1902 in Edwin S. Porters Remake Uncle Josh at the Moving Pictures Show persifliert. Knapp 110 Jahre später wird sie vom Plakat zu Saw 3D (2010, Kevin Greutert) reanimiert, indem eine gefolterte Pupille passend «Eye- Popping 3D» verspricht.

Die Flachen und 3D

Aber was heißt hier überhaupt 3D? Die diskursive Orientierung in Richtung Aktivität und Partizipation der 50er ist mir vor allem deshalb wichtig, weil sie in einem bemerkenswerten Verständnis von 3Dgipfelte. Denn der Hype um das Zauberwort 3D bezog sich damals in den USA und Europa nicht auf ein bestimmtes Verfahren wie das anaglyphe Natural Vision von Warner Bros., mit dem dank der berüchtigten zweifarbigen Brille z. B. Andre de Toths House of Wax1953 zu seinem breiigen Leben erwachte. Es ging nicht einmal allein um das Phänomen des stereoskopischen Films.

Stattdessen kam es nach dem Breitwand-Clou This is Cinerama! und den Stereoskopie-Erfolgen von Bwana Devil (1952, Arch Oboler) und House of Wax zu einer Art diskursivem Wettstreit, der diverse Technologien unter 3D verhandelte. John Belton erläutert: «New production and exhibition processes, including Cinerama and Cinemascope … were generically referred to within the industry as ‹3-D›. This marked an attempt to distinguish them from the earlier 1.33 / 7:1 standard, which the industry and the trade press now referred to as ‹2-D› or ‹flat›. However, many of these ‹3-D› systems, such as Cinerama and Cinemascope, were merely widerscreen processes and did not rely upon ‹true› (binocular) stereo photography.» Zur Einführung des Cinemascope-Verfahrens 1953 ließ Fox-Präsident Spyros P. Skouras eine Erklärung veröffentlichen, die den «gleichen Eindruck wie bei einer lebendigen Darstellung auf der Bühne» versprach, weil nämlich Cinemascope «die 3. Dimension so stark» herausbrächte, dass «Dinge und Personen Teil und Fortsetzung des Zuschauerraums» seien. Ende November 1952, knapp zwei Monate nach der Uraufführung von This is Cinerama!, hatte Bwana Devil seine Premiere im stereoskopischen Natural Vision-Verfahren mit den besagten Anaglyphenbrillen erlebt. «A lion in your lap!» und «A lover in your arms!» hießen die Versprechungen auf dem Bwana Devil-Filmplakat: «The flat screen is gone! You – not a camera – but you are there!»

Auffällig wurden hier Partizipation und Involvierung an ein vermeintliches Verschwinden der Apparatur geknüpft. Nicht die Kamera, wir selbst wären dabei. Remediation: Ein Lob der Transparenz und Unmittelbarkeit, die Medialität nicht ausstellt, sondern zum Verschwinden brächte. Dass Medialität und Apparat beim Natural Vision-Verfahren unmerklich werden könnte, ist allerdings schon insofern eine komplett irre Idee, als dem ja durch den Brillenzwang eine genau bestimmte, binokulare Grenze gesetzt ist. Zum Versprechen «Ein Löwe auf deinem Schoß!» gehört auch «Und eine Brille auf deiner Nase!». Entsprechend konterte das Plakat zu Henry Kosters The Robe (1953) als «First Motion Picture in Cinemascope» neun Monate später: «The Modern Miracle You See Without Glasses!» Anfang 2011 kehrte diese Unmittelbarkeitsgeste, mit der die Videospiel-Industrie bereits seit einiger Zeit (vor allem mit der Wii- und kinect-Technologie) massiv operiert, auch für 3D wieder. Der Werbeslogan zur neu entwickelten Nintendo 3DS, einer tragbaren Spielkonsole mit autostereoskopischem Display, lautete schlicht: «3D ohne Brille»

In der 50er Jahren hatte 3D nur zum Teil und mitunter gar nichts mit Brillen zu tun, tatsächlich war die Subsumierung unterschiedlichster Verfahren unter das 3D-Schlagwort schon 1953 international durchgesetzt. In seinen sehr lesenswerten Überlegungen, ob Cinemascope das Kino retten könne (Cinemascope: sauvera-t-il le cinéma?), bezweifelte André Bazin im Herbst 1953, das stereoskopische Brillen- Kino könnte «im Krieg der 3D-Prozesse» den Sieg davontragen. Bazin setzte eher auf Cinemascope, während er zugleich die Differenz zwischen Breitwand- und anaglyphem 3D-Kino betonte und die «inkorrekte» Gleichsetzung als Erfolg «übereifriger Publicity» brandmarkte. Genau davon, von diesem Erfolg, legte Anfang 1953 die westdeutsche Berichterstattung im Spiegel Zeugnis ab. Hier wurde unter dem Titel «Die Flachen und 3D» mitgeteilt, durch das von 20th Century Fox «verwendete 3-D-Verfahren ‹Cinemascope›» habe das Studio «endgültig die Führung in dem 3-D-Rennen übernommen, das am 30. September vergangenen Jahres mit einer ‹Cinerama›-Vorführung auf dem New Yorker Broadway begann». Der Spiegel berichtete vom «‹brillenlosen› 3-D-System» Cinemascope und zitierte den Regisseur Henry Koster, in dessen Film The Robe in einer Szene römische Soldaten einen Urchristen verfolgten, er selbst habe «vorläufig keine Ahnung, wie diese ‹Jagd› dreidimensional gedreht werden muß».

Sowohl in den USA als auch in Europa war 3D zu Beginn der 50er Jahre ein Oberbegriff für diverse Produktions- und Präsentationspraktiken, unter denen erst in einem zweiten Schritt zwischen stereoskopischen und nicht stereoskopischen Verfahren unterschieden wurde. Ein möglicherweise nicht unwichtiges Detail für den Siegeszug von Cinemascope: So blieben die brillenbewährten Verfahren wie Natural Vision nicht nur die aufwändigeren, kostspieligeren und farblich limitierten Technologien – ihnen ging auch noch das Alleinstellungsmerkmal 3Dverlustig. In den USA, in Europa und auch in Japan endete die vorübergehende Steroskopie-Begeisterung bereits 1954 und machte sukzessive der Alternative Cinemascope bzw. vergleichbaren anamorphotischen Widescreen-Verfahren Platz. «3-D Without Glasses», so R. N. Hayes, hatte gewonnen: «It wasn’t stereoscopic of course, but it was panoramic, and that seemed to be the same for many».

Komplett speziell – «You are there!»

Vielleicht sollten wir diese strategischen Sprechweisen und medientechnischen Ungenauigkeiten der 50er nicht zu leicht abtun. Denn aus dem Ringen darum, was 3D sein könnte, ist eine, denke ich, anregende Offenheit zu gewinnen, wie wir die stereoskopischen Filme der 50er Jahre und auch das D3D-Phänomen verstehen und für grundsätzliche Fragen nutzen könnten.

Im Rückgriff auf Beobachtungen von David Bordwell hat Thomas Elsaesser zu Coraline (2009, Henry Selick) bemerkt, «dass die Animatoren […] den 3D-Effekt nicht nutzen, um die Tiefe des Raums zu betonen, sondern vielmehr, um Räume zu konstruieren, die klassische Regeln der Perspektive außer Kraft setzen», um davon ausgehend D3Dgegen die Vorläufer abzugrenzen: «Das Verfahren erweitert so die Ausdrucksformen des Films und damit auch das affektive Erleben, das Wahrnehmungsspektrum des Zuschauers. Das neue D3D funktioniert also erstens ganz anders als die Monster-Movies der 50er. Und es ist zweitens, was noch wichtiger ist, kein Special Effect.»

Zustimmen würde ich in dem Punkt, dass einige der D3D-Filme wie eben Coraline, Avatar und Up (2009, Pete Docter) – andere wie z. B. Michel Gondrys nachträglich in D3D konvertierter The Green Hornet (2011) aber auch wiederum nicht – sich große Mühe geben, nicht allein effektive Momente zu kreieren, die den in-your-face-Charakter bestimmter Szenen und damit der neuen Technologie betonen, sondern eine neue Räumlichkeit zu entwickeln, in der dann alles oder vieles (anders) möglich ist. Andererseits wäre aber zu fragen, warum die grundsätzliche Zuschreibung, das Verfahren erweitere die Gestalt und damit auch unser Erleben des Films, nicht ebenso für z. B. die 50er, die 80er und auch die anaglyphischen Filmerfahrungen von Robert Rodriguez’ Spy Kids 3D: Game Over (2004) und The Adventures of Sharkboy and Lavagirl in 3-D (2005) gilt.

Was wir dazu von den Debatten und der Ankündigungspolitik der 50er Jahre lernen könnten, ist das Versprechen auf eine ganzheitliche Erfahrung, das weniger einzelne Momente betont, die wir als spezielle Effekte isolieren könnten, sondern komplette Filme und deren Erfahrung als speziell auszeichnen. Die offensive 3D-Ansage zu Bwana Devil, die flache Leinwand würde komplett verschwinden und wir seien direkt am Ort des Geschehens, befindet sich in bester Gesellschaft. Zu House of Wax hieß es: «Every scene of its startling story comes off the screen right at you! Every sound you hear happens all around you! It’s like nothing ever before experienced in a theatre!» Das Plakat zu William Castles Fort Ti (1953) annoncierte: «A tremendous new experience. You can reach out and touch them!» Jane Russell in The French Line (1954, Lloyd Bacon) wurde angekündigt: «J. R. in 3D. It’ll knock both your eyes out!» Sangaree (1953, Edward Ludwig) versprach «You live it in 3 dimension.» und Man in the Dark (1953, Lew Landers) «It happens to you in three dimensions!». Inferno (1953, Roy Ward Baker) machte es noch kürzer: «You are there!».

Kein Kino der Attraktionen, sondern Kino als Attraktion: Schon am Beginn von Avatar, bevor wir zu den Na’vi in den Dschungel Pandoras aufbrechen, gibt das D3D-Format im riesigen, schwerelosen Innern des Militär-Spitals einen Eindruck davon, was wir erwarten dürfen: Tiefe, Räumlichkeit und eine Loslösung von den auf der Erde (und im Kinosaal) herrschenden Naturgesetzen. Und obwohl ich auch gut darauf hätte verzichten können, The Green Hornet in 3D zu sehen, und auch wenn meine extrem körperliche Erfahrung von Jackass 3D (2010, Jeff Tremaine) sicher von der Kombination des 3D-Verfahrens mit eben den extremen Körperlichkeiten lebte, die dort veranstaltet wurden (vom Dixi-Klo-Katapult und dem Schweißwasser-Cocktail bis zur finalen Endlosexplosion): Als D3D-Filme erreichen sie mich, auch im Falle einer nachträglichen Konversion, eben nur unter den Bedingungen einer D3D-Projektion.

Ein gutes Beispiel hierfür gibt Tron: Legacy (2011, Joseph Kosinski), dessen Vorführung in Deutschland mit dem kurzen Hinweis eingeleitet wurde, einige Szenen des kommenden Films seien zwar in «2D» gehalten, dies aber Teil der Planung, weshalb man doch bitte die Brillen in jedem Falle durchgängig und von Anfang an aufbehalten solle. Auch der Verzicht auf Effekte soll die Brille nach Filmbeginn nicht ins Spiel/Bewusstsein bringen. Werner Herzogs Cave of Forgotten Dreams (2010) lebt ebenfalls in besonderer Weise mit seiner Technologie, indem dieser Film versucht, so etwas wie Ur-Szenen der (Steinzeit-)Kinematografie mit dem neuesten Verfahren des digitalen Films weniger zu dokumentieren als auf eigenwillige Weise für sich zu erfinden – oder besser: zu beschwören. Gerade weil die Höhlenbilder in Cave ofForgotten Dreams bisweilen hinter dem räumlichen Eindruck der Untertitel in 3D zurückbleiben, ist dieser Film ein faszinierendes Beispiel, wie D3Dals Bedingung unterschiedliche Effekte erzeugen kann.

Möglichkeitsbedingungen

So regen die zeitgenössischen D3D- wie auch die historischen 3D-Filme zu zwei zusammenhängenden Gedanken an: Stereoskopische (D)3D-Verfahren sind, erstens, ebensowenig Spezialeffekte wie das Cinemascope-Format. Als Möglichkeitsbedingungen, als Teil des Kino-Dispositivs drängen sie uns damit, zweitens, die Frage auf, wie wir (im Spielfilm) überhaupt unterscheiden können zwischen Attraktionen bzw. Sensationen und dem, was wir diesen Elementen traditionell als Narration oder Diegese theoretisch entgegenstellen. Von hier aus ließen sich einige von z. B. Laura Mulvey, Etienne Souriau und Tom Gunning ausgelöste Diskussionen um den Film und seine (historischen) Kontexte und (ideologischen) Bedingungen neu führen.

Was auf der Leinwand in D3D passiert, ist ebenso ein einziger großer Spezialeffekt, ein einziges großes (oder dann manchmal eben doch nicht so großes) Spektakel wie auch das Kino selbst (ob nun im Normalformat der Stummfilm-Ära, in Cinemascope mit Stereoton oder den diversen 3D-Verfahren) ein Versprechen auf Spektakuläres, auf etwas, das anzuschauen und anzuhören wert ist. «Mit dem Scope vollzog sich an den Kinobildern etwas», hat Frieda Grafe geschrieben, «das aus der in ihnen steckenden Bewegung folgte und aus dem Umstand, dass sie projiziert sind.» Christian Metz hat Film als trucage, als eine Art «einzigen großen Trick» diskutiert. (D)3D ist eine Spielform dieses, wenn man so will, Spezialeffekts Film, der als eine Kunst des Kombinierens darin besteht, Vielfältiges (u. a. Bilder, Töne, Techniken, Diskurse, Apparate und Praktiken) in Zusammenhänge und Prozesse zu bringen, wozu dann in diesem Fall eben auch Brillen gehören.

Wenn D3D-Filme die Aufmerksamkeit gegenüber der Erfahrung des Films heute mehr herausfordern als andere, die dann das Label 2d verordnet bekommen, liegt dies weniger in dem begründet, was man ihr «Wesen» nennen könnte, also in ihrer computerbasierten Dimensionalität, als in ihrem Eingebettetsein im dominanten 2D-Film-Modus. Wir sehen aus der Erfahrung klassischer Projektion in eine Zukunft, von der wir nicht wissen, wie lange sie anhält, wohl aber, dass sie etablierte Sicherheiten und Verfügbarkeit unterminiert. Diese Technologie trennte das Kino ungefähr ab 2008 (zum ersten Mal seit dem Siegeszug von Heimvideo) für eine kleine Weile wieder radikal von der heimischen Filmversorgung, weil uns D3D einstweilen nur in (bestimmten) Kinos geboten wird.

Bis D3D eine gängige Bedingung des Heimkinos wird, zwingt es uns zu einer erneuten Achtung der flüchtigen Filmerfahrung im Kino. Der Neuigkeitswert, die historische Attraktivität dieser Technologie, provoziert darum einmal mehr Überlegungen zum komplexen Abhängigkeitsverhältnis zwischen der Ästhetik und den Dispositiven des Films. In der Veränderung des Kinos und der damit einhergehenden Veränderung des Schreibens darüber – dass ich eben (noch) nicht leichterhand nebenbei D3D-Filmszenen auf meinem Computer laufen lassen kann – steckt wie schon bei früheren Umbrüchen in Sachen Ton, Farbe, Format und Heimtechnologien (Video, DVD, Filesharing etc.) die Chance zur Neuorientierung. Sie könnte als inspirierende Verunsicherung auch theoretisch noch einmal aufs Ganze gehen.