Ohne Arg Über den Komödienschauspieler Paul Rudd und seinen neuen Film Our Idiot Brother
Es sind signalstarke Komödienzeichen, mit denen Our Idiot Brother seine Hauptfigur vorstellt: Ned (Paul Rudd), ein aussteigerbärtiger Späthippie im Rentierpullover, steht auf einem Biomarkt Upstate New York und verkauft Marihuana an einen Mann, der unübersehbar eine Polizeiuniform trägt. Was für ein Trottel, denkt sich auch der Bewährungshelfer, als er in das Gesicht dieses tiefenentspannten Delinquenten blickt, der mit großer Auskunftsfreude über die beanstandete Transaktion spricht. Später wird Ned nicht ohne Stolz vermerken, er habe seine Gefängniszeit mit der Auszeichnung «most cooperative inward» absolviert.
Die eigentliche Bewährungsprobe wird diesem stets ungeschützt sprechenden, hemmungslos aufrichtigen Ned ohnehin von seinen drei Schwestern auferlegt, mit denen der Film einen Querschnitt durch symbolträchtige New Yorker Stadtteilmilieus zieht: die um sich selbst kreisende Williamsburg-Bohème (Zooey Deschanel), das larmoyant-arrivierte Brownstone-Brooklyn (Emily Mortimer), das karriereverzweifelte Manhattan (Elizabeth Banks). Was diese unendlich oft medial gegengelesenen Welt- und Lebensentwürfe hier verbindet, sind Routinen der Selbstpräsentation, die einem Biodynamiker, der seine große Liebe (ein Golden Retriever) «Willie Nelson» nennt, quasi von Natur aus fremd sind.
Ich will so bleiben, wie ich bin – und Ned ist: too good to be true, ein heiliger Einfaltspinsel, ein idiotischer Wahrheitssprecher, der nur bei einem Satz zuverlässig ins Stottern kommt: «I’m the man». Das Gegenprogramm dazu ist das trampolinspringende Kind im Mann, das in Neds Fall nicht erst nach außen gekehrt, freitherapiert werden muss, sondern gar nicht wüsste, wie es sich maskulin maskieren sollte. Gleichwohl geht es bei diesem Kindskopf nicht um eine offensiv inszenierte Feier wiedergewonnener Infantilität. Neds «Regression» ist eigentlich keine, sondern nur eine Folie, vor der sich die post-adoleszente Normalität der anderen überdeutlich als falsches Leben abheben kann. Umgekehrt gilt: Der Mann ist so unterschiedslos wohlmeinend, dass es schon wieder unangepasst wirkt.
Im Zentrum dieser ganz speziellen Idee von Subversion steht eine extremistische Grundfreundlichkeit, die von Paul Rudd gar nicht wirklich herbeigespielt werden muss, weil sie konstitutiv zum geteilten Fundament seiner Rollenbiografie gehört: dem untergründig immer mitlaufenden longue-durée-Faktor all der Halberwachsenen, die dieser Schauspieler nun schon seit bald zehn Jahren in Hollywoods Komödienkosmos verkörpert, zumeist in Sichtweite des Planten «Apatow».
Im Unterschied zu all den anderen Mannskindern dieses kommerziell immer noch äußerst erfolgreichen Zentralgestirns der US-Filmindustrie, in Abgrenzung zu Seth Rogen, Jason Segel und Jonah Hill, ist Rudd, der etwas Ältere, nie buddy material, nie der mitabhängende, mitkiffende pot head, sondern meist jenes Exemplar, das das Leben in eine Bürouniform und ein nicht als Wohngemeinschaft nutzbares Loft-Apartment gesteckt hat. Wenn Rogen in Knocked Up nach einer durchzechten Nacht morgens zum Nachholschlafen aufbricht, fährt Rudd wie aus dem Ei gepellt die vergnügten Töchter in den Kindergarten. Auch in anderen Rudd-Filmen scheint es oft so, als wären seine Figuren nie jung gewesen und gleichzeitig unfähig, erwachsen zu werden: nach außen hin konsolidiert, innen drinnen aber reichlich unsortiert.
In der Gesamtwerkschau fließt dieser für Rudds Verhältnisse vergleichsweise sehr kumpeltaugliche Ned trotz erkennbarer Differenzbemühungen von Haarstylist und Kostümbildner denn auch ungehindert mit all den anderen Rollenbrüdern zusammen, die betont unspezifische Eigennamen tragen: George, Tim, Peter, Danny, Henry, Pete, Adam, David. Wenn in der Zuschauererinnerung die Zuordnung von Szenen, Gesten, Sätzen gelingt, dann über Partner, über Paarsituationen, die Rudd in der jüngsten Phase seiner Laufbahn mit Reese Witherspoon (How do you know, 2010), Steve Carell (Dinner for Schmucks, 2010), Jason Segel (I love You, Man, 2009), Jane Lynch (Role Models, 2009), Eva Longoria (Over my dead body, 2008), Leslie Mann (Knocked Up, 2007), Michelle Pfeiffer (I could never be your woman, 2007) und Seth Rogen (The 40 year old virgin, 2005) zusammengebracht haben. Parallel dazu gab und gibt es aber auch zahllose Cameo- Auftritte, die mit Figurennamen zusammenfallen, die wiederum kaum zu vergessen sind: von «Brian Fantana» (Anchorman – The legend of Ron Burgundy, 2004) über «John Lennon» (Walkhard – The Dewey Cox Story, 2007) bis zu «Bobby Newport» (Parks and Recreation, 4.12); und in Little Britain USA gab es einmal (1.3) einen geschniegelten französischen Präsidenten, der sich vom pathologisch eifersüchtigen Stabschef seines amerikanischen Amtskollegen eine «euro slut» nennen lassen musste (zu Recht).
Extrem freundlich
In Rudd-Filmen wird Arglosigkeit zur privilegierten Komödienform erhoben. Oft steht er mit leicht geöffnetem Mund da, versteht nicht gleich, muss nachdenken, staunen über das, was die jüngere Bewusstseinsphilosophie mit dem lustigen Ausdruck des «Fremdpsychischen» belegt hat. Die anderen sind ihm zwar nicht die Hölle, aber doch undurchschaubar genug, um regelmäßig außer Tritt zu geraten. Es sind diese kurzen Retardierungen, Handlungsverzögerungen, die Rudd komödiantisch mit unvergleichlicher Virtuosität bespielt. Tausendundeine Möglichkeit, für eine Sekunde nicht zu verstehen, was der andere meint, ob das sein oder ihr Ernst sein kann. Bearbeitet wird immer dieser eine Moment kurz vor dem Entgleisen normaler Vollzüge menschlicher Interaktion. Hier entzündet sich ein ganzes Register an Gesellschaftskomödie. Gewöhnlich unauffällig normsetzende Regeln des Sozialen erscheinen dann plötzlich ziemlich instabil, als könnte das lebensweltliche Miteinander auch grundlegend anders sein: extrem freundlich eben.
Wenn Rudd den Raum betritt, macht er keine Faxen, fällt nicht aus der Rolle, sondern provoziert sein Umfeld durch sture Gutmütigkeit. Das Schlimmste, was je eine Rudd-Figur einem Mitmenschen angetan hat, war, Steve Carell in Dinner for Schmucks aus niederen Karrieregründen zu einem fragwürdig konzipierten Abendessen einzuladen – am Ende ist Rudd den Job los und der Spinner sein neuer bester Freund. Zuvorkommend, ohne exaltierte Komödienperformanz steht die Rudd-Figur im Mittelpunkt all dieser Filme, lässt sie um sich kreisen. Ein Beweger, der selber unbewegt scheint, in sich ruht und leicht den Kopf schüttelt. Das offen ausagierte monkey business überlässt er anderen (Seann William Scott in Role Models), den schrägen Vögeln mit falschen Zähnen (Steve Carell) und problematischem Sozialverhalten (Jason Segel in I love you man).
Rudds Karriere hat sich erst in den letzten Jahren, beginnend mit The 40 year old Virgin, auf diesen Komödien-Prototypen, diese hypertolerante Variante der comedy of embarrassment verdichtet, nachdem anfänglich auch mal Teenstarruhm (als duldsamer Stiefbruder von Alicia Silverstone: Clueless, 1995), Network-Sitcom (als Phoebes Blind Date: Friends, 18 Episoden zwischen 2002– 2004) und Arthousekomödie (als Womanizer in einem jüdischen Ferienlager: Wet Hot American Summer, 2001) im Raum standen. Bei Party down, einer nach zwei Seasons (2009–2010) eingestellten TV-Comedy, die mit einem eigentlich großartigen Cast (Martin Starr, Jane Lynch, Adam Scott) letztlich zu wenig anzufangen wusste, war Rudd als Mitautor an der Konzeptentwicklung beteiligt. Heute ist er 43 und ein vollkommen allürenfreier Mainstreamkinoprofi, der einen Film nach dem anderen abdreht, ohne sich auch nur einen Millimeter aus dem angestammten Genre-Terrain heraus zu bewegen. Wenn er sein Repertoire erweitert, dann durch Binnendifferenzierung des eigenen Gestencodes. Das meiste ist bei ihm Wiederholungskomödie und Serienbildung. Im Grunde reproduziert Rudd baugleiche Typen-Performances, ein Karrieremodell wie zu Zeiten des Studiosystems.
Man kann sich diesen zu jeder Form des method acting denkbar unbegabten Schauspieler in der Tat weder in einem Blockbuster-Franchise noch in einem Drama oder Krimi vorstellen. Rudd ist gleichermaßen Anti- Tom-Cruise wie Anti-Daniel-Day-Lewis, ein entspannter Komödienhandwerker ohne hysterisches Leinwandego, ohne Neigung zu kalkulierten schauspielerischen Großleistungen. Seine aktuellen Filme neben Our Idiot Brother (der schwer in Ordnung ist, aber an manchen Stellen doch ein wenig verrät, dass die Weinstein-Brüder nun auch ihren Stück vom US-Komödienkuchen abhaben wollen) stellen da keine Ausnahme dar: In David Wains Wanderlust zieht Rudd (ein weiterer «George») mit der gestressten Jennifer Aniston in eine Hippiekommune; bereits in der Postproduktion befindet sich zudem ein Knocked Up-Sequel mit dem biografisch zutreffenden Titel This is Fourty.
Lieber die Männer
Paul Rudd ist kein transgressiver Komiker, kein Körperkomiker wie der flexible shape shifter und Fazialakrobatiker Jim Carrey oder der allein schon qua naturgegebener Untersetztheit sich permanent zurückgesetzt fühlende Ben Stiller. Oft ist Rudd aber: ein Fremdkörper. Jemand, der diskret rausfällt, weil es ihm nicht gelingen will, das zynische Handeln der anderen, die Gemeinheiten im Sozialen zu begreifen und situationsgerecht zu antizipieren. Genau deshalb sind Rudd-Komödien meist speziell romantische Komödien, die über scheinbar klassische Remarriage-Umwege ein Paar herstellen, aber eigentlich an weiteren Eingemeindungen, umfangreicheren Freundschaftsverbänden, community building interessiert sind.
Richtig viril, wirklich sexy ist dieser Mann nicht. Sein Paradigma ist die Adrettheit: nett, ordentlich, selbstgebügelt. Heterosexuell codierte Exklusivität und Jungssolidarität sind dabei aber letztlich uneindeutiger, als es der angeblich konservative Rahmen des Genres erwarten lässt. Wer genau hinsieht, wird erkennen, dass Rudd – außer im Fall von Reese Witherspoon (siehe cargo 09) – oft lieber die Männer geheiratet hätte (mit Leslie Mann lässt es sich aber auch aushalten). Am deutlichsten betrifft dies titelgemäß Jason Segel in I love you, Man (nebenbei bemerkt: die anderen großen schwulen Liebespaare des jüngeren Hollywoodkinos waren auch nie auf dem «Brokeback Mountain»: Bei Ben Stiller und Owen Wilson fließen in Starsky & Hutch nach einer zwischenzeitlichen Trennung ganz viele, ganz ehrliche Tränen; und ging nicht auch die Bruderliebe zwischen Matt Damon und Greg Kinnear in Stuck on You übers Normalmaß hinaus?)
Die Sorge um gelingendes male bonding, die Frage, worin männliche Freundschaftsrituale eigentlich genau gründen, welche Norm sie (re-)produzieren aber auch bedrohen, überlagert in Rudd-Filmen oft die Verfolgung einer traditionelleren Liebesidee, die aus der Komödie eine klassisch romantische machen würde. In Formelkomödien wie Over my dead body und I could never be your woman funktioniert Rudd oft deutlich weniger gut; sein zurückhaltendes Spiel, das selten über einen befremdeten Blick, eine gerunzelte Stirn, ein leichtes Schlenkern hinausgeht, sein schauspielhandwerkliches Understatement geht in durchformatierten Erzählungen ohne doppelten Boden, ohne Hintersinn für soziale Distinktionsmaschinen leicht unter. Tief- oder abgründig sind auch seine Figuren in den Filmen von Judd Apatow, David Wain, James L. Brooks und John Hamburger keineswegs – aber das Spiel mit den Gesten einer profunden Minimalirritation ergibt hier andere Resonanzräume, bleibt beziehbar auf das oft absurde Gesellschaftstheater «Normalität». Paul Rudd ist das denkbar feinste Sandkorn in dessen Getriebe, der halbe Schritt, der ins relative Off der Sozialbühne führt.