Ablaufdaten
In dem Moment, in dem ich diesen Text zu schreiben beginne, sind es noch 23 Tage 13 Stunden 15 Minuten und 8 Sekunden bis zum Weltende. Unmittelbar neben dem Fenster, in dem diese Uhr herunterzählt, wird eine Allnet Flat beworben, von der ich annehmen muss, dass sie auch in 24 Tagen noch gilt, und darüber hinaus. Verträge für drei Wochen schließt kaum jemand ab, insofern macht diese Anzeige tatsächlich AdSense. Inzwischen hat sich herumgesprochen, dass es mit dem Datum des 21. Dezember 2012 vielleicht nicht notwendigerweise auf das Weltende hinausläuft, sondern nur auf den Beginn einer weiteren Zeitrechnung nach einem Kalendarium, dem heute kaum mehr jemand folgt, weil es ein wenig kompliziert ist. Aber es war doch erstaunlich, wie oft sich die avisierte Apokalypse (in der, wie manche glauben, die Erde umgepolt werden wird) in die persönlichen und elektronischen Konversationen der letzten Zeit geschlichen hat. Meist wurde das Thema ironisch aufgegriffen, viele können sich auch noch an die Blamage mit dem Millennium Bug erinnern (kaum was passiert), und die generelle Stimmung der 80er Jahre (zuerst stirbt der Baum, dann der Mensch, und was macht Gaia danach allein? sie lässt sich gehen) hat sich so auch nicht bewährt; sie kommt nun allerdings mit den immer noch abstrakt klingenden Relationen zwischen Durchschnittstemperaturen und Jahreszahlen zurück. Plus zwei Grad bis 2050 würde bedeuten, dass das Gröbste noch einmal abgewendet werden konnte. Doch niemand hält diese Zahl für wahrscheinlich. Plus sechs Grad bis 2100 ist eine aktuellere Vermutung, die ich heute, knapp drei Stunden vor Beginn der Verfertigung dieses Textes, gelesen habe.
Als Filmkritiker mit geistigem Malteserkreuz bin ich an Vertaktung gewöhnt. Deswegen interessieren mich Datumsgrenzen (auch zwischen den Äonen). Das Kino ist schließlich jenes technische Medium, dessen Geschichte am stärksten kalendarisch bestimmt ist. Wir kennen seinen offiziellen Tag 1, und bis heute zählen wir noch die Jahre, die es vor seinem Ende so hinbekommt – ein Ende, das wiederum stark von Definitionen abhängt, und das nun auch nicht mehr so dringlich beschworen wird wie noch damals, als es an die Centenarfeierlichkeiten ging. Wann der erste Mac vorgestellt wurde, ist auch überliefert, wird aber durch die vielen Präsentationsdaten, die sich seither daran angeschlossen haben, relativiert. Das Kino hat also bisher noch den stärkeren Äon bestimmt, aber wie das in 50 Jahren aussehen wird, wenn der iMac, der für eine Weile mein Kino war, vielleicht nicht einmal mehr eine Fußnote in der Produktgeschichte sein wird, weiß keiner.
Was an der populären Faszination für den Maya-Kalender auffällig ist, ist das offenkundige Interesse an Bildhaftigkeit, das sich darin äußert. Die Deutung der Inschriften auf alten Stelen kann schnell einmal den Charakter des Geheimwissenschaftlichen bekommen, deren Faszination aber nicht zuletzt darin liegt, dass hier das Numerische in einer Zeichensprache verhandelt wird, die auf eine (große) Erzählung zielt. Es würde auf die größtmögliche Widerlegung unseres «secular age» hinauslaufen, wenn eine alte Kultur nicht nur den Begriffen, sondern auch den Jahreszahlen eine Verbindlichkeit zuordnen könnte, die auf einer Lesbarkeit der nun wirklich umfänglichen Welt (des Kosmos) beruht. Die Bildhaftigkeit der Zeichen ist aber zugleich die große Schwäche der Maya-Schrift, in der schon der Tag 1 einen Bart hat (der seither gewachsen ist, und in dem wir dann wohl der Filz sind). Man könnte also das Datum des 21. Dezember 2012 medienhistorisch deuten. An diesem Tag vollzieht sich vielleicht, aus unerfindlichen Gründen von einem präkolumbianischen Volk vorausgewusst, die schon lange absehbare Polwende von der alten Welt zu einer neuen, die gemeinhin die virtuelle genannt wird und auf numerischer Abstraktion weit über den Kalender hinaus beruht. Von diesem Tag an geht es endgültig darum, wieviel an alter Substanz (der allmählich die Luft ausgeht) in die neuen Medien übertragbar ist. Der 21. Dezember 2012 wäre dann ein relativ willkürliches Datum, das auf eine Apokalypse auf Probe verweist, die gerade stattfinden kann, weil sie sich gerade nicht auf ein Datum reduzieren lässt. Der Maya- Kalender verweist uns auf die schleichenden Prozesse, auf die Umbrüche ohne Termin, denen einen apokalyptischen Sinn unterzujubeln gerade wieder nicht so in Mode ist. Wir sprechen in 23 Tagen, 11 Stunden, 57 Minuten, und, Moment, 25 Sekunden weiter.