Verfädelte Geschichte Die Kreuzzüge als Marionettenspiel: Zu Wael Shawkys Cabaret Crusade: The Path to Cairo
Wael Shawkys Cabaret Crusade: The Path to Cairo (2012) ist ein sprunghafter, unruhiger Film, der sich jedem Versuch, ihn zu stimmiger Ganzheit zu glätten, entzieht. Dem 1971 in Alexandria geborenen Künstler gelingt es in diesem zweiten Teil einer geplanten Trilogie, ein weit gespanntes und doch verdichtetes Panorama auszubreiten, ein Spiel in Gang zu setzen, das fünfzig Jahre durchmisst. Erzählt wird die Geschichte der Kreuzzüge komplett mit Marionetten, deren immer etwas gravitätisch verwackelte Bewegungen das Verknäulte der Erzählung nur auf den ersten Blick konterkarieren.
Cabaret Crusade: The Path to Cairo war nicht nur auf der diesjährigen Documenta (13) zu sehen, sondern auch in einer Einzelausstellung in den Berliner Kunst-Werken, die Shawky als Preisträger der Schering Stiftung ermöglicht wurde. Neben einem Preisgeld von 10 000 Euro bringt ihm die Ehrung auch eine Monographie ein, die bald erscheinen wird.
In dem gut einstündigen Film zeigt Shawky Meuchelmorde, Verschwörungen und Verrat, präsentiert eine Geschichte voller Delinquenten, karikaturhafter Akteure, rachetrunkener Bösewichter, marodierender Schurken und Gauner. Dass im Marionettenspiel mit seinen typenhaften Stilisierungen ausgewiesene Scharlatane auftreten, kommt nicht überraschend. Doch Cabaret Crusade entwickelt seine groteske Geschichte ausnahmslos mit Verbrechern: zeigt abgeschlagene Marionettenhäupter, grimassierende Gesichtszüge und entstellte Finsterlinge in blutbefleckten Kostümen. Kamen im ersten Teil der Trilogie noch die Sammlung Lupi zum Einsatz, so wurden für den zweiten Teil Marionetten aus Keramik entworfen, und die hölzern erstarrte Mimik zugunsten beweglicher Lider und Lippen gelockert. Vor allem die Keramikköpfe sind tierähnlich, evozieren Kamele. In Close-Ups werden anatomische Atavismen herauspräpariert: Gesichter mit wulstigen Lippen und schiefen Schneidezähnen oder kurzschnäuzige Kugelköpfe mit weit auseinander liegenden und hervorstechenden Mopsaugen. Diese Zwitterwesen scheinen den Dämonenglauben des Mittelalters wiederaufzuführen, mitsamt seinen Fantasien von Menschen, die sich oder Teile ihrer Körper in Tiergestalten verändern und die Züge von Tieren annehmen können. Zusätzlich werden die ohnehin ungestalten Marionettenkörper durch makabres Make-up entstellt, ihre Keramikköpfe mit einer schmierig schimmernden Schicht glasiert oder mit blutroter Marmorierung schraffiert, als schimmerte die kapillare Textur der Blutgefäße durch ihre Kopfhaut. Die Gesichtszüge, die im Marionettentheater für die bessere Fernwirkung notwendig grobschlächtig sind, wirken in der Nahaufnahme grotesk überzogen.
Es ist eine Welt des permanenten Rechtsbruchs, der Habgier, des Hauens und Stechens, die Shawky hier voführt. Indem er die zappelnden Puppen mit ihren vertierten Gesichtern in Zivilisationsmasken kostspieliger Kleidung hüllt, macht er ihre Prahlsucht und eingebildete Größe nur sichtbarer. Die Marionetten sind von einer unablässigen Unruhe ergriffen, sind weniger ruckartig als rhythmisch bewegt, schlottern, zucken und zittern.
Shawky legt Gitternetze über seine Filmbilder. Die vielen Schnüre, an denen die Marionetten hängen, zerteilen im Vordergrund das Bild und verdecken als Fadengespinste den Blick auf die Bühne. Im Hintergrund bilden Papparchitekturen mit Wand- und Bodenmosaiken das Dekor, das damaligen Miniaturmalereien oder historischen Stadtplänen nachempfunden ist. Shawky verwendet Mittel, die auf den ersten Blick mehr mit Theater als mit Kino zu tun haben. Das Wechselspiel zwischen Ab- und Aufblende, zwischen Ver- und Enthüllen und der Einsatz von Schiebeblenden, die die Schwarzbilder auf vertikaler wie horizontaler Achse aus dem Bildfeld drängen und Einblicke auf die Szenerie eröffnen, erinnern an Bühnenräume und deren Vorhänge. Als Interpunktion des Erzählablaufs trennen Schwarzblenden die Szenen. In diesen beschleunigenden Pausen lagern Wochen, Monate, Jahre – immer wieder zieht sich hier die Historie in dunkle Schlupfwinkel zurück. Im Konzept des Seriellen, das alle möglichen Ereignisse – Verbrechen, Brudermorde, Hochzeiten – als nummernartige Attraktionen hintereinander schaltet, werden fünfzig Jahre zwischen dem Ersten und dem Zweiten Kreuzzug (1099– 1149) überbrückt. Durch die Einblendung von Stadt und Jahreszahl werden einzelne Episoden präzise verortet – auch etliche Akteure sind mit Namen genannt. Trotz dieser Hinweise verdunkelt sich die Geschichte der Kreuzzüge zunehmend in eine zerklüftete Serie narrativer Segmente. Obwohl die Daten chronologisch geordnet sind und den gesamten Inhalt auf eine kohärente Geschichte hin zu bündeln scheinen, wird die Kontinuität massiv untergraben. Zuweilen fallen die sprunghaften Angaben aus der zeitlichen Ordnung, springen um Jahre zurück und reißen so immer größere Risse in die Erzählung.
Tanz und Trance
Cabaret Crusade erschließt sich nur über die Seite seiner technischen Verfahren. Neben der Geschichte der Kreuzzüge läuft eine zweite Spur immer mit, die sich in Farbfiltern, Unschärfen und Überblendungen artikuliert. Shawky operiert mit hysterischen Affektfarben – ein Exzess der Farbfilter von goldenem Gelb über Blau bis hin zu alarmierenden Rottönen. Blicke zerstreuen sich in diffuser Beleuchtung. Durch ständig über das Bild huschende Unschärfen verlieren die Figuren ihre Konturen. Nebelschwaden verdichten und verschieben sich, decken die Bilder zu und stören den Blick. Aus den Unschärfen tauchen Marionetten auf, ihre Herkunft ist unklar, umso schauerlicher ihr Auftritt. Je undurchsichtiger so die Geschichte der Kreuzzüge wird, je mehr von der bloßen Erzählung abstrahiert wird, desto stärker drängen Kamerakapriolen, schwankende Schärfen, schrille Farbeffekte und das unruhig, jäh auflodernde Licht in den Vordergrund. Wie in einem Kaleidoskop wirbeln die dramatischen Ereignisse durcheinander.
Auf den Bildern lagern Tonschichten. Die dem Film unterlegte elektronische Musik zieht Richtung Abgrund, Shawky hat sie in Zusammenarbeit mit französischen Studierenden komponiert. In vielen Sequenzen wird der Text von einzelnen Rezitatoren oder von kleinen Chören gesungen. Ihre Gesänge, die immer wieder in Sprechgesang übergehen, werden durch Trommelschläge und durch Schellen und blecherne Klänge orientalischer Musik rhythmisiert. Der perkussive Rhythmus bringt die Marionetten zum Vibrieren und versetzt sie in Ekstase, in eine Art Trance. Mitten im ekstatischen Tanz verstummt die Musik, doch die Marionetten zappeln munter weiter.
Als Referenzwerk für seine Trilogie nannte Wael Shawky das Buch Les Croisades vues par les Arabes, das der in Frankreich lebende libanesische Autor Amin Maalouf 1983 publiziert hat. Maalouf benutzte die Schriften arabischer Chronisten, die während der Kreuzzüge oder kurz danach lebten. Schon Maalouf beschreibt die Kreuzzüge als ein Massaker. Doch sein Buch dient Shawky nur als Ausgangspunkt für seine permanenten Transformationen. Denn die arabischen Chroniken werden in Formen traditioneller Lieder gesungen und von Schrift in Gesang und Gerede transponiert. Auch das Chanson de Roland wird ins Arabische übertragen und rhapsodenhaft gesungen. In diesen Übertragungen und Übersetzungen in andere Redeweisen, in den Blenden und Filtern verschiebt sich der Gegenstand, so dass Shawkys Cabaret Crusade kaum als ein Gegennarrativ zu westlicher Geschichtsschreibung zu beschreiben wäre, wohl aber als hybrides Gebilde, das einer linearen Historiographie misstraut. Verschiebungen zeigen sich nicht nur im verwickelten Verlauf der Kreuzzüge mit seinen wechselnden Koalitionen, Intrigen und Verratsgeschichten, sondern auch in Shawkys Gebrauch von menschenähnlichen Figurinen: Schon die märchenhaften Marionetten richten sich gegen einen Erscheinungsrealismus, entrücken die Geschichte der Kreuzzüge weit ins Imaginäre. Darüber hinaus werden die insgesamt 110 für den zweiten Teil entstandenen Marionetten für verschiedene Rollen eingesetzt, dieselbe Figur ist mal ein Kreuzfahrer und dann eine muslimische Frau. Alle sprechen Arabisch, auch die Kreuzritter. In der Vielschichtigkeit, Verdichtung und Verschiebung zeigt sich ein polyfokal angelegter Blick auf Geschichte, der weder einer Systematik gehorcht noch unwiderlegbare Geschlossenheit beansprucht.