serien 2012

All Over the Map Brookly ist: Bored to Death

Von Daniel Eschkötter

© HBO

 

Das eigenschaftslose, das provinzielle Brooklyn aus Brooklyn ist, James Agees Reisenotizen und dichte Beschreibungen aus seinen Wanderungen und Erkundungen Südöstlich der Insel von 1939, die eigentlich ein furioses Prosagedicht sind, dieses Brooklyn, der «Ort, an dem Menschen nur ‹leben›» (Agee, S. 19), ist natürlich längst weg, verschüttet oder verschoben. Die Eigenschaftslosigkeit der riesigen, jenseits der Karte gestalt- und markierungslosen, ethnisch alles enthaltenden Stadt in der Stadt ist längst ersetzt worden durch die Projektion einer anderen Karte, einer der Hyperbinnenunterscheidbarkeit und Wucherung von Stilen, Geschmäckern, Wissen, anderer Arten von gewählter Provinzialität eben.

Was in der Serie über eine in dieser Hinsicht verwandte Stadt, Portlandia, von Fred Armisen und Sleater-Kinneys Carrie Brownstein konsequent in kleine Stücke mit Zeit-und Ortsangabe gepackt und in eine so parodistische wie leidenschaftliche Mikrologie der alternative lifestyles und ihrer Äußerungen überführt wird – We can pickle that! She’s making jewelry now! Put a bird on it! –, ist in der HBO-Komödie Bored to Death (2009– 2011) vor allem Kulisse für Kreativenneurosen und Neurosenkreativität. Bored to Death ist all over the map, kreuz & quer durch Brooklyn, auch durch die charmant narzisstischen und neurotischen Grundgestimmtheiten dreier permanent kastrationsbedrohter Männer mit daddy issues (einer sucht seinen, einer wird einer, einer ist ein schlechter), denen es ein großer Abenteuerplatz fürs Detektivspielen ist, dieses wenig kartentreue, ethnisch überschaubarer differenzierte Brooklyn (– es ist sehr, sehr weiß). Was hier Diagnose, was hier Symptom ist, schwer zu entscheiden, aber es ist eine lustvolle Ununterscheidbarkeit.

Jason Schwartzman ist als Stellvertreter des Autors und Bored to Death- Creators Jonathan Ames Schriftsteller mit wechselndem Erfolg – ein Verlegerinnenauftrag: Kamasutraroman, jede Stellung ein Kapitel. So einer braucht eben, selbst noch im Phantasie-New York, einen Zweit- und Drittjob, also «moonlighting» als Privatdetektiv, über Craigslist, ein schöner Existenzentwurf, der Schwartzman auch nicht schlechter steht als einst Truffauts und Jean- Pierre Léauds Antoine Doinel. «Investigation & Writing» steht dann an der Bürotür. Aber die schönen Sakkos in Schwartzmans Signatur-Preppy-Stil kann man auch gleich noch für den Drittjob anlassen, Abendschule, Schreibunterricht.

Jason Schwartzman ist immer gleich selbst verdächtig, doch irgendwie der Wes Anderson-Welt zu entstammen, und er kann ohnehin gar nicht anders, als noch die geradeste Äußerung in Schwingungen des Unernstes zu versetzen, mit der ihm eigenen eleganten Unsubtilität, die von den Brauen ausgeht und Sätze hervorbringt, die überall unterstrichen, mit Anführungszeichen versehen sind. Schwartzmans Detektiv-Pastiche-Pastiche, das so viele blödsinnige Verfolgungsjagden und Versteckspiele und Noirposereien produziert, dass man die Mühe doch schon wieder würdigen kann, wird geerdet von Zach Galifianakis als Kindsmann Ray, der seinen Alternativentwurf in seiner Pummelcomicsuperheldenschöpfung hat; Super Ray, der bei seiner Freundin mit Kindern eigentlich aufmerksamkeitsunterversorgt ist und für den elder love, die Liebe der und zu den reiferen Frauen also, die konsequenteste Selbstperfektionierung und Regression ist. Und der dritte Mann, Ted Danson, hat hier als überzeugter, aber eben auch ziemlich verwirrter Manhattanite eine in jeder Hinsicht maßgeschneiderte Rolle für das kommende Alter oder vielmehr seinen Aufschub («60 ist das neue 45»). Sein George Christopher ist ein großzügiger Stoner-Narziss, der einst lebte wie ein «dementer Gott» (Sexkosename: Great Nosferatu), ein Dandy-Don Quijote des Magazinjournalismus, Editor und Kolumnist bei einer Vanity Fair-Variante, die irgendwann an die christliche Rechte verkauft wird. (Christopher: «I’m kind of a closet libertarian myself. I’m fiscally responsible but sexually out of control.») Die drei bewegen sich, auf Pastichefällen oder einfach nur so, desorientiert durch eine Serienstadt, in der Genreabziehbilder und real places sich unübersichtlich mischen und der große Fall eben der einer tödlich gelangweilten Mittelklasse ist. Selbst das Wiederbringen gestohlener Hunde oder Skateboards verspricht Abenteuer. Sonst bietet die Serie als Gegenmittel vor allem auf und an: fröhlichen Narzissmus und Magie der Einbildungskraft, die nur rauschmittelinduziert zu haben ist. Eine einzige große schräge Kur ist Bored to Death, eine Lektion in Projektemacherei. Irgendwie stecken dahinter dann freilich doch Ambitionen, denn besonders gut aufgehoben fühlt sich die Serie in der Nähe von wohlgesetzten Wörtern und Buchstaben, irgendwo in Nachbarschaft von Graphic Novels und The New Yorker, auf die hier, von der Buchanimation der Credits über die inneren Schreib- und Zeichenentwürfe bis zu den Milieus vieles hinaus will.

Diese Milieus der Serie mögen schon lange wohlfeil überkarikiert sein, aber ausgelassen wird in Bored to Death dennoch nichts, nicht das Stolpern über die hochgerüsteten Kinderwagen der Park Slope-Moms (bis Ray selbst eine wird und sein Samenspendenbaby ausfährt); nicht die Biorestaurants (hier im Meilenwettkampf, wer seine Lebensmittel lokaler bezieht) und Kaffeekultur und Food Co-ops und Kunstprojekte und Galerien und überhaupt Aufwertung-Verteuerung-Gentrifizierung, die dieses Leben genauso bedingen wie die Ausblendung des anderen Brooklyn, vergangen und gegenwärtig, das da ja auch noch ist. Eine programmatische Verneinung, die jene der Figuren spiegelt. («This must be a mistake, I’ve never been mugged before, this neighborhood has been gentrified for years.»)

Ihr Brooklyn, das sind die kleinen pittoresk runtergerockten Vergnügungsinseln, Brighton Beach oder ein Karussell im Prospect Park, wo man sich im Kreis verfolgen kann. Oder Park Slope oder Prospect Heights mit den Kinderwagen, Therapeuten, der öffentlichen Bibliothek. Oder Fort Greene, immer wieder, wo Jonathan in Season 3 dann im «gigantic cock», im Phallus von Brooklyn, dem Williamsburgh Savings Bank Tower wohnt, hinter der Uhr (an der er dann auch mal hängt, wie Harold Lloyd; nicht nur eine Referenz, auch eine Spur, die zu den frühen Bachelor- und Collegekomödien führt).

Oder Coney Island, mit seinem Riesenrad. Und so führt der Weg von den vielen Fällen zum eigenen, von den zerstreuten Referenzen zum Ödipus und von der horizontalen Unordnung Brooklyns über den einen ikonischen vertikalen Ort, den Bank Tower, dann schließlich, in der vorletzten Folge, tatsächlich dorthin, in das Riesenrad, und die Magnetic Fields singen dazu von den Strange Powers («On the ferris wheel looking out on Coney Island»), und in der Gondel küsst Jonathan Ames, nun bald ein fröhlicher Ödipus, seine Halbschwester, mit der ihn die Serie zusammenführt; Geschwisterliebe, oder eine Utopie eines Manns ohne Eigenschaften.

Das provinzielle Bored to Death endet dann – für immer, vorerst: wird sich zeigen –, und das provinzielle Brooklyn bleibt (enter Girls). Schön galt für die Serie, was ihr Protagonist in seiner genealogischen Verwirrung, nachdem ihm offenbart wurde, dass auch er aus einer Samenbank stammt, irgendwann auf die Formel bringt: «half Brooklyn, half mystery».

 

Bored To Death ist auf DVD (als UK-Import auch mit RC 2) und VoD erhältlich | James Agee: Brooklyn ist. Südöstlich der Insel: Reisenotizen. Mit einem Vorwort von Jonathan Lethem, Diaphanes 2012