serien 2012

Howdy M’am Elmore-Leonard-Neo-Western-Hinterland: Zu Justified

Von Daniel Eschkötter

© Fox

 

Elmore Leonard ist ein großer Chronist und Erfinder krimineller Dummheit, schlichter Gemüter, undurchdachter Pläne; man stellt ihn sich als Virtuosen der Lektüre von Meldungen vor, die unter «Vermischtes» stehen: Kleingangster, die sich als Organhändler und (-entnehmer) versuchen; ein Zuhälter, der seine Prostituierten auf Bankraubzüge schickt; Entführer, die das Lösegeld nur von ihrem Entführungsopfer bekommen können und so weiter. Die FX-Serie justified, die den Credits nach auf einer Short Story von Leonard beruht, Fire in the Hole, ist voll von meist mörderischer Stupidität genau dieser und ähnlicher Art, voll auch vom Kopfschütteln des Deputy US-Marshals Raylan Givens, dessen Geschäft es als Angestellter des United States Marshals Service ist, die wieder einzusammeln, die nicht so richtig weit denken konnten, und dabei die über den Haufen zu schießen oder auch mal zu fahren, die sich zudem noch ein wenig überschätzt haben. Mann mit Hut, ein modernisierter Cowboy-Stetson hier, das ist eine lakonische Souveränitätsformel: Raylan Givens hat fast immer den Hut auf.

Givens ist bei Leonard ein nicht unschlichtes Gemüt, aber eines mit etwas Witz, Voraussicht und situativer Schlauheit. In Pronto, dem ersten Leonard-Roman mit Givens als Figur, wird viel aus und mit seinem Unverständnis für Ezra Pound gemacht, mit dessen Bekanntschaft ein Buchmacher sich schmückt. Und daraus, wie der Buchmacher ihn mehrfach übers Ohr haut. Ezra Pound begegnet man in justifieds Kentucky eher nicht, Bluegrass ist da schon der abstrakteste Kunstgenuss. Aber Timothy Olyphant, der Darsteller von Raylan Givens, wirkt auch nicht so, als könne man ihn mit Pound richtig schrecken.

Für justified und Givens hat Timothy Olyphant einfach seine bis dahin größte Rolle therapiert in ein gegenwärtiges Elmore Leonard-Neo-Western-Hinterland mitgenommen, den, euphemistisch gesagt, sehr irritablen Sheriff Bullock aus dem großen amerikanischen Gründungstheater, das Deadwood, die Serie, die Stadt war. «Ill tempered», das ist auch Raylan Givens ein wenig ( ja, harte Kindheit, krimineller Vater), aber statt permanent wutverspannt läuft Olyphant hier in Realzeitlupe, Hut ab, Hut auf, Daumen am Gürtel, Hand am Halfter, Granddadshirt unter dem Sakko leicht aufgeknöpft, «Howdy M’am» mit Finger an der Hutkrempe, überhaupt smooth talking durch das Serien-Kentucky, das sich gar nicht soviel Mühe gibt, nach Schwarzbrenner- und Kohleminencountry auszusehen, wie es das Drehbuch eigentlich wohl erfordern würde. Hier ein Bruchbuden-white-trash-Setting, ein Barbecue, ein Wohnwagenbordell, da mal eine seltene städtische Szene, nichts, was nicht auch Kalifornien bieten würde, wo die Serie tatsächlich gedreht wird. Viele Studioaufnahmen, wenig Komparsen: Wer so im Bild rumsteht, ist meistens irgendwie kriminell; die Bevölkerungsdichte von Eastern Kentucky mag gering sein, die Waffen- und kriminelle Energiedichte ist hier dafür ziemlich hoch.

So nervig der permanent rechts- und zornbesoffene Bullock des dort und andernorts etwas limitiert daherkommenden Schauspielers Olyphant in deadwood mitunter war, so spektakulär ist Olyphant in justified: wie er seine etwas snobbige, ironische Modelattitüde in den lakonischen Lawman übersetzt, der sich trotzdem bei jeder Gelegenheit das Gesicht demolieren lassen muss. Unbeschädigt geht Givens eigentlich nie durch eine Staffel, etwas autodestruktiv ist der Marshall angelegt, auch das hat er von Bullock abbekommen. Er wird von Miami in seine Heimat versetzt, Harlan County, Kentucky, berühmt vor allem für seine Kohle und die Minenarbeiterstreiks der siebziger Jahre (dazu: der Dokumentarfilm harlan county, usa, 1976, Regie: Barbara Kopple), nachdem er am Anfang der ersten Folge (bei Leonard: am Ende von Pronto) einem Miami Mobster erst ein Ultimatum gesetzt – 24 Stunden um die Stadt zu verlassen –, ihn dann erschossen hat. «Let’s just keep it simple: He pulled first, I shot him», das muss reichen für die Dienstaufsicht. Kurz, ein Anachronismus soll Givens sein, ein 100 Jahre zu spät Gekommener mit manchmal antiquiertem, das heißt einfachem, unbürokratischem Rechtsverständnis, dem deshalb das ohnehin etwas verspätete oder überholte Harlan eigentlich in den Kram und Gang passt. Es ist aber doch eher ein unerfreuliches Homecoming, Highschool Sweetheart, Exfrau, Kleingangstervater, Neo-Nazi-Gangster-Minenkumpel, alter Kollege, alte Rivalen, alles inklusive.

justified ist ein vielfach entspannter Versuch, auf den Qualitätsserienstress zu reagieren, sich ihm auch zu entziehen: mit Story Arcs, die mal rein- und rauszappen, im unsteten Wechsel von autonomen Aufträgen, also Verfolgungen von flüchtigen Kriminellen oder Zeugenschutz, und Forterzählungen von Bögen, denen man beim Entstehen und abrupten Wechseln, quasi beim Geschriebenwerden zuschauen kann – ökonomisches Erzählhandwerk eben. Wie viele Duell-Varianten und Duell-Andeutungen man in einer Staffel unterbringen kann, ohne dass es fad wird (: viele), so etwas. Wie oft man Tschechows Pistole – das Erzählding, das, erst mal hingelegt, gefälligst auch benutzt werden muss – doch noch verwenden kann. In der dritten Staffel gibt es sie buchstäblich, diese Pistole, als Travis-Bickle-Gedächtnis-Ärmelkanone eines ziemlich unländlich-flamboyanten Drogengangsters. Völlig klar, dass die Staffel einen Shoot-out mit dem berühmten Schnellzieher Givens ansteuern muss, völlig klar aber auch, dass sie das, mit einem so ökonomischen wie drastischen buchstäblichen Schnitt, letztlich doch vermeidet.

Zwar ist alles hier hinreichend verankert, verwurzelt, Ur- und Vater- usw., und überhaupt sind psychologische Register hier nie so weit weg, dass man sie gar nicht bemerken müsste. Aber dass sie leiten, verhindern, verunmöglichen würden, dass die Psychologie der Erzähl- und Genreökonomie in die Quere kommt, das passiert dann doch nie. Manchmal spiegelt sich das in schönen, auch etwas sinnlosen Irrationalitäten von Figuren (bei Raylans Ex-Frau Winona, der Gerichtsangestellten, die immer mal wieder zu ihm zurückkommt, mit ihm in seinem Motel haust und zwischendurch sichergestelltes Geld unterschlägt, die Figur weiß eigentlich auch nicht recht warum). Drehbuchgeburten oder schillernde Figuren, das ist eins. Vor allem Raylands alter Freund und Antipode Boyd Crowder oder vielmehr dessen Darsteller Walton Goggins, toll schon in der großen FX-Serie vor justified, the shield, darf davon profitieren. Neo-Nazi, bekehrt-bekehrender Gangster-Prediger mit Kriminellenherde, ehrlicher Minenarbeiter, aufrechter ideologiefreier Krimineller mit Lebensgefährtin: Das passt alles in ein Serienleben; Crowder/ Goggins darf sich regelmäßig neu erfinden oder definieren, ein unberechenbares Element bleiben, auch für den Marshall. Eigentlich sollte er wohl schon in der ersten Folge gestorben sein, so wie er in Leonards Erzählung Fire in the Hole von Raylan vom Stuhl geschossen wurde, aber Goggins ist dann doch zu charismatisch, um aus seinem Boyd keine tragende Figur zu machen, und selbst Leonard hat ihn in seinem letzten Roman, Raylan, auferstehen lassen.

Wandernde Leonard-Tonfälle

Die alten Freunde auf unterschiedlichen Seiten des Gesetzes, das klingt verdächtig großformatig, aber die ganz großen Ambitionen sind der Serie fremd, kein Königsdrama aus dem Meth-Geschäft, vielmehr ein ständiges, auch den Marshall ermüdendes Aus-dem- Knast-in-den-Knast minder- bis mittelbegabter Berufskrimineller mangels anderer Jobaussichten. Darin und dabei immer präsent sein soll eine grundsätzliche, freilich wohlfeile Sympathie fürs amerikanische Heartland, das dann aber eben doch ziemlich zurückgelassen, runtergekommen ist. Vollkommen skrupellos sind sie hier eigentlich eh alle, aber auf eine Weise, die in der Beschränktheit, der Verschlagenheit, der Bauernschläue noch Restgradlinigkeit durchscheinen lässt. Um richtig böse zu sein, muss man schon aus der Großstadt oder einem anderen Bundesstaat kommen, wie die Gangster aus Detroit, wie eine Minenunternehmerin.

Zur entspannten Grundanlage der Serie gehört nicht nur eine folkloristische Südstaatenlässigkeit des Personals, nicht nur eine Beiläufigkeit der Westernanspielung, sondern auch der Umgang mit Elmore Leonards Texten – oder der Umgang miteinander: Die Serie nimmt neben der Erzählung Fire in the Hole, nach der die erste Folge modelliert ist, auch die zwei älteren Romane Elmore Leonards, in denen Raylan Givens eine Hauptfigur ist, immer wieder auf, Pronto und Riding the Rap. Und manchmal beim Wort: Szenen, Figuren und, vor allem, Leonard-Tonfälle und -Atmosphären wandern durch die Serie, als Sätze, one-liner, die sich, kein geringes Verdienst von Autoren und Schauspielern, nicht nur nicht verkehrt anhören in dem milden Kentuckysound aus den justified-Mündern, sondern auch von jenen der Drehbuchschreiber oft kaum zu unterscheiden sind. Leonards Raylan, demnächst bei Suhrkamp auf Deutsch, ist folgerichtig nicht nur dem Creator, Graham Yost, und dem Hauptdarsteller, Olyphant, gewidmet, es macht aus dem Zitat-, Adaptions- und Verweisungsspiel ein gegenseitiges: ein Roman zur Serie, der deren semiepisodische Struktur in die eigene zurückspiegelt (und nicht nur darin leider etwas hinter die beiden Vorgänger zurückfällt), eine Serie zum Roman, die von Leonard mit Schnipseln, Szenen gefüttert wird.

Am Anfang von justified, vor allem in den Folgen 3 und 4, Long in the Tooth und The Fixer (letztere stark angelehnt an Riding the Rap), ist der Leonard-Sound noch so bemüht, so destilliert auch, dass alles Richtung Crime-Groteske weist, toll war das und kurzatmig zugleich und drohte irgendwie dann doch wieder ein Missverständnis des präzisen Leonard-Dialogwitzes zu werden. Für einen Pay-TV-Kabelkanal wie FX, der mit solidem Genre sein Programm macht, nach und neben the shield etwa mit damages, sons of anarchy oder american horror story (louie hat man für die Avantgardesparte), ist Kurzatmigkeit ohnehin eher kein Modell, also etwas Tempo raus, etwas verdickende Verplottung rein. Die ist, wenn man die bislang drei Staffeln betrachtet (eine vierte folgt 2013), eigentlich eher mühsam, Haupt- als Beiwerk, besteht vor allem aus wechselnden Allianzen, Fehden, Geschäften mit Marihuana und Oxycotin der Clans, Gangs und Kleingangster von Harlan – und aus Raylans Verstrickung, weil er hier irgendwann jedem schon einmal mindestens auf das Flanellhemd getreten ist. (Einen Schlips hat nur der Marshall oder der Gangster aus Detroit.) An den Season-Enden stehen dann immer größere Endabrechnungen, Klimaktisches mit größeren Schießereien und größeren Titeln, Bulletville, Bloody Harlan, Slaughterhouse. Würde justified auf sie verzichten, sie mal vergessen, man würde es kaum bemerken, vermissen ohnehin nicht. Eine anwachsende Sammlung krimineller Dummheiten und Leonard-Sätze hingegen kann man immer gebrauchen; das Material sollte ihr nicht ausgehen. Boyd Crowder zu der Minenunternehmerin in Raylan: «You know you ended a sentence with a preposition? You said, ‹She’s here in a nursing home we’re payin for.›» […] «How should I have said it?» «She’s here in a nursing home,» Boyd said, «for which we’re payin the costs.»

 

Season 1 & 2 von Justified sind in Großbritannien auf DVD erschienen, Season 1 auch in Deutschland (Sony Pictures) | Elmore Leonard: Pronto, Riding the Rap, Fire in the Hole: Stories, Raylan: alle bei William Morrow. Pronto und Riding the Rap wurden unter den Titeln Jede Wette und Volles Risiko auf Deutsch bei Goldmann veröffentlicht, Raylan erscheint im Januar bei Suhrkamp