Vor dem Gesetz Zu Hell on Wheels
An Hell on Wheels hat mich zuerst ein Ortsname neugierig gemacht: Meridian, Mississippi. Im amerikanischen Bürgerkrieg ist dort etwas vorgefallen, was nach Rache verlangt. Überhaupt muss es zwischen den Yankees und den Konföderierten noch übler zugegangen sein, als es die Geschichtsbücher wissen. «Unspeakable things» sind passiert, dem Teufel wurde eine Tür geöffnet. In der Westernserie Hell on Wheels wirkt der Bürgerkrieg nach, und diese Spuren des Traumas ergeben in der ersten Folge einen verheißungsvollen Suspense. Zumal er sich mit dem Aufbruchsmotiv des Eisenbahnbaus verbindet, der andererseits weitere negative Aspekte in sich begreift: Korruption und Genozid kommen mit der Zivilisation. Hell on Wheels könnte das neue Deadwood werden, doch die ganze erste Staffel hindurch mache ich damit die Erfahrungen, die am Beginn einer Serie so typisch sind: ich bin mir nicht sicher. Denn mit der zweiten, dritten, vierten Folge beginnt erst einmal die Arbeit der Etablierung von Figuren, es bedarf einer Alltäglichkeit (in diesem Fall in einer Zeltstadt irgendwo auf den High Plains), das innere Zeitmaß ist noch unklar, und vor allem fehlt dem Suspense ein Horizont. Denn die erste Staffel bleibt ja möglicherweise die einzige, vielleicht wird also nie jemand diesen Harper finden, von dem ich bisher nur eine ungefähre, ferne Gestalt gesehen habe, bevor er im weiten Land verschwand, und der anscheinend in Meridian, Mississippi, besonders schwere Schuld auf sich geladen hat.
Das Personal von Hell on Wheels zieltauf jeden Fall auf eine Saga: Cullen Bohannon, ein illusionsloser Weißer, Witwer, ehemaliger Sklavenhalter, jetzt Vorarbeiter unter den Gleislegern, von denen viele ehemalige Sklaven sind; Elam Ferguson, des Lesens (Exodus und Psalmen!) kundiger Ex-Sklave, Sohn eines weißen Vaters und einer schwarzen Mutter; Thomas Durant, Eisenbahnbaron, Brummbass, Börsenspekulant, Subventionsritter; Lily, blonde Witwe eines Landvermessers; zwei irische Jungs, die auf das Kino hinarbeiten (vorläufig zeigen sie Dias); ein christlich fromm gewordener Cheyenne; eine Prostituierte, die aus der Gefangenschaft bei den «savages» ein Wundmal im Gesicht trägt, das sie entstellt, aber auch hervorhebt; ein etwas hochgestochen redender Schwede, der aber letztlich nichts anderes ist als der Aufräumer an einem Ort, an dem «das Gesetz» noch nicht angekommen ist. Damit kann man erzählerisch arbeiten, aber es dauerte dann bis zur sechsten Folge, bis zum ersten Mal so etwas wie ein konstellatives Element wirksam wird, das für eine längere Serie verheißungsvoll erscheint: die undurchschaubare Beziehung zwischen Durant und Lily verdichtet sich auf einer Fahrt nach Chicago; die Männerfreundschaft zwischen Bohannon und Ferguson wird am Lagerfeuer mit Backstories angereichert, und allmählich wird dieser raue Schönling Anson Mount in der Hauptrolle zu einer Figur (bei der wir ja immer an die Südstaaten-Western von John Ford denken müssen, wie überhaupt die beiden Erfinder Joe und Tony Gayton dessen Geschichteninventar ausführlich konsultiert haben).
Ästhetisch hat Hell on Wheels ein bisschen das Problem, das so viele neuere Western haben, die eine Menge «production values» auf den Dreck verwenden, durch den die Epoche in vielerlei Hinsicht charakterisiert war. Der Dreck sieht aber nicht dreckig aus, sondern gemacht – das «natürliche» Band zwischen Welt und Bild, das im Western zwischen Schwarzweiß und Technicolor gerade in den «unnatürlichen» Farbgebungen bestand, stellt sich in HD einfach nicht her. Ich bin also noch nicht drinnen in dieser Serie, der ich doch eine Menge Kredit zu geben gewillt bin. Abgesehen von Lily sehe ich bisher keine einzige Figur, deren Motivation zumindest in Ansätzen so komplex ist, dass sich daraus irgendwann die tragischen oder komischen Ironien ergeben könnten, in denen der Suspense der großen Erzählserien sein inneres Motiv hat. Bleibt als letzte Hoffnung nur Bohannon selbst, aber im Moment sieht es so aus, als hätte er sein Racheprojekt aufgegeben. Eine Fotografie, die als Fahndungsbild hätte dienen können, hat er jedenfalls schon einmal den Flammen übergeben. Ich werde aber noch ein wenig dabei bleiben, um zu sehen, was es mit diesem Harper auf sich hat.
Die erste Staffel von Hell on Wheels ist auf DVD (RC–2) erhältlich, die zweite soeben erst vollständig ausgestrahlt. Ende Oktober gab AMC bekannt, dass es eine dritte Staffel geben wird