blaq out
Es gibt einige berühmte Formeln der skeptischen Distanz in der Kulturgeschichte. Das «I’d rather not» des Schreibers Bartleby ist Ausdruck einer Verweigerung, die in ihrer Konsequenz auf die eigene Auslöschung zielt. Das «mais pourtant» («und doch») in Raoul Ruiz’ Film L’hypothèse du tableau volé ist Ausdruck einer Neugierde, die sich nicht mit halben Lösungen zufrieden gibt. Dieser Erzählessay aus dem Jahr 1979 über die Entzifferung von Bildern bis an den Punkt, an dem sich eine große Verschwörung abzuzeichnen beginnt, ist ein heimlicher und lange nahezu unbekannt gebliebener Fluchtpunkt für eine ganze Generation von Filminteressierten, die sich bald darauf von Peter Greenaway Bilder als (In-)Szenen näherbringen ließen. Nun hat das kleine französische Label Blaq Out endlich auf zwei DVDs drei essentielle Filme aus dem umfangreichen Werk des gebürtigen Chilenen Ruiz herausgebracht: Neben L’hypothèse du tableau volé (Drehbuch: Pierre Klossowski) noch La vocation suspendue (1978) und Les trois couronnes du Matelot (1983), eine Totenschiffgeschichte mit Anspielungen auf Orson Welles und Josef von Sternberg. Die Box passt gut in das eklektische Programm von Blaq Out, wo man sich in einzelnen Fällen die Mühe macht, Außenseiter des Kinos wie den geistreichen Luc Moullet gründlich zu erschließen (zu einer Box mit vier DVDs sind inzwischen drei weitere Einzelausgaben hinzu gekommen), wo man den französisch-georgischen Meister Otar Iossellani bis in die frühesten Phasen seines Schaffens zurückverfolgen kann, wo aber auch der Amerikaner Chris Smith mit The Yes Men auftaucht, ein Umstand, der Hoffnung macht, dass dessen wunderbarer jüngster Film The Pool vielleicht irgendwann bei Blaq Out herauskommen könnte. Das Unternehmen wurde 2002 als typisches Arthouse-Label gegründet, bis heute bilden französische Filme das Rückgrat das Programms, wobei die Namen, die hier auftauchen, zum Teil noch relativ unbekannt sind und Entdeckungen verheißen: Jacques Nolot (mit dem wir auf unserer Website ein Videointerview veröffentlicht haben), Jean Paul Civeyrac, Olivier Meyrou mit seinem bedeutenden Dokumentarfilm Au-dela de la haine (2005) oder Laetitia Massons Pourqoi (pas) le Brésil, die (Vor-)Geschichte der Verfilmung eines Buches von Christine Angot. Daneben gönnt sich Blaq Out aber immer wieder kleine Exzentrizitäten, so gibt es Filme des großen Screwball-Könners Mitchell Leisen und Die Werckmeister Harmonien von dem ungarischen Steadycam-Virtuosen Béla Tarr. Unlängst ist Blaq Out auch in das Verleihgeschäft eingestiegen und hat in Paris ein paar Kopien von Koji Wakamatsus United Red Army herausgebracht. Das verheißt interessante neue Perspektiven für das Programm des Labels.
4 x blaq out
Olivier Meyrou: Beyond Hatred (Au-dela de la haine, 2005)
Die Rekonstruktion eines «hate crimes» im französischen Reims: Drei junge Männer wollen «einen Araber machen», geraten aber an einen homosexuellen Mann, den sie so schwer verletzen, dass er in einem Fluss ertrinkt. Der Film ist Indizienprozess, Trauerarbeit, Sozialstudie.
Luc Moullet: The Comedy of Work (La comédy du travail, 1988)
Eine Gesellschaftskomödie um die Mühen der Arbeitslosigkeit oderVon der poetischen Freiheit, die der Büroschlaf gewährt, wenn auf dem Schreibtisch nichts mehr zu erledigen ist oderDer Sozialstaat als Liebesagentur.
Abderrahmane Sissako: Bamako (2006)
Afrikas Zivilgesellschaft macht den globalen finanziellen Machtinstitutionen einen Schauprozess: ein Höhepunkt des politischen Kinos der neueren Zeit.
Erick Zonca: The Little Thief (Le petit voleur) 1998
Geschichte eines «infamen» Menschen: Der junge Delinquent, der hier die Gesellschaft hinter sich lässt und dem Tod in die Arme läuft, durchquert diesen kurzen und intensiven Film wie eine jener Figuren, deren historische Spur Michael Foucault in alten Gerichtsakten «aufblitzen» sah.