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Hubschraubereinsatz Andree Korpys und Markus Löffler suchen in ihren Filmen nach der richtigen Distanz zur Politik

Von Bert Rebhandl

Der Gesang der Jünglinge, eine Komposition von Karlheinz Stockhausen aus dem Jahr 1956, verbindet elektronische Klänge mit menschlichen Stimmen. Die Stimmen sind in dem akustischen Raum keineswegs privilegiert, sie verlieren sich vielmehr darin, bekommen eine synthetische Qualität, und nur gelegentlich erinnert eine Knabenstimme, die einen Teil der berühmten geistlichen Formel «Preiset den Herrn» intoniert, an die lange Tradition der Vokalmusik. Der Gesang der Jünglinge vollzieht den Zerfall musikalischer Semantik in ein Universum unbegrifflichen Ausdrucks.

Es mag diese Qualität gewesen sein, die Andree Korpys und Markus Löffler dazu bewogen hat, das Stück von Stockhausen nicht nur in ihre neueste Filmarbeit zu integrieren, sondern diese auch danach zu benennen: Gesang der Jünglinge (2009) zeigt deutsche Polizisten bei einer Schulung, bei der sie mit dem Taser vertraut gemacht werden, einer sogenannten Elektroimpulswaffe, die dazu gedacht ist, Menschen außer Gefecht zu setzen, ohne sie schwer zu verletzen. Korpys und Löffler haben gefilmt, wie Polizisten die Auswirkungen dieser Waffe einmal am eigenen Leib erproben: Sie stellen sich so entspannt wie möglich hin, gestützt von zwei Kollegen, und erwarten das Projektil, das in ihrem Rücken einschlagen wird, sich mit Widerhaken durch die Kleidung und in das Fleisch bohrt und einen sehr schmerzvollen Stromschlag freisetzt.

Die Übung wirkt wie eine Initiation: Wer später einmal tasern will, muss vorher einmal getasert werden. Gesang der Jünglinge vollzieht dabei filmisch eine Bewegung von nüchterner Dokumentation zu betonter Stilisierung. Erst zur Hälfte setzt das Stück von Stockhausen ein, nun bekommt die Arbeit stärker die Qualität einer Untersuchung, die sich von außen nach innen wendet – das Bild zeigt zwar immer noch, wie Polizisten sich aufstellen, wie sie getroffen werden und mit schmerzverzerrtem Gesicht zu Boden sinken, in die Arme ihrer Kollegen, die sie mit fast zärtlicher Geste umfangen halten. Die Musik, die Verlangsamung der Bewegung, der Verlust des Raumtons, führen den Gesang der Jünglinge aber zunehmend in das Innere des Schmerzes.

Subjektpol der Erfahrung

Das Unanschauliche – die extreme körperliche Erfahrung, der momentane Zerfall der Persönlichkeit – bekommt vor allem in dem letzten Bild einer frontalen halbnahen Aufnahme eines getroffenen Polizisten zwar auch ein schmerzverzerrtes Gesicht. Zugleich ist die Arbeit in diesem Moment aber auch am Subjektpol dieser Erfahrung angelangt, wenngleich in einer Form, die den Kategorienverlust und «brain overload» im Schmerz nur inszenieren und in eine Analogie fassen kann.

In einer interessanten Wendung machen Korpys und Löffler dabei die zeitgenössische Musik des 20. Jahrhunderts wieder semantisch. Stockhausens Komposition wird zum Soundtrack einer Epoche, in der abweichendes Verhalten mit der Ausschaltung der Persönlichkeitsfunktion bestraft wird. Der Taser kommt vor allem auf Flughäfen und an anderen Orten zum Einsatz, wo das vorausgesetzte kollektive Sicherheitsbedürfnis bei jeder Störung der Abläufe nach einer wirksamen, nicht tödlichen Sanktion verlangt. Inzwischen sind allerdings mehrere Todesfälle bekannt geworden, die durch den Einsatz von Tasern verursacht wurden.

Die Waffe ist dadurch zu einem Symbol für die Verletzung bürgerlicher Rechte in einer Ordnung der exzessiven Risikoprävention geworden. Auf dieser Ebene bekommt die Arbeit von Korpys und Löffler noch eine weitere Dimension, denn in Deutschland sind Taser bisher nicht zugelassen. Die Polizisten machen sich so gesehen auch zu Märtyrern einer Waffengattung, und zwar in der ganzen Ambivalenz der dargestellten Prozedur – würden die Taser zugelassen, dann hätten die Polizisten nicht sich, sondern die Gesellschaft dafür initiiert; blieben die Taser unzulässig, wäre der Schmerz der Polizisten das Opfer (des Wissens), das zu erbringen war.

Gesang der Jünglinge war im Winter 2009 in der Berliner Akademie der Künste im Rahmen der Ausstellung Embedded Arts in einer installativen Version zu sehen. Andree Korpys und Markus Löffler setzen damit ihre Beschäftigung mit den Möglichkeiten des politischen Dokumentarfilms fort, die seit den frühen Neunzigerjahren einen bedeutenden Strang in ihrem vielfältigen Werk bildet. Die beiden in Bremen geborenen Künstler, die in Bielefeld studierten und seither durchweg als Duo gearbeitet haben, beziehen sich immer wieder auf das politische Tagesgeschehen, allerdings in einer Weise, dass sie ihre spezifische Distanz dazu nicht nur filmen, sondern in der Gestaltung ihrer Filme noch zusätzlich bearbeiten. Musik beziehungsweise Akustik spielt dabei fast immer eine wesentliche Rolle.

Für Eure Kinder werden so wie wir (2008) suchten Korpys und Löffler zwei zentrale Szenen der jüngeren bundesdeutschen Protestkultur auf: Die Eisenbahnstrecke in Gorleben, auf der immer wieder die umstrittenen Castor-Atomtransporte stattfinden, und das G8-Gipfeltreffen in Heiligendamm im Jahr 2007, das zum Ziel einer breiten und vielfältigen Koalition von Menschen wurde, die vereinfacht als «Globalisierungsgegner» bezeichnet werden. Der Film überrascht gerade dadurch, dass er die Momente der Konfrontation, auf die die Proteste in Gorleben und Heiligendamm abzielten, nicht ins Zentrum stellt, sondern vielmehr die langen Phasen des Wartens auf einen Moment, an dem die Macht sich kurz zeigt.

Eure Kinder werden so wie wir

Die Parole «Eure Kinder werden so wie wir», die dem Film den Titel gibt, ist an die Mächtigen gerichtet, denen die Legitimation selbst vor dem eigenen Nachwuchs abgesprochen wird – eine drastische Formu­lierung des Vertrauensentzugs. Sie hält dem politischen Tagesgeschäft eine zeitliche Dimension entgegen, die von Korpys und Löffler noch zusätzlich dadurch betont wird, dass sie immer wieder Vorgänge in der Natur filmen (Würmer im Erdreich, Bäume in der Sonne, ein untätig Wache stehender Polizist, der Insekten wegscheucht), die gerade nicht eindeutig in die Bildregister einer bergenden Umwelt passen, sondern immer wie geringfügig daraus verschoben wirken.

Auch in diesem Fall bildet die Tonspur ein starkes künstlerisches Interpretament. Korpys und Löffler sparen, bis auf die eine genannte Parole, das Wort vollkommen aus. Eure Kinder werden so wie wir zeigt politische Manifestation diesseits des Diskurses, man könnte sagen: eine Protestkundgebung in ihrem vegetativen Stadium. Auf subtile Weise und mit deutlichen Anklängen an romantische Ikonografie machen Korpys und Löffler vor allem durch den Soundtrack von Eure Kinder werden so wie wir klar, dass Natur als das mögliche Andere des Kapitalismus nicht vorausgesetzt, sondern nur durch neue, komplexe Vermittlungen konstruiert werden kann. Die als Parole beschworene Allianz zwischen den Kindern der Mächtigen und der mikropolitischen Opposition von heute setzt auf eine Genealogie des Widerstands, die auf einen Auszug aus dem rigoros abgeschotteten und von der Exekutive umstellten Bereich der Macht hinausläuft.

Das implizite Motiv des Seitenwechsels ist auch für Korpys und Löffler zentral, sie sind in ihren bekanntesten Filmarbeiten dabei allerdings in die Gegenrichtung gegangen, nämlich so weit wie möglich an die Macht heran. 1997 filmten sie das World ­Trade Center in New York (und das UN-Hauptquartier sowie das Pentagon in Washington), allerdings ausdrücklich nicht als Herrschaftszeichen, sondern minimal-invasiv auf Super-8 und in einer Bewegung diskreter Umkreisung, die gerade in dem Moment unterbrochen wird, in dem der Kameraschwenk sich himmelwärts wendet und im Begriff ist, dem Gebäude jene kathedralische Dimension zu geben, die ihm der Film WTC gerade genommen hat. Man könnte diese kurze, aber entscheidende Arbeit durchaus als einen Akt der Entzauberung begreifen. Ikonische Potenz wird durch filmische Arbeit abgebaut, das Gebäude verliert bei Korpys und Löffler gerade den Charakter, der es mehrmals zum Ziel eines terroristischen Angriffs werden ließ.

In vergleichbarer Weise filmten sie 2002, als Journalisten akkreditiert, den Staatsbesuch von George W. Bush in Berlin als Studie über das Größenverhältnis zwischen dem politischen Individuum und dem politischen Protokoll. Korpys und Löffler öffneten mit The Nuclear Football genau diesen Zwischenraum, der gewöhnlich im Off des Blicks der Massenmedien liegt. Sie gehen mit ihren filmischen Arbeiten aber über eine bloße audiovisuelle Dekonstruktion von Macht hinaus, dort nämlich, wo sie sich zuletzt zunehmend dafür interessiert haben, dass mit jeder politischen Raison ein Wissen um den Zerfall der Teilhabe daran einhergeht, das im Schmerz seinen radikalsten Ausdruck findet. Das Bildmedium Film nimmt diesen Sachverhalt bei Andree Korpys und Markus Löffler in sich auf, indem es zum Träger einer dissoziierenden Tonspur wird. Nur der Gesang der Jünglinge reicht an den stummen Schrei heran, der dem Individuum ins Gesicht geschrieben steht, das sich vor der Autorität eine Blöße gegeben hat.