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Stray Bullets Nr. 8 David Laphame

Von Christian Petzold

© Image Comics

 

Beth, Nina und Orson. Die drei haben Koks gestohlen, von Harry. Scott und Monster, Harrys Killer, sind hinter ihnen her. Sie verstecken sich seit einiger Zeit in einem Ort, der Woodlake heißt. Kein Baum, kein See, nur Wüste ist um sie. Sie harren aus, warten in ihrem Versteck: ein Trailer unter vielen, ein Wohnwagen, der durch Holzverkleidung einem Bungalow ähnlich gemacht worden ist.

Mitte der 90er Jahre hatte David Lapham Stray Bullets begonnen. Schwarz / weiß, acht Panels pro Seite. Es geht um Dealer, Mörder, Gewalt – wie sie das Leben, den Alltag, infizieren. Und wie sie vom Leben und Alltag infiziert werden.

Die Geschichten spielen in der ersten Hälfte der 80er Jahre. Lapham machte das alles im Selbstverlag, zusammen mit Maria Lapham. Ein ungeheurer Output, alle drei Monate ein Heft. Nebenher später noch eine weitere Serie, Murder Me Dead. In den letzten Heften brannten die Geschichten aus. Trugen nicht mehr. Vielleicht darf man doch nicht zu alleine und zu unabhängig sein. Muss in der Welt bleiben. Um diese Angst, aus der Welt zu fallen, nicht mehr zu produzieren, um diese amerikanische Angst vor dem Stillstand, geht es in vielen Geschichten der Stray Bullets Reihe. Auch die Nr. 8 handelt davon.

Man hat die Beute und jetzt braucht man Geduld. Man muss warten, sich verstecken. Das New Hollywood Kino hatte dieses Motiv wieder entdeckt, es schlummerte schon im Noir Gangsterfilm.

Eine 68er Erfahrung. Man hatte die Verhältnisse irritiert, die politischen und gesellschaftlichen, aber nach der Party wartet Arbeit. Geduld. Pläne.

Auch Beth, Nina und Orson hatten sich kennengelernt auf einer Party, eine andere Geschichte, aus einem früheren Heft. Jetzt hängen sie herum, in dieser White Trash Eintönigkeit.

Die erste Seite, drei Panels. Eine feste Einstellung. Eine verschlossene Tür von innen. Ein Geräusch: «Krock! Krock! Krock!» Eine Bewegung. Erst der Schatten, dann der Hinterhopf von Orson, dann die geöffnete Tür mit einer Frau, die das Bad benutzen möchte, weil ihres defekt ist.

Türen und Fenster. Fast immer sind sie im Comic blind oder verschlossen. Man kann nicht hinausschauen. Klaus Theweleit und Martin Langbein haben Anfang der 80er einen schöne Zugabe zu Art Spiegelmans Breakdowns geliefert, erschienen im Verlag Roter Stern / Stroemfeld: «Sucht man Comic­hefte oder Bücher ab auf Fenster, durch die man kucken kann, kann man lange suchen. Man findet keine, ab und zu mal ein Fenster, durch das jemand hineinsieht, aber ganz selten hinaus.»

Das nicht hinausschauen können, das Ein­geschlossensein, darum geht es in «Lucky to have her».

Die Eingeschlossenen implodieren. Über­empfindlichkeiten, Misstrauen, Dinge, vor denen man geflohen ist, spülen sich nach oben, vergiften. Orson lässt die Frau ins Haus. Überall Geräusche, knarrende Dielen, das müde Kratzen der verschlafenen Haut, all das überlaut. Auch Beth ist gerade aufgestanden. Wieder ein Tag, 24 Stunden lang. In diesem Trailer, der scheinbar in Auflösung ist. «This floor is really screwed up. I think, there’s a hole under the carpet here.»

Orson will die Löcher reparieren, aber Beth «don’t give a shit.» Sie möchte schlafen, mit Orson, jetzt. Orson weiß um die Frau, die gleich nebenan auf der Toilette sitzt, zögert, und das setzt die Geschichte in Gang. Für Beth ist die Party und die Leidenschaft und das Begehren vorbei, «since we got here». Orson will sich erklären, aber auch diese Erklärung ist für Beth nur Teil des großen Absterbens. Orson geht hinüber zu Nina, die sich wegkokst, seit sie sich verstecken müssen, sich am großen Koffer bedient. Die nur noch schlafen will, «a hundred years».

Der Wohnwagen, der immobil ist. Die verschlossenen Türen und Fenster, die verbergen sollen. Aber zum Gefängnis geworden sind. Das Erzählen in Gegenschüssen, die keine richtigen mehr sind, nur mehr Verschiebungen, ein leichtes Umkreisen der Liebenden / Sprechenden.

Orson hat den debilen Nachbarsjungen, der Löcher in den Boden des Trailers gesägt hat, um das Treiben der Fremden geifernd zu beobachten, erwischt. Hat ihn verfolgt. Steht nun vor dem Trailer der Nachbarin, die die Polizei holen will. Beth, die sich lustig macht, auf eine traurige, resignierte Art, über Orson, der keinen Mut und keine Kraft hat, weder zur Liebe noch hier, im Konflikt mit dem verwahrlosten Trailer Pack. Sie schreit ihn an. Der neugierige Mob sammelt sich schon. Beth hat eine Pistole gezogen. «I’m not gonna stand here until you end up in bed with that fat piece of trailer trash!» Ihr ist alles egal. Und jetzt explodiert Orson. Er wird den Trailer der Alten angreifen und zerstören. Er wird außer sich sein. Er wird Beths Liebe wiedergewinnen. Dieser Moment, wenn er den schwarzen Müllsack packt und durch das Fenster in den Trailer der Alten wirft und die Zerstörungsorgie in Gang setzt – da setzt Lapham zwei Panels. Nebeneinander. Orson, in einer Totalen, wie er den Sack greift. Und dann Orson, in einer Halbtotalen, fast wie ein unmerklicher Ransprung, ganz leicht verschoben, wie er den Sack wirft. Die meisten Zeichner hätten statt der Halbtotalen den Sack und das Klirren in einer Großaufnahme, zumindest isoliert, gezeigt – den Effekt. Lapham kommt es nicht auf den Effekt an, sondern auf die Kraft und Wut, die aus Orson kommt. Das ist das, was Beth sieht, was sie sich erwünscht hat. Wieder tätig sein, kraftvoll, rücksichtslos. Diese Klugheit und Klarheit von Lapham, im Kino findet man sie bei Kubrick, wenn die Kamera der Axt von Jack Torrance folgt, bei jedem Schwung und wir so das Berauschende erfahren, was darin für ihn liegt.

Lapham hat eine neue Serie begonnen, Young Liars.

«Do you have an eventual ending in mind for the end of the series? Yes, about seven of them. Hopefully I’ll get to use them all!»

«Lucky to have her» ist reiner Comic. Er bebildert nicht, er erzählt nicht eine Geschichte mit den Mittel des Comics, er ist aus Comic gemacht. Man muss den Dialog von Orson und Beth auf den Seiten drei und vier einmal mit dem Schlussdialog vergleichen, wie sie am Anfang von den gezeichneten Linien der Hintergründe noch eingeschlossen sind. Am Ende sind die beiden frei, vor weißer und klarer Leere. Overshoulder, Gesten und Blicke und Zärtlichkeit, die sich begegnen.