Übung in Gehen und Liebe Zu den Filmen von Hiroshi Shimizu
Axiom: Bewegung Das Kino des Hiroshi Shimizu liebt die Bewegung. In jeder Form. Es liebt es, Figuren zu zeigen, die rennen und gehen, Gefährte zu filmen, die fahren und rollen, Bäume und Wälder zu sehen, die sich im Wind wiegen. Es liebt das Wasser, das fließt, er liebt Straßen und Wege, auf denen die Figuren gehen und die Gefährte fahren, es liebt das Wandern, das Streunen, das Jagen, das Hinaufgehen und das Herabkommen. Vor allem aber liebt es das Kino des Hiroshi Shimizu, selbst in Bewegung zu sein. Es dürfte kein Oeuvre in der Geschichte der Filmkunst geben, in dem das Travelling der Kamera so omnipräsent ist. Die Kamera folgt den Menschen in Bewegung auf Straßen und Brücken, über Berge und Flüsse, auf Wegen in freier Landschaft, von Bäumen zu Hügeln in unberührter Natur, in kleinen Städten oder, in Children of the Beehive, auch durch die Trümmer des verwüsteten Nachkriegsjapan. Im selben Film hält die Geschichte einmal inne. Bäume werden gefällt und die Kamera bewegt sich mit den fallenden Bäumen, fällt mit den Bäumen, wird selbst zum fallenden Baum.
Das Eigentümlichste jedoch, das, was einer Shimizu-Signatur am nächsten kommt, ist die in seinen Filmen immer wieder anzutreffende Bewegung der Kamera durch das traditionelle japanische Haus. In gerader Linie fahrend fängt sie in mäßigem Tempo das Leben ein. Sie zeigt Menschen bei alltäglichem Tun und sagt, dass sie dies für beobachtenswert hält und fährt weiter. Oft endet die Fahrt dann in einer Szene, die der Film weiterverfolgt. Dennoch, und das ist das Paradox, das Shimizus Kino bestimmt, steckt in dieser Kamerafahrt immer auch ein nicht-teleologisches Moment. Sie hätte irgendwann vorher oder irgendwann nachher ihre Bewegung beenden können und auch das, was sie dann zeigen würde, auch die Geschichte, die sie an dieser anderen Stelle beginnen oder fortführen würde, wäre des Erzählens wert. Das Kino des Hiroshi Shimizu ist ein humanistisches Kino, aber es zeigt den Menschen nie ohne den Ort und den Raum, in dem er lebt, dem er angehört und den er durchquert. Und es präsentiert die Welt als Ort, der an potenziell jeder Stelle erzählenswert ist. Alles in Shimizus Welt ist Wegesrand, aber es gilt das Prinzip des Shomingeki: Unbedeutendes gibt es nicht.
Fahren: Arigato-sân
Arigato-sân (Mr. Thank You, 1936) nimmt seinen Titel von der Hauptfigur. Es ist eine Hauptfigur ohne Namen, außer eben diesem, der seinen Hauptcharakterzug zum Eigennamen macht: der «Danke-Mann». Arigato-sân ist die Freundlichkeit selbst. Er fährt einen Bus durch die Berge, von Izu nach Tokio, er dankt denen, die in seinem Bus fahren, er dankt denen, die seinem Bus ausweichen, er dankt immer allen, ohne dadurch je allzu demütig zu scheinen. Und so wenig Shimizus Kino auf den ersten Blick allegorische Lesarten nahelegt (außer natürlich zum Beispiel: in diesem Titel), so deutlich wird auf den zweiten Blick, dass dieser freundliche Mann, der für jeden ein gutes Wort hat, der auf der Strecke immerzu Freunde trifft, der Kinder ohne Bezahlung hinten auf dem Bus mitfahren lässt, der Mann, der dankt und gibt und so sehr mitfühlt, dass er beinahe auch von der Strecke abkommt – dass dieser Arigato-sân auch seine sinistren Seiten hat; nicht als Person, doch in seiner Funktion. Es steckt ein Stück Charon in ihm. «Ich denke manchmal, es wäre besser, einen Leichenwagen zu fahren.» Sagt er selbst.
In aller Nüchternheit kein Geheimnis macht der Film daraus, dass die junge Frau in der letzten Reihe des Busses von ihrer Mutter in die Stadt gefahren wird, um dort, um den Hungernden zuhause zu Einkommen zu verhelfen, als Geisha ihr Geld zu verdienen. Arigato-sân ist ihr Chauffeur in die Hölle, daraus macht der Film keinen Hehl, wenngleich eine der wenigen wirklichen Geschichten, die er erzählt. Sonst aber ereignet sich das Geschichtenförmige nebenbei. Zentral ist die Bewegung als Form. Der Blick in den Rückspiegel: die ganz und gar natürliche Komponiertheit der Bilder. Der Blick aus dem Fenster: Shimizus große Liebe zum Landschaftsvorbeiziehbild. Aber auch eine ganz eigene Art, die unzähligen Überholmanöver auf enger Straße zu filmen, hat Shimizu gefunden: Er zeigt die Menschen auf der Straße, denen Arigato-sâns Bus sich nähert. Dann macht er einen Schnitt, gelegentlich mit Überblendung, in den das eigentliche Überholmanöver fällt, und am Ende sieht man, zum leitmotivischen arigato des Fahrers, die Menschen auf der Straße, die man zuerst nur von hinten sah, im Rückblick von vorne. Jeden von ihnen rückt Shimizu, von hinten, von vorne, in der Addition so als ganzen ins Bild. Arigato-sâns Bus ist ein Schnappschuss-Bus, ein filmisches Gefährt, mit der Kamera zu einer Blickeinheit verschmolzen, und jedes Überhol- wird so auch ein Blende-Manöver.
Die freundliche Idylle, die der Film zeichnet, ist nicht Schein, aber sie ist zugleich nicht einmal die halbe Wahrheit. Die andere, düstere, nicht weniger wichtige Hälfte zeigt Shimizu auch. Der Film spielt mitten in der Depression. Einmal wird erklärt, dass all die Menschen mit Sack und Pack auf den Straßen auf dem Rückweg in ihre Dörfer sind. Sie haben in den Städten ihre Jobs verloren, sind arbeitslos, müssen hoffen, mit all ihrer Habe auf dem Rücken in den Dörfern, aus denen sie kamen, Unterschlupf zu finden, müssen dort auf bessere Zeiten warten. Die im Bus sind, das wird auch bei einer späteren Begegnung klar, die genau das thematisiert, vergleichsweise privilegiert.
Unter diesen spielt der Film durchaus mit einiger Seelenruhe Typen-Komödie. Ein Mädchen, das mit dem Busfahrer flirtet. Ein Mann mit angeklebtem Schnauzer. Es wird geraucht, ja, es werden verschiedene Formen des Rauchens geradezu vorgeführt: leicht anzügliches Anzünden der Zigarette; herausforderndes Rauchen; unprätentiöses Rauchen; heftiges Qualmen. Sie trinken, sie singen, sie sind eine mikrokosmische Gemeinschaft, in der freilich keiner des anderen Namen kennt. Man spricht über aufregende neue Dinge, den Ton im Kino zum Beispiel: «Im Tonfilm kann man die Schauspieler wirklich sprechen hören.» Erklärt Arigato-sân, der alles Neue schnell mitbekommt, weil er aller Welt offen begegnet und in aller Unschuld darum mit ihr Freund ist.
Gehen: Ornamental Hairpin
Allem Anschein nach heiter geht es auch in Kanzashi (Ornamental Hairpin, 1941) zu. Dass der Film mitten im Krieg entstand, wird erst nach und nach klar. Daran vor allem, dass die Menschen, die hier in einem Kurort versammelt sind und auf dem engen Raum eines kleinen Kurhotels für wenig Geld Unterkunft gefunden haben, wohl durch den Krieg aus ihren Alltagszusammenhängen gerissen sind. Ein Professor ist darunter, der sich hochfahrend gibt, und eine zu Beginn eintreffende Gruppe von Frauen, die die Ruhe der dauerhaft am Ort Eingerichteten stören. Beginn ist nicht ganz richtig, denn es gibt eine Art Prolog: Zwei Frauen im Wald, einer größeren Gruppe etwas vorweg, die Kamera geht ihnen, sich rückwärts bewegend, voran und behält sie in der Bewegung im Blick. Bald darauf ein Schnitt und es folgt eine von Shimizus in fast jedem seiner Filme anzutreffenden Fahrten im Querschnitt durchs Haus.
Zwischen der Frau aus dem Vorspann, der in Tokio, erfahren wir später, von einem älteren Mann ausgehaltenen Emi (Kinuyo Tanaka), und dem Protagonisten des Films, dem Soldaten Osamura (gespielt von Chishu Ryu, bekannt aus Yasujiro Ozus Filmen), stellt sich auf sehr originelle Weise eine Verbindung her: Emi verliert im Badeteich zwischen Felsen ihre schmückende Haarnadel. Tage später tritt Osamura darauf und piekst sich den Fuß.
Emi kehrt, sich zu entschuldigen, überstürzt aus Tokio zurück (in Wahrheit lässt sie mit einem kühnen Streich ihr ganzes Leben hinter sich), und zwischen den beiden entsteht eine Freundschaft, später auch etwas wie Liebe. Wobei man Osamura aber vor allem beobachtet, insistent, wieder und wieder: Er übt, als Reha-Maßnahme, das Gehen.
Lange sieht Emi nur zu. Zwei Kinder, die auch im Kurhotel leben, sind die treibenden Kräfte beim Training, mit manchmal fast sadistischer Lust feuern sie den sich von Baum zu Baum quälenden Mann an. Zwischen den schmerzhaften, unendlich mühseligen Humpel- und Gehversuchen aber kommt Osamura mit Emi ins Gespräch.
Zwei Szenerien werden zu unversehens emblematischen Schauplätzen. Ein Fluss, darüber ein ganz schmaler Steg. Und eine Treppe, bergan. Über den Fluss, es ist eine fortgeschrittene Übung, soll Osamura gehen. Die Kinder treiben ihn wieder an, Emi wartet auf der anderen Seite. Er quält sich, er kommt voran, Großaufnahme auf Füße in Bewegung (auch das kehrt als Einstellung bei Shimizu immer wieder: gehende, rennende Beine und Füße im Close-Up). Er bleibt stehen, droht vom schmalen Steg ins Wasser zu stürzen. Entschlossen geht Emi auf ihn zu und packt ihn sich auf den Rücken. Sie geht, sie strauchelt, sie geht weiter. Sie gelangen auf die andere Seite.
Der zweite Schauplatz: Die Treppe, bergan. Etwas später, weitere Übung in Gehen und Liebe. Emi wartet unten, die beiden Jungs treiben Osamura hinauf. Er schwitzt, er quält sich. Es gilt eine Wette: Wenn er es ganz bis nach oben schafft, wird er seinen Reha-Aufenthalt beenden, wird er nach Tokio zurückkehren. Minutenlang geht er. Die Kamera folgt, selbst in Bewegung, von der Seite. Dazwischen jedoch immer close-ups auf Emi, die seine Gesundung will und doch seinen Abschied fürchtet. Er geht, unter Qualen, sie steht, den Tränen nah.
Das Ende. Ganz abrupt – auch das Abrupte, Elliptische hat, unmittelbar neben der Ruhe und Langsamkeit, seinen Ort im Shimizu-Kino – sind alle weg. Emi bleibt ganz alleine zurück. In einer elegischen Schlussmontage streift die Kamera noch einmal über die Schauplätze des Films. Verlassen liegen sie da. Der Fluss und der Steg über den Fluss. Der Wald, die Natur. Dann sehen wir Emi am Fuß der Treppe, die zuvor Osamura vor seinem Abschied erklomm. Shimizu platziert die Kamera an der Seite, wir sehen Emi nur im Profil. Schritt für Schritt geht sie nach oben, die Kamera fährt Schritt für Schritt mit. Aufwärts, aufwärts, keiner Hoffnung entgegen. Kein Blatt Papier passt zwischen die Kamera und die von ihr gezeigte Figur. Alles wird, in diesem Schlussmoment, in dieser parallelen Bewegung eins: Die Kamera, die Figur und ihre unendliche Trauer.
Streuen / Wehen: Children of the Beehive, Four Seasons of Children
Immer wieder die Kinder bei Shimizu, der nicht nur, wie man lesen kann, ein der Welt und den Frauen zugewandter Mann war, sondern auch ein Wohltäter, der die Kinder von der Straße holte ins große Waisenhaus, das er, von Haus aus begütert, betrieb. Allgegenwärtig sind die Kinder in seinen Filmen, mit großer Sympathie, nein: Solidarität, immer auf Augenhöhe betrachtet, nie aber verniedlicht. Shimizu nimmt seine Kinder so ernst, dass er auch eine Schülerin glaubhaft macht, die ihre auf Reform dringende Lehrerin in den Wahnsinn treibt: So in Nobuko (1940).
Starke Frauen: auch das ein Kennzeichen der Shimizu-Filme. Mit Stolz und Tapferkeit sehen sie ihrem mal unverdienten, mal selbstverschuldeten Unglück noch in die Augen – emblematisch Sunako (Michiko Oikawa) im Stummfilm Japanese Girls at the Harbour (Minato no nihon musume, 1933). Sie schießt auf die Konkurrentin, sie flieht, sie wird Prostituierte und bei aller Trauer und auch Verzweiflung verliert sie nicht ihre Würde. Und noch etwas: Es gibt Menschen mit Schwächen, aber nicht eigentlich Schurken bei Shimizu. Oder anders, um den Humanismus der Filme genauer zu fassen: Jedes kritikwürdige Verhalten hat seinen Grund, und liege der darin, dass einer eben ist, wie er ist.
Drei Filme, die die Kinder im englischen Titel tragen: Children in the Wind (Kaze no naka no kodomo, 1937), Four Seasons of Children (Kodomo no shiki, 1939), Children of the Beehive (Hachi no su no kodomotachi, 1948). In letzterem die unvergessliche Szene, in der ein Junge einen anderen, sterbenden einen Berg hinauf trägt, der von dort oben ein letztes Mal das Meer sehen will – die Szene ist ein deutliches Echo des ähnlichen Moments, in dem Emi Osamu auf dem Steg über den Fluss trägt, in Ornamental Hairpin. Die Kamera stets in Bewegung, in gegen die Bewegung des Jungen verschobener Bewegung, folgt, mal von der Seite, mal von oben, mal aus der Halbdistanz, mal in Großaufnahmen, den Jungen. In Blicken aus größerer Ferne kommt die wellige Berglandschaft in den Blick, dann wieder nur der Junge und sein Kampf gegen den Abhang, den er hinaufwill, weiter und immer weiter. In diesem Nachkriegsfilm, der im atombombenverwüsteten Hiroshima seinen Ausgang nimmt, stehen Bewegung und Stillstand schroff gegeneinander. Niemand gelangt hier an sein Ziel, oder falls doch, wie im Fall des Jungen, der das Meer noch einmal sehen will, ist es zu spät.
Die beiden Filme, Children in the Wind und Children of Four Seasons gehören zusammen. Die Perspektive des ersten auf zwei Jungen wird im zweiten geweitet auf dieselben Jungen in einer ganzen Kinderschar. Children of Four Seasons ist ungewöhnlich lang für Shimizu, deutlich über zwei Stunden. Es ist auch der abstrakteste seiner Filme unter den mir bekannten. Bewegung und Stillstand werden hier fast reiner Rhythmus: der kranke, fiebernd immer im Bett liegende Vater im Haus, dagegen die vielen Kinder als Schwärme in der Natur, die rennen, schlurfen, schlendern, gelegentlich auch mit einem alten Mann auf dem Pferd reiten dürfen (natürlich reitet auch die Kamera mit). Kinder, die durch die Landschaft fliegen, sich zerstreuen, wieder zusammenkommen.
Die Erwachsenen bewegen sich ganz anders durch die Straßen und auf den Wegen. Sie haben immer auch anderes, ihre Intrigen im Sinn, wenn sie gehen. Children of Four Seasons ist auch ein Film über zwei Sphären, die Erwachsenensphäre und die Kindersphäre, und darüber, wie sie miteinander in Beziehung stehen. Es gibt eine Narration, aber nicht um Höhepunkte geht es, sondern um Synkopen, um Wiederholungen, um immer dieselben Orte (die Brücke, wieder und wieder, der Wald), um ein flaches Erzählen, um Beschleunigung und Verlangsamung, und um Zäsuren – wie störrisch der Film in aller Ruhe immer wieder abblendet ins Schwarze. Und beinahe aufgelöst ins Abstrakte sind viele der Bilder: der Wald, die Bäume ohne Menschen, und dann einmal, wie ein Gemälde fast, der Junge Sampei (Jun Yokoyama), der sich zwischen den Bäumen verliert. Die Reinheit des so weltaufgeschlossenen, neugierigen Kinos von Shimizu liegt in seinem unausgesprochenen Imperativ: Halte in der Bewegung das Filmbild flüssig, mach es zum Schauplatz des immerzu möglichen, ja, immerzu stattfindenden Übergangs von Zeit in Raum und Raum in Zeit.
Festsitzen: Itinerant Performer, Mr. Shosuke OHARA
Die Katastrophe im Shimizu-Kino kennt deshalb nur eine Form: die Stasis, den Stillstand, das Gebundensein an einen Ort, das Starrwerden der Zeit durch die Fesselung an den Raum. Mindestens zwei exemplarische Filme übers Festsitzen hat Shimizu gedreht. Beim einen, Notes on an Itinerant Performer (Utajo oboegaki, 1941), täuscht schon der Titel: Die Wanderschauspielerin Uta (Mizutani Yaeko) nämlich wird gleich zu Beginn, halb nur aus eigener Intention, sesshaft. Im Haus eines älteren Mannes, der sie einstellt als Lehrerin seiner Tochter. Dieser Mann, der eine recht große Teehandelsfirma betreibt, stirbt. Der Sohn hat kein Interesse an der Fortführung des Unternehmens. Die Lagerräume, die zum Wohnhaus gehören, stehen bald gähnend leer. Und Uta, von der Familie von Anfang an mit Misstrauen betrachtet, bleibt einfach übrig. Sie macht einen Vorschlag: Während der Sohn, nun Vater des Hauses, studieren geht, kann sie sich um seine minderjährigen Geschwister kümmern. Zögerlich stimmt er zu, sein Heiratsangebot schlägt sie aus.
Dann sitzt sie fest. Im leeren Haus, mit den Kindern, die sie nicht mögen, die zu einem Onkel fliehen. Dann kehren sie zurück, aber die Wanderschauspielerin, die wir nie wandern sahen, wird nicht glücklich an diesem Ort. Nur ein paar Mal sieht man sie draußen, in freier Natur, aber auch da ist sie nicht frei: Die Kinder des Dorfs verspotten sie, sogar die Kamera folgt ihr in einem der typischen Seitwärtstravellings erst einmal nur von fern, hält buchstäblich mit ihrer Solidarität hinterm Berg. Uta leistet dennoch Erstaunliches, bringt mit viel Bitten und Betteln das Teegeschäft wieder in Schwung. Und wird doch nicht glücklich, läuft mit den Wanderschauspielern davon. Das Ende, das als Happy End vorzustellen ist, überzeugt nicht: Der Sohn des Teehändlers sucht sie, findet sie in Gängen eines anderen Hauses, in denen sie sich versteckt. Er fängt sie ein, sie wird seine Frau, aber der glückliche Ausgang eines Shimizu-Films kann so nicht aussehen.
Leer, leerer noch als dasjenige in Notes on an Itinerant Performer, ist das Haus auch in Shimizus grimmiger Komödie Ohâra Shosuke san (1949). Wieder ein Titel, der nur einen Namen nennt, schon darum das perfekte Gegenstück zum Forbewegungsfilm Arigato-sân. Am Ende sitzt der Titelheld Herr Shosuke in einem leeren Haus, ans Ende gelangt ist damit auch eine verheerende Ökonomie: Herr Shosuke, gespielt ironischerweise vom Vorkriegs-Action-Star Denjirô Ôkôchi, sitzt nun immer nur da und trinkt Sake. Als einmal die Einbrecher kommen, das bisschen Hab und Gut, das er hat, noch zu stehlen, erledigt er sie locker im Nahkampf. Hinterher bietet er Sake an, friedlich trinken Opfer und Täter dann gemeinsam.
Bewegung, die nirgendwohin führt, Verausgabung, die nichts bringt. So sitzt Herr Shosuke fest in dem Haus, durch das die Kamera nun mehrfach fährt, von vorne nach hinten, von hinten nach vorn, als wollte sie es mittendurch aufschlitzen, auf dass sein darin gefangener Besitzer ins Freie gelangt. So ist es dann auch. Als alles auktioniert wird gibt es erneut dieses nicht zu bremsende Travelling der Kamera durch das Haus. Danach noch eine Bestandsaufnahme: Schnitt um Schnitt Leere, es bleibt nur Gebälk. Herr Shosuke sagt der Verausgabung und dem Sake adieu und haut ab. Das letzte Bild: Ein Mann, den Koffer auf den über die Schulter gelegten Schirm gesteckt, geht die Bahngleise entlang, verschwindet in der Ferne. Darf man sagen: Hier hat die Kamera von Shimizu einen Gefangenen durch die Insistenz ihrer Bewegungen aus einer ausweglosen Lage befreit? Jetzt jedenfalls kann er davon, ohne sie, hinein ins Nachkriegsjapan. Wie es weitergeht, weiß ich nicht. Ich kenne noch keinen einzigen Shimizu-Film aus den fünfziger Jahren.
Erst im letzten Jahr begann Shochiku Films mit einer DVD-Schmuck-Edition der Filme von Hiroshi Shimizu (mit englischen Untertiteln), die allerdings nach zwei von geplanten fünf Boxen ins Stocken geraten scheint. Das Criterion-Sublabel Eclipse hat die erste der beiden Boxen für den amerikanischen Markt veröffentlicht. Die japanischen Boxen sind leider sehr teuer (jeweils 120 Dollar, plus Porto und Zoll) und hier zu bestellen. Die Eclipse-Box (RC-1, ca. 60 Dollar) ist einfacher verfügbar. Die darauf enthaltenen Filme: Japanese Girls at the Harbor, Mr. Thank You, The Masseurs and a Woman, Ornamental Hairpin.