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We are Family Ein Label, eine Signatur, ein Stil (ohne Stil): der Regisseur, Autor und Produzent Judd Apatow ist das wichtigste Gravitationszentrum der amerikanischen Filmkomödie

Von Daniel Eschkötter

Freaks & Geeks (1999)

© NBC

 

Judd Apatow, das ist der Name eines Regisseurs, dessen dritte Kinoregiearbeit, Funny People, in diesem Sommer in die US-Kinos kommt. Judd Apatow ist der Name eines Autors, eines Produzenten, der weit über diese Filme hinaus die amerikanische Komödie der letzten fünf Jahre, geprägt, dominiert, neu erfunden hat. «Apatow» ist mithin eine Marke, ein Label, fast ein Franchise, ein Stil (ohne Stil), eine Signatur, die inzwischen unter Filmen zu stehen scheint, bei denen der Name in den Credits gar nicht mehr auftauchen muss, so wie unlängst bei John Hamburgs I Love You, Man (2009). Es ist, zumeist, die Abwesenheit visueller, filmisch-operativer Marker, ein Ensemble aus so konventionellen wie geschickten Auflösungen bar aller Exzentrizitäten, das mit diesem Label einhergeht; ein Verfahren, das sich nicht als Stil geriert. Die Marke konstituiert sich als an den Rändern ausfransender, heterogener und integrativer, im Kern aber stringenter Motiv- wie Produktionskomplex. In ihren Filmen fügen sich Realistisches und familienpolitisch Ambivalentes, Präzises und Derbes auf das Selbstverständlichste, Interessanteste, dabei nur manchmal knirschend, offensiv gegenstrebig.

Serienparadigma

Die Marke «Apatow» ist ein Serienparadigma, das ins Kino übertragen wurde: Created (written, produced) by Judd Apatow. Was «Apatow» zusammenhält, verdankt sich einem singulären, so langsamen wie insistenten Aufbau eines Ensembles aus der Serienfamilie, die ihr Erwachsen aus der Serie in ihr (mit)vollziehen konnte, von den Freaks & Geeks der High School in der von Paul Feig kreierten Serie (1999/2000) über die dorm people, die Wohnheimsgemeinschaft in Apatows Collegeserie Undeclared (2001/2002) zu der Slackerwohngemeinschaft in Knocked Up (2007). Die Typen und Typisierungen dieser Serien ragen in die Filme hinein oder schreiben sich in ihnen fort; sie scheinen dabei gleichursprünglich den Genregesetzen der High School oder des Colleges und den Darstellern selbst geschuldet. Neben eben diesen Schauspielern und Typen, neben den Neustars Seth Rogen und Jason Segel, neben Jay Baruchel und Martin Starr, dem großen Kleinrollenveredler und geekigsten der Geeks, umfasst dieser Zusammenhang echte Familienmitglieder (Apatows Ehefrau Leslie Mann und ihre beiden Töchter), Doubles und Stellvertreter (Paul Rudd, der die Familie in Knocked Up an Apatows Stelle komplettiert, und Jonah Hill, Seth Rogens Leinwand-Ich in Greg Mottolas Superbad), dazu viele andere, Elizabeth Banks, Jane Lynch und zahlreiche Männer, die mit Parallelkarrieren & -pfaden doch immer wieder zu Apatow zurückkommen und einen Platz im Projekt einnehmen (wie James Franco und David Krumholtz) oder die überhaupt nur bei ihm einen Filmplatz haben.

Solidarität und Jewishness

Nicht zuletzt ist dies, jenseits einer einfachen Cameo-Logik, den Filmen und Serien wesentlich, fast ihr Geheimnis: dass sie bis in die kleinste Nebenrolle, die kürzeste vom Plot entkoppelte Szene Präzision, Aufmerksamkeit, Interesse wecken und gerecht verteilen, dass selbst unter dem partikular Erbärmlichen, Bitteren, Peinlichen nicht der Abgrund lauert, sondern Sympathie, Empathie und Solidarität wohnen. So wenig diese Arbeiten milieuistisch, d. h. jenseits einer diffusen Mittelklasse verortet sind, so wenig sind sie doch sozial und ethnisch indifferent. Die Jewishness (und überhaupt die ethnische Identität) vieler Figuren ist oft untermarkiert, um sich momenthaft präzise zu artikulieren (bei Freaks & Geeks oder bei Knocked Up), oder sie wird schrill und phantasmatisch exponiert wie bei den von Apatow mitgeschriebenen You Don’t Mess With the Zohan (2008) und Walk Hard – The Dewey Cox Story (2007), einer Parodiesumme der Musikerbiopics, die diese doch spielend ein- und überholt. Das New York Zohans, in dem sich der Nahostkonflikt zumindest schon einmal stellvertretend in einer Straße lösen lässt, und das ungleich weniger phantastische Los Angeles der Apatow-Filme treffen sich in ihrer Grundhaltung: Ihr Milieu ist ein emotionales, ein state of mind, und darin fast universalistisch: Jede Figur kommt zu ihrem Recht, ihrer Scham wie ihrem Glück.

Angelegt erscheint vieles aus diesem Kosmos ohne Kosmologie schon in den Serien, in Freaks & Geeks, wo Apatow einige seiner ersten Regiecredits erhielt, und in Undeclared. Die NBC-Serie Freaks & Geeks balanciert oft virtuos vorsichtig Komödiantisches, Early-80s-Spezifika und sehr fein nuanciertes Coming-of-age-Spiel. In den genuinen Apatow-Episoden erkennt man Akzentverschiebungen und Interessenkonkretisierungen, sieht, wie der von Seth Rogen gespielte «Freak» Ken Miller und Martin Starrs «Geek» Bill Haverchuck gleichsam entdeckt werden, ins Zentrum des Schreibens und der Szenen rücken, findet mit dem Scham- und Peinigungsgenerator High School ein ambivalentes Leiden an der Welt ins Werk gesetzt, das noch in jedem «Apatow»-Film zu spüren ist: bei Figuren, die diese Scham nicht nur auslösen (das wiederum wäre ein anderes Prinzip, andernorts zu finden, in den Offices etwa), die vielmehr selbst an ihr vergehen. Als solidarische Exponiertheit könnte man das vielleicht begreifen.

Undeclared setzte, bei FOX, stärker auf eine Sitcomformatierung ohne echten Sitcomcharakter, integrierte die Apatow-Buddys Adam Sandler, Will Ferrell, Ben Stiller in furiosen Gastauftritten und baute im Schreiben und in der Regie einen Arbeitszusammenhang auf und aus, der Regisseure wie Greg Mottola und John Hamburg geschärft wieder und die Serienarbeiter Jake Kasdan und Nicholas Stoller erstmals ins Filmregiefach entließ. Beide Serien wurden bereits in der ersten Staffel abgesetzt, und doch installierten sie das System «Apatow».

Es sind größere Themen und Motivketten wie dünne Linien, Sätze, Sentiments, die dieses System strukturieren. Die «Apatow»-Filme konstellieren sich darin fast werkförmig, durchaus auch als Komplementärfilme: Der Babyparade in den Credits von Knocked Up, wo die Beteiligten als Kleinkinder oder mit ihren Babys auf Photos vorbeiziehen, antwortet entsprechend die grandiose Cockshow aus Superbad (ebenfalls 2007), dessen Credits von Penisgestalten begleitet werden, die direkt aus der Lunchbox des in jungen Schuljahren von einem dick demon zum obsessiven Penismalen verführten Seth entsprungen scheinen.

Von der nervösen Adam Sandler-Bewunderung des Rogen-Charakters Ron in einer Undeclared-Folge, in der Sandler mit seiner Entourage im dorm vorbeischaut, führt ein direkter Weg zu Funny People, in dem der von Sandler gespielte Starcomedian Rogens Figur protegieren und als Assistenten einstellen wird. Und dass in Funny People sich nun auch Eric Bana zu der Serienfamilie gesellt, kann man durchaus als Konsequenz einer Knocked Up-Szene verstehen, in der die gesammelte Serienwohngemeinschaft Bana dafür preist, dass er mit seinem Mossad-Rächer in Spielbergs Munich ihnen als Juden überhaupt erst wieder Chancen bei Frauen verschafft habe (eine filmimmanent folgenlose oder vergiftete Preisung, wie Jessica Winter in Cinema Scope treffend anmerkte, kann sich doch Seth Rogens Ben Munich und Bana so gar nicht zum Beispiel nehmen, wenn er sich vor dem Sex mit seiner schwangeren Freundin fürchtet).

Modelle der Gemeinschaftlichkeit

Die Ökonomie des Komischen dieses Kinos, in die diese Ketten eingebettet sind, verträgt und berührt sich mit den strukturanarchischen Ferrell-McKay-Arbeiten wie Talladega Nights und Step Brothers (die Apatow produziert) – dort, wo eine Szene mit einer Pointe schon enden müsste, wo sie aber weitergeht. Seit jeher ist hier der Ort des Real- und Realitätsprinzips in der Komödie, mit dem unmittelbar folgenden Selbstwiderspruch oder der Selbstdesavouierung (so, perfektioniert, etwa immer in der amerikanischen Psychologen-Sitcom Frasier), dem Eindringen des Regressiven und Destruktiven (in den kindischen Wortwiederholungsduellen der Ferrell-Filme und auch bei Larry David) oder, bei Apatow, als Umschlags-Platz zur und Schauplatz der Beobachtung.

Dieses Prinzip konstituiert das solidarischste, undenunziatorischste Komödienmodell neben den Farrellys. Aber im Gegensatz zu den Farrelly-Brüdern, die sich selbst genug Familie sind und deren gesamtes Werk bis vor wenigen Jahren deutlich als egalitär-emanzipatorisches Projekt sich darstellte, ist dieses Modell nicht an einem gesellschaftlichen Aufriss interessiert. Apatows Interesse an den Bildungsinstitutionen, an der Institution Familie bzw. Ehe dazu, zielt auf die Szene, nicht das große Ganze. Die Kraft liegt in der mikrologischen Beschreibung, nicht im (Gegen-)Entwurf, der Zusammenhang ist ein gemeinschaftlicher, der nur selten in einen gesellschaftlichen umkodiert wird. Es geht den Filmen und Serien um Orte, Modelle und Narrative von Gemeinschaftlichkeit, Freundschaft, Kollegialität, um die persönlichen Knoten und Fugen. Aber ihr Hang zum Mikrologischen, zur Nuance sprengt aus diesen Ordnungen Details heraus, kreiert Miniaturen des Sozialen, des Alltags, der Arbeitswirklichkeit: in Undeclared, wo Jason Segel als obsessiver stalkender Boyfriend Eric (von dem im Protagonisten von Nicholas Stollers Forgetting Sarah Marshall noch Züge übrig sind) einen Copyshop leitet und jeder gezeigte Handgriff ein praktisches Wissen, Gespür und Respekt für die Prozessualität dieser scheinbar trivialen Tätigkeit offenbart; im Fernsehstudio bei Knocked Up, in dem drei, vier kurze Szenen ausreichen, um ein passiv-aggressives Konkurrenzklima zu pointieren; und vor allem bei SmartTech, dem Elektronikgeschäft in The 40 Year Old Virgin (2005). Wie dort die Frustration, die Langeweile, die Konkurrenz, die ethnischen Identitäten und Reibungen, aber auch die all dies umspannende Grundkollegialität der Angestellten sich in Wortgefechten, im kleinen Aufbegehren darstellen, wie dabei alle ethnischen Klischees aufgenommen und gewendet werden, auch etwa, wie sich aus den Kommentaren zu den auf den Ladenfernsehern laufenden Filmen kleine Rezeptionsstudien ergeben, das demonstriert einen Alltagssinn, der mindestens im gegenwärtigen amerikanischen Genrekino singulär ist.

Dabei sind die Arbeiten in ihrem «liberalism» eher diskret, gerieren sich hedonistisch motiviert. Ihr Prinzip ist weniger Überbietung und Kritik, sondern Versöhnung und Affirmation, der Familie, der Freundschaftsbande. Und diese doppelte Affirmation – es gibt immer zwei Familien, zwei Quasiinstitutionen, zwei Lebensweisen, die konkurrieren, die ineinander zu überführen, miteinander zu versöhnen sind – führt vielleicht nicht zu echten Ambivalenzen, aber doch zu Brüchigkeiten, die die Filme und ihre Enden, die Produktion von heterosexuellen Paaren heimsuchen. Wenn die zwei Langfilmregiearbeiten Apatows letztlich doch bei der Feier der Institutionen Ehe und Familie anzugelangen scheinen, wenn in ihnen die Passage durch den Hedonismus und die Hobbys zum Realitätsprinzip und zur ökonomischen Vernunft führt, wenn sie also gesellschaftlich werden, dann ist dies wohl trügerisch, kein Verrat an der Komödie, sondern schon allein dadurch kontaminiert, dass es den Filmen so wenig darauf ankommt (oder so wenig gelingt), eine Instanz jenseits der Konvention dafür einzuführen. Steve Carells 40jährige Jungfrau und Rogens Slacker mögen sich am Ende lösen aus der spielzeugüberfüllten Junggesellenbude, dem Kollegenkreis und der Apatowserienfamilienwohngemeinschaft (in der alle Figuren so heißen wie ihre Darsteller), aber wie die Gruppe filmisch installiert wurde, lässt die Passage durch sie zur Paarbeziehung, die Lösung, die Unterordnung des Lustprinzips unter das Realitätsprinzip nicht unberührt. Es zeigt sie vielmehr als Ordnungen, die den Filmen gleichsam von Außen zustoßen, als Kehrseite einer Logik der Wunscherfüllung und der Ermächtigungsphantasien, in denen die unwahrscheinlichen leading men Steve Carell, Seth Rogen oder Jason Segel, die Freaks, Geeks und Dorks das Mädchen kriegen. Aber bei aller verbal ausgestellten Fixierung auf den Sex und das andere Geschlecht halten sich die «Apatow»-Protagonisten – und die Filme mit ihnen – ohnehin lieber bei den Männerbindungen auf, dem male bonding. Dies determiniert die Filme und Fernsehfolgen auch strukturell, denn es lässt sich kaum übersehen, dass sie ihren Frauenfiguren weniger dialogische Funken und Beschreibungsspotential abzugewinnen, weniger Momente zu geben verstehen (wenn man von Leslie Mann mal absieht). Vor allem aber lässt male bonding stets ein Sujet mal dominieren, mal nur gelegentlich einbrechen, um das die amerikanischen Gegenwartskomödien obsessiv kreisen: die Homophobie. Das Verfahren «Apatow» hat darin seinen kalkuliert ambivalentesten Prüfstein, oszillieren die Filme hier doch oft kaum entscheidbar zwischen Affirmation und Ent- bzw. Ausstellung, um dann mitunter konsequent und schön unambivalent zu werden: So gibt am Ende von I Love You, Man Paul Rudd eher seinem Trauzeugen Jason Segel denn seiner Braut das Jawort, und der letzte sehnsüchtige Blick von Jonah Hills Seth in Superbad gehört, bevor sie mit den Frauen ins Offene gehen, dem Freund Evan.

Referenzding und Familienroman

Dennoch: Das Projekt «Apatow» ist kein Gesellschafts-, sondern doch eher ein Familienroman, aber nicht der (Freudsche) des Neurotikers. Den gibt es, dies nebenbei, im amerikanischen Gegenwartskomödienkino freilich auch, bei Wes Anderson. Abgesehen von den frei verfüg- und einsetzbaren Komödienagenten Ben Stiller und Owen Wilson berühren sich das strenge Werk Andersons und der Arbeitsverbund «Apatow» vor allem eben beim Hobby, beim Referenzding. Der Hobby- und Tätigkeitswahn bei Anderson ist stets als Symptom ausgestellt oder als Teil einer symptomalen Struktur, die von der Objektophilie, dem (Dekor-)Fetischismus der Filme selbst nicht zu trennen ist. Dieses Zeichensystem markiert die Filme, das Projekt ganz fundamental als autobiographisch (damit ist freilich nicht gesagt, dass sie autobiographisch sind); die Autobiographie & der Familienroman sind ihr textuelles Modell oder Prinzip, ihre Matrix. Was bei Wes Anderson echter Spleen, das heißt Melancholie ist – das Regulationsprinzip für den exzessiven und idiosynkratischen Zeichenkosmos –, ist bei «Apatow», viel basaler und konventioneller, Sentimentalität und Trauer, das, was sich der Auflösung existentieller Bindungen entgegenstellen lässt oder schon an ihr leidet. Der gesamte Wissenshorizont der Filme, die popkulturellen Referenzen von Total Recall bis Rush, die Comedy-Hommagen an Steve Martin und Garry Shandling, die Konträrfaszination mit der Sitcom Everybody Loves Raymond und ihrem Ehemodell, die Objekte und Codes werden davon organisiert bzw. stemmen sich dagegen, freilich keineswegs unschuldig. Die Filme lassen keinen Zweifel daran, wie die Freizeitbeschäftigungen zu verstehen sind; Symptom und Fetisch werden schlicht verstanden, weniger strukturell, weniger ausdifferenziert. Steve Carells Spielzeug hortende 40 Year Old Virgin und der wohlmeinende Kollege Paul Rudd artikulieren dies im Hinblick auf Masturbation so: «It’s not a hobby of mine.» – «Well, then that’s the only hobby you don’t have.» Die Trauer und der horror sexus (alterius), das Grauen der Finalisierung in der heterosexuellen Paarbeziehung sind die Triebkräfte von Apatows / «Apatows» Familienroman.

Irgendwann verlassen die Freunde das Haus, irgendwann geht die Ehe weiter, denn sie dauert nicht 30 Minuten, sondern das ganze Leben, irgendwann muss die Highschool enden und die Serie enden und die Komödie auch. Das antizipieren die «Apatow»-Filme, daran leiden sie. Vielleicht ist die Fluchtlinie dieses Leidens der Tag, wo dies dem eigenen Werk, dem eigenen Projekt widerfahren wird und muss, wo es die Familie entlässt.