Vom Kino-Eye zur You-Tube Das Kino, das Ich und das Netz
Kino bildet Räume und Beziehungen. Immer zugleich auf allen Ebenen seiner Funktionen: Aufzeichnen, Bearbeiten, Übertragen. Kino ist Transformationskultur. Kaum sind wir drin, sind wir jemand anderer. Kaum sind wir draußen, denken wir uns kinomorph. Kino bildet Beziehungsräume immer da, wo erst mal nichts davon zu spüren ist. Immer dann, wenn die Oberflächen einen fesseln, und wenn man/n auf Innerlichkeit aus ist. Oder auf Erinnerung: Erinnerlichung. Nachrichten aus den Fünfzigern, 16 mm-Schnipsel aus den Sechzigern, Video-Reste aus den Siebzigern, MTV-Clips aus den Achtzigern, handheld-private movies aus den Neunzigern und rendered pirate movies nach 2001. Alles da. Alles im Netz. Da kriegt uns das Kino am Wickel und zeigt die Machart unserer mentalen Interieurs: Sie sind tapeziert mit der Materialität medialer Standards. Nicht Geschichten sind wichtig in unserer Erinnerung, sondern Licht, Leuchten, Farben, Oberflächenstrukturen. Das machen die polymorphen Kinosammlungen im Netz deutlich. Ähnliches gilt auch für Beziehungsräume: deren elementare Strukturen sind medial, definieren sich über Aufzeichnungs-, Bearbeitungs- und Übertragungsformen. Pfade, Routinen und genommene Abzweigungen. Erst darauf entwickelt sich der Zug der Partizipationen. Erst darüber bläht sich das Segel der Imaginationen und Ikonen.
Was Kino war und gewesen sein wird, zeigt sich in seiner Netzform deutlicher. Ein Medium verrät immer die Tricks eines anderen – und appropriiert sie, maskiert, als seine eigenen. So auch das Netz, das Kino macht, darunter Youtube als Netzwerk, das bewegte Bilder makelt. Das Verhältnis von Netz und Kino ist heikel und instabil. Nur ein Topos sei heraus gegriffen, um es zu beschreiben. Ein Topos, den das Netz selbst vorschlägt, weil’s sich da hinter allen Medienreichen versteckt: das Gesicht. Oder die Gesichtlichkeit, Fazialität, faciality, wie es im Englischen heißt, so, dass darin vor allem die Oberfläche zu hören ist. Schlau wie es ist durch die Knoten seiner Partizipient/inn/en hat das Netz die Kombination von Face und Buch für alle künftigen Beziehungen zugrundegelegt. Vielleicht weil damit Beziehungen weniger flüchtig, weniger verblasen erscheinen. Weil damit die Library, die Bibliothek Modell aller Beziehungen werden kann, in der man im ruhigen Dämmer an Regalen entlanggeht und Zugriff hat auf Peter und Paul und Wentz und Cuntz. Und jede/r noch Urheberrecht und Autorschaft am Ich fantasieren kann, am surfacebook of her Majesty, the I. Im Kino haben die medialen Doppelgänger/inn/en immer zum Kampf herausgefordert. Erst im Netzkino lernen Ich und Anderer, Allianzen zu schließen.
Während ich das schreibe, hänge ich mitten im Umzug. Kein Internet, keine Bücher, kein Fernsehen, Radio im Auto, das Auto beim Zoll. Nur die Festplatte mit Schreibresten, das bisschen Innerlichkeit als Realität. Dadurch eine instantane Reauratisierung der Welt. Inklusive des Kinos, das jetzt erst seinen Höhlencharakter zeigt, weil es nur einen Zugang, einen Ausgang hat. Keinen verschalteten Übergang zum nächsten, zu anderen Bildern, schon allein wegen der horrenden Kinopreise hier. Übergang geht nur zu anderen Bildern im Kopf. Dessen Topografie und Schaltbarkeit ist unzuverlässig, vergesslich, verzerrt, extrem stimmungsabhängig. Was ich schreibt, müsste auf etwas haltbareren Kanälen performt werden. Überall ist Netz nur hier nicht.
Auch die Politiken der Youtube, die sich dazu beglückwünscht, community-based und bottom-up zu funktionieren, realisieren sich vermutlich gerade da, wo wir uns der Prozesse, die Hören und Sehen machen, nicht bewusst sind. Wo unsere Vorlieben und Favourites nur als Symptome auftauchen.
Bewegung und die Basis der Bilder
Mein Lieblingsfilm dieser Tage in der Youtube ist How to Datamosh. Es gibt drei Folgen dieser Anleitung, die jeweils etwa zehn Minuten lang sind. Zu sehen im kleinen Feld der Youtube-Seite ist ein Gesicht, aber das Gesicht ist nicht eigentlich zu sehen. Niemand ist zu erkennen, kein Name, kein Gesicht, keine sichtbare Physiognomie, keine bestimmten Organe. Aber ein Grinsen, vielleicht, ein Grinsen ohne Gesicht. Das Grinsen der Daten selbst. Ephemerer noch als das Grinsen der Gurkennasen bei Arcimboldo, weil sich in der Bewegung der Daten etwas zum Grinsen verzieht. Kino als Fazialität und Fratze. Dieses Grinsen trägt außerdem, wie alle guten Flug-Schamanen, einen Federschmuck auf der Stirn, der aus einem Nirgendwo zwischen Kindergarten und Haight-Ashbury herstammt und auch ein wenig an Achternbusch erinnert.
Aber es spricht, das Grinsen. Nicht bayerisch, sondern englisch. Amerikanisch. Zu mir, zu Dir, zu uns. In Wirklichkeit natürlich, wie wir wissen, zu einer Video-Kamera vis-à-vis. Aber was wissen wir schon. Es gibt kein «zu» jemandem, wenn gesprochen wird durch die Youtube. Denn diese löst alle präpositionalen Ordnungen auf. Es gibt kein an, für, zu oder über an der Youtube. In der Youtube. Auf der Youtube. Es gibt auch kein vis-à-vis, kein gegenüber, schon gar kein «mein» Gegenüber. Und es gibt auch kein Wann. Youtube ist immer und überall. (Nur jetzt und hier nicht. Oder eben doch, aber als Fehlen).
Gemoshte Bilder entstehen dadurch, dass die Differenz zwischen bewegten und unbewegten Elementen eines Bildes, wie sie normalerweise zur Kompression verwendet wird, missbräuchlich von einem Bild auf ein anderes übertragen wird. So lässt sich die Bewegung aus einer Einstellung auf die Pixel einer anderen Einstellung, eines ganz anderen Bildes übertragen. Gemoshte Bilder spalten die Aufmerksamkeit zwischen der Betrachtung von Farben und Gestalten einerseits, und einer Bewegung, die sich darin vollzieht und ihr eigenes Bild schafft, andererseits. Im Detail verlangt der Abgleich in der Kompressionsdifferenz einen Predictionmodus, der gemoshte Bilder als extreme Zeitbilder qualifiziert: nicht nur die Entkopplung von Handlung und Wahrnehmung in einer Dauer, sondern das haltlose Surfen der Wahrnehmung auf den oszillierenden Oberflächen der Bilder und die unmögliche Zeitlichkeit in der Berechnung eines Δt der voraus kalkulierenden Bildkomposition sprengen solche Bilder aus jeder räumlichen Referentialität. Das Lächeln des Mosh-Indianers scheint sich durch die Daten der Bildgebung durchzumogeln. Bewegung unter Pixeln ist die Maskerade, in der das Lächeln sich zeigt. Das Datamoshing ist wohl die erste Technologie digitaler Filmbilder, die in die Struktur des Algorithmus als in die Struktur eines Materiellen der Bilder selbst eingreift. Und sie beginnt fast zeitgleich mit Internet, das Kino zu verändern.
Ich habe die Moshing-Filme lange nicht gesehen. Während ich diesen Text schreibe, hänge ich mitten in einem Umzug. Kein Internet, keine Bücher, kein Fernsehen, Radio im Auto, das Auto beim Zoll. Das heißt, Rückgriff auf ziemlich alte, abgehangene Kinogefühle. Old filmkritik. Das geht nur noch, wenn man nicht im Netz ist. Sonst schaut man dauernd nach und sieht nur Youtube. Stattdessen jetzte emotional-mining im eigenen Körper. Datamoshing ist ein gutes Beispiel für diesen Prozess. Data-gemoshte Bilder flanschen sich von außen auf die Wahrnehmung wie ein Alien, ziemlich viral, korrespondieren aber irgendeiner verschütteten Erfahrung, der Trennung von Gestalt- und Bewegungswahrnehmung im Bild, die als Störung auf sehr alte Schichten der Wahrnehmung unter Bedingungen ungefähr des Holozäns rekurriert: Bewegung privilegiert zu registrieren. Zweiraum-Wahrnehmung. Vermutlich prä-Individuum, aber im Netz auch post-Kollektiv.
Kein Zufall, dass das moshing als Intervention in die Basisfunktion digitaler Kinobilder zum Netzkino gehört. Denn das Netz verändert Kinobilder, auch wenn es nicht in deren Struktur eingreift. Aber das Prinzip des Internets ist erstens, dass Bilder sich in ihren Oberflächen zeigen und nicht mehr auf einen imaginären Raum verweisen. Und zweitens, dass die Bilder sich von Urheber/inn/en verabschieden, zu streunen anfangen, namenlos werden, promisk. Filme im Netz sind kopiert, zerteilt, zerrissen, gemischt, prinzipiell, ohne Vor- und Abspänne. Zusätzliche Kommentare und externe Links mögen Hinweise auf Autorschaften geben. Das Kino liefert eine gute Vorlage: die Bilder Eisensteins sind auch von Tissé, die Vertovs auch von der Svilova, mehr noch, Bilder von Sternberg sind auch solche der Dietrich, wenn auch weniger als Asta Nielsens Bilder die von Urban Gad sind. Vor allem aber: Bilder funktionieren erst im Verhältnis zu den Wahrnehmenden, Bild ist Verhältnis, nicht Gegenüber. Bild ist prozessuales Verhältnis zur Welt, Formation und eben nicht Information.
Die Youtube als piratische und partizipatorische Praxis hebt genau wie die sowjetischen Konstruktivisten und Kino-Augen, eine Funktion der Kamera vor allen anderen heraus: dass sie Welten nicht abbildet, sondern Welten generiert. Sie nimmt Daten auf, die aufgemischt werden können. Bilder sind Prozesse, die Verhältnisse generieren, bessere oder schlechtere. Das Datamoshing, die getrennte Prozessierung von Bewegungs- und Gestaltinformation, ist nur das radikalste Beispiel unter den Möglichkeiten, Bilder zu machen. Das gemoshte Grinsen führt Datenbewegungen selbst als schwärmerische Tätigkeit vor Augen. Und zwar auch, wenn keine Augen, die sehen würden, da wären. Wo überhaupt. Grinsen geht die Katzen an und ist selbst nur eine Relation, der hier auch noch das Relative abgeht.
Die Politik der Youtube, mit dem Hören und Sehen die User und Participants in neue Raumstrukturen zu versenken, bleibt vermutlich unbewusst, wenn wir, zuhause, am Schreibtisch, im Bett, oder unterwegs vernetzt, in der Bar, im Bus Kinosehen. Nicht nur das Wuchern der Bilder in den Räumen, sondern auch die Räume, welche die Bilder generieren, ändern sich mit der Logik der Youtube. Das lässt sich am Topos des Gesichts, der Facies oder Fratze erkennen, der seine eigene Kinogeschichte hat.
Innen, Außen, On and Off
Die Logik der Youtube verweist auf das Kino-Eye. So mindestens muss man hören und sehen, um das Kino in den Sinn- und Wahrnehmungsschichten der Netzbilderröhre wieder zu finden. Du und ich und die Kanäle, die uns herstellen. Die unsere Gesichter wahren. Die Fazialität des Kinos spielt eine große Rolle nicht nur in der Kino-Prawda der Kinoki und in Dziga Vertovs Mann mit der Kamera, sondern vorher schon in Vertovs berühmtem Selbstexperiment, in dem er das eigene Gesicht als fremdes unter die Zeitlupe nahm. 1918 sprang er hinter dem Moskauer Palais des Filmkomitees aus dem ersten Stock, während ein Kameramann diesen Sprung filmte. Die verschiedenen und in der Echtzeit nicht differenzierbaren Zustände im Fall Vertovs wurden im Blick des Kinoauges, in den Einzelbildern am Schneidetisch, analysierbar. Wo für die nackten Menschenaugen der Umstehenden nur eine Verbeugung, ein Lächeln und ein Sprung zu sehen waren, ließ sich im Film durch Zeitlupe die mimische Abfolge von Angst und Unschlüssigkeit, Peinlichkeit, Zögern und anwachsender Entschiedenheit als Mikromimik feststellen. Vertov zog daraus den Schluss, dass das neue Wissen von der Mimik nicht mehr anthropomorph sei, sondern dass eine Verbindung von Mensch und Kinematographie zu neuen und unvorhergesehenen Konstruktionen einer Psyche und ihrer unbewussten und sozialen Beziehungen führen würde. Das Kino macht Innerlichkeit außen sichtbar, auf der Haut, pellicula. Im Mann mit der Kamera hat er jenes Experiment umgekehrt: In einer entscheidenden Sequenz zeigt Vertov Gesichter von Kindern, von alten und jungen Frauen zuerst in Standbildern und danach, während parallel am Schneidetisch vorgeführt wird, wie Bilder zu animieren sind, auch als bewegte Physiognomien. Was die Bilder an Emotionalität und Affekten ausdrücken oder vielmehr auslösen, ändert sich mit ihrer Vorführtechnik.
Wahrheit ist immer nur Kinowahrheit, je nachdem, 12, 24 oder 48 mal die Sekunde. Aber es gibt, im Zeitalter des Kinos, keine andere. Ihr Raum ist jedoch das Labor, der Schneideraum. Jedes andere Milieu wird für die Operation der Gesichtlichkeit kassiert. Béla Balázs führt ebenfalls am Beispiel der Physiognomie das Kino und seine Ausdrucksformen gegen das ganze Gutenbergimperium ins Feld. Für die Großaufnahme des Gesichts im Stummfilmkino – sei es das der Asta Nielsen oder das der Erde – konstatiert Balázs ebenfalls eine Sprengung messbaren Raums zugunsten einer Verdichtung der Gewebe. Sergej Eisenstein wird das «Pathetische» als Überlagerung verschiedener überindividueller emotionaler Zustände auf den Gesichtern seiner Schauspieler hervorzubringen suchen, als Ausdruck eines
Archaischen, Epischen, der verzeitlicht und historisiert, was das Kino als Raum generiert. Das avantgardistische Nachkriegskino der fünfziger und sechziger Jahre wiederum folgt Vertov darin, Gesichter als Reflexionen eines Imaginären zu zeigen, das Menschliches und Maschinelles unauflösbar verbindet. Zu sehen auf den Gesichtern des Kinos ist die Interferenz von Affekt und medialer Übertragung. Kino generiert damit einen neuen Raum des Technoimaginären, das einem Cyberspace ante letteram der Beziehungen und Bezüglichkeiten angehört. Das Kino der Sechziger eröffnet seinen eigenen Raum, der sich als Konstruktion von Welt durch Optiken, Licht und Filmschichten des Kinos verstehen lässt: Belmondos Blicke in die Kamera, die dem Kino seinen eigenen historisch heterogenen Raum jenseits der theaterhaften Bühnenlogik zurückerstatten; die Blicke der Akteure in Pasolinis Filmen, die ihre Gesichter den Zuschauer/inn/en frontal zu lesen geben, um Schichten archaischer und kinematografischer Semiologie darin zu entziffern; die von filmischer Körnigkeit und zufälligen Schattenwürfen zerfurchten und zerteilten Gesichter, die John Cassavetes direkt in die Kamera sprechen lässt; und im Unterschied dazu die bei Ingmar Bergman sorgfältig ausgeleuchteten und komponierten Doppelporträts in Persona, die ebenfalls – nicht zuletzt durch den Vorspann – die durch Bilder generierte Konstruktion von sozialen Räumen als Indiskretion des Kinos ausstellen; alle diese Verfahren verweisen auf das Experimentieren mit neuen Menschenbildern, die durch das Kino konstituiert sind und deren Gesichter anthropomorphe Räume sprengen.
Erst die Youtube macht deutlich, dass es sich bei allen Emanzipationen von theatralen Räumen nicht um eine Rückkehr zu einem authentischen Kinoraum handelt, sondern immer wieder um andere Produktionen von Beziehung. Wenn wir Belmondos Fixieren der Kamera-Optik, jenes Echo auf den stets schrägen Blick Bogarts, in der Youtube sehen, dann korrespondiert er mit allen anderen Youtube-Gesichtern, -Blicken, -Räumen, und auch mit entsprechenden Kommentaren, Mythen und Legenden. Der talking head, der direkt zur Kamera spricht, ist mit Sicherheit das Emblem des broadcast yourself, darunter schließlich lonelygirl15, founding fake eines fundamental Amateurhaften der Youtube, jene tagebuchartigen Beschwerden eines desperaten Teenagers, welche sich alsbald als Experiment einer Filmproduktionsfirma erwiesen. Der Blick in die Kamera seitdem, das Gesicht und seine Mimik, werden daran erinnern, dass das Authentische auch des Kinos nur als Medieneffekt und -strategie zu haben ist. Selbstverständlich hat nicht erst die Youtube jene grundlegenden Kinoeinstellung, die Großaufnahme des Gesichts und den Blick in die Kamera, in einen anderen Kontext gestellt, auch das Fernsehen, das uns insistierend Zeugenschaften in dieser Form präsentierte, hat damit bereits die selbstreferentielle Kinogeste der Nouvelle Vague relativiert.
Youtube-Praktiken haben zersetzende oder, euphemistischer, analytische Effekte auf fast alle Aspekte der Kinoproduktion: auf Kameraarbeit wie auf Schauspiel und Montage, auf das Verhältnis von Raum- oder Zeitorganisation genauso wie auf Signal- und Rauschverhältnisse auf imaginierte Kollektivität sowie auf Intimitäten zwischen Millionen, die dabei diskret bleiben. Denn die Youtube liefert zugleich mit den bewegten Bildern, Kino oder nicht, stets alle Paraphernalien zu deren Test, Überprüfung und Korrektur, ähnlich wie der Feigenbaum das Blatt zur verfänglichen Frucht reicht. Bilder auf der digitalen Youtube sind nicht wahr und nicht falsch, sie weisen aus, dass sie keine stabile Referenz außerhalb ihres Netzwerkes haben – und das Netzwerk entsteht und dehnt sich mit den Usern. Die Bilder der Youtube kennen kein Innen und Außen und deren vertovsche Kinorelation mehr, haben kein Hors-Champ und kein Off, sind aber immer On, immer verfügbar und zersetzen damit bekannte Erinnerungsstrukturen, selbst die des Lichts, des Leuchtens, der Farben und Oberflächenstrukturen, die ja digital schnell implementiert sind.
Während ich das schreibe, hänge ich mitten im Umzug. Kein Internet, keine Bücher, kein Fernsehen, Radio im Auto, das Auto beim Zoll. Es wäre richtig, an dieser Stelle die prinzipielle Überprüfbarkeit der Bilder in der Struktur der Youtube zu überprüfen. Die langsamen Ladevorgänge und die kleinen verpixelten Bildchen gegen die Kinoerfahrung des schönen Sehens, des nicht informationsgeleiteten Sehens von Kinobildern zu setzen. Zu überlegeprüfen was geschieht, wenn Fernsehen im Vollbild und ohne Kommentarleisten Youtube-Clips abspielt, Einstellungen aus Teheran, an die wir gerne glauben, solange eine weitere mediale Referenz hinzugefügt ist. Im Netz geht es aber gar nicht um fake, wie im Kino, nicht um Simulation, wie in anderen digitalen Codierungen, sondern um die Generation von Beziehungen.
Kino im Youtube ist eine Praktik der Relationen, Verbindungen, der Schaffung von Routinen, der Politik und auch der Liebe, die viel mehr solche des Labyrinths sind als solche des Labors. Statt Erinnerungen an Lichter, an Schatten und an ein Ich, das sich erinnert, zu knüpfen, ist Alexander Popes Problem des Eternal Sunshine auf die Tagesordnung filmischer Mnemotechnik zurückgekehrt. Youtube-Logik hat längst begonnen, auch die Narrative des Kinos und seine Erinnerung zu befallen. Soweit gut fürs Kino.
Kino geht ins Netz, Netz geht ins Kino
Wahrscheinlich kein Zufall am Kino ist, dass es fast immer die Art und Textur seiner Bilder zugleich mit den Bedingungen der Rezeption, des Sehens veränderte. Neue Film- oder Bildformen korrespondieren, wie unerkannt auch immer, neuen Publikumsformen. Das Spektakel bewegter Bilder auf Leinwänden traf in seiner Verblüffung auf ein Jahrmarktspublikum, für welches die Projektionisten im übrigen selbstgemachte Programme zusammenstellten, die ebenso heterogen und variabel waren wie ein personally generated Youtube-Abend – wiewohl natürlich, zentral fürs Kino, kollektiv rezipiert. Mit dem langen, an Erzählung und Roman orientierten Spielfilm ging die Institutionalisierung eines bürgerlichen Publikums einher, zu dessen Formierung Opern-, Waren- und Kaffehauskulturen fusionierten. Das sowjetische Kino, jener Versuch, den neuen Menschen medial zu bilden, feierte zwar auch das Kino im Saal oder in ehemaligen Kirchen, kannte aber auch den Kinozug, wie Medwedkin ihn auf die Reise schickte, oder das Wanderkino. Mit allen Avantgarden flüchtet das Kino erneut den Saal, machte sich auf ins Offene, ins Happening, auf Parties, auf nackte Haut, oder – ohne Avantgarden – ins Fernseh-Asyl. Mit den elektronischen mobilen Medien, die auch Empfänger und Monitore sind, und dem Netz, das so ubiquitär ist, dass es Mobilität aufhebt, haben sich die Kinobilder aus feststehenden Milieus oder auch Dispositiven gelöst. Gleichzeitig zeigt das Grinsen des Datamoshing, dass es Kinowahrnehmung immer dahin zieht, wo sich die Bilder auflösen. Vor allem die alten Menschenbilder. Die partizipierenden Agenten des Youtube-Kinos mit ihren gekonnt hochgeladenen Kontexten vergessen mitunter, dass sie damit Räume und Beziehungsformen generieren, von denen sie, als Subjekte, verwandelt werden. Hier trifft Youtube aufs Kinoeye.