modernes ereignis

Ugland House

 

Eine Berühmtheit wurde das Ugland House, als Barack Obama sarkastisch anmerkte, es müsse sich wohl um das größte Gebäude der Welt handeln. 135 South Church Street, George Town, lautet die Anschrift des fünfstöckigen Zweckbaus, der sich den Zahlen nach wie ein Knotenpunkt der Globalökonomie ausnimmt: Rund 18 000 Unternehmen sind derzeit offiziell dort registriert, was selbst in der Offshore-Hochburg George Town, wo 600 Banken auf 20 000 Einwohner kommen, eine ungewöhnliche Zahl ist.

Immer wieder ist das Ugland House fotografiert worden, Sender schicken Fernsehteams in die Eingangshalle, um sie die Bildschirme filmen zu lassen, über die in Hochgeschwindigkeit die aktuell gültige Firmenliste flimmert. Für echte Briefkästen fehlt der Raum, außerdem ist die Fluktuation groß. Seitdem Lehman Brothers vor knapp einem Jahr, am 15. September 2008, in die Insolvenz ging, sucht die Welt nach Bildern, die den Stand der Krise und die Logik der ökonomischen Praktiken, die diese ausgelöst haben, erfassen. Schwierig ist das, weil diese Praktiken einerseits zu komplex, andererseits zu raumlos sind. Es ist, als würde man Google bis zu einer Serverfabrik zurückverfolgen wollen, die dann durch ihre Größe (und ihren Stromverbrauch) immer noch erkennen ließe, was dort alles vor sich geht. Das Ugland House aber bräuchte im Grunde nicht einmal Wände, es reicht die bloße Adresse, sie macht die Transaktionen exterritorial, die von hier aus (oder genauer gesagt: über den strategischen Umweg zu dieser Adresse) getätigt werden.

Das Ugland House wird dadurch zu einem haunted building – es sieht von außen ganz normal aus, enthält aber innen viel mehr (oder viel weniger), als es in seiner dreidimensionalen Erscheinung erkennen lässt. Es ist auf eine komplementäre Weise eine klandestine Örtlichkeit wie ein sweat shop in der Dritten Welt – dorthin geht die Arbeit, die in den Büchern nicht aufscheinen soll, und die in dem Moment, in dem die Ware für einen sensationell niedrigen Preis übernommen wird, verschwindet.

Das Ugland House ist der sweat shop auf der Seite des Kapitals – dorthin werden die Geschäfte «ausgelagert», die in den Bilanzen nicht aufscheinen sollen. Das Wort Eskamotage, schreibt Jacques Derrida in seinem Buch Marx’ Gespenster, benennt die Hinterlist oder den Diebstahl im Warentausch. Das Ugland House als Erscheinung, die etwas verschwinden lässt («accountability»), ist das Bild dieser Eskamotage, die den Diebstahl oder die Hinterlist im Warentausch auf der Ebene des Kapitals wiederholt – was in den Anfängen des Kapitalismus als verbriefte Geschäftsbeziehung begann, in der ein Schuldschein gegen Sicherheiten stand und Adresse gegen Adresse, endet als abstraktes Zertifikat, das zwischen Briefkästen gehandelt wird, die es nicht gibt.

Dass diese Hinterlist irgendwann nicht mehr ausreichend auf Blödheit traf, wissen wir inzwischen.