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He’s only passing through Endlich ein Buch über Warren Oates! Susan Compo erzählt die Lebensgeschichte der New Hollywood-Ikone

Von Matthias Wittmann

The Shooting (1966)

© Proteus Films / Santa Clara Productions

 

Vor kurzem ist die erste Biografie über Warren Oates erschienen. Warren Oates. A Wild Life, verfasst von Susan Compo, die an der University of Southern California «Professional Writing» lehrt und Schriftstellerin ist. Das bei University Press of Kentucky erschienene Buch ist ausgesprochen dick, knapp 500 Seiten lang. «Endlich, ein Buch über Oates!», könnte man sagen, würde ich auch gern schreiben, doch was als begrüßenswerte Nachholung eines Versäumnisses angelegt ist, vermag leider nur wenig zu überzeugen. Immerhin: Compos Ausführungen sind voller Enthusiasmus und Detailverliebtheit.

Wer wissen will, mit wem Oates wann welche Drogen konsumierte, welche Frau Oates bei welchen Dreharbeiten besuchen kam und welches Auto Oates auf welcher Strecke fuhr, wird dieses Buch lieben. Von Oates’ Geburt (1928) in der bergigen Kohleregion von Kentucky bis zum tödlichen Herzanfall im Alter von 53 Jahren (um 12:17 p. m.) gibt es nichts, was der chronologischen Sturheit des Buches entgeht. Wir lesen von der durchaus lesenswerten Kindheit zwischen Baptisten-Kirche, Stadtbibliothek und Kino; von Oates’ Lehrjahren (u.a. bei den Marines); den Bühnenengagements, zunächst in der Heimatstadt, dann in New York; von Oates’ TV-Arbeit (wie Eastwood begann auch Oates mit Mini-Auftritten in Fernsehserien) und von seiner Entdeckung durch Sam Peckinpah, der anfänglich auch beim Fernsehen tätig war. Dem Buch fehlt jedoch die Linie fernab der Chronologie und die Sensibilität für die relevanten Nebensächlichkeiten.

Hinzu kommt, dass Compo sich für Oates als Leinwand-Phänomen und für filmhistorische Kontexte nicht interessiert. Im Fokus stehen Lebensstationen, Begegnungen, Anekdötchen. Eine erinnerungswerte Begegnung sei hier trotzdem hervorgehoben: Im Juni 1976 veranstaltete das Sun Valley Center for the Arts and Humanities eine Konferenz zum Thema «Western Movies». In diesem Rahmen begegneten sich Eastwood und Oates, zwei Kinder der Depressions- und Dillingerzeit mit zwei Jahren Altersunterschied. Eastwood, der den Anschluss an das New Hollywood weder schaffte noch suchte, verteidigte gegenüber Oates die klassischen Tragödienstrukturen. Oates bestand darauf, dass sich die wahren (Western-)Konflikte zwischen den Zeilen abspielen.

Im Bett mit Sonnenbrille

Mit John Cassavetes, dem größtem Inszenator von «open ended selfhoods», verband Oates leider schrecklich wenig, zu wenig: «I don’t want to do experimental cinema. I’m not interested in doing a film with John Cassavetes». Hierfür war Oates zu sehr konservativer Anarchist und Ironiker, der unter Hippie-Sein keine gesellschaftspolitische Haltung verstand, sondern den Ausdruck der Sehnsucht nach Abenteuer und Intensität. Oates ist nicht nur der Held des Sinn-Entzugs, sondern auch der Held der mystischen (Ver-)Stimmung, mit Hang zu Buddhismus und Rudolf Steiner. Nicht ohne Grund bescherte ihm die abenteuerlich beherzte Stahlgestalt John Milius, dessen reaktionäre Bomben- und Kriegerpoesie im New Hollywood zu viele Spuren hinterlassen hat, die erste Hauptrolle. Und Dillinger (1973) ist trotzdem ein sehenswerter Film, der dem Staatsfeind No. 1 jeglichen sozialromantischen Glanz abräumt und ihn als Selbsterschaffungsmaschine vorstellt. Zudem versteht es der Film wie kaum ein anderer, Oates’ Konformismus auf den Punkt zu bringen. Oates, der dem realen Dillinger verblüffend ähnlich sah, spielt in Milius’ Film einen Dillinger, der von Billie Frechette für Douglas Fairbanks gehalten wird. Wie ein Haiku, oder auch eine Leinwand, ist Oates die leere, unendlich verfügbare Form, offen für jede subjektive Investition, für jeden Überschuss des Sehens.

Und trotzdem geben seine Posen und Gesten den publikumsseitigen Projektionsbedürfnissen zu wenig Halt, um kultisch verehrt und heroisierbar zu werden. Oates Figuren sind reine Oberflächen, die jede Sinnzuschreibung letztendlich verlachen. In Terrence Malicks Badlands (1973) spielt Oates the father und malt große bunte Reklametafeln, auf denen friendly geschrieben steht, oder hebt seine Hochzeitstorte jahrelang in der Tiefkühltruhe auf, um sie beim Begräbnis seiner Frau dem Friedhofswärter zu schenken. Und Sam Peckinpah lässt in Bring me the Head of Alfredo Garcia (1974) Oates sogar im Bett Sonnenbrillen tragen, opake Oberfläche bleiben. Wenn es einen Film gibt, der in verdichteter Form zur Geltung bringt, was Oates’ Poetry ausmacht, und ihr sogar heroisch-tragische Dimensionen abgewinnt, dann ist es Alfredo Garcia. Oates fährt zwar auch in diesem Film der Katastrophe mit Entschlossenheit zum Tode entgegen, death drives, diesmal jedoch gibt es ein wehmütiges Nichtloskommen von einer vergebenen Chance, einer verlorenen Liebe. Eine melancholische Grundstimmung, auch: eine Sehnsucht nach Normalität, die in The Wild Bunch (1969) eher fehlt, oder anders gelagert ist. Was dort in Erinnerung bleibt, insistiert, sind die lachenden Fratzen der soeben im Kugelhagel zersiebten Söldner, die in einer finalen Folge von Überblendungen noch einmal wiederkehren, nicht, um nostalgisch verklärt zu werden, sondern um sich zu einem «Leben im Loop» (Diedrich Diederichsen) verdammt sehen, im Loop der postheroischen Hysterie, als nie enden sollende Parodie der eigenen Tragödie.

She loves me

Ein rebel hero war Oates mit Sicherheit nie, auch wenn er auf der Bühne McMurphy aus Ken Keseys One Flew over the Cuckoo’s Nest spielte (und hierbei von Monte Hellman entdeckt wurde). Die Oates’schen Helden sind entweder immer schon ausgebrannt, drauf gegangen, oder es lodert in ihnen immer noch «ein verborgenes Feuer, das man ahnt und das strahlen könnte, aber nicht will» (Baudelaire). Draufgängertum oder Dandytum, unter dem Strich kommt dasselbe heraus: ein Schweben zwischen Bejahung und Verneinung, Sanftmut und Grausamkeit, Sein und Nichtsein, unterbrochen von kurzen, aufblitzenden Gesten des Aufbegehrens (wogegen auch immer), die sogleich er- und ent-schöpft in sichzusammenfallen, aus Einsicht in die eigene Kontingenz. Robert Kolker hebt in seinem aufschlussreichen Buch A Cinema of Loneliness als wesentliches Charakteristikum des New Hollywood nicht nur den Einzelgängerstatus der Filmfiguren hervor, sondern auch deren «Impotenz», Veränderungen herbeizuführen. Oates hat dieser Verewigung der Passivität das adäquate Gesicht gegeben. Wenn Oates’ Helden das Ende des

Films erleben – und das ist nie gewiss –, dann sind sie nicht am Ende einer Entwicklung angekommen, sondern im Kreis gegangen. Es bleiben die unbegrenzten, nicht gelebten Möglichkeiten, die nicht einmal mehr eine Chance auf den Pathos des Scheiterns haben. Einen Ausweg aus diesem «Leben im Loop» bringt nur die (Selbst-)Auslöschung, oder ein anderes, gewaltsames Ereignis, wie das Verschmoren des Filmbildes am Ende von Two-Lane Blacktop (1971). Neben Peckinpah war es vor allem Monte Hellman, der Materialist New Hollywoods mit Vorliebe für schroffe Landschaften, der Oates’ Taumel zwischen Konkretheit und Abstraktheit die schillerndsten Konturen entlockte. Sei es mit dem von Roger Corman produzierten Post-Kennedy-Paranoia-Western The Shooting (1967), an dessen Ende Oates alias Willett Gashade auf seinen eigenen Doppelgänger trifft, in einem zeitgelupten Moment existentieller Epiphanie, der wie eine Rock-Geste exponiert wird. Sei es in dem ganz und gar anti-romantischen Roadmovie Two-Lane Blacktop, in dem Oates einen GTO fährt und GTO ist, ein namenloser Mann für jede Stimmung, der sich «am James Bond / Playboy-Ideal des weltgewandten Mannes» (Kent Jones) orientiert. Sei es in dem aktionsmalerischen Cockfighter (1974), ein wichtiger Referenzfilm für Claire Denis, in dem Oates als Frank nur einen einzigen Satz spricht, ganz zum Schluss, als er seiner Liebe den abgerissenen Kopf des Siegerhahnes schenkt und diese den Kopf in ihre Handtasche steckt, da der Hahn für sie mehr Herz hatte als der gewinnsüchtige Frank: «She loves me», meint er, und kehrt daraufhin wieder in den Loop seiner Kampfobsession zurück.

The man who wasn’t there

Ganz so konsequent in seiner Ablehnung des experimentellen Kinos war Oates dann offenbar doch nicht. Mit dem New American Cinema wollte er zwar nichts zu tun haben, dem anarchischen Stil Hellmans – der immer wieder mit der Post-Nouvelle-Vague-Generation (Jean Eustache, Maurice Pialat, Philippe Garrel) verglichen wurde – konnte er mehr abgewinnen. Das größte Experiment bleibt jedoch Oates’ Erscheinungsbild selbst. Sein markantes Zähnefletschen ist vielleicht nur mit jenem von James Coburn vergleichbar (aber weniger typisierbar). Sein Hang zu unmotivierter Mimik und Gestik, sein dandyhaftes Ausprobieren von Möglichkeiten und Wirkungen erinnert an das irritierende Spiel Christopher Walkens. Trotzdem hinkt der Vergleich, denn Oates outriert nie. Das trennt ihn auch von den anderen Junggesellenmaschinen New Hollywoods, allen voran Hopper und Nicholson, die mit ihrer Eigendynamik die Bildräume oftmals zu aufdringlich usurpieren. Letztendlich kann jeder Anlauf, Oates’ Persona habhaft zu werden, nur ins Leere laufen, an der Oberfläche abgleiten Das macht ihn zum willkommenen Gegenpol von Authentizitätshubereien à la Werner Herzog, der seine Schauspieler / Figuren – in mehr als fragwürdiger Weise – auf permanente Wahrheitssuche im (mythologisch verklärten) Extrem schickt.

Viele Filme mit Oates fanden bislang keine Berücksichtigung und können auch hier nur erwähnt bleiben: Peckinpahs Ride the High Country (1961) und Major Dundee (1964), Burt Kennedys Return of the Seven (1966), Peter Fondas The Hired Hand (1970), Steven Spielbergs 1941 (1979) und, nicht zu vergessen, John Badhams Blue Thunder (1982), nebst Oates mit Roy Scheider, einem anderen ganz Großen am Rande. Es existiert eine Rolle, die für Oates geschrieben wurde und dann doch an den ehemaligen Biker-Rebellen Marlon Brando ging: Lee Clayton aus Arthur Penns The Missouri Breaks (1976). Für Brando war dies die erste postmoderne Rolle, eine willkommene Gelegenheit, sich als Frau verkleidet frei zu spielen und die (immer schon existiert habenden) queeren Aneignungen seiner Persona nunmehr explizit und über zu bedienen. Oates hätte sich nie frei spielen müssen. Er war der letzte Held der Moderne und der erste Held der Postmoderne: ein Gestalten-Shifter und Stimmungs-Drifter, eine Coen-Figur avant la lettre. «He’s only passing through» (GTO).

Susan Compo: Warren Oates. A Wild Life (University Press of Kentucky 2009)