Turn of the Century Ein Sammelband zur Bildtheorie hält die Tradition der analytischen Philosophie hoch
Die Bildwissenschaften sind in den letzten Jahren zu einer sehr erfolgreichen akademischen Neugründung geworden. Das nicht zuletzt dank der beharrlichen Arbeit des Herausgebers. Das schlägt sich in der Liste der Autoren nieder. An ihr lässt sich ablesen, dass die junge Disziplin allmählich zu ihren akademischen Meriten kommt. Anstelle des akademischen Mittelbaus oder aufstrebender Assistenten findet sich eine Parade etablierter Professoren. Das führt zu einigen Absonderlichkeiten. Etwa dem Fehlen jeder Filmtheorie. Und der erstaunlichen Tatsache, dass von 430 Textseiten gerade einmal acht für einen fremdsprachigen Autor reserviert wurden. Und dass sich zu sechzehn Männern nur eine Frau gesellt. Leider entspricht das der akademischen Wirklichkeit des Fachs und seiner etwas provinziellen Fixierung auf den deutschen Sprachraum.
Im Ringen um die Diskurshoheit über die entstehende Disziplin verfolgen die Sammelbände von Sachs-Hombach in der Regel ein und dasselbe Ziel. Es werden sehr viele verschiedene Ansätze unter einem Dach versammelt. Das Dach ist die Bildwissenschaft in der Tradition der analytischen Philosophie. Sie beansprucht das erste Wort – die Einleitung – und das letzte. Dabei verausgabt sich der Herausgeber in etwas mühseligen akademischen Grenzscharmützeln. Erst versucht er nachzuweisen, dass der Begriff iconic turn weniger Erklärungsanspruch besitze als der linguistic turn. Die These ist mehr als zweifelhaft, zumal der Begriff des linguistic turn von seinem Erfinder Richard Rorty bald als unglückliches Versehen eingeschätzt wurde, und seither eben nur eine bestimmte philosophische Schule kennzeichnet. Und am Ende legt er sich mit der Medientheorie im Sinn von McLuhan an und möchte sie, ohne ihre Folgen und Fortführungen wirklich zu verstehen, gerne durch eine Semiotik nach seinem Geschmack ersetzt sehen.
Leider sind die analytische Philosophie und ihre Bildtheorie für alle außer ihre Anhänger ein sterbenslangweiliges Geschäft. Sie widmet sich so gut wie nie konkret einem Bild. Die Aufsätze der Schule sind berüchtigt dafür, ohne Abbildungen auszukommen. Statt dessen verlieren sie sich in einem eher unelegant formulierten scholastischen Wust entlegener Debatten über die Konsequenzen dieser und jener Fassung ihres Bildbegriffs. Nicht selten verstecken sich hinter diesen scheinbar methodischen Fragen engstirnige Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Flügeln der Schule.
Was diese Angelegenheit betrifft, hat das Buch einen sehr gelungenen Überblick über die verschiedenen Position zu bieten. Verfasst hat sie Jakob Steinbrenner, Professor in München. Einen zentralen Platz räumt er zu Recht der Bildtheorie von Dominic Lopes ein, die nicht nur eine der interessantesten Ansätze der analytischen Schule darstellt, sondern auch in Deutschland so gut wie nicht bekannt ist.
Es gibt einige weitere sehr lesenswerte Texte. Michael Diers beschreibt in einem detailreichen Aufsatz die Methode Warburgs bei der Zusammenstellung der Bildtafeln zum Mnemosyne-Atlas und versucht, sie aus der Sicht der Medientheorie zu verstehen. Tom Holert schildert in seinem Beitrag, wie sich die angelsächsischen Visual Studies entwickelt haben und erwähnt dabei auch die internen Flügelkämpfe. Felix Thürlemann zeichnet nach, wie der Kunsthistoriker Max Imdahl seinen Kollegen Ernst Panofsky gelesen hat und beide wieder Martin Heidegger. Auch wenn das Thema etwas akademisch entrückt klingt, gelingt es ihm, die methodischen Unterschiede beider Ansätze an den wechselseitigen Lektüren deutlich zu machen.
Warum muss die Filmtheorie hier fehlen? Dafür gibt es mehrere Gründe, die sich überschneiden. Der erste liegt in der Tatsache, dass eine neue Wissenschaft der Bilder gegründet werden soll. Dabei hat man sich schon mit der Kunstgeschichte herumzuschlagen, die ja auch ihr Anrecht auf den Gegenstand des Bildes beansprucht. Die Filmtheorie, die in Deutschland akademisch nie fest verankert wurde, brächte nur weitere Scherereien. Zumal sie schon seit 40 Jahren mit einer Semiotik daher kommt, die nicht nur bis ins Detail ausgeführt wurde, sondern auch schon längst die Grenzen des semiotischen Sezierens der Bilder aufgezeigt hat. Von der Begegnung zwischen Filmtheorie und Philosophie seit Deleuze ganz zu schweigen. Also macht man um den Film erst einmal einen Bogen.
Klaus Sachs-Hombach (Hg.): Bildtheorien. Anthropologische und kulturelle Grundlagen des Visualistic Turn (Suhrkamp 2009)