Musik/Video Score
Die unter anderem mit Kickstarter-Mitteln finanzierte Dokumentation SCORE – A FILM MUSIC DOCUMENTARY (2016) ist eine enthusiastische Feier der Kunst der Filmkomposition, die sich für ihre eigene Wirkung ganz auf die Scores verlässt, die sie thematisiert. Regisseur Matt Schrader lässt in seinem strukturell eher assoziativ gehaltenen Debüt eine erstaunliche Menge an gegenwärtig tätigen HollywoodfilmkomponistInnen auftreten, um die Wichtigkeit der Musik für die emotionale Schlagkraft von Spielfilmen zu bestärken. Dass dabei neben Rachel Portman, Deborah Lurie, Quincy Jones und Mervyn Warren über 40 weiße Männer zu Wort kommen, könnte man mit viel gutem Willen dem Filmmusikbusiness selbst zuschreiben. Dies gilt gleichwohl nicht für die Gewichtung der Soundbites innerhalb der Dramaturgie der Dokumentation, die sich mit Ausnahme einiger knapp gefasster Einblicke in die konkreten kompositorischen Arbeitsprozesse vor allem als Ehrung vergessener Helden vorstellt. Während der sehr ausführliche und ganz auf Archivmaterial zurückgreifende John Williams-Tribut vor diesem Hintergrund der Höhenkammnarration zumindest nachvollzieh- bar ist, fragt man sich, ob vielleicht ein Teil der vergleichsweise langen Zeit, die mit Brian Tylers Anekdoten über die Arbeit an FAST & FURIOUS 7 verbracht wird, für Portman, Lurie, Jones oder Warren hätte verwandt werden können, die sämtlich ziemlich kurz kommen.
Ebenso wäre Tylers eigentlich aufschlussreiches Bekenntnis, öffentliche Vorstellungen von ihm vertonter Filme zu besuchen, um sich anschließend auf der Toilette einzuschließen und abzuwarten, ob die Kinobesucher beim Händewaschen seine Melodien summen, in seinem glorios zerbrechlichen Dude-Bro-Narzissmus womöglich satisfaktionsfähiger, wenn es nicht als Teil einer Reihe heroischer musikalischer Durchbrüche gerahmt wäre, die von den ZuschauerInnen vor allem Rührung und Begeisterung zu erbitten scheinen. Ein gewisser Hang zur rhetorischen Breitbei- nigkeit ist derweil kennzeichnend für den Ton der gesamten Dokumentation. Um die Beiträge einzelner Scores zu einer immer nur angedeuteten Stilgeschichte der Filmkomposition zu verdeutlichen, wird von den Interviewten wiederholt die Metapher der «ballsyness» bemüht, die es den Großen des Genres ermögliche, Traditionen und Tabus zu brechen. Dass die durch die Kraft der Eier verabschiedeten Konventionen selbst dabei kaum Kontur gewinnen, liegt vor allem daran, dass Schrader sich vermutlich aus Gründen der Zielgruppenoffenheit entschei- det, Musiktheorie und -geschichte nahezu vollkommen auszublenden. Anstelle technischer, historischer und terminologischer Erläuterungen liefert SCORE eine Art The Science Of Music-Sektion, in der Psychologieprofessorin Siu-Lan Tan und Musiker Moby als maximal randomisiert gepaartes Duo erzählen, dass beim Musikhören Dopamin ausgeschüttet wird und Schall bewegte Luft ist. Nun führt der Verzicht auf die Erklärung potentiell hilfreicher Begriffe wie «Dissonanz» ebenso wie die Absage an mögliche Hinweise auf die Geschichte kompositorischer Verfahren – etwa die Rezeption der musikalischen Avantgarden oder das Erbe Wagners – dazu, dass die Arbeit der KomponistInnen eher mystifiziert als aufgeklärt wird und schließlich extra-magisch erscheint: unmittelbar somatisch wirksam und aus unklarer Quelle gespeist. Dieser Eindruck wird nicht zuletzt in einem vergnüglichen Interview mit Hans Zimmer bestätigt, in dem der Großkomponist seiner German Angst Ausdruck verleiht, ihm könne praktisch jederzeit der Ideenhahn abgedreht werden, was angesichts der hochkomplexen Produktionsbedingungen des modernen Blockbusterkinos mit einem nicht unerheblichen Leidensdruck verbunden sei. Er selbst wisse leider nicht, woher die Musik genau komme.