comic

Gérard Mathieu Sapin

Von Ekkehard Knörer

© reprodukt

 

Gérard macht immer Geräusche, grmbll und schnief. Gérard interessiert sich für Kunst, im Wohnzimmer unter anderem eine monströse Installation von Brancusi, ein Kamin von Bernard Quentin thematisiert das Vergehen der Zeit. Gérard ist gern wenig bekleidet, zuhause sitzt er in der Regel in der Unterhose am Tisch. Gérard isst gern, für eine Fernsehshow zieht er ein Jahr lang durch die Küchen der Welt. Gérard mag Sarkozy und verachtet Hollande, er zahlt gern, sagt er, 75 Prozent Steuern, aber bei 106 Prozent wird er böse, zieht nach Belgien, knutscht Putin und freut sich über seinen russischen Pass. Gérard interessiert sich nur mäßig für Geld, er hat davon ja auch kaum überschaubare Mengen. Er hasst Korruption, schert sich aber wiederum nicht weiter darum, wie sich das mit seiner Liebe zu Putin verträgt. Gérard langweilt sich sagenhaft schnell, auch mit sich selbst, er schätzt seinen eigenen Anblick recht wenig, ist aber allzeit bereit zu Selfies mit dahergelaufenen Fans. Gérard will nicht zu alt werden, hat keine Angst vor dem Tod, dann vielleicht doch, was er am Ende dann wieder leugnet. Gérard dreht für Minimalgage einen Film unter der Regie von Fanny Ardant und spielt darin, Berührungsängste hat er wahrhaftig keine, Stalin. Und Gérard hat nichts dagegen, bei all diesen Dingen, die summa summarum sein Leben ergeben, den Comiczeichner Mathieu Sapin am Rockzipfel zu haben. Gérard nennt Mathieu im übrigen von Anfang an am liebsten Tintin.

Gérard ist, eh klar, Gérard Depardieu. Aber Mathieu Sapin, 1974 geboren, ist in seinem Metier, der neunten Kunst, selbst auch nicht niemand. Versatil, mit einer Bandbreite von der Superhelden-Parodie zum politischen Comic, dieses Jahr in Bastia schon reif für die Retrospektive. Parallel zum Projekt mit Depardieu ging er im Elysée-Palast ein und aus wegen der Arbeit an einem Doku-Comic (erschien 2014 als Le chateau) über François Hollande, den er, anders als so ungefähr der ganze Rest der Welt, bis heute als Politiker schätzt. Vielleicht Symptom eines Stockholm-Syndroms – als solches kann man, wenn man will, auch den Depardieu-Comic lesen. Sapin ist als Comic-Künstler also eine Nummer, aber im Verhältnis zu Depardieu natürlich trotzdem sehr klein: ein dürres Männlein mit schwindendem Haupthaar, als Karikatur seiner selbst durch sich selbst eine Figur, die in der Anwesenheit des kolossalen Gérard notwendig an die Ränder gerät, aber wer tut das nicht.

Gérard, der Comic, beginnt mit einer Auftragsarbeit und endet als Porträt, das seine Faszination nicht verhehlt. Für eine Fernsehdoku reist Depardieu auf den Spuren von Alexandre Dumas nach Aserbaidschan. Und weil Dumas auf seiner Reise von einem Zeichner begleitet wurde, soll auch mit Depardieu einer mit. Das ist Sapin. In den zehn Tagen lernt man sich ganz gut kennen, weshalb es zur Fortsetzung der Nähebeziehung in Comicform kommt.

Mit Bewertungen hält Sapin sich zurück. Erläutert wird viel, Täfelchen mit Pfeilen erklären der Leserin immerzu die Hintergründe zu dem, was sie sieht: ein bisschen Erklärdokucomic, aber gemacht mit einer an diesen Punkten einnehmenden Faux-Naivität.Ganz selten wird der Leser auch mal direkt adressiert. Aber meist ist man einfach dabei, beim Essen, bei Vertragsverhandlungen, in der russischen Sauna, beim Dreh, hier und da eine kleine oder größere Konfession; im Epilog, in dem Depardieu das erste Ergebnis von Sapins Mühen betrachtet, wird das ganze hinreichend reflexiv. Einmal immerhin, bei der Ankunft in Moskau, verweist ein bepfeiltes Erklärtäfelchen auf die Stelle, an der der Regimegegner Boris Nemzow Opfer eines Attentats wurde: leise Kritik.

Sapin porträtiert Depardieu als Instinktmenschen und als Mann, dem eigentlich alles egal ist. Darum sucht er den Kick, nicht zuletzt in der Selbstüberraschung. Mal schlägt das ins eher Sympathische aus, oft genug eher nicht. Gérard kann sich, ganz anders als etwa Hollande, alles erlauben, klar wird das nicht zuletzt beim direkten Telefonat zwischen den beiden (die Steuersache). Strukturell ist der Superstar Depardieu, dem im direkten Umfeld nie jemand widerspricht, eine Art König. Alle kuschen, wenn er was sagt oder bellt. Und darum ist auch ganz klar, welche Rolle Matthieu Sapin hier zu spielen hat: Er ist der Narr am Hof von König Gérards exzentrischer Feudalexistenz. 

 

Mathieu Sapin: Gérard (deutsche Übersetzung: reprodukt 2018)