Kulturelle NGO Ein Besuch bei der rumänischen Produzentin Ada Solomon in Bukarest
Die Strada Gramont im Sector IV von Bukarest liegt ein wenig südwestlich von der Piata Unirii, dem Zentrum der spätstalinistischen Stadtanlage, die in der rumänischen Hauptstadt bis heute vom Größenwahn des Conducatorenpaars Ceaucsescu zeugt. Ich gehe von dem Platz der Einheit zuerst einmal gerade nach Süden, auf dem nach Dimitrie Cantemir benannten Bulevardul (später schlage ich nach und finde heraus, dass die Straße an ein moldawisches Universalgenie aus dem 17. Jahrhundert erinnert), biege dann rechts in den Bulevardal Marasestu und komme dann am Parcul Carol sozusagen von hinten zu dem Gebäude in einer ruhigen Straße, in dem Ada Solomon das Büro hat. Sie ist eine der wichtigsten rumänischen Produzentinnen, bekannt wurde sie unter anderem dadurch, dass sie rumänische Partnerin von Komplizenfilm bei Toni Erdmann (2016) war.
Als ich erzähle, dass ich zu Fuß vom Universitätsplatz herunter gekommen bin, kein großer Weg, ungefähr zwei Kilometer, kommt Ada Solomon auch sofort auf Maren Ade zu sprechen. «Sie hat ein Bukarest gezeigt, das wir Einheimischen oft übersehen. Ein Bukarest, das mir sehr am Herzen liegt. Wer würde hier eine Szene an der Piata Unirii drehen? Niemand. Maren wollte genau das: eine friedliche Grünanlage, die aber von den Anzeichen einer großen Stadt umgeben ist. Man sieht die Billboards, man spürt den Verkehr.»
Das österreichische Festival Crossing Europe in Linz hat Ada Solomon in diesem Jahr einen Spotlight gewidmet, der mit seiner Mischung aus bekannten und noch nicht ganz so etablierten Namen einen hervorragenden Querschnitt durch das jüngere rumänische Kino gab: Radu Jude, Razvan Radulescu, Adrian Sitaru, Federico Bondi, Cristian Nemescu, Calin Peter Netzer, Ivana Mladenovic, dazu ihr Mann Alexandru Solomon und (als eine Art Generalprobe für Toni Erdmann) die Österreicherin Katharina Copony, die 2009 in Bukarest Oceanul Mare drehte, ein spannender, geopolitisch hellsichtiger Dokumentarfilm über die lokale, chinesische Community.
Wenn man Geschichte in Generationenschritten erzählt, was nicht selten eine bedeutsame Perspektive ergibt, dann werden die Revolutionen und Befreiungen von 1989/90 bald eine Generation alt sein. Und Ada Solomon weiß davon zu erzählen, dass sich in Rumänien diese Erfahrungen mit einer zweiten, älteren Generationenerfahrung verbinden. Denn unter denen, die schließlich gegen den Ceausescu-Kommunismus auf die Straße gingen, waren nicht wenige «decretei», so nennt man die «Kinder des Dekrets», von denen viele ihr Leben einer biopolitischen Entscheidung aus dem Jahr 1966 verdanken. Damals wurden Abtreibungen verboten, damit niemand der revolutionären Gesellschaft Nachwuchs entziehen konnte. In der Folge gab es eine große Zahl «unerwünschter» (oder nur von den Diktatoren gewünschter) Kinder. Einer der größten Erfolge des neueren rumänischen Kinos hat auch mit dieser Besonderheit des rumänischen Kommunismus zu tun: In 4 Monate, 3 Wochen, 2 Tage (2007) von Cristian Mungiu geht es um eine illegale Spätabtreibung in der Spätphase der Diktatur.
Ada Solomon ist Jahrgang 1968. Sie erzählt sehr offen davon, dass ihre eigene Geburt von dem Dekret überschattet wurde. «Meine Schwester ist acht Jahre älter als ich. Vier Jahre nach ihr hatte meine Mutter eine Fehlgeburt, danach wollte sie eigentlich keine Kinder mehr. Ich selbst war eine schwierige Geburt, und zwar so dramatisch, dass die Ärzte meinen Vater fragten, auf wessen Überleben sie sich im Zweifelsfall konzentrieren sollten, auf die Mutter oder auf das Kind.» Es ging alles gut aus, nicht nur im Kindbett. Ada Solomon hatte eine gute Kindheit, sie schwärmt richtiggehend von dem Frauenhaushalt, in dem sie aufwuchs, mit ihrer Mutter, einer Großmutter und ihrer Schwester und einem Vater, der seine Frau «vergötterte». Die Mutter führte eine «Kooperative» für Pelzwaren, de facto eine Firma mit 30, 40 Angestellten. «Keine kleine Leistung für eine Frau, die nur drei Klassen Schule gehabt hatte», und die mit 10 Jahren ganz allein nach Bukarest kam, und sich in der Hauptstadt etwas aufbaute. Der Vater hatte seine Wurzeln im konservativen Widerstand gegen die Kommunisten, durfte deswegen nicht studieren, so hing das Auskommen der Familie wesentlich an der Arbeit der Mutter, die mit den Pelzwaren auch gute Kontakte in die Nomenklatura fand.
Ada Solomon war Studentin, als in Timisoara die Revolution begann. Bis heute nennt sie das Gemeinschafts- erleben vor allem der großen Bukarester Demonstrationen 1990 als eine entscheidende Erfahrung. «Uns war zwar damals schon klar, dass nicht alles in unserem Sinn lief, dass etwas Unklares im Gange war. Aber diese Solidarität, die wir damals erlebten, dieses Freiheitsgefühl, das war wirklich so, als würde nach einem langen Winter der Frühling kommen, als würde die Welt endlich wieder Farben zeigen. Unser Enthusiasmus war auf jeden Fall aufrichtig.»
Der «Aufbau einer neuen Welt» brachte viele Chancen mit sich, für eine begabte Studentin war es ein Leichtes, irgendwo einzusteigen. Bei Ada Solomon war es die Werbebranche, ein nicht untypischer Karriereeinstieg, vergleichbar zum Beispiel mit Dan Chisu, der eine halbe Generation älter ist als sie, und der 1991 in Bukarest ein Filmfestival gründete, das für die nachrevolutionäre Zeit sehr wichtig wurde. Chisu arbeitete in der Werbung und für das Fernsehen, heute zählt er zu den populärsten Filmemachern des Landes. Ada Solomon begann als Sales Agent für eine kleine Firma, die Werbung für die Bukarester Messe machte. «Es waren meine ersten Erfahrungen mit der internationalen Geschäftswelt. Ich war vollkommen frei, ohne viel zu wissen, was Verkaufen und Werben eigentlich war. Es waren diese Kontakte, die zählten. Wir konnten alle gut Englisch und Französisch, das musste fürs Erste reichen.»
Sie machte dann beruflich gleich Riesenschritte. « ch wechselte als Sales Agent zu einer anerkannten Firma namens Ekspresiv. Die gehörte zu einem großen Medienunternehmen, das auch eine Tageszeitung herausgab, Evenimentul Daily, die es heute noch gibt. Zu Beginn waren wir in meiner Abteilung drei Leute, schon drei Monate später waren wir 30. Niemand war für die Arbeit ausgebildet. Es gab einen Kreativdirektor, der aus Frankreich zurückgekommen war, wo er bei der Publicis gearbeitet hatte (ein weltweit tätiger Werbekonzern). Es war eine hektische Zeit, aber auch eine sehr glückliche. Denn niemand wusste damals etwas besser. Man konnte Fehler machen. Wir schlugen uns die Köpfe an, aber wir machten weiter.»
Welche Produkte standen damals auf der Agenda, wofür wurde geworben? «Damals ging es vor allem darum, an die westlichen Produkte zu kommen und diesen Marktanteile zu verschaffen. Jeder wollte die Wäsche mit Ariel waschen. Heute geht der Trend in die andere Richtung. Wir essen rumänische Schokolade, die uns an die 70er Jahre erinnert.» Die intensive Arbeit dieser Jahre wurde von kultureller Neugierde gestützt. «Wir sahen Fellini und Tarkowski in der Cinemateca, auch amerikanische Independentfilme.» Rumänien war schon unter Ceausescu kein isoliertes Land, die meisten wichtigen Bücher zirkulierten, dazu kam eine rege Videokultur mit den neuesten Filmen aus dem Westen. Und alle hörten Musik: «Das letzte Police-Album musste man haben, oder U2 oder die B-52s oder Nina Hagen.»
In diesen popkulturellen Rezeptionen ist die Grenze zwischen vor und nach 1989 weniger deutlich als in den warenweltlichen Bereichen. Ada Solomon hatte von ihrer Werbekarriere bald genug und ergriff die Gelegenheit zu einem Wechsel, als ihr eine kleine Produktionsfirma eine Stelle anbot – «keine wichtige Stelle, sagte man mir, aber mit der Möglichkeit, sich zu entwickeln».
Damals traf sie auf einen jungen Filmemacher, dessen Werk in den Geschichten des Neuen rumänischen Kinos oft unterschlagen wird: Nae Caranfil war damals noch Student. «Ich kannte ihn aus den Kreisen, die sich gern im Café des Nationaltheaters trafen. Er machte Komödien, aber nicht politisch korrekte wie vor 1989. Sein Blick war sehr menschlich, seine Idole waren Billy Wilder oder Woody Allen, er wollte ein Kino für das Publikum machen.» 1993 lief E pericoloso sporgersi (Nicht aus dem Fenster lehnen) in Cannes, eine eigentümlich nostalgische Komödie über die letzten Ceausescu-Jahre. Bezeichenderweise gilt eine der ersten Szenen den schon erwähnten bevölkerungspolitischen Dogmen: Jungen reichen in einer Schule eine Packung Antibabypillen herum und werden von der Lehrerin zur Rede gestellt. Wie lautet die Doktrin, fragt sie den führenden Scherzkeks. Er antwortet mit einem verwandten Begriff: «Reproduktion?» Das richtige Wort wäre: «Natalismus.»
Ada Solomon blieb elf Jahre bei der Firma Domino, dann startete sie 2004 mit Hifilm ihre eigene. Dazwischen lag das berühmte Jahr Null, 2000, das für das rumänische Kino eine besondere Bedeutung hat, weil damals bei den Filmstarts mit Filmen aus dem eigenen Land die Null stand: Es kam kein einziger rumänischer Film ins Kino. Ein Jahr später präsentierte Cristi Puiu das Roadmovie Marfa si banii, und damit begann die Rumänische Neue Welle, die inzwischen längst so ausdifferenziert ist, dass man darüber nur unter Verzicht auf ästhetische Dogmen schreiben kann. Das Portfolio, für das Ada Solomon steht, ist selbst Ausweis dieser Vielfalt.
Das erste Projekt von Hifilm im Jahr 2004 war eine Zusammenarbeit mit Les Films d’ici aus Frankreich. Es spielte mit dem Image Rumäniens als dem Land Draculas und der Wölfe, in das man reisen kann, wenn man sich Ängsten stellen will. Le montagne et le loup von Benoit Keller war eine Auftragsarbeit, bereitete aber den Boden für die erste eigene, unabhängige Hifilm-Produktion: Marilena de la P7 (2006) von Cristian Nemescu. Eine harte Geschichte über eine junge Prostituierte, erzählt allerdings mit dem kindlichen Blick eines 13-jährigen Jungen, der sich romantisch in die Welt der Zuhälter und des Geldes verirrt. «Nemescu ging es wie Caranfil um einen sehr gundsätzlichen Humanismus. In Marilena hat er einige der Dinge ausprobiert, die er dann für seinen ersten Langfilm California Dreaming verwendet hat. Wir waren uns damals beide einig, dass es besser sein würde, wenn er dafür zu einer großen Firma ging: Mediapro konnte das leichter stemmen als wir.»
In California Dreaming (2007) geht es um eine satirisch-kritische Aufarbeitung der Rolle Rumäniens in der NATO im Zusammenhang des Serbienkriegs von 1999. Nemescu erlebte die Premiere seines Films nicht. Er wurde 2006 von einem Verkehrsrowdy getötet, der in Bukarest bei einem illegalen Straßenrennen eine Verkehrsampel missachtete. Nemescu saß in einem Taxi und war auf dem Heimweg nach einem Kinobesuch.
Schon zu diesem frühen Zeitpunkt, als Hifilm nebenbei Geld mit Executive Production für einen Film mit Steven Segal verdiente, waren wichtige Regisseure bereits an Bord. «Radu Jude war eine weitere dieser enzyklopädischen Figuren wie Nemescu oder Caranfil. Er hatte alles gelesen, Philosophie, Psychologie, sehr viel auch aus den Naturwissenschaften. Er beginnt immer bei der Zelle, um die Probleme des Körpers zu verstehen.» Jude ist eine Ausnahme im überwiegend sehr stark gegenwartsorientierten rumänischen Kino, weil er gern historische Stoffe macht, auch Literaturverfilmungen.
Am Beispiel von Aferim! (2015), einem schwarzweißen Eastern aus der vorstaatlichen Zeit im 19. Jahrhundert, erläutert Ada Solomon ein wenig, wie die rumänische Kinolandschaft heute aussieht. «Aferim! lief fantastisch. Wir hatten 75 000 Besucher in Rumänien. Pozitia Copilului (2013) war im Vergleich der erfolgreichste rumänische Film der letzten 15 Jahre, der hatte 115 000 Zuschauer. Heute wären wohl 60 000 ein Erfolg. Wir haben einfach keine Kinos mehr.» Man kann sich entsprechend zu diesen Zahlen ungefähr vorstellen, dass Hifilm zwar gut läuft, aber auf insgesamt bescheidenem Niveau. «Wir sind viel eher so etwas wie eine kulturelle NGO, werden aber von den Behörden wie eine kommerzielle Firma behandelt. Es gibt in Rumänien keinen Respekt für Kultur, selbst wenn es um Kleinigkeiten geht, etwa flexiblere Arbeitszeitregelungen, wie sie in der Filmbranche nun einmal gebraucht werden, ist niemand zu einem Entgegenkommen bereit.»
Da spielt wohl ein generelles Repräsentationsproblem hinein: Das Rumänien, das die Filme von Cristi Puiu, Cristian Mungiu oder Calin Peter Netzer zeigen, also die international erfolgreichsten, ist nicht das Rumänien, das die Exilgemeinden oder die Politiker sehen wollen. «Unglücklicherweise ist es aber das Rumänien, mit dem wir es zu tun haben, und die Behörden wollen das nicht sehen.»
Ada Solomon hat zuletzt auch an den Protesten gegen die «Diebe» der gegenwärtigen Regierung teilgenommen, die alles daran setzen, neue Gesetze durchzubringen, die Korruption erleichtern und teilweise sogar straffrei machen würden. «Es war sehr enttäuschend, dass wir mehrfach mit einer halben Million Menschen auf der Straße waren und nichts bewirkt haben. Wir konnten einige der schlimmsten Paragraphen verhindern, aber sie probieren es immer noch. Der derzeitige europäische Kontext ist für uns auch nicht sehr vorteilhaft. Aber ohne die EUwären wir vollkommen verloren.»
Die aktuell interessanteste Position aus Ada Solomons Firma kommt aus Serbien, allerdings arbeitet Ivana Mladenovic schon lange in Rumänien. Sie wurde mit Lumea in patrelele (2012) bekannt, einem Dokumentarfilm über eine Roma-Kommune in der Provinz. 2017 kam dann Soldatii, bei dem schon deutlich unklarer ist, wie hier Tatsachen und Fiktion ineinander übergehen. Ein Anthropologe kommt in einen Stadtteil in Bukarest namens Ferentari, in dem auch mehrheitlich Roma leben. Er interessiert sich für die Manele-Musik und möchte darüber ein wissenschaftliches Buch schreiben. Als er einen Mann kennenlernt, der die meiste Zeit seines Lebens im Gefängnis verbracht hat, beginnt eine merkwürdige Liebesbeziehung. «Adrian Schiop, der die Hauptrolle spielt, spielt im Grunde sich selber. Das Buch, von dem Ivana ausging, ist in Rumänien ein Kultbuch, es erschien auch beim besten Verlag, und sogar das wissenschaftliche Werk über Manele ist inzwischen erschienen. Die Geschichte mit den beiden Männern ist aber natürlich erfunden. Der Film hat in konservativen Kreisen Proteste hervorgerufen. Orthodoxe Nationalisten haben versucht, eine Premiere zu stören, die Polizei hat die Veranstaltung aber gut geschützt. Es ist beängstigend, was in Rumänien heute als Familie gelten darf, und was nicht.»
Mit Ivana Mladenovic entwickelt Ada Solomon gerade zwei weitere Projekte. Zugleich beobachtet sie aus dem Fenster, wie sich ihre Gegend verändert, ein relativ ruhiges Viertel, in dem sie «in einem Einzugsbereich von vielleicht zwei Kilometern» bisher ihr Leben verbracht hat: das Wohnhaus ihrer Kindheit, die Schule, ihre heutige Adresse und das Büro, alles fußläufig. «Es war damals eine Frage von vielleicht sechs Monaten. Dann hätte Ceausescu wahrscheinlich auch dieses Viertel abgerissen.»
Auf dem Rückweg wähle ich eine andere Route, über den Bulevardul der Freiheit kommt man direkt zu dem riesigen Palatul Parlamentului, der als Inbegriff des Cäsarenwahns der Ceausescus gilt. Wenn man südlich daran vorbeigeht, kommt man auf der Calea 13 Septembrie zu einer Großbaustelle. Die Orthodoxe Kirche errichtet hier die neue Nationalkathedrale, ein Symbol alter staatskirchlicher Macht, das bald mit dem Palatul eine Doppelspitze für ein umkämpftes Gemeinwesen ergeben wird. Das hinter einer Mauer verborgene, unauffällige und fast idyllisch gelegene Haus, von dem aus Ada Solomon mit der internationalen Filmbranche verhandelt, würde dagegen niemand groß auffallen, der nicht die Adresse kennt. Und doch ist auch das Rumänien: eine weltgewandte Nation von Kreativen, mit den Solomons inmitten einer höchst lebendigen Szene, von der die internationalen Filmfestivals oft nur die Spitzentitel mitbekommen.