produktionskultur

Orly, Poem 1-4

Von Angela Schanelec

Reinhold und ich waren zum Filmstart von Marseille nach Paris geflogen und warteten auf die Maschine zurück nach Berlin. Wir hatten uns in das große Café im ersten Stock gesetzt. Man kann von dort das Flugfeld sehen. Ich sagte zu ihm, dass es schön wäre, zu wissen, worüber sich all die Leute um uns herum so unterhalten. Er meinte, dass er das auch gerne wüsste. Ich hab gesagt, ich würde mir was ausdenken, und das könnten wir dann drehen. Bei dem Gedanken hab ich eine Art fröhlicher Neugier empfunden. Ich war auch ruhiger als sonst. An den Tagen, die ich drei Jahre später zur Vorbereitung in Orly verbracht habe, war mir manchmal, als gäbe es den Film bereits, was eine gewisse Sorglosigkeit auslöste. Das muss an den vielen Menschen gelegen haben, die sich dort bewegen und ihre Gründe dafür haben. Es hatte was Beruhigendes, ihnen zuzusehen.

Es gab kein Casting. Nachdem ich das Drehbuch geschrieben hatte, hab ich den französischen Koproduzenten gebeten, Termine zu machen mit den Schauspielern, die ich besetzen wollte. Ich bin nach Paris gefahren und hab sie gefragt, ob sie mit mir arbeiten würden. Als der Film finanziert war, haben sie die Dialoge gelernt und wir haben uns in irgendwelchen Vorstadtprobebühnen und Musikschulen getroffen und probiert. Obwohl wir immer wieder in grausigen Räumen gelandet sind, haben mich die Proben sehr an meine Arbeit am Theater erinnert. Ein bisschen war es, als wären wir in dieser Zeit auf einen hohen Berg gestiegen, von dem sich die Schauspieler während der Drehs dann runter fallen lassen konnten.

An den Drehtagen haben wir nicht mehr probiert. Wir haben lange Einstellungen gedreht, in denen die Schauspieler weit weg und ohne erkennbare Verbindung zu uns irgendwo saßen, standen oder gingen. Ich hab ihnen zugesehen und über die Mikroports zugehört. Sie wirkten völlig für sich und es schien mir ein Privileg zu sein, sie beobachten zu dürfen. Wenn Zeit war, hab ich mich zu ihnen gesetzt, manchmal nur, um ihnen Gesellschaft zu leisten.

Am Ende von Orly wird der Flughafen geräumt. Währenddessen hört man eine Stimme aus dem Off. Ich wollte schon lange versuchen, mit einer Offstimme zu arbeiten. Jetzt ergab sich die Notwendigkeit aus der Erzählung, denn eine der Figuren ist allein und liest einen Liebesbrief. Man hört die Stimme des Mannes, der ihr den Brief geschrieben hat. Der Schauspieler, der den Brief vorliest, ist Belgier. Sein französisch klingt lyrisch und weich, wie Musik.