Release Me! Zu Werner Herzogs Bad Lieutenant
Am Ende sitzen die Helden erschöpft im blauen Licht vor der Scheibe eines öffentlichen Aquariums, hinter ihnen schwimmen Fische sehr ungerührt, und Nicolas Cage verzieht den Mund zu einem schwer definierbaren Lachen. Man kann weit zurückdenken bei diesem Lachen, viel weiter als zu Abel Ferraras – «Abel Who?» (Werner Herzog) – nicht so komischer erster Lieutenant-Version. Ein anderer Film Herzogs, aus ganz anderer Zeit, vierzig Jahre alt, endete auch schon mit einem Lachen. Hombre, 70 cm groß, lacht ganz unheimlich im Schlussbild von Auch Zwerge haben klein angefangen, während im Off, das man kurz vorher noch als On sah, ein Dromedar kniet, aufstehen will, nicht aufsteht, kniet.
Das Lachen von Hombre, ein Verschlucken, Husten und Lachen, endloses Lachen, nicht aufhören wollendes Lachen, war ein Horror, der den Film hinein in die Schwarzblende und den Zuschauer in finstere Alpträume verfolgt. Herzog im Gespräch mit Kraft Wetzel (in einem der guten alten blauen Hanser-Bände): «Das Gelächter in dem Film, von dem kleinsten Zwerg am Schluss – das minutenlange Gelächter – das ist eben das Gelächter überhaupt, es gibt kein Gelächter drüber raus.» Und doch. Es führt vielleicht ein Weg vom Wahnsinn des Hombre zum ja auch, wenngleich anders irren Lachen von Nicolas Cage, das sich jedoch zum Film, der mit ihm endet, grundsätzlich anders verhält als das Lachen des Zwergs von vor vierzig Jahren. Das Verhältnis des frühen Herzog zum späten (aber wer weiß, was noch kommt): ein Echo als Farce. Wobei klar ist: Selbstverständlich kann man durch das Werk Werner Herzogs keine geraden Linien ziehen, oder nur mit Gewalt. Gradaus nämlich geht es bei Herzog niemals nicht – das Kreisen, das Irregehen, das Bahnen von Wegen, wo keine waren, das alles, mit der Machete gefilmt, sind sehr viel eher schon genuine Herzog-Richtungs- und Bewegungsprinzipien.
Während im Ende des Zwerge-Films keine Befreiung liegt, ganz im Gegenteil, ist die Schlussszene von Bad Lieutenant ein Epilog, ein Nachklapp, fast schon ein Kommentar – zu Herzogs Film selbst, aber, warum nicht, auch zum Verhältnis dieser Kopie zum «Original», zu dem sie sich wie ein fröhlich falscher zum richtigen Fuffziger verhält, als ein Remake, das keins ist, als eine Nachahmungstat, die Ferraras hochkatholischen Seelenstriptease ganz sicher nicht imitiert, eher schon massakriert, am ehesten jedoch vom tierischen Ernst des Ferrara ausgehend mit erstaunlicher Heiterkeit ad absurdum führt. Aber: Absurdismus mit Tieren! Nicolas Cage lacht, darf man wohl sagen, das Lachen des Films über den Unsinn und Missbrauch, den sie, Cage/der Film, da nicht nur mit dem Original zu treiben verstanden.
Autodidaktischer Regelbruch
Als Filmemacher ist Werner Herzog Autodidakt, und Autodidakt bleibt man fürs Leben. Gelernt ist gelernt. Autodidakten haben manchmal die Tendenz, das Rad neu zu erfinden. Das ist aber keine Gefahr, in der Werner Herzog, ein eigensinniger Mann, wenn es je einen gab, jemals schwebte; ein Rad, das rund läuft, interessiert ihn gar nicht. Auf der anderen Seite jedoch findet sich bei Autodidakten im besten Fall eine Nonchalance des Regelbruchs, weil sich der Autodidakt ums Brechen von Regeln, die er niemals gelernt hat, einfach nicht schert. So auch bei Herzog. Es wäre falsch zu sagen, dass er um die konventionelle, ja systemstabilisierende Grenze zwischen Spielfilm und Dokumentation nicht wüsste; klar kennt er die und klar weiß er auch, dass er die Konventionen da bricht. Aber er macht kein Drama, kein Konzept, keine Philosophie aus dem Bruch. Er tut nur, was ihm richtig und notwendig scheint; er lehnt sich da nirgendwo an.
Eben darum wird in seinen Filmen diese Grenze auf idiosynkratische Weise porös; darum ist es trotz auf den ersten Blick ähnlicher Tendenzen in anderen Formen des Kinos doch singulär, wie sich in die eine wie die andere Richtung Überschreitungen ereignen, wie der extra- und der intradiegetische Raum einander manchmal offensichtlich, manchmal ganz unterschwellig ins Quere gehen. Und ganz gewiss ist es so, dass sich der dokumentarische Zug seiner Fiktionen, der fiktionale Zug seiner Dokumentationen niemals theoretischen Überlegungen verdankt, sondern einer sehr speziellen filmemacherischen Praxis. Wie jeder weiß, hasst Herzog Theorie (mehr noch als Theorie hasst er höchstens noch jede Form von Erbaulichkeit); was er schätzt, sind existenzphilosophische Fragen, auf die es keine oder nur ganz finstere Antworten gibt. Hinaus laufen sie eigentlich alle auf das urkomisch-herzzerreißend-tieftraurige «But Why?», mit dem er in Encounters at the End of the World aus dem Off einen Pinguin konfrontierte, der schnurstracks Richtung selbstverschuldeten, einsamen Tod in antarktischem Eis spaziert.
Umso spannender die Frage, was Werner Herzog nun im Umfeld von Hollywood tut. Nach dem venezianischen Wettbewerbs-Doppelschlag mit Bad Lieutenant – Port of Call: New Orleans (Cannes hatte abgelehnt, selber schuld) und My Son, My Son, What Have Ye Done war es für die Kino-Weltöffentlichkeit nicht mehr zu übersehen: Die Filmografie eines der großen Exzentriker der Filmgeschichte nimmt eine neue Wendung. Und mit den beiden neuen Filmen auch noch einmal anders als zuletzt schon mit Rescue Dawn. Das war, obgleich Herzog in seinen US-Spielfilmen keine Final-Cut-Rechte hat, in einer wesentlichen Hinsicht noch ein Autorenfilm. Herzog nimmt eine Herzogfigur – den Dieter Dengler aus seiner Dokumentation Little Dieter Needs to Fly – und verwandelt seine Geschichte mit Hollywoodgeld in einen Herzogspielfilm. Der ist, weil keine Aneignungsgesten nötig sind, aus einem Guss, so weit das bei Herzog geht. Die verrückten Zwerge, die auf die gefangenen US-Amerikaner aufpassen, verweisen überdeutlich fast schon in Richtung Filmografie. Die eigentliche ekstatische Herzogwahrheit leuchtet aber in den irren Augen von Christian Bale.
Eine Portion Irrsinn
Herzogs Film ist zunächst einmal etwas anderes: eine Auftragsarbeit. Der hoch dekorierte Produzent Edward Pressman suchte einen Regisseur, der aus dem Sakrileg, als das viele den statusunklaren Anschluss an Abel Ferraras Klassiker sehen mussten, etwas ganz Eigenes machte. Nicht nach eigenem Drehbuch allerdings, sondern dem des Fernsehserienschreibers William A. Finkel
Arestein (Law & Order, NYPD Blue). Finkelsteins Output sieht bei Lektüre der Filmografie nach recht ödem Mainstream aus. Es lässt sich von daher sinnvoll spekulieren, an welchen Stellen Herzog bei seiner Verfilmung dann das Seine an Irrsinn dazutat. Insofern wäre der autorenpolitisch interessante Beobachtungsgegenstand: Aneignungsarbeit am zunächst entfremdeten Material. Eins steht nämlich fest: Werner Herzogs Bad Lieutenant ist ein zunächst gar nicht so ungewöhnlicher Film mit einer recht generischen Noir-Krimi-Geschichte. Was Herzog leistet, ist teils gewaltsames Einfügen von Herzog-Signaturen (durch Distanzierung, durchaus paradoxe Operationen): irres Leuchten in den Augen von Nicolas Cage, ekstatische Wahrheit, totzuschießende tanzende Seelen, das Lachen am Ende, das vor allem, und, natürlich, Absurdismus mit Tieren! Heraus kommt ein veritables Palimpsest, ein Finkelstein-Text, dem Herzog mit sehr erratischen Ideen, Kritzeleien und unerwartbaren – luziferischen – Gesten Lichter aufsteckt. Ein Hollywoodfilm voller «Stellen», d.h. devianten Momenten, an denen, was ohne sie eine fast normale Noir-Cop-Story sein könnte, aufs irritierendste aufbricht, Blasen wirft, fantastische Blüten treibt und in der Summe aus diesem vermeintlichen Genre-Film ganz etwas andres und ziemlich Jenseitiges macht.
Im Zentrum steht Nicolas Cage als Cop Terence McDonagh, der zusehends den Verstand und die Kontrolle verliert. Ein Rückenleiden, das er sich bei einer eigentlich guten Tat zuzieht, macht ihn zum Medikamentenabhängigen. Es kommt Kokain dazu, Spielschulden, die sich türmen, Ärger mit einem Kunden seiner Freundin Frankie (Eva Mendes), die als Edelprostituierte ihr Geld verdient. Eher nebenbei wird in einem blutigen Mordfall ermittelt – jemand hat eine schwarze Familie brutal und blutig in ihrem Haus abgeschlachtet. Das alles am Schauplatz New Orleans post Katrina, und Herzog gibt sich redlich und mit beträchtlichem Erfolg Mühe, die trostlosen Seiten der Stadt, runtergekommene, zerstörte Straßen und Viertel zu zeigen. Die Großstadt ist eigentlich alles andere als Herzogs Revier, aber er macht recht umstandslos seinen ganz eigenen Dschungel daraus, eine Stadt, in der die Leute abgeschlachtet werden, ausgeliefert sind, herumirren, absaufen. Hubschrauberperspektiven gibt es auch, jedoch nur wie Blicke auf ein Stadtlabyrinth von einem für die da unten unerreichbaren Oben. Little Terence Needs to Fly, aber hier ist einer abgestürzt von Anbeginn, ein Sprung ins dreckige Wasser, eine tödliche Schlange, ein Höllensturz, Bad, Bad Lieutenant.
Echsen und Voodoo
Durchs Labyrinth geht und stürmt schiefschultrig Nicolas Cage, manisch-depressiv schwankend zwischen Melancholie und Hyperkinetik, von Hunden gehetzt, ein hetzender Hund, der, wenn es der Wahrheitsfindung dient oder dem, was er oder die Droge in ihm dafür halten, einer alten Frau skrupellos-kaltschnäuzig die Sauerstoffzufuhr abdreht. Zusehends ausweglos wird seine Lage, von Suspendierungsverfahren bis zur Konfrontation mit Schuldeneintreibern, die gar keinen Spaß verstehen. Die Freundin sucht das Weite, flieht aus dem Bann, dem Bann der Droge, der Droge auch, die der dem Todestrieb verfallene Terence ist. Bis zuletzt alles Wendungen nimmt, die das Lachen des Terence McDonagh am Ende nur zu verständlich machen; als Verlachen der Erzählkinokonventionen, die der Film durch unmotivierte Erlösung kurzerhand auf den Kopf stellt; als kopfschüttelndes Hohnlachen, in dem das Extradiegetische endgültig aus dem Filmtext herausbricht, in dem es zuvor schon wie ein Parasit im lebenden Körper des Wirtstiers sein quartalskonvulsivisches Unwesen trieb.
Bad Lieutenant ist ein Hybrid. Eine einheitliche Perspektive auf die Welt hat der Film nicht – es sei denn die eines Blicks verschiedener Echsen, und das sind, kein Zufall, wechselwarme Tiere. Bad Lieutenant ist ein wechselwarmer Film, ein Film, den Herzog sich aneignet, indem er sich von den Konventionen lachend, spottend, die Seelen tanzen lassend, distanziert. Etwas wird meins, indem ich es von mir stoße – das ist die Bewegung. Dieses Von-sich-Stoßen wird verkörpert von Tieren. Was in das Finkelstein-Drehbuch fährt, ist eine Besessenheit, ist ekstatische Wahrheit als Herzog-Voodoo. (Die Hühner von Auch Zwerge haben klein angefangen, der Affe am Kreuz, aber auch das tanzende Huhn am Ende von Stroszek, all die Tiere des Werner Herzog: das war alles schon Voodoo, Herzog, der alte «Zigeuner», so Manny Farber, kommt in New Orleans tatsächlich mal wieder zu sich.)
Diese Tiere: Einmal liegt aus recht heiterem Himmel ein Krokodil, mit den Beinchen rudernd, auf dem Asphalt. Es gab einen Unfall. Merkwürdig genug sieht das aus. Mitten in dieser Szene wechselt die Perspektive dann gar aus einer neutralen Einstellung in eine eindeutig subjektive. Ein weiteres Krokodil blickt vom Straßenrand aufs Geschehen. Und wir blicken durch die Kamera des Krokodils Blick. Noch viel verrückter ein weiterer Moment. In einem Zimmer, in dem sich die Cops für eine Observation aufhalten, sitzen zwei Leguane und singen, wie es scheint, Engelbert Humperdincks Song «Release Me!», und auch mit ihrer Perspektive scheint sich die Kamera für einen ziemlich langen Moment zu identifizieren. Das kann man schon als Halluzination des zugekoksten Protagonisten rationalisieren. Wenn man im Kleingedruckten der Credit-Sequenz aber liest, dass Werner Herzog himself in den Echsensequenzen die Kamera führte, dann ließe sich die These vielleicht doch wagen: Bad Lieutenant ist ein Film, der mit dem Blick einer wechselwarmen Echse mit Namen Herzog auf das Treiben der Menschen schaut. «Ich hab gern Tiere in meinen Filmen, und Leguane sind so dumm und bizarr, ich liebe sie einfach. Keine Ahnung, warum ich sie da drin habe. Aber das sind die besten Momente des Films.» (Herzog).
Und es wird wahr, was der Leguan singt. «Release Me!», der Wunsch des Humperdinck aus dem Leguan-Song, wird erfüllt. Auf steigt Terence McDonagh in den Olymp der wahren Herzogfiguren. Was soll da noch bleiben als ein leicht irres Lachen im blauen Licht. The Deed is Done. Und im Hintergrund schwimmen ungerührt die Fische vorüber.
Wir sehen uns später, Alligator!
Kinostart am 14. Januar 2010