Musik/Video Suspiria
Ob sich in Suspiria – dem Wort, dem Titel, dem Film – nicht nur eine menschliche Lautäußerung, der Seufzer, sondern auch eine musikalische Poetik oder Programmatik versteckt, das hätte ich mich eigentlich auch schon vor Luca Guadagninos 2018er Version fragen können. Soundtrackhörer_ und Forscher_innen interessieren sich immer schnell für Horrorscores – nicht zuletzt, weil sich die musikalische Avantgarde auf der Produktionsseite auch immer dafür interessiert hat. Das lässt sich gut inventarisieren, siehe einige Sammelbände, aber auch Filme wie Berberian Sound Studio.
Goblins ProgRock (höre suspiria 1977) war ganz sicher Teil dieser Avantgarde. Thom Yorke gehört irgendwie ja auch zu einer, eher Post- aber, anderes Segment halt. Yorkes erster Score überhaupt ist nun der zu einem nominellen Filmremake mit ziemlichem Scoreballast geworden, Argento, Goblin, sound-‹ikonischer› wird’s kaum. Suspiria 1977 – suspiria 2018: diesen Abstand muss man auch irgendwie akustisch vermessen. Die Verhältnisnahme, das Abstandnehmen ist schon ein Kernreiz oder eine Kernfrage der Neuimagination Guadagninos (und David Kajganichs, des Drehbuchautors, der 2018 auch für die ziemlich intensive Männerselbstvergiftungs- und -zerfleischungsserie the terror verantwortlich war). Argentos zumindest ästhetisch ziemlich zeitgenössisch anmutender Freiburger Hexensabbat wird da schließlich in die Szene des West- und Ost-Berliner deutschen Herbstes verlagert, und der okkulte Grenzverkehr spielt sich auch zwischen Ostberliner Datsche und brutalistischer Kreuzberger Tanzschule im Mauerschatten ab (innen eigentlich ein Hotel in Varese, aber auch das Berlin des Films ist, wie seine verschachtelten Innenräume, wie sein Diskurspotpourri, idiosynkratisch geschichtet). Argento wird hier auf sechs Akte und einen Epilog ausgefaltet, quasi breitgetanzt, entsprechend modularer geht es musikalisch zu. Kein gegenseitiges Vorantreiben auf immer neue und zugleich repetitive Intensitätsplateaus der Todesarten, wie Goblin und Argento das 1977 praktiziert haben. Eher immer wieder musikalische Selbstunterbrechungen und -befragungen, wo etwa (im Album) auf die zumindest etwas Goblineske Musik zu den Bauschigen Choreografien von Damien Jalet und dem Tanzstück, das im Film angemessen vollfrontal «Volk» heißt, eine Vokalinvestigation Thom Yorkes zur ‹Indifferenz des Universums› folgt. Überhaupt: Wenn Yorkes Falsetto in dem ziemlich signaturspätradioheadigen Pianostück Suspirium zum ersten Mal einsetzt im Film – und das ist schon zu den Credits, denen nur ein kleines Vorspiel und Vorstück vorausgeht –, dann ist das ein echter Schock, eine Ablenkung und Verführung von der Fährte, auf die zumindest mich Argento gesetzt hatte. Das erscheint so kalkuliert, wie es die geschickte Moodarbeit in Guadagninos vorherigen Soundtracks war (besonders die auch musikalisch berückende – oder erdrückende – Sentimentalsmartness von call me by your name). Statt Goblins Hexenflüstern interpunktiert hier das letzte Röcheln einer in Ohio sterbenden Mennonitin Yorkes Song, bevor Dakota Johnson als deren Tochter an der Berliner U-Bahnstation Pankstraße im Film ankommt wie vor 40 Jahren Jessica Harper in München-Riem. Die Seufzer von Guadagninos durch und durch spekulativem, im Begehren genealogischen Film sollen eben nicht aus den Affektmaschinen des Genres, sondern aus dem realen Leiden – der Körper, der Geschichte – kommen.