Die Vagheit des Knopfdrucks Ist der Schalter kaputt? Ist der Diener zu langsam? Rachel Plotnick schreibt eine Medienpraxisgeschichte des Power Button
Was würde man von einer soeben erschienenen Kulturgeschichte des elektrischen Knopfs um die Jahrhundertwende erwarten? Ich habe es mir vor der Lektüre von Rachel Plotnicks Power Button. A History of Pleasure, Panic, and the Politics of Pushing auf einen Zettel geschrieben. Dort steht:
1. Alles schon früher da, als «man denken würde»
2. Machtasymmetrien überall
3. Zukunftsimaginationen hellsichtig/putzig
Man müsste an der Studie zu zweifeln beginnen, wenn sie diese drei Beobachtungen nicht aus dem Archiv zurückbringen würde. Denn wir wissen ja: 1. Medien-Praktiken, also die Technologien und ihre kollektiven Gebrauchsweisen, sind immer Übersetzungen älterer Medien-Praktiken («It’s turtles all the way down!»). Wer keine erstaunlichen technischen und praktischen Vorformen findet, hat vermutlich nicht lang genug gesucht. 2. Unsere Kulturgeschichten und ihre Artefakte sind machtasymmetrisch durchseucht, wer in den Technologien keine eingebauten Benachteiligungen nach Alter, Ethnizität, Geschlecht oder sozialem Milieu findet, gehört zurück ins Archiv geschickt. 3. Vergangene Zukünfte sind Projektionen vergangener Gegenwarten. Dabei werden mal Entwicklungen in die Zukunft verlängert, die tatsächlich eingetreten sind – dann erscheint die Imagination als besonders klug und hellsichtig vorhergesehen –, mal werden längst versandete Gegenwarten fortprojiziert, die dann einen besonders putzigen Eindruck hinterlassen, haha, wie naiv sie sich damals das Jahr 2007 vorgestellt haben!
Es ist deshalb ein gutes Zeichen, dass Plotnick all das liefert. Man kann das Buch wunderbar dafür zitieren, dass alles um die Jahrhundertwende genau so war, wie man es erwarten darf, wenn man seinen Foucault gelesen hat. Für die Medien-Praktiken zeigt sie etwa: Die frühen elektrischen Knöpfe bilden eine Brücke «from the servant paradigm to the electrical servant paradigm» (206): Wo vorher der Herr sein Glöckchen läutete, um seine Dienerinnen und Diener herbeizurufen, etabliert sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts der Knopf, der das Glöckchen fernsteuert.
Entscheidend für eine gute Medienpraxisgeschichte ist aber nicht, die Vorform zu finden, sondern nachzuzeichnen, wie die vermeintlich bruchlose oder zumindest kleine Übersetzung eine Transformation bedeutet, die bemerkenswert ist.
Plotnick vollzieht genau dies für die Übersetzung der analogen Klingel-Praktik in eine neue, digitale sehr präzise nach: Fielen Signal und Interface vormals in eins (die Glocke, die man läutet), werden beide nun getrennt. Der Herr bekommt eine Fernsteuerung per Knopf, so dass Ursache und Effekt an zwei unterschiedlichen Enden auftreten. Dies verstärkt Machtasymmetrien; nicht bloß, weil das Läuten kaum noch Muskelkraft braucht, sondern auch, weil diese Loslösung von Aktion und Signal eine Entfremdung wahrscheinlicher macht: «The mess, whether it took the form of electrical wires, a servant, or an employee, could remain conveniently at a distance and out of sight. In this regard, push-button communication injured relations because it seemed to put button pushers «out of touch» from those they pushed.» (166)
Die analoge Glocke übersetzt beinahe jede muskuläre Bewegung in Klang, man kann laut klingeln, schnell, in absteigender Lautstärke und so weiter. Der digitale Knopf hingegen kennt zunächst nur an und aus, dann vielleicht noch lang und kurz, schnell und langsam; in jedem Fall aber übersetzt er die Aktion der Nutzerinnen und Nutzer ausschließlich in diskrete Signale.
Noch weniger als vorher weiß der Sender also, wie sein Signal beim Empfänger ankommt: Ist der Schalter kaputt? Ist der Diener langsam? Ist die Glocke zu leise? Man weiß es nicht, und ebenso wenig weiß der Diener, ob es dem Herrn tatsächlich sehr dringend ist, ob das gleiche Klingeln vielleicht nur als leises Klingeln gemeint ist, und so weiter. Die Klingelpraktik wurde «nur» in eine neue Technologie übersetzt, und plötzlich ist alles anders, und dies interessanterweise nicht nur, weil eine alte Praktik in eine neue übersetzt wird, sondern weil man es mit einem Interface zu tun hat, das grundsätzlich anders übersetzt: An die vielen kleinen, runden und kontinuierlichen Übergänge von der Hand zur Glocke tritt der abrupte Bruch zwischen An und Aus.
Es war also wie erwartet alles schon vorher da, selbst die Entfremdung, teils auch die Verdinglichung der Interaktion über digitale soziale Medien: Sobald die kontinuierliche, analoge Aktivität in ein diskretes Signal übersetzt wird, läuft auch all die Medienkritik los, die aus den 2000ern bestens bekannt ist.
Dass man das Buch allerdings nun dafür feiert, den Anfang der praktischen Digitalisierung nach hinten verschoben zu haben, erstaunt auch vor dem Hintergrund, dass Plotnick selbst sehr nachvollziehbar darüber grübelt, was wohl wäre, wenn man zur Geschichte des Knopfes noch die der Taste (wie beim Piano, der Schreibmaschine oder dem Telegrafen) oder des Abzugs (wie bei der Pistole) hinzufügte (15). Es ist eher eine Stärke des Buches, sich an müßigen Anfangsverschiebungsdebatten nicht zu beteiligen, sondern einerseits die Kontinuitäten zu zeigen, die erst ermöglichen, dass Wandel sich einschleicht und andererseits die Aushandlungen nachzuvollziehen, die all das Neue und Nichtkontinuierliche praktisch relationiert haben.
Dies ist nicht zuletzt auch der Anspruch, den die Autorin im Fazit selbst formuliert: Sie habe gezeigt, dass es eine große Lücke zwischen dem Sprechen über die Knöpfe gebe, wo sie als simpel oder magisch «romantisiert» worden seien, und dem tatsächlichen Gebrauch: «Buttons often malfunctioned, caused confusion and miscommunication, exacerbated conflict, and generated concern» (230). Schaltet man wie Plotnick von einer Mediengeschichte als Innovationsgeschichte auf eine Mediengeschichte als
Praxisgeschichte um, geraten genau solche Fragen in den Fokus: Welche Kontinuitäten und Anschlüsse an vorherige Medienpraktiken haben dazu geführt, dass eine neue Technologie bruchlos aufgenommen und etabliert werden konnte? Inwiefern wurde auf die Brüche, die eine neue Technologie zeitigt, so reagiert, dass sie zum Teil neuer Praktiken werden konnte? Es geht mit anderen Worten darum, die Etablierung von Medien nicht als sich Bahn brechende Ideen zu beschreiben, sondern als «ongoing practical accomplishments», wie man es mit Harold Garfinkel formulieren könnte, d. h. als praktische Leistungen, als Errungenschaften des Managements von Brüchen.
So referiert Plotnick die Konkurrenzgeschichte zwischen Gas- und Elektrobeleuchtung: In den langen Auseinandersetzungen, was die bessere Energiequelle für Licht darstelle, habe man die Knöpfe der elektrischen Lampen nicht nur ähnlich gestaltet wie die für Gasbeleuchtung. Oft habe man beim Umstieg von Gas auf Strom sogar dieselben alten Gasschalter elektrisch verkabelt, sodass man zwar Teil einer ganz anderen Energie-Infrastruktur wurde, aber weiterhin dieselben Knöpfe drückte, um das Licht anzuschalten (136f.). Dieses praktische Bruch-Management findet nicht nur auf Ebene des Materiellen statt, sondern auch semiotisch-diskursiv. Wo es um die Einführung von Knöpfen in Automobile geht, beschreibt Plotnick die Sorgen, die Patentschriften solcher Knöpfe referierten (186): Die Fahrer könnten durch die Drückerei während der Autofahrt abgelenkt werden. Die Knöpfe des Autos müsse man sich aber ganz im Gegenteil eher wie die bekannten Alarmknöpfe vorstellen, sie seien keine technophilen Spielereien, sondern Sicherheitsgaranten. Das ständige, wilde Gestikulieren der Autofahrer könne so durch eine einfache Hupe ersetzt werden (ebd.).
Überzeugend ist das Buch also nicht, weil es zeigt, dass es all das vermeintlich Neue schon vorher gab und man diese und jene Mediengeschichte eigentlich viel früher beginnen lassen muss, sondern vielmehr, weil es zeigt, wie dieses frühere Beginnen selbst operationalisiert wurde. Es kommt nicht auf den Nachweis an, dass es vor dem elektrischen Lichtschalter auch den Gaslichtschalter gab, sondern dass der elektrische Lichtschalter in einer praktischen Konstruktionsleistung an den Gaslichtschalter anschlussfähig gemacht und so die Etablierung der Stromlichtschalter durch ihre Referenz zum schon Dagewesenen ermöglicht wurde. Mediengeschichte ist hier also stark, wo sie die Selbsthistorisierungen der Medien, d. h. ihren aktiven Selbst-Anschluss an genealogische Vorläufer, zum Teil der Mediengeschichte macht. Daraus folgt, dass es auch die Fälle aufzureihen gilt, bei denen dieser Anschluss zumindest damals noch nicht gelungen ist.
Gelungen ist das Buch deshalb auch dort, wo es die Ambivalenzen des Diskurses offen legt, in denen der eine Pfad genommen worden ist, der gut und gerne auch ein anderer hätte sein können. Die Unsichtbarkeiten, die die Knöpfe erzeugen, sind für Plotnick zwar ein eindeutiger Trend der Reproduktion von Machtasymmetrien: Arbeit wird aus dem Blickfeld geschafft, Kommunikation verdinglicht, Privilegien reifiziert, etwa wenn Arbeiter so lange unsichtbar hinter dem Interface des Knopfes bleiben, bis sie gebraucht werden. Gleichzeitig diskutierte man dies aber mitunter auch als Potenzial für soziale Egalisierung: «physical strength», so zitiert sie eine zeitgenössische Autorin, «is no longer an element, a woman can pull a lever or press a button as well as a man, and the aristocracy of sex disappears. A black, brown or yellow man is as good an adjunct to a machine as a white man, and the aristocracy of color vanishes» (201). Im Ergebnis hätten sich dann die sozialen Grenzen oft zu einer Grenze zwischen Technik und Menschen transformiert: Statt der Differenzen zwischen Mann und Frau, «gelb» und «braun» sei die zwischen Mensch und Maschine in den Mittelpunkt gerückt.
Für die Zukunftsimaginationen haben diese Nivellierungen sozialer Differenzen allerdings keine größere Rolle gespielt. Hier dominierte die Vorstellung des elektrifizierten Dieners. Im Jahr 2007, so wird ein Artikel aus der Washington Post aus dem Jahr 1907 zitiert, würden die Menschen in elektrischen Häusern leben, die einem automatisch die Schuhe putzten. Knöpfe würden automatisch Suchlichter aktivieren, die Besucher analysieren und maschinell entscheiden könnten, wem man Einlass gewährt. Die Utopien befassen sich dann also doch mit der Kontrolle des eigenen Territoriums, mit der Errichtung von Grenzen und dem Traum der individuellen Macht jener, die sich die technologischen Innovationen leisten können: Die Beobachtung sozialer Indifferenz des diskreten elektronischen Signals liegt vor, sie wird aber noch nicht (wie in den Cyberutopien knapp hundert Jahre später) valorisiert, sie lädt nicht zum Träumen ein – zumindest nicht zu solchem, das es am Ende ins Archiv schafft und heute rekonstruiert werden kann.
Dieses Verhältnis von Archiv und Geschichte wird leider zu wenig reflektiert. Die Entscheidung, sich auf die Verwendung des Wortkörpers «Button» zu beschränken, wird zwar thematisiert, aber mit der etwas fadenscheinigen Begründung versehen, entscheidend sei, wann die historischen Akteure selbst von «Buttons» sprächen. Die sehr auffällig häufige Angabe von Google Books als Quelle legt eher nah, dass eine zeitlich begrenzte Ngram-Suche verführerisch viel Material geliefert hat. Daran ist nichts auszusetzen, außer eben, dass gerade in einer medienhistorischen Arbeit die Agency des Archivs im Mittelpunkt der eigenen Daten- und Technikkritik zu stehen hätte.
Ebenso unterreflektiert bleibt die Frage, was der innovative Ansatz der Medienpraxisgeschichte nun bedeutet: Kann man Mediengeschichte überhaupt noch als Genealogie von Artefakten denken? Auf welche Schwierigkeiten trifft eine solche Methode, wenn sie zwar verspricht, hinter die «romantischen» Diskursivierungen zu steigen, aber letztlich nur das zur Verfügung hat, was entweder als Artefakt materiell erhalten oder schriftlich archiviert ist? Denn die Vagheit des (materiell oder semiotisch) Mediatisierten gegenüber der volatilen Praxis bleibt ja bestehen; Nur noch auf die vagen Spuren einer reichhaltigen Praxis können wir zurückgreifen.
Gerade letzteres Problem hätte Plotnick allerdings auch wieder produktiv machen können, denn genau dieses Problem des vagen, intepretationsbedürftigen digitalen Signals zeichnet ja die digitalen Medienpraktiken aus – ein Prinzip, das sie durchaus klar beschreibt: Kommunikation über Knöpfe bedeute grundsätzlich eine Verknappung auf sehr begrenzte Signale. Genau deshalb sei man oft mit dem Problem konfrontiert gewesen, dass Empfänger dieser binären Signale sie als «overly authoritarian, lazy, or rude» (230) interpretiert hätten. Plotnick beschreibt dies bloß als kommunikatives Problem. Dass es genau diese Vagheit der Push-Kommunikation über Likes und ähnliches ist, die große Teile der routinisierten Alltagskonversation etwa hundert Jahre später ausmachen, verweist darauf, dass die Unbestimmtheit der Buttons eine ganz eigene Produktivität entwickeln kann.
Dass diese soziale Produktivität des vagen Knopfdrucks bei Plotnick aber nur als Problem erscheint, mag damit zusammenhängen, wie diese frühen Kommunikations-Buttons sich selbst historisiert haben: Im «electrical servant paradigm» erscheint die Vagheit des Knopfdrucks eben nur als Übersetzung der hierarchischen Aufforderung. Insofern zeigt Power Button auch hier: Zentral ist nicht, dass es von all dem immer schon Vorformen gab, sondern welche Vorformen genau es waren und wie sich diese Vorformen in ihre Übersetzungen einschreiben.
Rachel Plotnick: Power Button. A History of Pleasure, Panic, and the Politics of Pushing (MIT Press 2018)