der demokratische wald

In den Tropen

Von Ludger Blanke

 

Im Sommer 2015 arbeitete ich eine kurze Zeit lang für Angela Schanelecs Film Der Traumhafte Weg als ihr Regieassistent, begann aber schon bald, mich um Dinge zu kümmern, die nicht rechtzeitig geschafft worden waren. Eine dieser liegengebliebenen Sachen war die Herstellung eines Requisits: ein Buch, das eine zwar kleine, aber doch wichtige Rolle spielen sollte, weil es auf gewisse Weise einen der Hauptdarsteller, einen Ethnologen, und insbesondere den Blick seiner Frau auf ihn definieren sollte. Im Film entdeckt Maren Eggert dieses Buch ihres Mannes (mit dem sie sich in einer Trennungssituation befindet) zufällig in der Bibliothek der Entzugsklinik, in der sie sich wegen ihrer Alkoholsucht aufhält. Sie nimmt das Buch an sich und blättert darin, als sähe sie es zum ersten Mal. Angela Schanelec hatte als Vorlage einen Fotoband von Thomas Struth gefunden: New Pictures from Paradise – die Fotografien aus dem Amazonas-Urwald werden darin sehr konkret zu etwas beinahe Abstraktem.

Dieses vorhandene Buch zu nehmen und einfach einen anderen Namen – David Hayes, so der Name der Figur – auf den Umschlag zu drucken, war keine Option. Die Idee, in Brasilien einen Fotografen zu engagieren und ihn am Amazonas Struths Fotos nachfotografieren zu lassen, war ebenfalls schnell vom Tisch. Der Kontakt zu einem Bielefelder Lepidopterologen, der in seinem riesigen Foto-Archiv auch Aufnahmen aus dem Amazonaswald hatte, auf denen die Schmetterlinge gerade aus dem Bild geflogen waren, führte auch nicht wirklich weiter. Als es langsam eng wurde, machte ich den Vorschlag, im Archiv des Ethnologischen Museums in Dahlem zu schauen, was es dort an Möglichkeiten gäbe. David Hayes beschäftigte sich schließlich auch historisch mit seinem Fach. Also fuhr ich nach Dahlem und suchte dort die fotografische Hinterlassenschaft einiger deutscher Ethnologen, die um 1900 in Südamerika unterwegs gewesen waren.

Ein großer Teil der Fotos, die ich dort fand, bildete Gegenstände ab: Behausungen der Ureinwohner, Schmuck, Alltagsgegenstände, Jagdwaffen, Kostümierungen und daneben Einzelporträts und Gruppensituationen zwischen ihnen, rituelle Tänze und ähnliches. Alles das war für uns eher wenig interessant. Gelegentlich tauchten aber in diesem Archiv Aufnahmen von Landschaften auf, deren Blick mich verblüffte: Ich war ja zu Beginn noch auf der Suche nach etwas, was eine ähnlich dichte, unübersichtliche Konkretheit liefern könnte wie die, die Struth dort gefunden hatte, aber diesen Blick gab es nicht. Stattdessen erblickten die Ethnologen eine Weite, eine Übersichtlichkeit. Einige dieser Landschaften hätten genau so auch an der Müritz fotografiert werden können. Überfiel sie das Heimweh? Ihre Sehnsucht berührte mich auf eine seltsame Weise. Sie suchten und sahen dort offenbar etwas, was sie auch von zu Hause her kannten. Der Blick in die Weite erinnerte mich an den romantischen Blick Caspar David Friedrichs. Es schien mir, als erzählten diese Landschaften auch von der plötzlichen Erkenntnis dieser Abenteurer, wie weit sie von zu Hause entfernt waren – und von der damit verbundenen Frage, was sie hier, auf der anderen Seite der Erde, eigentlich zu suchen hatten. Das Buch haben wir dann in einer Auflage von 2 Exemplaren gemacht, im Film ist es für etwa 72 Sekunden zu sehen.

 

© Ludger Blanke