be water, be Lee
In Hongkong kämpft dieser Tage Bruce Lee gegen Xi Jinping. Es ist ein ungleicher Kampf, ausgefochten zwischen vermummten Protestierenden und einer Staatsmacht, die nur ihre Einsatzkräfte mit Schutzanzügen ausstattet. Ihr Gesicht aber muss sie nicht verhüllen. In der Volksrepublik China wird die Probe auf einen neuen Totalitarismus gemacht, und die jungen Leute von Hongkong adaptieren einen Helden des längst imperial eingemeindeten Hongkongkinos für ihre verzweifelten Zwecke. Von Bruce Lee wird nicht die harte (Hand-)Kante gebraucht, der nackte Fußballen, gegen den (fast) kein Cowboy eine Chance hat, wie man zuletzt in Quentin Tarantinos Once Upon a Time in Hollywood als komisches Intermezzo sehen konnte. Die Freiheitsbewegung in Hongkong braucht von Lee eine Taktik, die sich leicht vom Individuum auf das Kollektiv übertragen lässt: «be water» ist der Slogan, der zuletzt auch durch die internationalen Medien ging. Dahinter steht die Idee, den Gegner ins Leere laufen zu lassen, indem man ihn durch Formlosigkeit bekämpft. Dass sich ein amorpher Protest, der wie das Wasser dorthin geht, wo der nachlassende Gegendruck es gerade zulässt, in den Straßenkämpfen einer hoch verdichteten Metropole bewähren könnte, leuchtet ein. Und dass man den gigantischen Flughafen, der zugleich ein Tor zur Welt für die frühere Enklave und bereits eine Machtdemonstration der kommunistischen Infrastrukturpolitik ist, zu einem Ort der Disruption zu machen versucht, ist ebenfalls naheliegend. Doch die eigentliche Bewährungsprobe für die Wassertaktik liegt vielleicht nicht mehr in der Frage, wo man überraschend mit einer Barrikade einen analogen Verkehrsweg (zum Beispiel eine U-Bahn-Station) blockieren kann, sondern ob man sich (als oppositionelles Individuum, als ‹führerlose› Bewegung) so weit verflüssigen kann, dass man zwischen die Fugen eines vor allem digital zunehmend perfekt abgedichteten Systems gelangt. In China gilt es mittlerweile als verdächtig, wenn jemand ohne Mobiltelefon aus dem Haus geht, weil daraus zu schließen ist, dass man ein Bewegungsprofil vermeiden möchte. Die Aufstandsbewegung in Hongkong muss vor allem deswegen von weltweitem Interesse sein, weil sie vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte auf ein System trifft, das sich als nicht mehr revolvierbar erweisen könnte: In der Volksrepublik China könnte sich Herrschaft so verfestigen, dass sich dafür keine Revolutionsform mehr findet, die mehr als nur ohnmächtiger Protest und kurzfristige Störung wäre. Hongkong kämpft darum, in einem übermächtigen System ein eigenes System aufrechtzuerhalten. Das war die Formel von 1997: «one country, two systems». Damals wusste man noch wenig von einer technisch systematisierten Zwangsintegration, die mit der Digitalisierung kommen würde. In Hongkong kämpfen die Leute deswegen auch um die Freiheiten, die wir im Westen noch meinen, genießen zu können, während wir sie mit unseren Kreditkarten, Sprachassistenten und ‹intelligenten› Anwendungen bereits verspielen.