spielfilm

Bad Blood Über Moonlight (1948) von Frank Borzage

Von Simon Rothöhler

© Criterion Collection

 

Ein Film, der düster, auf einem nächtlichen Richtplatz beginnt. Einer wird von anderen zum Galgen geführt. Es regnet in Strömen, kein Wort fällt. Stumme Zeugenschaft, niemand applaudiert, niemand protestiert, auch der Verurteilte nicht. Noir-Fatalismus all over the place. Es kommt, wie es kommen musste, weil die Verhältnisse sind, wie sie sind. Das Schweigen gilt einem Ablauf, der von nun an mechanisch vorgezeichnet, nicht mehr zu ändern ist. Das Hinrichtungsgeschehen inszeniert sich gleich selbst, wirft beklemmende Schatten auf eine gegenüber der Tötungsvorrichtung liegende Hauswand, die zur Projektionsfläche wird. Der Henker, auch er nur ein Schatten seiner selbst, legt einen urteilsvollstreckenden Schalter um, die Falltür öffnet sich.

Harter Umschnitt auf eine Kinderkrippe, über der, wie die zurückfahrende Kamera freilegt, eine Puppe baumelt. Auch die Puppe projiziert einen Schattenwurf, der sich auf der weißen Bettdecke konturenscharf abzeichnet. Dem Säugling erscheint diese Übertragung verständlicherweise unheimlich, er schreit das merkwürdig gehängte Stoffwesen an. Dann, es müssen Jahre vergangen sein, Überblendung zu einer Schulhofszene. Zwei Knaben prügeln sich. Um sie herum bildet sich rasch ein Kreis, der, als handele es sich um ein allseits bekanntes, oft wiederholtes Ritual, in einen recht gnadenlosen Kinderchor einstimmt: «Danny Hawkin’s dad was hanged».

Man kann diese Eröffnungssequenz als formative Szene verstehen. Sie gilt einer Subjektivität, die nicht nur unter dem Eindruck des Vaterverlusts steht, sondern auch von der Kollektivwahrnehmung einer Kleinstadt in Virginia umstellt scheint, derzufolge die Schuld des Vaters ein Leben lang auf den Sohn zurückzuspiegeln ist. Danny Hawkin (Dan Clarke) wird später, als es, im Sinne der Mechanik des Melodrams, schon zu spät ist, eine Vaterersatzfigur (Rex Ingram) fragen, ob man sich gegen «bad blood», das in einem fließt, weil es auf einen projiziert wird, überhaupt wehren könne. Dem antwortenden Afroamerikaner wird – eine Rarität im Hollywoodkino der 1940er Jahre – die klügste Sprecherposition dieses Films zugestanden: «Blood is red. It keeps you alive. It doesn’t tell you what you have to do».

Moonrise heißt dieses herausragende, in filmatmosphärischer Hinsicht zurecht mit The Nightof the Hunter und dem poetischen Realismus des französischen Kinos der 1930er Jahre in Verbindung gebrachte Noir-Melodram, das Frank Borzage 1948 für das auf B-Filme spezialisierte Poverty Row-Studio Republic Pictures (siehe cargo 40) gedreht hat. Vorausgegangen war eine nicht unkomplizierte Produktionsgeschichte, zu der auch ambitioniertere Besetzungspläne gehörten. Eigentlich sollten John Garfield, Burt Lancaster oder James Stewart Danny Hawkin darstellen und William A. Wellman war an Stelle Borzages, der Republic Studio vertraglich noch eine Auftragsarbeit schuldete, aber schon länger als ausgebrannter Ex-A-Lister und nicht mal mehr satisfaktionsfähiger B-Filmer galt, für die Regie vorgesehen.

Borzage und sein Kameramann John L. Russell, der gerade Orson Welles’ Macbeth (1948) abgedreht hatte und später mit der Kameraarbeit für Hitchcocks Psycho (1960) berühmt werden sollte, verließen das Studiogelände von Republic Pictures für keine Szene. Alles ist Kulisse, nichts on location gedreht: die verschatteten, wie biologistische Geschichtsspeicher vor sich hin stoffwechselnden Sumpflandschaften, der enigmatische ‹Erinnerungsort› Blackwater, die komplex choreografierte Jahrmarktszene, in der ein kreislaufendes Riesenrad paranoisch wegdriftet – und auch der befreiend offene Raum des Schlussbildes ist billige Fototapete, das reinste Pappmaché.

Entstanden ist auf diesem meist eng kadrierten Studioset ein sich der Vorzüge artifizieller Weltaufbauten überaus bewusster Film, der die äußeren Künstlichkeiten als wahrnehmungsverschiebende Innenweltprojektionen und Allegoriematerial ausweist. Jüngst ist Moonrise verdientermaßen die Vorzugsbehandlung der stets sorgfältigste Restaurations- und Editionsarbeit leistenden Criterion Collection widerfahren. Und besser noch: Am 20. und am 30. September wird Borzages spätes Meisterwerk auch im Kino Arsenal zu sehen sein: als 35 mm-Kopie, im Rahmen einer 20 Filme umfassenden Borzage-Retrospektive.