medienwissenschaft

Cmd-Shift-3 Bilder von Bildschirmen: Zu Screenshots von Paul Frosh

Von Elena Meilicke

Bildschirme fotografieren ist gar nicht so leicht. Ich erinnere mich, um die Jahrtausendwende gelegentlich meinen Fernsehbildschirm abfotografiert und die dabei entstehenden Farbschlieren und -schleier als dekorative Abstraktionen empfunden zu haben. Ließ sich prima zur Verschönerung von Schulheftern verwenden. Im Vergleich zu damals haben sich die Bildschirme vervielfältigt, sind mobil und portabel geworden, ganz nah an die Körper gerückt. Will man sich heute ein Bild von seinem Bildschirm machen, dann braucht es dafür längst keinen Fotoapparat mehr, eine einfache Tastenkombination genügt: Auf dem Mac ist es Cmd-Shift-3.

Obwohl alle Welt ständig und überall screenshottet, findet ein Nachdenken darüber, was für eine Art Bild der Screenshot eigentlich ist, bislang kaum statt. Gibt man das Wort in die Suchmaschine ein, muss man sich erst durch eine ganze Reihe praxisbezogener Websites wühlen, die erklären, wie man Screenshots erstellt, bevor eine erste Begriffsdefinition auftaucht, die bleibt vage: Laut Wikipedia ist der Screenshot eine «fotoähnliche Abbildung des aktuellen grafischen Bildschirminhalts oder eines Teils davon». Das Bildschirmfoto ist also untertheoretisiert, und diese Forschungslücke will nun ein Büchlein schließen, das gerade in der Reihe Digitale Bildkulturen im Wagenbach-Verlag erschienen ist. Herausgegeben wird die Reihe von der Bildwissenschaftlerin Annekathrin Kohout und dem Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich, das Buch zum Screenshot hat der Medienwissenschaftler Paul Frosh geschrieben, der an der Hebrew University in Jerusalem lehrt.

Frosh beginnt seinen Essay mit einem Tweet vom Mai 2017, der für Aufsehen sorgte: «Despite the constant negative press covfefe», hatte @realDonaldTrump ominös getwittert. Obwohl der Tweet wenige Stunden später gelöscht war, wurde er in den folgenden Tagen heiß diskutiert («What the hell is covfefe?») und tausendfach geteilt – und zwar nicht in seinem Wortlaut, als bloßes Zitat, sondern als Screenshot des ursprünglichen Tweets, eingerahmt und mit den bekannten Angaben zu Uhrzeit, Datum, Anzahl von Retweets, Likes usw. Für Frosh zeigen sich hier wichtige Eigenschaften und Funktionen des Screenshots: Er ist beweglich, speicherfähig, wiederabrufbar, verspricht unmittelbare Zeugenschaft, dient als Dokument und Beweismittel. Der Screenshot erweist sich als widerständiges Objekt, das der oft beschworenen Fluidität des Netzes eine Stillstellung entgegensetzt, einen Schnitt, eine Unterbrechung vornimmt. Man könnte sagen, der Screenshot hält das Internet an, wenn auch nur für einen Moment und an einer Stelle.

Dass der Screenshot in den Augen seiner User*innen das Zeug zum Beweismittel hat, liegt Frosh zufolge daran, das er vom Nimbus der Fotografie zehrt. Möglich wird das, weil der Screenshot eine Art Mimikry unternimmt und als Remediation analoger Fotografie auftritt: Obwohl das Bildschirmfoto de facto natürlich kein Foto ist, suggeriert sein Name genau dies (auch im Englischen, evoziert doch der Screenshot den snapshot), hinzu kommt das Auslösergeräusch, das erklingt, wenn man auf dem Laptop einen Screenshot macht – ein auditiver Schnörkel, der keinen anderen Sinn hat, als den Screenshot der analogen Fotografie anzunähern. Der Screenshot ist, so Frosh, der «Racheengel der traditionellen Fotografie» im Zeitalter des Digitalen.

Diese Thesen sind plausibel und spannend, schade ist, dass Frosh sie, vom Trump-Tweet als Aufhänger abgesehen, nicht in Auseinandersetzung mit konkreten Beispielen entwickelt, sondern auf einer Ebene verallgemeinernder Abstraktion bleibt und manchmal umständlich argumentiert – etwa in langen Passagen dazu, was «bezeugbare Welten» sind. Ein wenig entsteht der Eindruck, als solle der Screenshot philosophisch nobilitiert werden, ich hätte mir stattdessen mehr Materialnähe und Anschaulichkeit gewünscht. Der stellenweise gravitätisch anmutende Gestus mag damit zu tun haben, dass Screenshots tatsächlich eine Auskopplung aus einem größeren Werk Froshs ist. The Poetics of Digital Media ist 2018 bei Polity erschienen, im Klappentext heißt es: «Media are poetic forces. They produce and reveal worlds, representing them to our senses and connecting them to our lives», außerdem seien sie «profoundly moral and existential. They matter for how we reflect upon and act in a shared, everyday world of finite human existence.»

In diese Richtung geht auch das einzige weitere Beispiel, das Frosh neben dem Trump-Tweet diskutiert, ein Beispiel, in dem der Screenshot als Ding von existenzieller Dimension erscheint, als «Instrument zur Welterschließung», das «tiefgreifende ethische und ontologische Herausforderungen» stelle. Es geht um einen Screenshot, den die israelische Tageszeitung Yedioth Ahronoth im Januar 2017 groß auf ihrer Titelseite brachte, Hintergrund war der Tod einer jungen Soldatin durch einen Terroranschlag. Der Screenshot zeigte den WhatsApp-Chatverlauf der Mutter des Opfers, ihre zunehmend panischen und vor allem unbeantworteten Nachrichten an die Tochter.

Frosh bezeichnet diesen Screenshot treffend als «About-to-die»-Bild, und tatsächlich wäre eine genaue Analyse dazu, wie hier mit Hilfe des Screenshots der gewaltsame Tod als Darstellungsproblem adressiert wird, interessant und wichtig. Stattdessen fordert Frosh an dieser Stelle zur Einfühlung auf: «Stellen Sie sich Shirs Mutter vor, die […] darauf wartet, dass ihr Smartphone vibriert oder durch einen Signalton meldet, dass eine Nachricht von ihrer Tochter eingegangen ist. Stellen Sie sich vor, wie aufgewühlt, hoffnungsvoll, enttäuscht, zunehmend panisch, voller Verzweiflung sie auf andere Nachrichten reagiert.» Die abschließende Schlussfolgerung, «wie eng Soziale Medien und mobile Kommunikationstechnologien mit unserer Existenz verflochten sind. […] In ihnen werden Leben und Tod vermittelt, erlebt, bezeugt und offengelegt», klingt nach einer Spielart existenzialistisch angehauchter Medienanthropologie, die bei mir eher Fremdeln auslöst.

Paul Frosh: Screenshots (Wagenbach 2020)