It doesn’t feel right
«It doesn’t feel right», zitiert der New Yorker Anfang Juni einen afroamerikanischen Studenten aus Minneapolis, der Zeuge geworden war, wie sich die Proteste nach dem Mord an George Floyd zu Sachbeschädigungen und Plünderungen ausweiteten. In New York zogen Gruppen durch Midtown, drangen in Warenhäuser ein, ließen aber auch einen Teeladen nicht unversehrt. Aus Manifestationen gegen mörderischen Rassismus wurde im Handumdrehen, wenn auch keineswegs überall, ein Macysmus, ein Klassenkampf, der in Ermangelung eines greifbaren Klassengegners in der Shopping-Hochburg Macy’s ein Ersatzobjekt suchte. In den digitalen Netzwerken riefen, so war erst zu lesen, «Antifa-Gruppen» zu Raubzügen in den «white hoods» auf – wobei sich dann herausstellte, dass die Tweets von einer White Supremacists-Gruppe kamen. Friedliche Demonstranten, die (fast) im ganzen Land auf die Straßen gingen, trugen derweil Mund-Nasen-Schutz und zeigten damit auch Haltung gegenüber rechter Agitation, die fazial unbedeckte Virenausgänge als Bürgerrecht zu maskieren versuchen. (Wobei diese Protestfigur mal wieder eine deutsche Spezialität zu sein scheint: Traurige Gestalten, die in Paris wirklich niemand kennt, von Reichelt bis zu Maaßen, erweitert durch neues Personal wie den verwirrten Ökonomen Stefan Homburg.) Die Vereinigten Staaten von Amerika, die als Schutzmacht einer ‹freien Welt› (oder zumindest einer ‹regelbasierten Ordnung›, wie sie die deutsche Kanzlerin zu vertreten versucht) gewiss nicht die beste Lösung, aber immerhin eine waren, mit der sich innerhalb einigermaßen eingeübter diplomatischer Formen reden und rechnen ließ, bewegen sich derweil auf einen Wahlkampf zu, in dem ein rücksichtsloser Polarisierer darauf hinarbeitet, vier weitere Jahre als demolition man agieren zu können. Durchaus unklar, ob Joe Biden, wie plausibel oder nichtsatisfaktionsfähig man seine Nominierung auch immer finden mag, unter diesen Vorzeichen ein effektiver Gegenspieler sein wird. Das Virus, das sich durch die Gesellschaften frisst, als wäre es von Eugenikern erfunden worden, hat in einigen Ländern gleichwohl einen Gemeinsinn erzeugt, der unter anderem eine generationelle Bruchlinie aufwies: Junge Leute waren zum Teil nur schwer von der Notwendigkeit vieler Einschränkungen zu überzeugen. Auch bei den Plünderungen in Amerika scheinen es, nach allem, was man bisher weiß, vor allem 20–25 Jährige (und keineswegs vorwiegend Afroamerikaner) gewesen zu sein, die auf die Warenseite des Kapitalismus losgingen. Ob das eine Ersatzhandlung dafür war, dass die Kapitalseite, die während der Coronakrise teilweise große Profite lukrieren konnte, sich unangreifbarer denn je zeigt, ist eine offene Frage. Riots machen keine Presseaussendungen. Gleichwohl deutet sich, spätestens seit Fridays for Future, an, dass in den reichen Gesellschaften mit den Demographien der Babyboomer-Nachkriegsentwicklungen ein Generationenvertrag ins Wanken geraten könnte, der bisher auf der Annahme beruhte, die künftige Welt würde zumindest potentiell eine (noch) bessere sein. Wer das nicht mehr glauben will, hat dafür inzwischen eine Menge Vernunftgründe. Was daraus praktisch folgen kann und soll, würde man gerne besonnenen Menschen wie dem Studenten aus Minneapolis anvertrauen. Zuzustimmen ist ihm aber in jedem Fall: «It doesn’t feel right».