comic

Das lange ungelernte Leben des Roland Gethers Shane Simmons

Von Ekkehard Knörer

© Avant Verlag

 

Man könnte mit den Panels beginnen: Sie geben und begrenzen den Raum für das Bild und den dazugehörigen Text. Sie können in der Größe, auch der Form variieren, manchmal sind sie offen wie andernorts die vierte Wand, manchmal ist die Verschachtelung äußerst vertrackt wie oft bei Chris Ware. Sie können auf Splashpages, also ganzseitige Bilder, ausbrechen, sie müssen nicht rechteckig sein, manchmal muss man sich die Panelbegrenzung eher denken, ganz ohne geht es jedenfalls nicht, so wenig wie ohne den Panelzwischenraum, in dem nichts passiert, außer dass Zeit zwischen den Bildern vergeht oder die Einstellung von einem Bild zum andern sich ändert. Beides unmarkiert wie im Schnitt, die Markierung von Zeit geschieht dagegen im oder als Bild: «Zehn Jahre später».

Hier, in Shane Simmons’ Comic-Klassiker Das lange ungelernte Leben des Roland Gethers, 1993 im Original veröffentlicht, nun in deutscher Neuausgabe erschienen, gleichen die Panels einander wie ein eckiges Ei dem anderen: Auf jeder auf den ersten Blick sehr voll und monoton wirkenden Seite dieselbe Anzahl, 10 Panels breit, 8 Panels tief. (Das englischsprachige Original hat mit einer 5x8-Aufteilung doppelt so viele Seiten.) Der Eindruck grafischer Abstraktion wird sehr verstärkt durch das eigentlich originelle Prinzip, nach dem diese Graphic Novel erzählt ist: Alle dramatis personae sind nicht mal Strichfiguren, sondern sehr schlicht nicht mehr als ein Punkt. «Longshot comic» nennt der Autor das, die Worterklärung am Beginn führt unter anderem auf: film term – a camera shot of a subject or subjects taken from great distance in order to provide a broader perspective on a scene.

Das ergibt in der Summe: Seiten mit 10x8 gleich großen Panels, darin im longshot eine wechselnde Anzahl von Punkten, die einander mal näher platziert sind, mal ferner. Gleich zu Beginn kommt es zu einer Geburt, nämlich der des Protagonisten, neben dem größeren Mutterpunkt ist der Babypunkt klein. Weil der Mutterpunkt bei der Geburt des Babypunkts stirbt, ist der Mutterpunkt dann auch gleich weg. Von den meist dann doch gleichgroßen Punkten führen, wenn gesprochen wird, ihrerseits einander gleichende Linien zum gesprochenen Text, ausnahmslos blasenfrei oben im Bild. Das Ganze also ein Dialogroman mit Punkt-Punkt-Strich-Unterstützung. (Was auch vorkommt: onomatopoetische Geräusche und in Zeit und Erzählung orientierende Zwischentafeln, da ist dann reiner Text in die vertrauten Panels gesperrt.)

Shane Simmons erzählt so, von Geburt bis Tod seines Helden, ein ganzes Leben, das die Jahre 1860 bis 1949 umfasst (er hat dann sogar noch ein Sequel und ein Prequel entlang des Gethers-Stammbaums verfasst): Gethers, geboren in Cardiff, ist eins von zwölf Kindern, die Brüder kommen wie der Vater bei einem Grubenunglück ums Leben, schwarz wie die Panels, in denen Roland mit ihnen spricht, ist der Humor. Er selbst wird nach einem unglücklichen Umweg über eine Buchhaltungs-Assistenz statt Bergmann dann lieber Soldat, erst in den Kolonialkriegen, dann im Ersten Weltkrieg. Gethers, rundum ungelernt eben, entdeckt nach langen Jahren des Oralverkehrs mit seiner Frau, wie Sex, der Nachwuchs produziert, in Wirklichkeit funktioniert.

Ungelernt ist das Leben, sehr trocken britisch wird der Krieg als sinnlose Schlachterei vorgeführt, wie überhaupt das Leben als etwas erscheint, in dem die Gethers der Welt wenig bis nichts zu melden haben. Im Krieg verliert der Held ein Bein, hat trotz späten Starts viele Kinder, die ihn zuletzt ins Altersheim stecken, seine Frau ging unterdessen verloren, so schließt sich der Kreis. Das alles ist mit lakonisch grotesker, Monty-Python-naher Komik erzählt, die darstellerische reductio ad absurdum ein wenig mehr als ein Gimmick, ein wenig weniger als von grandioser Notwendigkeit. Das vorletzte Panel: Leer, also weiß, ganz ohne Punkt oder Strich. Das letzte: The End. 

 

Shane Simmons: Das lange ungelernte Leben des Roland Gethers (Avant Verlag 2020)